Zwei Wochen auf See

20. Januar 2023 um 16 Uhr UTC, POS 18°19’N 126°59’W

Lange hat es gedauert, bis wir aus der Schwachwindzone herausgekommen sind. Erst am elften Tag haben wir einen Zipfel vom Wind erwischt, aber auch dann nur tagsüber, während in der Nacht wieder die Segel schlugen. Jetzt aber – seit zwei Tagen – sind wir im Passat. Gestern war unser Etmal dann endlich bei 117 sm, heute werden es über 120, wir kommen also voran. Allerdings herrscht hier gerade eine unregelmäßige und unangenehme Kreuzsee von drei Metern Höhe, so dass wir nachts in der Koje hin und her geworfen werden und keinen Schlaf finden. Irgendwie kann Rasmus es uns zurzeit nicht recht machen: mal zu wenig, mal zu viel … was denn nun?

Drei Tage lang hatten wir Besuch von Tölpeln. Erst einer, der sich am Bugkorb ausruhte, dann kam ein weiterer hinzu, und am Ende waren es gleich drei, die sich nach einigem, teils etwas unwilligem Beiseiterücken den Platz auf dem Bugkorb teilten. Tagsüber flogen sie ihre Kreise um die Muktuk herum auf der Jagd nach Fliegenden Fischen, die von unserer Bugwelle aufgescheucht wurden, nachts kuschelten sie sich wieder mit den Schnäbeln im Gefieder versteckt auf ihren Schlafplatz und ließen sich – wenn auch eher langsam – nach Westen segeln. Selbst die schlagenden Segel konnten sie nicht vertreiben.

 Einer der drei hat sich schließlich ein besonderes Plätzchen ausgesucht und sich auf der Nock des an Steuerbord ausgebrachten Spinnackerbaums niedergelassen. Dort hatte er tagsüber den besseren Überblick und nachts war er weiter weg vom schlagenden Segel. Das hat den anderen beiden natürlich auch gefallen, und sie versuchten sich dazuzusetzen. Es gab dort aber nur Platz für einen, und der Entdecker verteidigte seinen Revieranspruch mit lautem Geschnatter, wenn die anderen im Anflug waren. Als es dann im Passat mit 6-7 Windstärken zu blasen begann, sind die Tölpel aber doch auf eigene Faust weitergereist.

Ansonsten gibt es nicht viel zu berichten. An unserem Leichtwindsegel (Code Zero) haben wir bei Tagesanbruch entdeckt, dass das Achterliek einen 2,80 Meter langen Riss hatte. Das Segel ist rundherum etwa handbreit verstärkt, und genau am Rand dieser Verstärkung ist das eigentliche Segeltuch dann gerissen. Wir haben jetzt zwar einen Flicken draufgenäht, aber diese „Sollbruchstelle“ ist über der ganzen Länge von Achter- und Unterliek bereits geschwächt, so dass es bald auch an anderer Stelle reißen wird.

Unsere 10 kg Möhren haben kollektiv den Dienst verweigert, sie sind schon nach weniger als zwei Wochen schwarz verschimmelt. Schade, denn die Probecharge, die wir zuvor vom selben Lieferanten gekauft hatten, hat lange gehalten. Noch kann man sie zwar essen, denn der schwarze Belag lässt sich abschälen, aber trotzdem müssen die restlichen Möhren jetzt dicht an dicht in Plastiktüten gedrängt im dunklen kalten Kühlschrank hausen -selber schuld. Die dort schon länger lebenden Radieschen maulen, weil sie nun weniger Platz haben. Von den Gurken, Paprika, Auberginen und Kartoffeln gibt es hingegen nur Gutes zu berichten, sie dürfen sich weiterhin in der Mittelkabine frei bewegen. Die Zitrusfrüchte waren sogar so übermütig, dass sie samt ihrer Kiste von der Koje sprangen und umherkugelnd das Schiff erkundeten. Da haben wir mit unserem nächtlichen Rollen in der Koje wohl ein schlechtes Beispiel gegeben.

Kartenfund

Ich habe mir schon immer gern vorgestellt, was man sähe, wenn die Meeresoberfläche eine Art Glasscheibe wäre, durch die man bis zum Grund hindurchsehen könnte. In Küstennähe könnte man die Untiefen erkennen, sehen, wo man am besten Ankern kann, wunderbar angeln, weil man alle Fische sieht usw.

Ganz spannend wäre es aber auf hoher See, wo man wie im Flugzeug ein paar tausend Meter tief herabsehen und die unterseeische Landschaft bewundern könnte. Hier im Nordpazifik hätte man ein ganz besonderes Schauspiel, denn in der Nähe der Kontinentalplattengrenzen gibt es unzählige sogenannte Tiefseeberge (englisch: seamounts), meist erloschene Vulkankegel, die vom Meeresgrund aus oft tausend oder mehr Metern in die Höhe ragen. Würden sie es bis über die Wasseroberfläche schaffen, würden wir sie Inseln nennen. Aber die Gipfel der Tiefseeberge bleiben eben unter Wasser. Es sind so viele, dass Schätzungen zufolge nur etwa zwei Drittel von ihnen bisher kartografiert sind. Immer mal wieder rammt ein Fahrzeug (zugegebenermaßen meist ein U-Boot) ein bisher unentdecktes Exemplar. Wenn es Glück hat, wird der Tiefseeberg dann nach ihm benannt.

Wie bei Straßennamen in Neubausiedlungen bekommen manchmal einige benachbarte Tiefseeberge zusammengehörige Namen. Nördlich von Hawaii etwa lebt die Gebirgskette der fünfundsechzig „Musicians Seamounts“, alle benannt nach berühmten Komponisten. Von Rossini bis Wagner, von Verdi bis Chopin – jeder hat hier seinen eigenen Berg. Bach bekam natürlich gleich einen ganzen Gebirgszug, und Mendelssohn gleich zwei Tiefseeberge, passend East Mendelssohn und West Mendelssohn genannt.

Aber jetzt zum Anlass dieser Bemerkungen: als ich bei der Routenplanung die Seekarte studierte, fand ich gerade mal hundert Seemeilen südlich von dem Gebiet, das wir gerade durchfahren haben, eine weitere Gruppe. Zu meinem großen Entzücken heißt diese „Mathematicians Seamounts“ und besteht aus neun Tiefseebergen, alle nach verdienten Mathematikern (na gut: auch Physikern) benannt. Da finden sich der Euclid Seamount (Begründer der Arithmetik, Geometrie und Axiomatik), Lagrange Seamount (Gruppen- und Zahlentheorie, Analysis und Himmelsmechanik), Laplace Seamount (Wahrscheinlichkeitsrechnung, Differentialgleichungen), Newton Seamount (Begründer der modernen Physik, Erfinder der Infinitesimalrechnung), Bernoulli Seamount (Strömungsdynamik), Riemann Seamount (Analysis, Differentialgeometrie, Zahlentheorie), Cantor Seamount (Mengenlehre, Erforscher der Unendlichkeit), Lobachevskij Seamount (nichteuklidische Geometrie) und Napier Seamount (Erfinder der Logarithmen).

Während es die „Musician Seamounts“ immerhin ins englischsprachige Wikipedia geschafft haben, sind die Mathematiker-Gebirge dort völlig unbekannt. Viele Teilgebiete der Mathematik und viele verdiente Mathematiker bleiben hier auch unberücksichtigt. Wo bleiben Algebra oder Topologie? Was ist mit Euler, Gauß oder Jacobi? Sind den Namensgebern etwa die Tiefseeberge ausgegangen? Oder gibt es in Wirklichkeit viel mehr Mathematiker unter Wasser, aber aus Gründen der Übersichtlichkeit verzeichnet meine Seekarte (INT 51) nur einige davon – schließlich muss ja noch Platz bleiben für Tiefenangaben und anderen nautischen Kram?

Aber wir stellen uns natürlich schon die Frage: wer ist für die Benennung der Tiefseeberge eigentlich zuständig? Die befinden sich ja üblicherweise außerhalb der Hoheitsgewässer. Gibt es ein „Internationales Komitee zur Benennung der Tiefseeberge“ als Teil der UNO? Wenn ja, wie kann man da Mitglied werden? Oder fallen die Namen in die Zuständigkeit des Deutschen Alpenvereins, Abteilung Tiefsee, Sektion Nordpazifik?

Viele spannende Fragen bleiben also unbeantwortet, bis wir wieder Internet haben. Bis dahin drücken wir die Daumen, keinem unentdeckten Tiefseeberg zu begegnen, der es bis auf drei Meter fünfzig fast zur Insel geschafft hätte. Auch wenn wir ihn dann vielleicht Muktuk Seamount nennen dürften…

Eine Woche auf See

13. Januar 2023 um 15 Uhr UTC, POS 20°15’N 116°26’W

Die erste und die letzte Woche einer Überfahrt sind die schwierigsten. So haben wir es vor vielen Jahren von den Vorbesitzern unserer Muktuk gelernt, zu einer Zeit, als wir uns gar nicht vorstellen konnten, länger als zwei Wochen am Stück unterwegs zu sein. Aber es ist schon etwas dran: in der ersten Woche muss man sich an das Geschaukel und den Wachrhythmus gewöhnen, Reste von Seekrankheit verdauen, schläft noch nicht gut bei den vielen Geräuschen und Bewegungen.

Dazu kommt der krasse Wechsel vom Stress der letzten Tage vor der Abreise mit ihren Einkäufen, Erledigungen, letzten Rechnungen (zweieinhalb Monate kein Internet!), Behördenkram, Ausklarieren… Und auf einmal: nichts mehr. Außer Bordroutine. Drei Mahlzeiten, kochen, spülen, ein paar Segelmanöver und regelmäßige Wartungsarbeiten am Schiff, gelegentliche kleine Reparaturen – kaum ein volles Tagesprogramm. Viel Zeit fürs Nachdenken, Lesen, Podcasts hören, Japanisch lernen. Auch daran muss man sich erst einmal gewöhnen.

Auf die im Schnitt geplanten 100 Seemeilen am Tag sind wir bisher nicht ganz gekommen. Zu oft ist nicht genug Wind für eine zügige Fahrt, aber wir sind ja auch noch nicht auf unserer Zielreisehöhe von 18° Nord, es kann also noch besser werden. Bisher hatten wir sehr kleinräumige Wechsel zwischen kräftigem Wind mit gutem Vorankommen und Flaute mit flappenden Segeln, bei denen die Muktuk von der (natürlich noch gebliebenen Welle) mit Wucht von einer auf die andere Seite geworfen wird. Segeln ohne Wind hat sich aus gutem Grund nicht durchgesetzt. Für die kommenden Tage sieht die Prognose auch nur wenig Wind vor. Wir hoffen auf den Passat mit mehr Konstanz, aber müssen erst einmal dahin kommen.

Die Temperaturen sind angenehm, tagsüber warm für kurze Hosen, nachts kühl genug für Langärmliges. Das Badewasser hat sich von 19 Grad bei Abreise schon auf 22 Grad erwärmt. Wir kommen eben doch langsam nach Süden.

Und warum die letzte Woche einer Überfahrt schwierig sein soll? Da ist man dann ungeduldig und will endlich ankommen. Aber so weit sind wir noch lange nicht.

Zu neuen Ufern

Über ein Jahr waren wir in der Sea of Cortez unterwegs. Zwar mit Unterbrechungen, aber wir haben doch etliche Buchten und Ankerplätze kennen und lieben gelernt, haben unsere Lieblingsecken und die besten Fischgründe gefunden, herrliche Strände und Aussichtsberge entdeckt.

Als aber im Oktober klar wurde, dass Japan nach jahrelanger Corona-Schließung seine Grenzen für Individualtouristen und damit auch für Segler öffnet, begannen wir sofort, Reisepläne zu machen. Jetzt sind wir so weit, uns auf die lange Seereise zu machen.

Wasser, Propan und Dieseltanks sind gefüllt, Säcke von Kartoffeln, Möhren, Zwiebeln, Orangen, Kohl (also allem Haltbaren) sind gestaut, anderes Obst und Gemüse für die ersten Wochen, zig Gläser mit Gulasch, Sugo und Gemüse sind eingemacht, genug Klopapier und Küchenrolle für drei Monate … Die Stauliste ist jedenfalls lang. Wenn wir etwas vergessen haben, gibt es unterwegs keinen Supermarkt. Nur die Fischgeschäfte haben mitten im Pazifik durchgehend geöffnet.

Wir haben vor, von La Paz aus erst einmal auf etwa 18° nördliche Breite zu segeln, und diesem Breitengrad ständig Richtung Westen zu folgen. Erst kurz vor Japan wollen wir rechts abbiegen, um in Okinawa Landfall zu machen. Das ist zwar nicht die kürzeste Strecke, aber dort erwarten wir beständige Passatwinde, angenehme Temperaturen und den Äquatorialstrom, der uns mit einem halben Knoten zusätzlich nach Westen schieben sollte.

Wir werden zwar nahe an Hawaii vorbeikommen, aber wir planen nicht, dort anzuhalten. Zwar wäre es sicher nett, nach ein paar Wochen frisches Obst und Gemüse zu bekommen, doch es würde uns nicht nur Zeit kosten, sondern auch aus dem Wach-Rhythmus bringen, der sich nach der ersten Woche auf See einstellt. Zur Not könnten wir allerdings Hawaii anlaufen, etwa wenn wir einen schwerwiegenden Schaden am Boot hätten, der mit Bordmitteln nicht repariert werden kann.

Wenn aber alles nach Plan läuft, wird die Fahrt nach Japan die längste Seestrecke unserer Reise werden. Über 7.300 Seemeilen (das sind 13.500 km) ohne Landkontakt. Wir kalkulieren auf Langstrecke mit 100 sm/Tag, rechnen also mit einer Reisedauer von gut zehn Wochen. Achtmal werden wir die Bordzeit um eine Stunde vorstellen, und wegen Überschreitung der Datumsgrenze einen Tag im Logbuch auslassen. Viel Schiffsverkehr erwarten wir auf der Strecke nicht, denn die Großschifffahrt folgt natürlich der bedeutend kürzeren Großkreis-Route.

Wenn gerade kein Schiff in der Nähe ist, dürften die uns nächstliegenden Mitmenschen häufig die Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS sein, denn die fliegt alle paar Tage in einer Höhe von 216 Seemeilen über uns hinweg. Mit ihnen teilen wir die Abgeschiedenheit; wie sie sind wir unterwegs auf uns selbst gestellt. Obwohl wir sicher mehr Zwiebeln dabeihaben als die armen Astronauten. Wir haben ja auch mehr Zeit zu kochen.

Wir werden versuchen, über Satelliten-Email etwa jede Woche eine kurze Nachricht auf unseren Blog zu stellen, zwar ohne Bilder, aber mit einem kleinen Lagebericht. Hoffentlich klappt’s mit der Technik. Und wir freuen uns immer über Nachrichten von Freunden, Familie und allen anderen, die unseren Blog lesen. Bitte schreibt uns an iridium(at)muktuk.de, damit wir nicht vergessen, dass es da draußen irgendwo noch eine Welt gibt.

Wandmalereien

Mexiko blickt auf eine über hundertjährige Tradition an Wandmalereien im öffentlichen Raum zurück. Die „Murales“, wie die Wandmalereien heißen, griffen in der Anfangszeit vor allem soziale und politische Themen auf. Unter den drei prägenden Künstlern dieser Zeit war Diego Rivera der wohl bekannteste.

Hier in den größeren Ortschaften der Baja California haben wir viele dieser schönen und beeindruckenden Wandmalereien bewundern können: angefangen mit Ensenada, San Jose del Cabo über La Paz und Loreto. Diese Ortschaften liegen alle am Meer, werden vom diesem geprägt und leben vom dem, was das Meer so hergibt. Das spiegelt sich auch in den Motiven der Wandmalereien wieder.

In Oaxaca sind es die Kolibris und die Alebrijes, die uns als Motive besonders begeistert haben.

Und dann gibt es noch die vielen unterschiedlichen Malereien, die von und für jeweils einen Laden oder ein Hotel werben, auch sie bunt, schön und einladend!

Mehr über diese Tradition der Wandmalereien kann man nachlesen: im deutschen Wikipedia unter Muralismo und im englischen Wikipedia unter Mexican Muralism

Unter den Steinen

John Steinbeck, den wir hier schon so oft zitiert haben, füllt in seinem Logbuch sehr viele Seiten mit der Beschreibung der Unterwasserwelt: wie sie mit Gummistiefeln stundenlang am Ufer entlang gegangen sind und alles eingesammelt haben, was da so krabbelte.

Das hat uns neugierig gemacht und so haben wir im letzten Jahr am Strand bei Niedrigwasser auch so manchen Stein umgedreht und gestaunt, wie bunt es da mitunter aussehen kann und wie viele Tierchen da sitzen oder herum krabbeln.
Hier eine Auswahl unserer Fotos.

Haarsterne, Schlangensterne oder Würmer ringelten schnell davon zum nächsten schützenden Stein , Seewalzen drückten sich in die Spalten und waren fast nicht mehr von ihrer Umgebung zu unterscheiden, Seeigel in allen Formen und Größen trotzten der Brandung.

Diese Schnecke hat ihr Häuschen mit einem schützenden Deckel geschlossen.

Einsiedlerkrebse suchen sich die schönsten Behausungen aus.

Dieser Einsiedlerkrebs ist schon etwas zu groß geworden für sein Häuschen.

In dieser Spirale aus Sand hat eine Schnecke ihre Eier verteilt.

Hier ein Fall für den kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat.

Muktuk schwimmt wieder!

September/Oktober 2022

Als wir in der zweiten Septemberhälfte auf die Werft zurück kommen, ist es noch immer unerträglich heiß und schwül. Bei 40 Grad im Schatten ist es fast unmöglich zu arbeiten, zumal sich auch nachts das Boot nicht abkühlt. Stephanie vom Nachbarsboot (und inoffizielle Bürgermeisterin der Werft) leiht uns eine Klimaanlage, die Andreas in den Niedergang provisorisch einbaut. Innerhalb von zwei Stunden ist die Luft im Inneren auf 25 Grad Celsius herunter gekühlt. Nun können wir auch nachts wieder besser schlafen und am liebsten würden wir gar nicht mehr nach Draußen gehen.

In der nächsten Woche sinken die Temperaturen etwas, vielleicht haben wir uns auch besser an dieses Klima gewöhnt. Die Arbeiten gehen nun schneller voran: rostige Stellen behandeln, den Rumpf oben mit einer neuen Schicht rot versehen und das Unterwasserschiff mit drei Schichten Antifouling.

Bevor wir allerdings wieder ins Wasser zurück können, müssen erst einmal drei Boote umgeparkt werden, damit der Travel-Lift Platz hat, um zu uns zu fahren.

Draußen vor dem Ort ist es relativ ruhig, so dass wir beschließen, noch eine Nacht vor Anker zu bleiben. Um uns herum liegen einige Krabbenboote, die sich mit der untergehenden Sonne auf den Weg machen, um in der Nacht zu fischen.

Und dann fahren auch wir los Richtung Süden, um noch ein paar Wochen lang die Buchten und Inseln der Sea of Cortez zu genießen.

Oaxaca – Paris – Sonthofen

Auf dem Weg ins Stadtzentrum von Oaxaca sehen wir durch eine große Glasfront in eine Druckerei. Auffällig steht dort eine Druckerpresse – jede Menge Walzen, Zahnräder, Kurbeln und Stellschrauben. Das Ganze ein Getüm aus Gusseisen, massiv und antik aussehend. Ein an der Maschine Arbeitender winkt uns herein, als er sieht, wie wir unsere neugierigen Nasen an die Scheibe pressen. Im Nebenraum, der als Galerie der Druckerzeugnisse dient, steht eine zweite Presse, kleiner aber noch älter, mit viel Holz und einer großen Handkurbel.

Auf Spanisch erklärt uns der Mitarbeiter, was es mit der Maschine auf sich hat. Von den 30 Prozent, die wir verstehen, sind wir bereits sehr beeindruckt. Nach einer Weile werden wir aber an Mariana weitergereicht, eine junge Frau, die für Vertrieb und die Galerie zuständig ist, und die spricht hervorragendes Englisch, so dass wir nun mehr Details erfahren können.


Beide Maschinen sind aus Paris, auf der älteren Sternradpresse aus dem 19ten Jahrhundert haben noch berühmte französische Impressionisten ihre Druckwerke produziert. Die größere ist neueren Datums (also aus dem 20. Jahrhundert), aber erst vor zwei Jahren nach Mexiko verschifft worden. Um sie in die Druckerei zu bekommen, musste eigens der Eingang erweitert werden, sonst hätte das tonnenschwere Monstrum nicht hineingefunden.


Spannend wird es, als Mariana uns von der Drucktechnik erzählt – hier werden im Wesentlichen Lithografien hergestellt. Diese Methode hat 1797 der aus Franken stammende Alois Senefelder erfunden, zunächst um damit Musiknoten zu vervielfältigen. Dabei wird auf Kalksteinplatten mit fetthaltiger Tusche oder Kreide die Vorlage seitenverkehrt gezeichnet, dann die Steinplatte befeuchtet. Der Stein saugt das Wasser auf, außer an den zuvor bezeichneten Stellen. Beim nachfolgenden Druckvorgang bleibt die ebenfalls lipophile Druckfarbe nur auf den bezeichneten Stellen haften, nicht aber auf dem nassen Untergrund und wird dann unter hohem Druck auf das Papier übertragen. Gut wird das Ergebnis aber nur mit gutem Papier, das deshalb extra aus Frankreich eingeführt wird.

Marianas Augen leuchten, als sie uns ihre Sammlung von Lithografiesteinen zeigt. Die kommen nämlich aus der weltweit besten Herkunftsstätte: wieder aus Deutschland, nämlich aus Solnhofen im Altmühltal. Solnhofener Plattenkalk entstand im Jura als Sediment von Lagunen (also als das Altmühltal noch am Meer lag) und wurde schon im 2. Jahrhundert von den Römern als Bodenfliesen verwendet. Aber nach Senefelders Erfindung wurde der Abbau der Lithografiesteine das Hauptgeschäftsfeld. Mittlerweile sind die Vorkommen der Steinplatten mit Lithografie-Qualität nahezu erschöpft. Die Steine, die die Druckerei in Oaxaca besitzt, sind daher auch ihr ganzer Stolz und werden als die Kostbarkeiten behandelt, die sie sind. Nach jeder Druckserie müssen sie für die Aufnahme eines neuen Motivs abgeschliffen werden und werden so ein paar Zehntelmillimeter dünner. Eine Stärke von mindestens 10-12 cm müssen sie aber behalten, um unter dem hohen Druck der Presse nicht zu zerbrechen.



Wir sind völlig fasziniert von den Erklärungen, und dass wir ausgerechnet im fernen Oaxaca so viel neues über fränkische Erfinder und Steinplatten aus dem Altmühltal lernen. Mariana zeigt uns Druckerzeugnisse der vielen lokalen Künstler, die in ihrer Werkstatt ihre Drucke hergestellt haben. In den nächsten Tagen tauchen wir noch etliche Male in der Druckerei auf. Mal haben wir beim Recherchieren Interessantes über Solnhofen oder die Steine herausgefunden (z.B. das Lithografiesteinarchiv im Münchner Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung oder ein Beitrag aus Bayern 3 über den Solnhofener Plattenkalk), was wir unbedingt Mariana zeigen müssen, denn diese plant eine Reise nach Deutschland. Mal zieht es uns zurück an die Schublade mit den Druckerzeugnissen, aus der wir eine Lithografie eines lokalen Künstlers so liebgewonnen haben, dass wir sie am Ende kaufen.

Oaxaca de Juárez

Von Oaxaca hatten wir schon viel gehört und gelesen: sie sei eine der schönsten Provinzen Mexikos mit dem buntesten Kunsthandwerk und der besten Küche des Landes! Das klang nach einem verlockenden Reiseziel, als wir überlegten, im September die Arbeiten auf der Werft um ein paar Tage zu verschieben. Auf der Werft war es noch viel zu heiß, im Hochland von Oaxaca dagegen war Regenzeit angesagt, mit angenehmen frühsommerlichen Temperaturen.

Die Provinz Oaxaca liegt im Südwesten Mexikos auf der Pazifikseite. Hier lebten Zapoteken, Mixteken und Azteken, die in den Jahrhunderten vor der Kolonialisierung durch die Spanier abwechselnd um die Vorherrschaft in diesem Gebiet kämpften. (Mehr über die Geschichte Oaxacas könnt ihr hier nachlesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Oaxaca_de_Juarez)

Die Altstadt mit ihren Kathedralen, ehemaligen Klöstern und herrschaftlichen Häusern im spanischen Kolonialstil ist sehr gut erhalten. Die Stadt wirkt sehr lebendig, viele junge Menschen sind unterwegs, es gibt unzählige Galerien mit Kunst und Kunsthandwerk, private und staatliche Museen und Kulturzentren, Bibliotheken. Cafés, Restaurants, Märkte und Straßenhändler beleben das Straßenbild. Und doch ist auch hier das Gefälle zwischen den reichen Nachfahren der Spanier und der armen indigene Bevölkerung sehr hoch. Die Menschen, die am Stadtrand und in den Dörfern im Umland leben, gehören zu den ärmsten von ganz Mexiko.

Alebrijes https://de.wikipedia.org/wiki/Alebrije

Gleich am ersten Tag kamen wir an einem von außen unscheinbaren Gebäude vorbei und schauten neugierig in den üppig begrünten Innenhof. Der Portier bat uns freundlich herein, selbstverständlich könnten wir uns umsehen. Es war ein ehemaliges Convent von Dominikanerinnen, das inzwischen zu einem Luxushotel umgebaut wurde. (Im Laufe der Jahrhunderte diente es allerdings auch als Krankenhaus und Gefängnis). Von den Innenhöfen führten schmale Treppen zu den Zimmern hoch, unter den Arkaden waren die Tische fürs Frühstück gedeckt. Wir liefen alle Innenhöfe ab, bis zum letzten, wo sich der alte überdachte Waschbrunnen befand.

Oaxaca de Juarez hat sich seit Jahrzehnten zu einem der spannendsten Kunst- und Kunsthandwerkszentren Mexikos entwickelt. Hier lebten, lehrten und arbeiteten die bekanntesten Künstler Mexikos, u.a. Rufino Tamayo oder Francisco Toledo. Jeden Tag liefen wir durch die verschiedensten Museen, Galerien und Läden mit Kunsthandwerk und hatten am Ende der sechs Tage doch nicht alle gesehen – dafür aber einige schöne Souvenirs erworben.

Von außen wirken viele Gebäude trotz ihrer bunten Farben abweisend mit verschlossenen hohen Türen, vergitterten Fenstern. Doch wo eine dieser Türen offen stand, schauten wir hinein: die Innenhöfe sind wunderschön gestaltet, z.B. mit kleinen Tischen als Café einer Galerie, mit einem Wasserbecken in der Mitte umrahmt von blühenden Pflanzen im Zentrum für Fotografie, oder gar als luftiger Lesesaal der Kunstbibliothek im Institut der grafischen Künste.

Santo Domingo de Guzman die größte Kathedrale am Platz, beherbergt auch das Museum der Kunst und Kultur Oaxacas, das in dem langgestreckten mehrstöckigen Gebäude des ehemaligen Klosters der Dominikaner eingerichtet wurde.

Hauptattraktion sind die Schätze, die bei Ausgrabungen am Monte Alban, einige Kilometer außerhalb der Stadt, gefunden wurden. Es sind Grabbeigaben, Zeugnisse einer reichen Kultur der Zapoteken: Schmuckstücke aus Gold und Jade, kunstvolle Schnitzereien.

Im rechten Flügel des Erdgeschoss, kann man in den Räume der historischen Bibliothek eine Ausstellung mit traditionellen Gewändern und Stickereien anschauen, im linken Flügel war gerade eine Sonderausstellung über den mexikanischen Hund und seine Darstellung in der Kunst eingerichtet. Da war mir klar, warum draußen vor der Kathedrale eine Gruppe von Hundebesitzern posierte.

Wir buchten eine Führung in englischer Sprache durch den Ethnobotanischen Garten, der auf dem Freigelände des ehemaligen Dominikanerklosters angelegt wurde. Eine Dame aus Kanada, die schon seit vielen Jahren hier lebt, erzählte uns kenntnisreich und humorvoll von den Pflanzen dieses Gartens und verwebte die Botanik mit der Wirtschaftsgeschichte der Provinz. Sie betonte immer wieder, dass Oaxaca über die größte Artenvielfalt des Landes verfügt: die meisten Sorten Mais, Peperoni und Kakteen. Hier wurde auch über einen langen Zeitraum hinweg die Cochinilla-Laus gezüchtet, die auf einer bestimmten Kakteenart lebt und aus der die berühmte und gefragte Purpurfarbe gewonnen wurde. Dieser Blattlaus verdankt Oaxaxa seinen Aufstieg, die Farbe wurde weltweit exportiert und hunderte Webereien arbeiteten vor Ort. Diese Tradition wird auch heute weiter geführt.

Im Textilmuseum ist gerade eine Sonderausstellung mit Ponchos aus Mittelamerika und Südamerika. Wunderschöne Exemplare mit kunstvollen Details.

In diese Woche fallen die Feiertage, an denen mit vielen Festen der Unabhängigkeit Mexikos gedacht wird: die Straßen sind geschmückt und in den Restaurants werden spezielle Menüs mit landestypischen Gerichten angeboten. Es ist auch der Monat, in dem es die „Chile en Nogada“ gibt: mit Hackfleisch gefüllte grüne leicht pikante Paprika garniert mit einer süßen weißen Sauce mit Rosinen und Mandeln. Oaxaca hat drei große überdachte Markthallen, in denen alle kulinarischen Köstlichkeiten der Provinz angeboten werden: der Käse, die berühmte Sauce mit Kakao, Mole genannt, Mezkal, die gerösteten Heuschrecken, viele Sorten von Paprika, Tomaten, Mais, Kakaobohnen und so vieles mehr.

Am vorletzten Tag buchten wir eine Tour: Der Fahrer nahm uns zuerst zu einer Familie mit, die ein paar Kühe außerhalb des Ortes hält und wo wir zusehen konnten, wie der berühmte Käse aus Oaxaca gemacht wird: das Verfahren ist ähnlich wie beim Mozzarella. Hier wird der frische Käse mit heißem Wasser und Salz geknetet und zu langen Strängen geformt, die in kaltem Wasser abkühlen. Danach werden diese Stränge eingerollt und daraus große Käsekugeln geformt. Der Käse hat eine feine angenehme Säure und schmeckt uns fast noch besser als Mozzarella. Vor allem, so wie wir ihn anschließend mit frischen Tortillas und einer hausgemachten scharfen Sauce probieren durften.

Danach fuhren wir weiter zu einer Papiermanufaktur, wo uns eine junge Frau ganz begeistert erklärte, wie sie Papier aus allen möglichen Materialien herstellen, die die Natur der Umgebung hergibt. Hauptabnehmer sind die Hersteller von Mezcal: sie zeigte uns ein Musterbuch mit kunstvoll gestalteten Etiketten, die auf dem handgeschöpften Papier ihres Betriebes gedruckt wurden.

Oaxaca ist eine Provinz der Superlative! Das können wir nach diesen intensiven und von Eindrücken und Erlebnissen übervollen Tagen nur bestätigen.

Hilfsruder Autopsie

Es ist schon viele Monate her. Wir waren dabei, eine Bucht in der Nähe von La Paz zu verlassen, ich legte hart Ruder, um eine enge Linkskurve zu fahren, das Boot kam aber kaum herum. Bis ich das merkte, waren wir schon auf Grund gelaufen, denn so viel Platz war in der Bucht eben nicht. Auslöser des Problems war das Hilfsruder der Windsteueranlage. Muktuk hat ja zwei Ruderblätter, aber nur einen Propeller in der Mitte, hinter dem sich also nicht, wie sonst üblich, ein Ruderblatt befindet. Ohne Ruderblatt, das direkt vom Schraubenwasser angeströmt wird, kann man aber nicht auf engem Raum manövrieren, da bei langsamer Fahrt kaum Ruderwirkung vorhanden ist. Die Lösung auf der Muktuk: das Hilfsruder der Windsteueranlage ist, zumindest wenn wir unter Maschine fahren, über ein Gestänge mit den Hauptruderblättern verbunden, so dass wir nun doch ein – wenn auch kleineres – Ruderblatt haben, das vom Propeller angeströmt wird.

Diese Konstruktion war in der Bucht ausgefallen. Die Ursache war schnell gefunden: der Schaft des Hilfsruders war nicht mehr mit dem Ruderblatt verbunden. Zwar drehte sich über das verbindende Gestänge der Schaft des Hilfsruders, aber eben nicht das Ruderblatt selbst.

In der nächsten Bucht haben wir das Hilfsruder ausgebaut, und den Schaft aus dem Ruderblatt herausgezogen. Er war knapp innerhalb des Ruderblatts gebrochen. Zum Glück war noch ein innerer Stahlkern übrig, der noch fest mit dem Ruderblatt verbunden war. Durch Verschrauben des gebrochenen Edelstahl-Rohrs des äußeren Schaftes mit dem inneren Stahlkern konnten wir das Ganze provisorisch reparieren und wieder einbauen. Aus der nächsten Bucht kamen wir also wieder ohne Grundberührung heraus.

Aber beim nächsten Werftaufenthalt stand eine ordentliche Reparatur des Hilfsruders an. Ich kontaktierte Peter Förthmann, den Hersteller unserer Windsteueranlage, und er gab mir ausführliche Ratschläge und eine detaillierte Anleitung, wie die Reparatur vonstattengehen sollte.

Als erstes befreite ich das Ruderblatt von den über Jahrzehnte aufgebauten Schichten Antifouling. Dann kam der gruselige Schritt, das Ruderblatt rundherum mit der Flex aufzusägen, bis ich die beiden Hälften auseinanderklappen, die Reste des alten PU-Schaums entfernen und den gebrochenen Schaft herausnehmen konnte. Der war nicht nur an einer Stelle gebrochen, sondern hatte auch noch an einer weiteren Stelle bereits Haarrisse. Zudem war er etwas verbogen. Der Schaft ging zum Schweißer, der alles wieder hergerichtet hat.


Für die weiteren Schritte brauchte ich einiges an Material, das alles in Puerto Peñasco nicht zu bekommen war. Erst nach einer eintägigen Einkaufsreise über die US-Grenze nach Phoenix, Arizona, konnte das Projekt fortgesetzt werden. Der Schaft wurde mit Epoxy-Spachtel erst in eine Halbschale des Ruderblatts eingeklebt. Dann wurde die andere Hälfte aufgelegt und ebenfalls mit Epoxy-Spachtel verbunden. Entlang der aufgesägten Trennung wurde das Ruderblatt mit in Epoxidharz getränkten Glasfasermatten verbunden und verstärkt. Nach Ab- und Glattschleifen kamen noch zwei Schichten Gelcoat drauf, um eine glatte Oberfläche und einen zusätzlichen Schutz zu erhalten.



Nun stand die nächste heikle Operation an: der Hohlraum im Inneren musste mit geschlossenporigem PU-Schaum wieder ausgeschäumt werden, damit sich das Ruderblatt im Betrieb nicht mit Wasser füllt. Hierzu habe ich das Ruderblatt senkrecht gestellt, mit etlichen Schraubzwingen und Keilen in Form gehalten, oben ein Loch gebohrt und mit einem Trichter die angerührte PU-Mischung eingefüllt. Das muss sehr schnell gehen, denn 60 Sekunden nach dem Zusammenschütten der beiden Komponenten fängt das Zeug an zu schäumen. Das sind also 15 Sekunden zum Vermischen und 45 Sekunden zum Einfüllen. Und man darf nicht zu viel nehmen, sonst zerbirst das Ruderblatt unter dem Druck des sich aufblähenden Schaums. Ich habe das in drei Etappen gemacht, bis nach der letzten Runde gerade mal ein kleines bisschen Schaum aus der Einfüll-Öffnung herauskam.

Nun musste nur noch das Loch verschlossen, das Schraubenloch von der provisorischen Erstreparatur gefüllt und das Ruderblatt mit drei Lagen Antifouling gestrichen werden – fertig zum Einbau.

Ich war jedenfalls ganz schön froh, als das Ding wieder an einem Stück und an Ort und Stelle war.