16. März – 10. April 2023
Arbeiten am Schiff
Nach der langen Überfahrt benötigte die Muktuk viele große und kleine Reparaturen, Geräte mussten gewartet und Ersatzteile nachbestellt werden, und wir waren jeden Tag mindestens einmal im Baumarkt. Außerdem mussten wir die Muktuk vor allem im Inneren gründlich putzen und entsalzen.
Gleich am zweiten Tag nutzen wir das gute Wetter und schlugen alle drei Vorsegel ab (Genua, Fock und Schoner), um sie zu einem Segelmacher zu bringen. Nach zwei Wochen erhielten wir sie zurück, der Saum war sehr sorgfältig genäht und Teile des UV-Schutzes ersetzt. Wie neu!
Zu den durchgerosteten Stellen, die wir unterwegs provisorisch geklebt hatten, kamen noch zwei weitere dazu, die wir entdeckten, als Andreas die Holzverkleidung und die beiden Schichten Isoliermaterial in unserer Kabine abgebaut hatte. Wir brauchten also dringend einen Schweißer.
Die Marina gab uns die Telefon-Nummer von Patrick, einem Schweizer, der seit 30 Jahren in Japan lebt. Metallplatten besorgen, kaputte Stellen ausschneiden, neue Metallplatten einschweißen bzw. mit Platten verstärken, einen ganzen Tag lang hatte Patrick zu tun – alles nicht so einfach im engen Cockpit und an teilweise sehr schwer zugänglichen Stellen am Fuße des Mastes.
Ein paar Tage später, mit drei Lagen Epoxy-Farbe und zwei Lagen weißem Lack sahen die Stellen schon wieder ganz passabel aus.
In den zehn Wochen hatte sich einiges an Wäsche angesammelt. Zwei Mal schob ich unser Wägelchen mit Taschen vollbeladen zum Waschsalon. Dort gab es glücklicherweise mehrere dieser riesigen Waschmaschinen mit eingebautem Trockner. Sehr praktisch! Und während die Maschinen arbeiteten, ging ich zu meiner Lieblingsbäckerei gegenüber, mit den köstlichen Windbeuteln und Bisquitrollen.
Tourismusprogramm
Wir schafften es dieses Mal, eine gute Balance zwischen Arbeit und Erholung zu finden. Wir haben fast jeden Tag vom Farmers Markt frisches Gemüse geholt, ein paar Restaurants ausprobiert, haben Leute getroffen und sind auch ein bisschen herum gefahren.
Vor vier Jahren hatten wir schon sehr viel von Okinawa gesehen: Die königliche Burg Schuri, die leider im Herbst 2019 fast völlig abgebrannt ist und nun wieder aufgebaut wird, den schönen großen Königsgarten und Vieles mehr. (kann man hier nachlesen)
Auch dieses Mal fuhren wir wieder mit dem Bus nach Naha, in die Hauptstadt der Insel. Dort schauten wir uns u.a. das Keramikmuseum an, das einen guten Überblick über die Geschichte der Keramik von Okinawa bietet, alte und neue Keramikmeister und ihre Tonwaren vorstellt.
Gleich beim Museum befindet sich eine Straße, in der sich ein Keramikgeschäft ans andere reiht und wo man sich mit Keramik im traditionellen Stil oder neueren Formen eindecken kann.
Nach so viel Kunst und Kunsthandwerk brauchten wir eine Pause, nur ein paar Schritte weiter ist der große überdachte Markt von Naha. Gleich am Rand dieses fast unübersichtlich großen Areals fanden wir ein kleines Ramen-Lokal. Danach waren wir wieder gestärkt für den Rummel in den vielen Geschäften, wo man so ziemlich alles finden kann, was man braucht, angefangen von Kleidung, über Stoffe, Haushaltswaren, Mitbringsel von Okinawa bis hin zu Gemüse und Fisch.
Die Bittergurke ist eines der „Wahrzeichen“ von Okinawa. Ihr werden viele gesundheitsfördernde Eigenschaften zugeschrieben und ihr sei es zu verdanken, dass die Lebenserwartung in Okinawa die höchste von ganz Japan ist. „Goya Champuru“ heißt ein beliebtes Gericht mit fein geschnittener Bittergurke, Tofu und Ei, das wir inzwischen ein paar Mal nachgekocht haben.
Diese Algen bekommt man nur in Okinawa – sie haben eine Textur ähnlich wie Kaviar, zerplatzen beim Draufbeißen, der Geschmack erinnert an eine frische Meeresbrise.
Der US-Amerikanische Film „Sound of Music“ über die singende Trapp-Familie mit Julie Andrews und Christopher Plummer aus den 1960er Jahren war in Japan ein riesiger Erfolg und ist immer noch im kollektiven Gedächtnis vorhanden, vor allem das Lied „Edelweiß“. Das wurde uns sogar schon mal vorgesungen. So wunderte es mich nicht, als ich eine Bäckerei auf dem Markt sah, die Apfelstrudel anbietet und die zu ihrem englisch klingenden Namen noch „Edelweiß“ hinzugefügt hat.
Okinawa World
Nicht weit von Yonabaru und mit dem Bus leicht zu erreichen befindet sich der Themenpark „Okinawa World“. Hier werden traditionelle Handwerke der Insel gezeigt (u.a. Glasbläserei, Stoffmalerei, Weberei) und bei den meisten kann man sogar mitmachen. Untergebracht sind die jeweiligen Werkstätten in Holzhäusern, die von einer adligen Familie zur Verfügung gestellt wurden.
Unter dem Themenpark befindet sich eine riesige, neun Kilometer lange Tropfsteinhöhle, die erst in den 1970er Jahren entdeckt wurde. Für die Besucher ist ein etwa 900 Meter langer unterirdischer Bohlenweg angelegt worden, entlang dessen die Kalksteinformationen beleuchtet werden, ein tolles Lichtdesign. Wir waren beeindruckt von der Schönheit dieser Unterwelt!
Fahrradtour zum Nanjo Art Museum
Im Hof der Marina von Yonabaru stehen immer noch die beiden Fahrräder, mit denen wir vor vier Jahren herumfahren konnten. Der Zahn der Zeit hat an ihnen genagt, aber nachdem Andreas einen Reifen geflickt hatte, konnten wir uns zu einer kleinen Fahrradtour aufmachen.
Zuerst fuhren wir auf einem Damm am Ufer entlang bis zu einem kleinen Fischereihafen.
Die Küste sieht auf den erste Blick ziemlich zugebaut aus. Umso überraschter waren wir, dass sich zwischen den Wohnvierteln viele kleine Felder befanden, auf denen hauptsächlich Zuckerrohr angebaut wird. Auch viele Gewächshäuser waren zu sehen, in denen Gemüse oder Blumen gezogen werden.
Mittendrin tauchte ein großes Gebäude auf: das Kulturzentrum von Nanjo, im Volksmund „sugar cane hall“ (Zuckerrohrhalle) genannt. Wir hielten kurz an und entdeckten ein Plakat mit der Ankündigung eines Konzertes, das an diesem Nachmittag stattfinden sollte.
Das Kunstmuseum von Nanjo liegt etwas abgeschieden mitten im Grünen hoch oben auf einem Berg.
Es besteht aus dem ehemaligen Wohnhaus des Ehepaars, das das Museum gestiftet hat und einem Anbau für Wechselausstellungen. Ein großer Garten mit Schatten spendenden Bäumen gehört ebenfalls dazu. Das ganze Ensemble strahlt eine unglaubliche Ruhe und Abgeschiedenheit aus. Wir fühlten uns wie in eine andere Welt versetzt.
An den Wänden hängt viel moderne Kunst von japanischen, koreanischen und chinesischen Künstlern, aber auch von Olafur Eliasson, dem bekannten isländisch-dänischen Künstler. Die Räume des Wohnhauses sind so eingerichtet, als ob immer noch jemand darin wohnen würde. Mit dem Unterschied, dass auch wirklich alle verfügbaren Wände mit Kunstwerken behängt sind: Picasso und Miró auf dem Klo und Dali im Bad!
Im Anbau sind Metallskulpturen des in Okinawa geborenen Künstlers Yasuo Arakaki ausgestellt, er selbst saß auf einer Bank vor dem Gebäude und nickte uns freundlich zu, während er sein Mittagessen aus einer Bento-Box verzehrte.
Auf dem Rückweg schafften wir es tatsächlich, pünktlich zum Konzertbeginn in der Zuckerrohrhalle zu sein und der Percussionistin Kuniko Kato zuzuhören, die Stücke von Bach auf ihrer Marimba vorführte.
Tomodachi – Freunde
Wir waren sehr gespannt, wie die Menschen in Japan nach der Pandemie und der langen Zeit der Abschottung auf Fremde reagieren würden, die nun wieder mit dem Boot in ihren Häfen auftauchen. Doch unsere Bedenken verflogen sehr schnell, denn bereits in den ersten Tagen wurden wir mit so viel Herzlichkeit willkommen geheißen – fast noch mehr als vor vier Jahren, so schien es uns.
Wir trafen Sarah und Kabo, die uns zu einem wunderbaren Abendessen in ihr Haus einluden. Beide sind begeisterte Segler und besitzen jeweils ein eigenen Boot in der Ginowan Marina, auf der anderen Seite Okinawas. Wir hoffen, die beiden irgendwann in den nächsten Monaten wieder zu sehen, sie haben uns versprochen, dass sie uns auf der Muktuk besuchen werden, um ein paar Tage mit uns zu segeln.
Wie schon erzählt, gingen wir regelmäßig zum Mittagstisch der alten Dame. Jedes Mal hatte sie ein anderes Menü zubereitet, und jedes Mal gab sie uns noch ein extra Schälchen Suppe oder eingelegtes Gemüse zum Probieren oder packte uns gleich noch ein weiteres Stück Kuchen oder Gemüse für den Heimweg mit ein.
Da sie nur noch zwei Mal pro Woche kocht, und sich vermutlich sorgte, wir würden sonst hungrig bleiben, empfahl sie uns ein anderes Lokal. Dort, in „Marina’s Café“, kamen wir mit der Inhaberin gleich ins Gespräch, die fließend Englisch sprach. Mariko, so heißt sie, und ihr Mann lebten und arbeiteten lange Zeit in Thailand und Singapur. Sie erzählte, dass immer freitags in ihrem Café ein Englisch-Konversationskurs stattfinden würde und lud uns spontan dazu ein – und wir sagten erfreut zu.
Freitagabend begrüßte uns dann auch Mayumi, Marikos Schwester, mit der sie gemeinsam den Kurs leitet. Mayumi hat in Kyoto englische Literatur studiert und spricht ein ganz wunderbares und perfektes Englisch.
Alle, die Lehrerinnen wie die Kursteilnehmer, waren sehr neugierig und stellten uns viele Fragen zu unserem Leben an Bord, den Ländern, die wir bereist haben und auch zu Deutschland. Und auch wir wollten so viel wie möglich von ihnen erfahren: die Menschen in Okinawa, so sagten sie uns, sollen viel offener Fremden gegenüber sein. Okinawa war viele Jahrhunderte hindurch nicht so abgeschottet wie das Hauptland Japans, man unterhielt Handelsbeziehungen zu den umliegenden Ländern und ließ schon immer Einflüsse auf seine Kultur zu. Familie und Traditionen werden hoch gehalten, in jedem Haus steht ein Schrein, der wichtigste aber befindet sich im Haus des jeweils ältesten Sohnes. Es ist der Hauptschrein der Familie, wo die Ahnen geehrt werden. In Japan leben auch viele Geister – so viele, dass es gar nicht möglich sei, sie alle zu kennen. Sie können sich in der Luft, im Wasser, in bestimmten Steinen aber auch in Gegenständen aufhalten. Auch diese Geister müssen durch Gebete, Gaben oder Taten wohl gestimmt werden, damit sie, wie die Ahnen auch, aufpassen, dass es allen gut geht. (Von einem Segler erfuhren wir später, dass er vor einer größeren Segelreise nicht nur dem Boot, sondern auch dem Motor, dem Autopilot, der Windsteuerung und anderen wichtigen Sachen eine kleine Gabe darbringt.)
Eine der Kursteilnehmerinnen, die als Fremdenführerin arbeitet, konnte uns auch etwas von der Geschichte der Insel erzählen. Als Überraschung brachte sie ihr Shamisen mit, ein traditionelles Saiteninstrument mit drei Saiten, und spielte uns ein Lied vor. Danach packte auch Mayumi ihr Instrument aus, eine Art Zither, und gemeinsam versuchten sie sich an einem bekannten Volkslied.
Als wir uns verabschiedeten und alle fragten, ob wir nächste Woche noch da wären, ergab es sich ganz natürlich, dass wir beschlossen, uns noch einmal zu treffen, um die Gespräche fortzusetzen – dieses Mal aber auf der Muktuk. Zwei der Kursteilnehmer brachten jeweils ihre Töchter mit und eine ihre Mutter, so hatten wir eine große Runde um unseren Tisch sitzen und verbrachten einen fröhlichen Abend miteinander.
Mayumi besuchte uns ein paar Tage später und brachte uns einige Köstlichkeiten mit, u.a. in braunem Zucker eingekochte kleine Zitrusfrüchte, die hervorragend gegen Halsschmerzen helfen sollen. Am Abend vor unserer Abreise kam sie gemeinsam mit Mariko noch einmal vorbei, sie brachten uns als Abschiedsgeschenk diese T-Shirts mit Okinawa-Motiven.
Mit etwas Schwermut verabschiedeten wir uns von ihnen – aber wer weiß, vielleicht sehen wir die beiden mal in Deutschland oder hier in Japan wieder!
Es braucht wirklich nicht viel, um sich in der Fremde weniger fremd zu fühlen. Manchmal ist ein freundlichen Lächeln und die Frage, ob man Hilfe benötigt, schon ausreichend. Doch hier in Japan haben wir so viele Menschen getroffen, die noch viele Schritte weiter gegangen sind. Sie haben uns eingeladen und beschenkt, Gaben und Gesten, die wir kaum in dem gleichen Maße zurückgeben konnten, wie wir sie erhalten haben. Sie haben mit ihren Fragen so viel echtes Interesse an uns gezeigt, und so viel offensichtliche Freude darüber, dass wir mit dem Boot den weiten Weg auf uns genommen haben, um ihr Land zu erreichen.
Wir sind sehr dankbar für diese Erfahrungen – und wir freuen uns auf viele weitere Begegnungen!