Amakusa – Porzellan und Keramik

28. – 29. April 2023

Wer bitte segelt in Japan ohne Ingwerreibe?

Die aus Plastik zählt nicht, es sollte schon eine aus Porzellan sein. Vor vier Jahren hatten wir auf der Insel Amakusa in einer Porzellanmanufaktur eine gesehen, aber leider nicht mitgenommen. Wir erinnern uns, dass uns das Libellenmotiv damals so gut gefallen hatte und würden gerne überprüfen, ob das auch heute noch so ist.

(Unser Besuch auf Amakusa von 2019)

Das Wetter spielt mit, wir können beruhigt in der Bucht vor dem Ort Takahama ankern, finden auch wieder den Weg zum Ladengeschäft, wo es die Ingwerreibe tatsächlich immer noch gibt. Mit dem hübschen Libellenmotiv ist eine ganze Linie verziert: Teller, Schalen, Becher.

Das Museum nebenan ist heute allerdings geschlossen, nur eine schläfrige Katze bewacht den schönen Innenhof und die Blüten der Orangenbäume verströmen einen betörend berauschenden Duft.

Am nächsten Tag wollen wir zu einer Töpferei, die wir noch nicht kennen. Sie liegt gerade mal eine Bucht weiter nördlich. Es ist eine Anreise der besonderen Art: vorsichtig tasten wir uns in die unkartierte Bucht hinein, wo wir die Muktuk für eine kurze Zeit vor Anker liegen lassen können. Es regnet in Strömen, ein Schirm ist nutzlos, der Wind treibt den Regen fast senkrecht übers Wasser. Es mag etwas übertrieben aussehen, aber nur mit unserem orangenen Ölzeug und den Gummistiefeln aus Alaska bleiben wir trocken.

Wir binden unser Dinghi in einem kleinen Hafen hinter hohen Schutzmauern fest. Die schwarzen Ziegeldächer der vielleicht zehn Häuser im Dorf glänzen dunkel im Regen und das Grün leuchtet noch satter im Kontrast dazu. Gleich im ersten Haus am Hafen befindet sich die Töpferei, die wir suchen. Das Ehepaar Kameyama lebt und arbeitet hier. Sanae stammt von der Insel, hat in Arita ihr Handwerk gelernt und konnte ein Jahr lang an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle studieren. Ihr Mann, Go, stammt aus Tokio und hat die Keramik-Schule in Karatsu besucht. Über die Jahre hinweg haben sie in Anlehnung an ihre berühmten Lehrstätten ihren ganz eigenen Stil entwickelt.


Sanae und Go Kameyama

Der Schauraum ihrer Töpferei ist in warmen Tönen gehalten, ein Teil des Raumes mit Tatami-Matten ausgelegt und eine Ecke für die traditionelle Teezeremonie eingerichtet. In Regalen an den Wänden, auf alten Truhen und einem großen Holztisch sind die Keramiken aufgestellt. Uns gefallen auf Anhieb viele der Tassen und Vasen, die die beiden hergestellt haben und es fällt uns richtig schwer, uns auf einige wenige zu beschränken.


Diese Vase ist leider viel zu groß für unseren Koffer.

Sanae zeigt uns noch ihren großen Brennofen, der mit Holz angefeuert wird und den sie nur vier Mal pro Jahr anheizen. Für schnellere Aufträge nutzen sie einen kleineren Gasofen in der Werkstatt nebenan.

Sanae verschwindet kurz, um unsere Sachen einzupacken. Als sie zurück kommt, sehen wir, dass sie auf die braune Papiertüte die Skizze eines Segelbootes mit zwei Masten hingeworfen hat – mit sicherer Hand in japanischem Stil hat sie die Muktuk sehr genau getroffen, dabei hat sie nur aus weiter Entfernung durch graue Regenschleier das Boot sehen können. Unglaublich, wir sind begeistert! Wir wollen die Skizze unbedingt behalten und vielleicht sogar einrahmen. Daher packe ich die Tüte ganz sorgfältig ein, damit sie nicht zerknittert und vor allem auf dem Rückweg zum Boot nicht nass wird.

Durch den strömenden Regen stapfen wir zurück zum Hafen, Sanae und Go kommen mit dem Auto nachgefahren und winken uns noch eine Weile zum Abschied von der Mole aus. Wir gehen gleich wieder Anker auf und segeln weiter rüber zum Festland mit Ziel Mogi (bei Nagasaki).

Kleines Juwel

25. bis 28. April 2023

Ushibuka, ein Fischerort im Süden der Halbinsel Amakusa. Da unser Mast zum Glück nicht so hoch ist, passen wir unter der Brücke durch und können am Schwimmsteg anlegen. Der gilt als „Umi no Eki“, See-Station, und kostet Liegegebühren. Die werden leider nach Tonnen bemessen, und das Gewicht unserer Muktuk, 26 Tonnen, ist schon gar nicht mehr auf der Preisliste und muss extrapoliert werden. So müssen wir für die drei Tage und Nächte den enormen Betrag von 405 Yen, umgerechnet 2,74 Euro bezahlen. Und bekommen natürlich eine Quittung dafür. Am nächsten Tag kommt ein Mitarbeiter des Büros ans Schiff, entschuldigt sich vielmals und erklärt, die Mitarbeiterin von gestern hätte sich vertan und uns 2 Yen zu viel berechnet, die uns natürlich zurückerstattet werden, immerhin fast 2 Cent! Und natürlich gibt es dafür eine neue Quittung. Japan eben.

Aber das nur am Rande. Zeigen wollen wir Euch eigentlich einen kleinen Park, den wir zufällig auf einer Wanderung zum Aussichtspunkt auf dem Berg entdeckt haben:

Im Hafen von Io-Jima

15. – 18. April 2023

Zwei Tage und zwei Nächte sind wir unterwegs, nachdem wir Okinoerabu-Jima verlassen haben. Wir wissen anfangs noch nicht, wie lange uns der Wind für unsere Reise nach Norden erhalten bleiben wird, deshalb haben wir kein festes Ziel, sondern legen uns nur eine ganze Reihe von Optionen zurecht. Für alle Inseln, die in Frage kommen, haben wir Detailkarten, Satellitenfotos der Häfen und ein paar touristische Informationen aus dem Internet heruntergeladen.

Die Überfahrt verläuft zunächst phantastisch: wir sausen mit 6-7 Knoten bei nicht allzu viel Welle dahin und kommen hervorragend voran. Die zweite Nacht ist allerdings anstrengend. Um uns herum toben Gewitter, es regnet in Strömen, die Sicht ist fast Null. Alle Frachter, die zwischen Tokio und Taiwan oder Südkorea unterwegs sind, kreuzen unseren Kurs. Außerdem sind auf dem Dampferstrich auch noch Flotten chinesischer Fischereifahrzeuge unterwegs, die sich um Vorfahrtsregeln wenig scheren. Wer hier ohne AIS unterwegs ist, ist verloren.

In dieser Nacht ist also nicht wirklich an Schlaf zu denken. Ständig stehen Ausweichmanöver oder zumindest gespanntes Beobachten des Schiffsverkehrs an. Wir legen unsere Wunschinsel für die Ankunft fest, und am frühen Morgen ist klar, dass wir diese auch erreichen können, bevor der Wind dreht.

Io-Jima heißt sie und liegt gerade mal 30 sm vom Festland entfernt. Sie hat einen hübschen Vulkankegel und soll mehrere heiße Quellen mit den dazugehörigen Bädern (Onsen) haben. Neben Vulkanologen kommen im Wesentlichen Onsen-Freunde hierher, es gibt kaum touristische Infrastruktur, keine Restaurants, einen kleinen Krämerladen. Genau das Richtige für unseren Geschmack.

Wir erfahren, dass vor etlichen Jahren ein berühmter Trommler aus Guinea hierherzog, um eine Schule für die afrikanische Djembe-Trommel zu eröffnen. Die hat hier auf der Insel gründlich eingeschlagen, so dass die Hälfte der Inselbewohner entweder trommelt oder zur Trommelei tanzt. Viermal pro Woche kommt die Fähre aus Kagoshima, und am Wochenende, wenn die Kinder schulfrei haben, wird die Fähre mit einer Djembe-Trommel Vorführung nebst Tanz begrüßt.

Um der drohenden Entvölkerung der Insel zu begegnen, werden Neu-Ansiedler hier drei Jahre lang subventioniert, um Fuß fassen und eine Anstellung finden zu können. Im Gegensatz zu anderen Inseln mit ähnlichen Programmen muss man hier das Bürgergeld auch dann nicht zurückzahlen, wenn man die Insel wieder verlässt.

Nach unserer harten letzten Nacht auf See freuen wir uns jedenfalls sehr bei der Vorstellung, im heißen Wasser der vulkanischen Quellen entspannen zu können. Aber zu früh gefreut: als wir im Hafen angelegt haben, werden wir von einem Behördenvertreter informiert, dass wir ohne aktuellen PCR-Test nicht an Land dürfen. Wir dürfen gerne im Hafen bleiben, bis das Wetter besser wird, aber das Schiff nur verlassen, um die Hafentoilette zu benutzen. Alles Vorzeigen unserer Impfpässe oder Schnelltests hilft nichts. Und hier auf der Insel kann man natürlich keinen PCR-Test machen, den hätte man schon mitbringen müssen. Sho ga nai, wie der Japaner sagt: da kann man wohl nichts machen.

Langweilig wird es uns trotzdem nicht. Zwar dürfen wir nicht von Bord, aber das hält die Inselbewohner nicht ab, uns zu besuchen. Als erstes kommt Aia, Mutter des fünfjährigen Sohns Aito und ihrer einjährigen Tochter Asami. Aito will unbedingt das Schiff besichtigen, und der Mutter ist der fehlende PCR-Test schnuppe, also kommen sie alle an Bord, wir unterhalten uns, trinken Tee und essen Plätzchen. Sie fährt dann schnell noch heim, um für uns frisch geerntete Bambussprossen zu holen, lässt Aito solange bei uns. Er meint am Ende, wenn er groß ist, will er auch so ein Boot haben und um die Welt segeln.

Als nächstes kommen Yumi und Rei, ein elfjähriges Mädchen, wieder ist es die Neugier des Kindes, die den Kontakt herstellt. Schnell werden Yumis Mann Yoshiro und Oleg, der Vater des Mädchens angerufen, und so sitzen wir bald zu sechst um den Messetisch und unterhalten uns, denn Oleg ist ein Russe aus Estland, der vor dreizehn Jahren nach Japan kam, gut Englisch spricht und für die anderen übersetzen kann. Außerdem baut er gerade sein eigenes Boot und ist natürlich an unserer Muktuk interessiert. Wir verabreden uns für den nächsten Tag zum Abendessen an Bord und können so viel über die Insel, über die japanische Gesellschaft und über Olegs spannende Biographie erfahren.

Die Crew eines gerade eingelaufenen Forschungs- und Bergungsschiffes kommt uns auch begrüßen. Ein weiteres fünfjähriges Mädchen mit ihrem Vater besucht uns, und damit haben wir den Inselkindergarten schon komplett an Bord gehabt. Wenn es mit den Besuchern so weitergeht, haben wir bald die paar Dutzend Insulaner, die hier leben, kennengelernt, und dann hat sich das mit dem PCR-Test ja auch irgendwie erledigt.

Vor ein paar Tagen meinte Birgit, sie wünsche sich einmal einen Tag Pause, an dem nichts Neues passiert, damit sie dazu kommt, in Ruhe ein paar Blogeinträge zu schreiben. Als wir erfuhren, dass wir hier nicht an Land können, dachten wir eigentlich, ihr Wunsch würde sich erfüllen. Aber wir haben hier nun doch so viele nette Menschen kennengelernt und so viel Neues gelernt, dass es wohl wieder nichts war mit der Pause. Tja – sho ga nai, da kann man nichts machen….

Makurazaki – Hauptstadt des schimmeligen Fischs

18. bis 24. April 2023

Für unseren nächsten Hafen muss ich kulinarisch etwas ausholen. Denkt man an typische Zutaten der japanischen Küche, fällt einem als erstes die Sojasauce ein. Schon an zweiter Stelle steht aber eine Zutat, die im Westen nicht ganz so bekannt ist, aber eine absolut zentrale Rolle beim Japanisch Kochen spielt: das Dashi. Ob Miso-Suppe, die Brühe für Ramen, sautiertes Gemüse, zahlreiche Sauce: die Dashi Brühe gibt all diesen Gerichten die entscheidende Note. Die Hauptzutaten für Dashi sind Kombu (eine Algenart) und Katsuobushi, fermentierter Thunfisch. Und die Hafenstadt Makurazaki, in der wir nun liegen, ist der wichtigste Ort Japans für die Herstellung von Katsuobushi. Sie haben angeblich auch schon 1707 damit angefangen.


Das beginnt mit dem Fischfang. In dem riesigen Hafenbecken landen täglich mehrere Dutzend Fischerboote ihren Fang an. Rund 50.000 Tonnen Bonito im Jahr werden hier ausgeladen. Auf den größeren Fangschiffen wird der Fisch unterwegs bereits gefroren, hier im Hafen findet die Auktion des Fangs statt. Ab 6:30 Uhr morgens rumpeln dann die Förderbänder, auf die der Bonito kistenweise mit Gabelstaplern geschüttet wird, dort wird er nach Größe und Unversehrtheit sortiert und in Lastwagen verladen.


Dutzende Fabriken in der Stadt verarbeiten den Fisch weiter: der Bonito wird zunächst ausgenommen, grob filetiert und dann ein bis zwei Stunden gekocht. Die noch warmen Fische werden dann entgrätet, enthäutet und in Viertelfilets aufgebrochen, alles in Handarbeit. Für zwei bis drei Wochen wandert der Fisch nun in Räucheröfen, wo er einen Großteil seiner Feuchtigkeit verliert und dadurch haltbar wird. Läuft man durch die Stadt, sieht man überall die Rauchschwaden aufsteigen, und der Duft von Räucherfisch weht einem um die Nase. Angenehm, solange man da nicht wohnen muss. Auch das in vielen Höfen gestapelte Kirsch- und Eichenholz, das zum Räuchern verwendet wird, riecht herrlich.




Für die besseren Qualitätsstufen geht der Verarbeitungsprozess aber jetzt erst richtig los. Der Fisch wird glattgeschliffen und mit einem Edelschimmel geimpft. Über einen Zeitraum von einem halben Jahr wird immer abwechselnd der Schimmel kultiviert und der Fisch wieder in der Sonne getrocknet. Am Ende steht ein sehr harter und spröder Knüppel, außen gleichmäßig hellbraun, innen glasartig rot wie ein Edelstein, dem man seine fischige Herkunft kaum mehr ansieht oder anriecht, und der viele Monate haltbar ist. Die jeweils benötigte Menge an Bonitoflocken wird von diesem Block in papierdünnen Spänen abgehobelt.




Natürlich kann man in jedem Supermarkt auch schon fertig gehobelte Bonitoflocken kaufen (die aber nicht so lange haltbar sind). Oder gleich Instant-Dashi als Pulver zum auflösen in Wasser. Aber selbst gehobelt ist natürlich schöner, und solange man es nicht im Doppelblindversuch beweisen muss, schmeckt es auch viel besser. Ehrlich.

Die Insel Okinoerabu

11. – 13. April 2023

Von Okinawa los zu kommen, ist nicht einfach. Nicht nur der vielen Bande wegen, die wir hier in so kurzer Zeit geknüpft haben, auch weil der Wind meist aus Nord weht und genau nach Norden zum Japanischen Hauptland wollen wir. Wind zum Hochsegeln gibt es immer nur für höchstens 2-3 Tage. Zwischen Okinawa und Kyushu liegen wie auf einer Schnur aufgereiht viele schöne Inseln, da können wir zwischendurch Pause machen, denn in einem Rutsch werden wir diese Strecke nicht schaffen können.
Endlich ist ein Wetterfenster da, das einigermaßen moderaten Wind aus der richtigen Richtung und wenig Welle verspricht. Aber kaum sind wir aus der großen Bucht draußen, müssen wir feststellen, dass der Wind eine viel stärkere Nordkomponente hat als vorhergesagt, wir kommen die ersten zwanzig Meilen sehr langsam voran und können nur mit Unterstützung des Motors hoch am Wind segeln.
Am nächsten Tag lässt der Wind schon wieder nach, so dass wir beschließen, nicht weiter zu fahren, sondern bereits auf der Insel Okinoerabu einen Stopp einzulegen und dort auf das nächste Wetterfenster zu warten.
Im Süden der Insel befindet sich das Dörfchen namens China, wo wir im Fischereihafen anlegen. Es ist erst mittags, also viel Zeit, um heute schon einmal den Ort zu erkunden. Gleich gegenüber am Hafen liegt ein großes Hotel, wo wir uns mit Informationsmaterial über die Insel eindecken und erfahren, dass gleich nebenan ein öffentliche Bad sei. Wunderbar, das erste „Sento“, seitdem wir in Japan angekommen sind.

Frisch geschrubbt und gebadet gehen wir am Abend noch einmal los und entscheiden uns für ein kleines Fischlokal, das von außen ganz unscheinbar daher kommt. Innen sieht es sehr gemütlich aus, ein kleiner Raum mit drei, vier Tischen und einer kleinen Theke, dahinter die Küche. Es gibt keine Speisekarte (schon einmal gut für uns, denn lesen könnten wir sie sowieso nicht). Man isst, was sich der Koch für den Abend ausgedacht hat, nämlich eine Folge von Gerichten, die nacheinander für alle Gäste zubereitet werden: eingelegter Tofu, Sashimi, Schnecken, eine Suppe mit gekochtem Fisch in einer köstlichen Brühe mit Daikon-Rettich und Lauch, frittierte Kartoffelbällchen mit Pilzen, eine zweite Suppe mit Tofu, Gemüse und Hühnchen… wir zählen mit, es sind insgesamt 10 Gänge! Jedes einzelne Gericht ist eine Überraschung und schmeckt hervorragend. Wir dürfen an der Theke sitzen und können dem Koch zusehen, wie er die Gerichte vorbereitet, was sehr spannend ist. Er beobachtet unsere Reaktionen und freut sich sichtlich, dass wir sein Essen so genießen. Mir scheint, dass er uns immer etwas mehr als den anderen Gästen in die Schalen füllt.

Zwischen den Gängen unterhalten wir uns mit seiner Frau, die ein bisschen Englisch spricht und nachdem er mit dem Kochen fertig ist, setzt auch er sich noch ein bisschen zu uns. Wir erfahren, dass er viele Jahre lang in Tokio auf dem berühmten Fischmarkt gearbeitet hat und sie früher Krankenschwester war. Seit ungefähr 13 Jahren lebt er auf der Insel, zunächst als Farmer und seit sieben Jahren betreiben sie nun gemeinsam das Restaurant. Sie packen uns jeweils ein großes Stück von dem geräucherten Thunfisch und Tintenfisch ein, die uns so gut geschmeckt haben und geben uns noch eine Tüte mit frischen Kartoffeln mit, für die die Insel so berühmt ist. (Und die wirklich gut sind, schmackhaft und mehlig, genau wie wir sie gerne essen!)

Als Dankeschön und auch weil wir gerne in Ruhe etwas mehr Zeit mit ihnen verbringen möchten, laden wir sie für den nächsten Tag zum Frühstück auf die Muktuk ein. Yuhiko und Kumihiko fühlen sich sehr wohl auf Okinoerabu, erzählen sie uns, während Andreas Waffeln backt. Sie bereuen es nicht, aus der Großstadt Tokio hierher gezogen zu sein. Beide sind gute Sportler, Läufer, und haben letztes Jahr das erste Marathon auf der Insel organisiert, genauer gesagt: ein Ultramarathon. Dieses Jahr im November soll es das zweite Mal stattfinden.
Kunihiko fragt, was wir heute noch vorhaben, er möchte, dass wir unbedingt Freunde von ihm besuchen. Wir wollen eine Wanderung machen, vielleicht bis zum Observatorium. Das Haus der Freunde liegt auf dem Weg, und Kunihiko ruft sofort bei ihnen an, um uns anzukündigen.
Noch ein gemeinsames Foto vor der Muktuk mit den beiden und eine herzliche Verabschiedung, dann ziehen wir los.


Die Hand soll den Umriss von Okinoerabu symbolisieren

Hinter dem Dorf wird es richtig grün. Die wilden Mandarinen am Straßenrand leuchten so schön in der Sonne. Sie sind innen etwas klein und haben viele Kerne, schmecken aber sehr gut.

Die Kartoffelernte ist in vollem Gange, viele Felder sind bereits abgeerntet und dürfen bis zum Herbst ruhen bzw. werden mit Pflanzen bestückt, die ein bisschen Dünger in die Erde bringen. Auf den ersten Blick wirkte die Erde sehr fruchtbar, was sie aber gar nicht ist, wie wir später erfahren. Zuckerrohr und Kartoffeln kommen allerdings mit dieser Erde gut zurecht.

Wir finden auf Anhieb das Haus von Prof. Emile Ishida und seiner Frau Ako. Sie bitten uns auf einen Tee herein. Emile war Mineraloge, seit seiner Emeritierung betreut er weiterhin viele spannende Projekte an der Schnittstelle zwischen Umweltschutz und Technologie, u.a. auch auf dieser Insel. Seine Frau spricht fließend mehrere Fremdsprachen und hat früher als Übersetzerin im Bereich Keramik gearbeitet. Wir erzählen ihnen, dass wir fasziniert sind von japanischer Keramik, worauf sie uns den Ausstellungskatalog eines bekannten Keramikers zeigen und ein paar besonders schöne Keramiken aus ihrer Sammlung. Zudem nennen sie uns einige berühmte Keramik-Ortschaften, die wir unbedingt besichtigen sollten.

Von den vielen Inseln zwischen Okinawa und Kyushu hat ihnen Okinoerabu auf Anhieb gefallen, so dass sie beschlossen, sich hier niederzulassen. Hier haben sie ein großes Grundstück gekauft, mitten im Grünen, und mit Hilfe eines Architekten ein wunderbares Haus entworfen. Wir würden gerne noch länger mit ihnen reden und sie auch auf die Muktuk einladen, aber sie müssen für einige Tage verreisen und noch einiges vorbereiten, und so verabschieden wir uns von ihnen, reich beschenkt mit spannenden Gesprächen und mit einem Buch von Prof. Emile sowie einer Flasche italienischem Rotwein aus seinem selbst gebauten Weinkeller (trotz unserer Proteste und Versicherungen, dass wir im Sommer ein paar Tage in Italien verbringen wollen.)

Wir wandern weiter und finden nach einigem Suchen unser Ziel: den Aussichtssturm, von wo aus wir einen beeindruckenden Rundblick auf die Weiten der Insel haben.

Gegen Abend kommt eine Freundin von Yukiko mit ihren beiden Töchtern, sieben und drei Jahre alt, vorbei und bringt uns eine Tüte voll mit Kartoffeln von ihren Feldern. Sie und ihr Mann sind Farmer und bauen Biokartoffeln an, ganz ohne Pestizide. In den nächsten Tagen beginnen auch sie mit der Ernte, die Mädchen freuen sich schon darauf. Leider können wir ihnen das Schiff nicht zeigen, sehr zum Bedauern der ernsthaften Siebenjährigen: es ist gerade Niedrigwasser, der Abstand von der Kaimauer zum Deck der Muktuk beträgt ungefähr zwei Meter. Ohne Leiter ist es unmöglich, an Bord zu kommen.
Am Tag darauf wollen wir gleich nach dem Frühstück los, das nächste Wetterfenster ist da. Wie gerne würden wir noch länger auf dieser zauberhaften Insel bei diesen liebenswürdigen Menschen bleiben. Wer weiß, vielleicht würden wir dann auch ein Grundstück kaufen, ein Haus bauen und Kartoffeln züchten.

Okinawa

16. März – 10. April 2023

Arbeiten am Schiff

Nach der langen Überfahrt benötigte die Muktuk viele große und kleine Reparaturen, Geräte mussten gewartet und Ersatzteile nachbestellt werden, und wir waren jeden Tag mindestens einmal im Baumarkt. Außerdem mussten wir die Muktuk vor allem im Inneren gründlich putzen und entsalzen.
Gleich am zweiten Tag nutzen wir das gute Wetter und schlugen alle drei Vorsegel ab (Genua, Fock und Schoner), um sie zu einem Segelmacher zu bringen. Nach zwei Wochen erhielten wir sie zurück, der Saum war sehr sorgfältig genäht und Teile des UV-Schutzes ersetzt. Wie neu!

Zu den durchgerosteten Stellen, die wir unterwegs provisorisch geklebt hatten, kamen noch zwei weitere dazu, die wir entdeckten, als Andreas die Holzverkleidung und die beiden Schichten Isoliermaterial in unserer Kabine abgebaut hatte. Wir brauchten also dringend einen Schweißer.

Die Marina gab uns die Telefon-Nummer von Patrick, einem Schweizer, der seit 30 Jahren in Japan lebt. Metallplatten besorgen, kaputte Stellen ausschneiden, neue Metallplatten einschweißen bzw. mit Platten verstärken, einen ganzen Tag lang hatte Patrick zu tun – alles nicht so einfach im engen Cockpit und an teilweise sehr schwer zugänglichen Stellen am Fuße des Mastes.

Ein paar Tage später, mit drei Lagen Epoxy-Farbe und zwei Lagen weißem Lack sahen die Stellen schon wieder ganz passabel aus.

In den zehn Wochen hatte sich einiges an Wäsche angesammelt. Zwei Mal schob ich unser Wägelchen mit Taschen vollbeladen zum Waschsalon. Dort gab es glücklicherweise mehrere dieser riesigen Waschmaschinen mit eingebautem Trockner. Sehr praktisch! Und während die Maschinen arbeiteten, ging ich zu meiner Lieblingsbäckerei gegenüber, mit den köstlichen Windbeuteln und Bisquitrollen.

Tourismusprogramm

Wir schafften es dieses Mal, eine gute Balance zwischen Arbeit und Erholung zu finden. Wir haben fast jeden Tag vom Farmers Markt frisches Gemüse geholt, ein paar Restaurants ausprobiert, haben Leute getroffen und sind auch ein bisschen herum gefahren.

Vor vier Jahren hatten wir schon sehr viel von Okinawa gesehen: Die königliche Burg Schuri, die leider im Herbst 2019 fast völlig abgebrannt ist und nun wieder aufgebaut wird, den schönen großen Königsgarten und Vieles mehr. (kann man hier nachlesen)
Auch dieses Mal fuhren wir wieder mit dem Bus nach Naha, in die Hauptstadt der Insel. Dort schauten wir uns u.a. das Keramikmuseum an, das einen guten Überblick über die Geschichte der Keramik von Okinawa bietet, alte und neue Keramikmeister und ihre Tonwaren vorstellt.

Gleich beim Museum befindet sich eine Straße, in der sich ein Keramikgeschäft ans andere reiht und wo man sich mit Keramik im traditionellen Stil oder neueren Formen eindecken kann.

Nach so viel Kunst und Kunsthandwerk brauchten wir eine Pause, nur ein paar Schritte weiter ist der große überdachte Markt von Naha. Gleich am Rand dieses fast unübersichtlich großen Areals fanden wir ein kleines Ramen-Lokal. Danach waren wir wieder gestärkt für den Rummel in den vielen Geschäften, wo man so ziemlich alles finden kann, was man braucht, angefangen von Kleidung, über Stoffe, Haushaltswaren, Mitbringsel von Okinawa bis hin zu Gemüse und Fisch.
Die Bittergurke ist eines der „Wahrzeichen“ von Okinawa. Ihr werden viele gesundheitsfördernde Eigenschaften zugeschrieben und ihr sei es zu verdanken, dass die Lebenserwartung in Okinawa die höchste von ganz Japan ist. „Goya Champuru“ heißt ein beliebtes Gericht mit fein geschnittener Bittergurke, Tofu und Ei, das wir inzwischen ein paar Mal nachgekocht haben.

Diese Algen bekommt man nur in Okinawa – sie haben eine Textur ähnlich wie Kaviar, zerplatzen beim Draufbeißen, der Geschmack erinnert an eine frische Meeresbrise.

Der US-Amerikanische Film „Sound of Music“  über die singende Trapp-Familie mit Julie Andrews und Christopher Plummer aus den 1960er Jahren war in Japan ein riesiger Erfolg und ist immer noch im kollektiven Gedächtnis vorhanden, vor allem das Lied „Edelweiß“. Das wurde uns sogar schon mal vorgesungen. So wunderte es mich nicht, als ich eine Bäckerei auf dem Markt sah, die Apfelstrudel anbietet und die zu ihrem englisch klingenden Namen noch „Edelweiß“ hinzugefügt hat.

Okinawa World

Nicht weit von Yonabaru und mit dem Bus leicht zu erreichen befindet sich der Themenpark „Okinawa World“. Hier werden traditionelle Handwerke der Insel gezeigt (u.a. Glasbläserei, Stoffmalerei, Weberei) und bei den meisten kann man sogar mitmachen. Untergebracht sind die jeweiligen Werkstätten in Holzhäusern, die von einer adligen Familie zur Verfügung gestellt wurden.

Unter dem Themenpark befindet sich eine riesige, neun Kilometer lange Tropfsteinhöhle, die erst in den 1970er Jahren entdeckt wurde. Für die Besucher ist ein etwa 900 Meter langer unterirdischer Bohlenweg angelegt worden, entlang dessen die Kalksteinformationen beleuchtet werden, ein tolles Lichtdesign. Wir waren beeindruckt von der Schönheit dieser Unterwelt!

Fahrradtour zum Nanjo Art Museum

Im Hof der Marina von Yonabaru stehen immer noch die beiden Fahrräder, mit denen wir vor vier Jahren herumfahren konnten. Der Zahn der Zeit hat an ihnen genagt, aber nachdem Andreas einen Reifen geflickt hatte, konnten wir uns zu einer kleinen Fahrradtour aufmachen.

Zuerst fuhren wir auf einem Damm am Ufer entlang bis zu einem kleinen Fischereihafen.

Die Küste sieht auf den erste Blick ziemlich zugebaut aus. Umso überraschter waren wir, dass sich zwischen den Wohnvierteln viele kleine Felder befanden, auf denen hauptsächlich Zuckerrohr angebaut wird. Auch viele Gewächshäuser waren zu sehen, in denen Gemüse oder Blumen gezogen werden.

Mittendrin tauchte ein großes Gebäude auf: das Kulturzentrum von Nanjo, im Volksmund „sugar cane hall“ (Zuckerrohrhalle) genannt. Wir hielten kurz an und entdeckten ein Plakat mit der Ankündigung eines Konzertes, das an diesem Nachmittag stattfinden sollte.

Das Kunstmuseum von Nanjo liegt etwas abgeschieden mitten im Grünen hoch oben auf einem Berg.

Es besteht aus dem ehemaligen Wohnhaus des Ehepaars, das das Museum gestiftet hat und einem Anbau für Wechselausstellungen. Ein großer Garten mit Schatten spendenden Bäumen gehört ebenfalls dazu. Das ganze Ensemble strahlt eine unglaubliche Ruhe und Abgeschiedenheit aus. Wir fühlten uns wie in eine andere Welt versetzt.
An den Wänden hängt viel moderne Kunst von japanischen, koreanischen und chinesischen Künstlern, aber auch von Olafur Eliasson, dem bekannten isländisch-dänischen Künstler. Die Räume des Wohnhauses sind so eingerichtet, als ob immer noch jemand darin wohnen würde. Mit dem Unterschied, dass auch wirklich alle verfügbaren Wände mit Kunstwerken behängt sind: Picasso und Miró auf dem Klo und Dali im Bad!

Im Anbau sind Metallskulpturen des in Okinawa geborenen Künstlers Yasuo Arakaki ausgestellt, er selbst saß auf einer Bank vor dem Gebäude und nickte uns freundlich zu, während er sein Mittagessen aus einer Bento-Box verzehrte.

Auf dem Rückweg schafften wir es tatsächlich, pünktlich zum Konzertbeginn in der Zuckerrohrhalle zu sein und der Percussionistin Kuniko Kato zuzuhören, die Stücke von Bach auf ihrer Marimba vorführte.

Tomodachi – Freunde

Wir waren sehr gespannt, wie die Menschen in Japan nach der Pandemie und der langen Zeit der Abschottung auf Fremde reagieren würden, die nun wieder mit dem Boot in ihren Häfen auftauchen. Doch unsere Bedenken verflogen sehr schnell, denn bereits in den ersten Tagen wurden wir mit so viel Herzlichkeit willkommen geheißen – fast noch mehr als vor vier Jahren, so schien es uns.
Wir trafen Sarah und Kabo, die uns zu einem wunderbaren Abendessen in ihr Haus einluden. Beide sind begeisterte Segler und besitzen jeweils ein eigenen Boot in der Ginowan Marina, auf der anderen Seite Okinawas. Wir hoffen, die beiden irgendwann in den nächsten Monaten wieder zu sehen, sie haben uns versprochen, dass sie uns auf der Muktuk besuchen werden, um ein paar Tage mit uns zu segeln.

Wie schon erzählt, gingen wir regelmäßig zum Mittagstisch der alten Dame. Jedes Mal hatte sie ein anderes Menü zubereitet, und jedes Mal gab sie uns noch ein extra Schälchen Suppe oder eingelegtes Gemüse zum Probieren oder packte uns gleich noch ein weiteres Stück Kuchen oder Gemüse für den Heimweg mit ein.

Da sie nur noch zwei Mal pro Woche kocht, und sich vermutlich sorgte, wir würden sonst hungrig bleiben, empfahl sie uns ein anderes Lokal. Dort, in „Marina’s Café“, kamen wir mit der Inhaberin gleich ins Gespräch, die fließend Englisch sprach. Mariko, so heißt sie, und ihr Mann lebten und arbeiteten lange Zeit in Thailand und Singapur. Sie erzählte, dass immer freitags in ihrem Café ein Englisch-Konversationskurs stattfinden würde und lud uns spontan dazu ein – und wir sagten erfreut zu.
Freitagabend begrüßte uns dann auch Mayumi, Marikos Schwester, mit der sie gemeinsam den Kurs leitet. Mayumi hat in Kyoto englische Literatur studiert und spricht ein ganz wunderbares und perfektes Englisch.
Alle, die Lehrerinnen wie die Kursteilnehmer, waren sehr neugierig und stellten uns viele Fragen zu unserem Leben an Bord, den Ländern, die wir bereist haben und auch zu Deutschland. Und auch wir wollten so viel wie möglich von ihnen erfahren: die Menschen in Okinawa, so sagten sie uns, sollen viel offener Fremden gegenüber sein. Okinawa war viele Jahrhunderte hindurch nicht so abgeschottet wie das Hauptland Japans, man unterhielt Handelsbeziehungen zu den umliegenden Ländern und ließ schon immer Einflüsse auf seine Kultur zu. Familie und Traditionen werden hoch gehalten, in jedem Haus steht ein Schrein, der wichtigste aber befindet sich im Haus des jeweils ältesten Sohnes. Es ist der Hauptschrein der Familie, wo die Ahnen geehrt werden. In Japan leben auch viele Geister – so viele, dass es gar nicht möglich sei, sie alle zu kennen. Sie können sich in der Luft, im Wasser, in bestimmten Steinen aber auch in Gegenständen aufhalten. Auch diese Geister müssen durch Gebete, Gaben oder Taten wohl gestimmt werden, damit sie, wie die Ahnen auch, aufpassen, dass es allen gut geht. (Von einem Segler erfuhren wir später, dass er vor einer größeren Segelreise nicht nur dem Boot, sondern auch dem Motor, dem Autopilot, der Windsteuerung und anderen wichtigen Sachen eine kleine Gabe darbringt.)
Eine der Kursteilnehmerinnen, die als Fremdenführerin arbeitet, konnte uns auch etwas von der Geschichte der Insel erzählen. Als Überraschung brachte sie ihr Shamisen mit, ein traditionelles Saiteninstrument mit drei Saiten, und spielte uns ein Lied vor. Danach packte auch Mayumi ihr Instrument aus, eine Art Zither, und gemeinsam versuchten sie sich an einem bekannten Volkslied.

Als wir uns verabschiedeten und alle fragten, ob wir nächste Woche noch da wären, ergab es sich ganz natürlich, dass wir beschlossen, uns noch einmal zu treffen, um die Gespräche fortzusetzen – dieses Mal aber auf der Muktuk. Zwei der Kursteilnehmer brachten jeweils ihre Töchter mit und eine ihre Mutter, so hatten wir eine große Runde um unseren Tisch sitzen und verbrachten einen fröhlichen Abend miteinander.

Mayumi besuchte uns ein paar Tage später und brachte uns einige Köstlichkeiten mit, u.a. in braunem Zucker eingekochte kleine Zitrusfrüchte, die hervorragend gegen Halsschmerzen helfen sollen. Am Abend vor unserer Abreise kam sie gemeinsam mit Mariko noch einmal vorbei, sie brachten uns als Abschiedsgeschenk diese T-Shirts mit Okinawa-Motiven.
Mit etwas Schwermut verabschiedeten wir uns von ihnen – aber wer weiß, vielleicht sehen wir die beiden mal in Deutschland oder hier in Japan wieder!

Es braucht wirklich nicht viel, um sich in der Fremde weniger fremd zu fühlen. Manchmal ist ein freundlichen Lächeln und die Frage, ob man Hilfe benötigt, schon ausreichend. Doch hier in Japan haben wir so viele Menschen getroffen, die noch viele Schritte weiter gegangen sind. Sie haben uns eingeladen und beschenkt, Gaben und Gesten, die wir kaum in dem gleichen Maße zurückgeben konnten, wie wir sie erhalten haben. Sie haben mit ihren Fragen so viel echtes Interesse an uns gezeigt, und so viel offensichtliche Freude darüber, dass wir mit dem Boot den weiten Weg auf uns genommen haben, um ihr Land zu erreichen.
Wir sind sehr dankbar für diese Erfahrungen – und wir freuen uns auf viele weitere Begegnungen!

Yonabaru Marina, Okinawa

Endspurt – die letzten Tage auf See

Zuletzt wurden wir noch einmal ordentlich durchgeschüttelt. Eine kleine Front ging durch und eine alte Welle legte sich über die Windsee. Davor aber bescherte uns Rasmus schnell noch eine Flaute, in der wir einen Tag lang herum dümpelten. Eine letzte Geduldsprobe für uns! So sind die zehn Wochen doch noch fast voll geworden.

Die Tölpel – das Finale: Kurz bevor wir endgültig ihren Wirkungskreis verlassen haben, beehrten uns die Tölpel noch ein letztes Mal mit einem Besuch. Und wie es sich für eine ordentliche Abschiedsparty gehört, erschienen sie am Abend gleich im Dutzend und mehr. Für Vogelanthropologen wäre es sicher spannend gewesen, wie sich diese Gruppe auf der Querstange zwischen den beiden Masten niederließ: fauchend, krächzend und Flügel schlagend verteidigte zunächst jeder einzelne Tölpel seinen Platz und rückte dann doch überraschend beiseite, um ein weiteres Plätzchen auf der Stange frei zu machen. So viele auf einmal hatten wir noch nie auf dem Boot sitzen. Für uns war die Angelegenheit weniger erfreulich, wussten wir doch, wie am nächsten Morgen die Segel und das Deck aussehen würden.

Rasmus kam uns am nächsten Tag zu Hilfe und schickte ein paar Wellen übers Deck, um den Vogelmist weg zu schwemmen. Das war sehr gut gemeint. Allerdings – eine der Wellen schaffte es auch unter Deck. Wir hatten nur die Luke am Niedergang zugezogen, das Steckschott war nicht drin, so dass sich eine große Menge an Salzwasser ins Boot ergießen konnte. Das war der größte Platscher der Überfahrt, wir mussten den Kühlschrank und den Herd trocken reiben, das meiste floss in die Bilgen, aus denen wir einige Liter Wasser heraus holten. Am nächsten Tag stellten wir dann fest, dass auch die Schalt-Tafel über dem Kühlschrank Salzwasser abbekommen hatte und trocken gelegt werden musste. Ein weiterer Punkt auf der Arbeitsliste: Schalter auswechseln, Inverter überprüfen.

„Auch das Bad müssen wir dringend renovieren“, meinte Andreas, nachdem er den Eimer zum wiederholten Male geflickt hatte.

Die letzten Tage zogen sich hin wie Kaugummi. Wir rechneten hin und her, wie schnell oder langsam wir segeln müssten, um bei Tageslicht anzukommen. Mittwoch am späten Nachmittag wäre zu knapp, dann doch lieber Donnerstag in der Früh, auch wenn das bedeuten würde, dass wir ein paar Stunden lang beidrehen und draußen auf See warten müssten. Die Marina in Yonabaru auf Okinawa liegt in einer großen Bucht und ist zusätzlich von einem vorgelagerten Riff geschützt. Nachts in die Bucht rein zu fahren und in ruhigem Wasser zu warten, wäre ideal, aber bei Dunkelheit würden wir die Fischfarmen nicht erkennen können und ankern ist verboten, weil da zu viele Unterseekabel verlegt sind.

Die Behörden in Okinawa sehen es gerne, dass man ihnen 48 Stunden vorher Bescheid gibt und die Ankunft möglichst auf ihre Bürozeiten legt. Japaner sind den Deutschen in Sachen Pünktlichkeit und Genauigkeit sehr ähnlich, sie schätzen diese Tugenden sehr. Doch die Muktuk ist nun mal kein Shinkansen, der auf die Sekunde genau in den Bahnhof einfährt. Dieser berühmte Hochgeschwindigkeitszuges verdankt seine übergenaue Pünktlichkeit der Tatsache, dass er ein eigenes Schienennetz besitzt und ungestört von anderen Zügen fahren kann. Wir jedoch haben Wind und Welle aus allen möglichen Richtungen und vielleicht sogar noch unbekannte Meeresströmungen für unseren Fahrplan zu berücksichtigen. Und ein bisschen Reserve würden wir auch einplanen, auch wenn es vielleicht unhöflich erscheinen könnte, zu früh anzukommen.

Andreas stellt einen Fahrplan im Stundentakt auf, anhand dessen wir die nötige Geschwindigkeit an die verbleibenden Meilen anpassen können. Wir schaffen es ziemlich gut, den Fahrplan einzuhalten, auch wenn wir einmal unsere Fahrt verlangsamen müssen, um einen Frachter durchzulassen. Vor Okinawas Küste ist viel los, Frachter fahren rauf und runter, Fischerboote ziehen ihre Runden, überall sind Lichter zu sehen, und es ist nicht immer klar, ob diese von Land oder von Schiffen stammen. Wir müssen gut aufpassen und sind froh, dass alle Boote mit AIS ausgestattet sind und wir auf der elektronischen Seekarte ganz genau erkennen können, in welche Richtung sie in dieser Nacht fahren.

Ankunft

Bis zuletzt passt alles, und wir können, wie angekündigt, um 10:00h am Besuchersteg in der Marina von Yonabaru auf Okinawa anlegen. Pünktlich auf die Minute! Die Muktuk samt Lokführer könnten sich für eine eigene neue Bootsklasse namens „Shinkansen“ qualifizieren.

Zwei Männer von der Marina nehmen die Leinen an, die Beamten warten alle schon am Steg. Wie bereits vor vier Jahren, kommen zuerst eine junge Frau und zwei Männer von der Gesundheitsbehörde aufs Boot, messen Fieber und fragen nach Krankheiten. Nach so vielen Wochen auf See ohne jeglichen Kontakt zu anderen Menschen müssen wir nicht in Quarantäne. Danach sind die anderen Beamten an der Reihe: die von der Küstenwache und vom Zoll kommen an Bord. Die Mitarbeiter der Einwanderungsbehörde haben im Foyer der Marina ihre Computer und Geräte aufgebaut, mit denen sie unsere Fingerabdrucke scannen und ein Foto von uns machen. Alle sind super nett und freundlich und während wir die vielen Formulare ausfüllen, kommen wir schnell ins Gespräch. Manche von ihnen sprechen gut Englisch und wollen wissen, wie die Überfahrt war, wo wir bereits überall gesegelt sind und erzählen uns, dass sie gerne mal nach Deutschland fahren möchten.

Knapp zwei Stunden später sind alle Formalitäten erledigt. Wir haben ein Visum für drei Monate erhalten und ein sehr wichtiges Papier ausgestellt bekommen: das sogenannte „Naikosen“. Damit wird die Muktuk für die Dauer unseres Aufenthalts in Japan zollrechtlich wie ein inländisches Boot behandelt und nicht in jedem Hafen erneut kontrolliert.

Wir sind so froh und erleichtert, dass wir endlich angekommen sind und festen Boden unter den Füßen haben! Wir beschließen, unsere neu gewonnene Bewegungsfreiheit sofort auszunutzen und zum Mittagessen in den Ort zu gehen. Vor vier Jahren lagen wir schon einmal zwei Wochen lang in Yonabaru in der Marina und sind nun gespannt, ob noch alles so ist, wie wir es in Erinnerung haben. Ja, das ist es! Die ältere Dame, die in ihrem Wohnzimmer ein Café betreibt und jeden Mittag ein komplettes Menü für ihre Gäste kocht, hat heute geöffnet. Nach kurzem Überlegen erinnert sie sich sogar an uns – ach, die Deutschen! Wir freuen uns, dass wir bei ihr essen können, es ist alles immer noch so liebevoll zubereitet und schmeckt herrlich!

Auf dem Rückweg gehen wir einkaufen: zuerst in den „Farmers Market“, einen Gemüseladen, der nur Produkte von Bauern aus der Region verkauft. Alles Obst und Gemüse ist frisch und makellos: Zwei Tische voller Tomaten mit bestimmt zehn verschieden Sorten, dann die vielen verschiedenen Arten von asiatischem grünen Kohlgemüse, von denen wir gerade mal Pak Choi und Chinakohl beim Namen kennen. Auch im Supermarkt gehen uns die Augen über, und wir müssen uns sehr zusammen reißen, um nicht zu viel einzukaufen – wir können ja jeden Tag wieder kommen, das Einkaufszentrum befindet sich gleich gegenüber von der Marina.

Wir haben die letzten Wochen so oft von diesen beiden Geschäften gesprochen und von frischen Tomaten, dem berühmten Tofu von Okinawa und all den japanischen Spezialitäten geträumt. Nun sind wir tatsächlich da und können es doch kaum glauben.

Nach 68 Tagen und rund 7.400 Seemeilen nonstop von Mexiko nach Japan, sind wir am 16. März 2023 angekommen.

Neun Wochen auf See

9. März 2023 um 22:30 Uhr UTC, POS 24°31’N 137°31’E

Sagte ich schon, dass wir langsam ankommen wollen? Wir haben in der vergangenen Woche gut Strecke gemacht, Japan rückt näher. Seit wir unsere „Reiseflughöhe“ von 18° Nord verlassen haben und Kurs direkt auf Okinawa abgesetzt haben, wird es jeden Tag ein wenig kälter. Die Wassertemperatur unserer Kübeldusche ist von 26° auf nur noch 20° C gesunken und kostet bereits Überwindung. Die Barfuß-Zeiten sind vorbei, lange Hosen und Socken werden aus dem Schrank geholt. Die Felsbrocken und Inselchen, an denen wir vorbeifahren, heißen bereits irgendwas mit -Jima (japanisch: Insel), der Schiffsverkehr nimmt zu. Am Mittwoch hatten wir die letzte Umstellung unserer Bordzeit und sind jetzt in der Zeitzone Japans. Aktuell trennen uns noch 540 Seemeilen vom Ziel.

Allerdings sind wir ja nicht länger im Passatgürtel und können nicht auf beständige Winde aus unserer Wunschrichtung rechnen. Für die letzten Meter hat Rasmus daher noch ein paar Flauten und einen Frontdurchgang für uns vorgesehen. Aber das schaffen wir auch noch.

Wir spüren die vielen Wochen und Meilen, die hinter uns liegen. Die Stimmung an Bord schwankt zwischen Übermut und Überdruss. Der Vorschlag, noch ein paar Ehrenrunden um Okinawa zu drehen, bis auch die letzten Kartoffeln, Zwiebeln und Kohlköpfe aufgegessen sind, stieß auf einhellige Ablehnung. Dabei können wir uns ja gar nicht beklagen. Die Passatstrecke ist seglerisch nicht besonders herausfordernd, wir hatten bisher kein wirklich schweres Wetter, fast immer gute Windrichtungen und keine Schäden an Bord, mit denen wir nicht umgehen konnten. Toi toi toi, dass es auf den letzten Meilen so bleibt!

 

Wir haben es ja vergleichsweise leicht, weil uns jede Menge Technik unterstützt, die frühere Seglergenerationen nicht hatten. Die Windsteuerung geht Ruder, der Arduino übernimmt das Trimmen, das AIS geht (mit) Ausguck, das GPS navigiert. Und wir? Na gut, hin und wieder zupfen wir an den Segeln und treffen folgenschwere navigatorische Entscheidungen: „Kurs West für die nächsten sechs Wochen!“. Als Hausmeister halten wir alles in Schuss, flicken Löcher in Segel und Bordwand, reparieren, was kaputt geht. Davon abgesehen fahren wir eigentlich nur als Köche und Vogelscheuchen mit.

Und trotzdem spüren wir die Erschöpfung, körperlich wie mental. Immer mal wieder kommt uns Bruce Willis aus der siebzehnten Fortsetzung von „Stirb Langsam“ in den Sinn. Da steht er, schon längst pensioniert, mal wieder im rußverschmierten und blutbefleckten Feinripp-Unterhemd und sagt „ich glaube ich bin zu alt für diesen Scheiß“. Und macht natürlich doch alle Bösewichter fertig.

Wenn also die nächste Fortsetzung von „Zehn Wochen auf See“ gedreht wird, werden wir uns nicht gleich wieder um die Hauptrollen bemühen. In nächster Zeit sowieso nicht, denn da stehen wir bereits für „Kirschblüte in Japan“ unter Vertrag.

Achtunddreißig Wochen auf See

2. März 2023 um 21:30 Uhr UTC, POS 19°22’N 151°34‘E

Das ist schon ein unglaublich großer Ozean. Jetzt sind wir bereits so ewig unterwegs, dass wir uns gar nicht mehr erinnern können, wie es früher einmal ohne Geschaukel und unterbrochenem Schlaf war. Oder wie es war, andere Menschen zu sehen, in Geschäften einkaufen zu gehen, frische Lebensmittel zu haben. Von exotischen Wünschen wie Restaurantbesuchen oder einer Süßwasserdusche ganz abgesehen. Ihr seht schon: wir haben die Freuden des Lockdowns zur Genüge ausgekostet, wir wollen langsam ankommen.

Vor drei Tagen zog eine weitere Front durch, mit Regen, Starkwind und viereinhalb Meter See, die uns die letzten Tage begleitet hat. Wenig Schlaf also mal wieder, insgesamt kein Vergnügen, aber immerhin kommen wir voran. Die restliche Strecke bis Okinawa wird langsam absehbar.

Wahrscheinlich sind mal wieder die Tölpel schuld. Als ich Anfang der Woche zum hinteren Mast hochblickte, sah ich, dass unsere UKW-Antenne, die dort eigentlich aufrecht stehen sollte, nur noch an ihrem Kabel hängend nach unten baumelte und vom Wind hin und her geblasen wurde. Wir hatten immer abends beobachtet, wie verzweifelt die Tölpel versuchten, auf den Mast-Topps zu landen. Auf dem vorderen Mast schaffte es fast immer einer, sich hinzusetzen, aber achtern war eben die Antenne im Weg. Wir vermuten, dass ein Tölpel den Anflug nicht gut berechnet hat und vom schwankenden Mast mit der Antenne im Flug weggeschubst wurde. Dabei muss wohl die Antenne oder ihre Halterung gebrochen sein.

Jedenfalls war nun unklar, ob die Antenne auch baumelnd noch funktioniert. Hoch in den Mast kann ich bei diesem Seegang unterwegs nicht klettern, und für einen Radio-Check braucht man ein anderes Schiff in Funkreichweite, und das hatten wir bisher nur alle ein bis zwei Wochen. Also war sicherheitshalber die Konstruktion einer neuen UKW-Antenne angesagt. Nur: wie macht man das mit Bordmitteln? Mein Amateurfunkzeugnis liegt ja schon über zehn Jahre zurück, ich weiß die Grundlagen, war aber doch bei einigen Fragen unsicher. Zum Glück konnten unsere Freunde an Land weiterhelfen, die im Internet recherchierten, weitere funkbegeisterte Freunde einschalteten, und uns dann per Mail mit Bauanleitungen und Antworten auf technische Fragen versorgten.

Mit dieser Hilfe waren der Bau und die Installation dann recht einfach, und dann kam auch gleich, als hätte es nur darauf gewartet, ein Schiff vorbei, das wir anfunken konnten. Das Ergebnis: mit unserer Baumel-Antenne konnten wir erst auf drei Meilen Entfernung eine Verbindung herstellen, aber der neue Eigenbau funktioniert hervorragend. So werden wir also, wenn alles gut geht, die japanische Küstenwache per Funk verständigen können, wenn wir uns dem Ziel nähern. Denn – wie gesagt – wir wollen jetzt wirklich langsam ankommen.

Sieben Wochen auf See

23. Februar 2023 um 20:45 Uhr UTC, POS 17°56’N 164°57’E

Eine sehr abwechslungsreiche Woche liegt hinter uns. Der erste Tag war noch eine Fortsetzung des schon gewohnten Wind- und Wellenbildes: um die sechs Windstärken, achterliche See von rund drei Metern, Besegelung Fock und ausgebaumte Genua als Schmetterling. Hin- und her rollendes Schiff, alles wie gehabt.

Dann wurde der Wind immer schwächer, die See beruhigte sich, und auf einmal war sie da: die erste Flaute seit Erreichen der Passatzone. Normalerweise ist Flaute beim Segeln ja nicht so gern gesehen, man erinnert sich noch immer an den Spruch aus der SKO: ohne Fahrt machen wir keinen Meter.

Aber wir haben den Flautentag so richtig genossen. Endlich mal wieder durchs Boot laufen, ohne links und rechts blaue Flecken einzusammeln. Mal wieder schlafen, ohne quer durch die Koje gerollt zu werden. Selbst die Zwiebeln ergaben sich der Schwerkraft und blieben in ihren Kisten und Netzen (und das will etwas heißen). Wir haben die Windstille genutzt, um endlich unser Leichtwindsegel auszurollen und zu nähen. Oder vielleicht sollte man besser sagen: die verbliebenen Fetzen zusammenzunähen. Jetzt hat er zwar keine perfekte Form mehr, aber zum Auffangen des Winds von hinten reicht es allemal. Nach den ersten 72 Stunden Einsatz hat er allerdings bereits wieder einen neuen Riss im Unterliek. Die Naht von heute ist die Schwachstelle für den Riss von morgen, Sisyphus lässt grüßen.

Den Rest des Tages verbrachten wir mit baden, so richtig im tiefblauen Meer, saßen nachmittags im Cockpit, schauten der Sonne beim Untergehen zu. Ganz wie man sich Segelurlaub vorstellt. Fehlten nur noch die Schirmchen-Drinks.

Aber auch die schönste Flaute ist nicht von Dauer (zum Glück!), und so erwachten wir am nächsten Tag mit einem Regenguss fast tropischen Ausmaßes. Wir konnten gar nicht so schnell neue Kanister und Eimer unterstellen, um das kostbare Wasser aufzufangen. Nur leider landete das nicht nur in den Behältern, sondern kam auch überall ins Schiff. Bei diesem ersten ordentlichen Guss seit Mexiko sahen wir, wie sehr die Gummidichtungen in einem Jahr Hitze versprödet sind, wie sehr das Dichtmaterial der Fensterscheiben rissig geworden ist und wie sehr Holzsockel, auf denen die Luken teilweise sitzen, schon undicht geworden sind. Es tropft überall herein: im Bad, In der Messe, beim Niedergang, in der Mittelkabine, in der Ankerlast. Diesmal war es nur Süßwasser, aber bei überkommender See ist das alles andere als gut. Jetzt haben wir mit Silikon und Dichtmasse einiges zugeklebt, beim nächsten Regenguss werden wir sehen, ob es etwas genutzt hat.

Der übelste Wassereinbruch kam allerdings nicht von einer Luke, wie wir zunächst dachten. Das Wasser tropfte aus der Wand der Achterkabine zum Cockpit hin, und zwar in Massen (etwa ein Liter pro Stunde). Das heißt, erstmal fluchen. Dann Handtücher zum Auffangen, auswringen wenn vollgesogen. Abmontieren der Holzverkleidung in der Kabine, herausbrechen der Schaumstoffisolierung, um an die Stelle heranzukommen. Endlich ist klar, wo das Wasser herkommt. Der achtere Mast sitzt auf einem Stahlsockel. Der hat ein kleines Abteil, das oben offen ist, und unten ein Entwässerungsloch hat, zumindest theoretisch. Denn das ist oft zugesetzt, und wenn sich dann darin das Wasser staut, rostet der Stahl natürlich. Dazu ist das Abteil so eng, dass man mit keinem Werkzeug hineinkommt, um den Rost zu bekämpfen, sondern nur mit dem Pinsel neue Farbschichten auf den Rost streichen kann. Und da das über die Jahre oft genug passiert ist, ist die Wand zwischen diesem Abteil im Cockpit und der
Achterkabine an einer Stelle durchgerostet. Wenn es nun regnet, füllt sich das Abteil mit Wasser, das den Mast herunterrinnt, es fließt nicht oder zu langsam ab, der Wasserspiegel steigt und erreicht die durchgerostete Stelle. Tja, und dann gibt es eben Wasser in der Achterkabine. Wir haben jetzt erst einmal die Entwässerung wieder in Gang gebracht und den Bereich von innen entrostet. Aus dem Haarriss im Rost wurde nach einigen Hammerschlägen ein ordentliches Loch, durch das man schon ein paar Finger durchstecken konnte. Mit Epoxid-Spachtel haben wir nun eine Edelstahlplatte über das Loch geklebt, das hält erst einmal. Bei nächster Gelegenheit muss dann ein neues Stück Stahl eingeschweißt werden.

Ein paar Stunden nach dem Regen kam dann auch wieder Wind auf, kräftig und plötzlich mit Windstärke sieben und Böen von acht. Die See baute sich bis auf vier Meter auf, bevor wir dann wieder zu normalen Passatverhältnissen zurückkehren.

Themenwechsel zum Gemüse. Weil außer Kartoffeln, Zwiebeln und Kohl die verbliebenen Gemüsebestände mittlerweile sehr traurig dreinschauen, keimte in mir das Bedürfnis, einen Sprossengarten anzulegen. Jetzt sind ständig Mungbohnen, Linsen und Radieschen-Keimlinge am Wachsen, Rucola und Brokkoli-Samen sind schon schwieriger, aber klappen mittlerweile auch. Mit Senf, Quinoa, Amaranth tue ich mich noch schwer. All das braucht zwar einiges an wertvollem Süßwasser (aber es hat ja geregnet) und mehrmals tägliche Pflege, denn das Grünzeug will dauernd eingeweicht, gewässert, umgepflanzt und besprüht werden, aber es ist einfach schön, frisches Grün in der Pfanne, im Salat und auf dem Rührei zu haben.

Noch ein kleiner Wehmutstropfen: dem Geruch folgend, entdeckten wir unter dem Beiboot versteckt die Überreste von Admiral Hornblower. Es blieb nur, ihn standesgemäß der See zu übergeben. Er ist also doch nicht weitergeflogen, wie wir letzte Woche dachten. Oder – je nach Sichtweise – ganz weit fort.