Pazifik Trance

Seit fast sechs Wochen sind wir jetzt auf See. Seit fast sechs Wochen haben wir kein Land mehr gesehen, nur Wasser, Himmel, ab und zu ein paar Wolken, Sonne und Mond. Das letzte Schiff ist etwa vier Wochen her. Ob es da draußen irgendwo wirklich noch etwas anderes gibt: Land, Inseln, andere Menschen? So genau wissen wir das nicht.

antenne

Nach Pitcairn sind wir nicht gekommen. Wir halten Kurs auf die Marquesas, wo die anderen Muktuks, unsere Freunde und früheren Besitzer unserer Muktuk, schon auf uns warten. Wenn es einen Preis gäbe für die phantasievollste Streckenführung und künstlerisch wertvollste Schlangenlinie, wir hätten gute Chancen, diesen zu gewinnen. Immer dem bisschen Wind hinterher. Bei einer Regatta würde man das vornehm „taktische Wetternavigation“ nennen.

route

Bis nach Hiva Oa, unserer geplanten Ankunftsinsel auf den Marquesas, sind es noch 650 sm, anderthalb Wochen vielleicht. Wollen wir ankommen? Ja und nein. Natürlich freuen wir uns sehr auf die anderen Muktuks. Andererseits ist die Ankunft so schwer vorstellbar, so irreal nach so langer Zeit auf See, dass es auch einfach so weiter gehen könnte. Siehe oben: vielleicht ist das mit dem Land und den Inseln ja nur ein Hirngespinst und in Wirklichkeit gibt es sowieso nur noch Wasser.

naht

vollzeug

Andererseits: mal wieder frisches Obst und Gemüse wäre schon was Feines. Viel haben wir nicht mehr an Bord, gerade mal noch Kürbis, Kartoffeln, Zwiebeln und rote Bete. So langsam müssen wir uns an Konserven gewöhnen. Und frisches Wasser wäre auch nicht schlecht. Während der ganzen Reise hat es ein einziges Mal für eine halbe Stunde geregnet. Nur fünf Liter Wasser konnten wir vor Wochen auffangen, das hat gerade mal fürs Bodenwischen gereicht. Wir hoffen immer noch auf einen richtigen Guss, der uns ein oder zwei unserer 20-Liter Eimer füllt, damit wir mal Wäsche waschen können, ohne unsere kostbaren Wassertanks dafür anzapfen zu müssen.

Man sieht: nach sechs Wochen auf See werden die Wünsche bescheiden. Unsere passen schon in zwei 20-Liter Eimer.

winkt

POS 12°19’S 128°04’W

Windsteuerung (2/2)

Zweiter Teil unserer Serie über die Windsteueranlage. Wie schon im ersten Teil angedeutet, kann diese nur dann das Schiff auf Kurs halten, wenn es schon im Wesentlichen von alleine in die richtige Richtung geradeaus fährt. Das nennt man: der Trimm muss stimmen. Diesen Trimm beeinflusst man zum einen durch ausgeglichene Segelflächen und -stellungen vorn und achtern, aber auf den meisten Kursen ist ein Segelboot luvgierig, d.h. es tendiert dazu, seine Nase in den Wind zu drehen. Um dem entgegen zu wirken, legt man mit dem Hauptruder etwas Gegenruder. Wenn man das Hauptruder in dieser Lage nun fixiert und die Windsteuerung einkuppelt, kann das Spiel beginnen.

Leider gibt es dabei zwei Probleme. Das erste Problem liegt an unserer hydraulischen Steuerung des Hauptruders. Es ist nämlich gar nicht so leicht, das Hauptruder in der gewünschten Stellung zu fixieren, denn jedes hydraulische System hat über die Zeit einen gewissen Schlupf. Der Ruderdruck überträgt sich zwar nicht aufs Steuerrad zurück (man muss es also nicht festbinden), dennoch bewirkt der ständige Druck auf die Ruderflächen auf Dauer ein Nachgeben des Ruders, so dass aus fünf Grad Ruderlage nach einer Stunde vier Grad werden, dann drei usw., bis das Ruder am Ende des Tages gerade steht. Dann ist der Trimm natürlich beim Teufel, und die Windsteueranlage kann nicht mehr arbeiten. Wir haben vorletztes Jahr bei der Atlantik-Überquerung uns damit beholfen, die Pinne festzubinden, denn diese ist (ohne Hydraulik) direkt mechanisch mit dem Ruderblatt verbunden. Das hat funktioniert, aber ideal ist diese Lösung auch nicht, denn wenn man Trimm oder Kurs verändern will (z.B. um einem anderen Schiff auszuweichen), muss man immer erst aufs Achterdeck, um die Pinne loszubinden.

Die zweite Möglichkeit, aus dem Trimm zu laufen ist die Änderung der Windstärke. Die oben erwähnte Luvgierigkeit nimmt nämlich mit der Stärke des Windes zu. Wenn etwa bei 3 Bft eine Ruderlage von 3 Grad ausreicht, um die Luvgierigkeit zu neutralisieren, müssen es bei 5 Bft vielleicht schon 6 Grad sein. Das heißt, in einer Böe schießt das Boot in den Wind, und die Windsteueranlage schafft es nicht länger, den Kurs zu korrigieren. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie oft ich nachts bei der Atlantikpassage geweckt wurde, um beim Aufbrisen des Windes nach achtern zu gehen, die Pinne loszubinden, am Steuerrad den Trimm neu einzustellen, und die Pinne wieder festzubinden. Natürlich hat man beim Nachlassen des Windes das gleiche Spielchen, nur umgekehrt, denn jetzt hat man zu viel Ruderlage, das Boot fällt also zu stark ab.

Wenn das Boot aus dem Trimm läuft (egal ob wegen des hydraulischen Schupfs oder wegen der Änderung der Windstärke), merkt man das immer daran, dass die Windsteuerung auf Anschlag Gegenruder gibt, aber selbst damit nicht gegen die (falsche) Grundtendenz des Bootes ankommt. Und weil mir die Windsteuerung so leid tat, wie sie da mit zusammengebissenen Zähnen und voller Ruderlage vergeblich am Kurs zerrte, kam mir die Idee, mit Hilfe einer kleinen Schaltung und dem Motor des Autopiloten eine Selbst-Trimm Automatik zu bauen. Und zwar so:

Am Schaft des Hilfsruders habe ich zwei berührungslose Schalter (Reed-Kontakte) montiert, die einen elektrischen Kontakt schließen, wenn das Ruder auf der einen oder anderen Seite Vollausschlag hat. Diese Schalter kosten ein paar Cent, sie sind u.a. bei Alarmanlagen verbaut, um das Öffnen von Türen oder Fenstern zu melden.

schalter

Diese Information über die Hartruderlage der Windsteuerung wird in einem kleinen programmierbaren Microcontroller verarbeitet. Dieser „Arduino“ ist eine open source Lizenz, d.h. jeder darf ihn nachbauen, und deshalb ist er ein Massenprodukt geworden, das z.B. in der Robotik Anwendung findet. Das Gute daran: auch er kostet nur ein paar Euro. Die Programmlogik geht nun so: wenn innerhalb einer bestimmten Zeitspanne (z.B. 30 Sekunden) das Hilfsruder mehr als die Hälfte der Zeit auf Anschlag ist, ist der Trimm wohl nicht mehr in Ordnung. In diesem Fall wird ein kurzer Steuerimpuls (800 Millisekunden) auf den Motor des Autopiloten gegeben, der damit das Steuerrad um etwa eine halbe Speiche dreht und damit den Trimm in die gewünschte Richtung korrigiert. Kurz vorher wird noch die elektromagnetische Kupplung des Autopilot-Motors eingeschaltet. Und sollte eine halbe Speiche nicht ausreichen, kommt nach weiteren 30 Sekunden der nächste Steuerimpuls.

arduino

Da der Arduino nur Lasten von maximal 50 mA schalten kann, der Motor aber 5A zieht, sind Relais dazwischengeschaltet (drei Stück: eines für die Kupplung, eines für Drehen nach links, eines für Drehen nach rechts). Und das war’s auch schon. Die ganze Schaltung verbraucht 25 mA, kann also ohne Probleme durchgehend laufen. Der Motor des Autopiloten wird nur im Fall der Trimm-Korrektur kurz angesprochen, was je nach Bedingungen ein paar Mal pro Tag bis ein paar Mal pro Stunde nötig ist. Alle anderen Komponenten des Autopiloten (Kompass, Computer etc.) bleiben ohnehin dauernd aus. Alle Teile der Schaltung zusammen kosten weniger als 40 Euro.

Ihr glaubt gar nicht, wie schön das ist. Egal, ob die Hydraulik nachlässt, ob der Wind auffrischt, ob man andere Segel setzt, ob man den Kurs ändert (d.h. den Sollwinkel zum Wind): nie muss man sich um den Trimm Gedanken machen, denn der Arduino findet automatisch nach maximal ein paar Minuten die richtige Hauptruderlage, damit die Windsteuerung ihren Job machen kann. Weder Pinne noch Steuerrad müssen fixiert werden, so dass man jederzeit – etwa für ein Ausweichmanöver – von Hand den Kurs ändern kann. Am Ende steuert man einfach wieder grob in die gewünschte Richtung und überlässt die Feinjustierung wieder dem Arduino. Ziemlich cool!

wolken

Ach ja: POS 14°00’S 112°26’W, immer noch Richtung Pitcairn

Windsteuerung (1/2)

Als in den 60er Jahre Elga und Ernst-Jürgen Koch als erstes Weltumsegler-Paar unterwegs waren, musste immer einer der beiden am Ruder stehen. Hut ab, wir können uns heute nicht vorstellen, welche Strapazen das für die beiden bedeutet hat.

Deshalb ist der heutige Blog-Eintrag dem Apparat an Bord gewidmet, der unseren Komfort ungemein steigert, weil er uns das Rudergehen abnimmt und tagein, nachtaus die Muktuk auf Kurs hält: unsere Windsteueranlage.

heck

Freilich: auch ohne Windsteueranlage müssten wir nicht selbst Ruder gehen, denn wir haben auch noch einen Autopiloten. Der Autopilot ist eine Kombination aus Computer, elektronischem Kompass und einem Elektromotor, der das Steuerrad bewegt, um einen vorgegebenen Kompasskurs einzuhalten. Das Ding funktioniert prächtig und wir benutzen es in Küstennähe, wenn wir sichergehen wollen, eine Einfahrt zu treffen oder einen Felsen zu vermeiden. Aber: der Autopilot macht Lärm (Elektromotor eben) und braucht eine Menge Strom.

Auf Langstrecke schalten wir ihn daher aus und nehmen die Windsteueranlage in Betrieb. Diese arbeitet rein mechanisch, lautlos und ohne Strom. Sie hält dabei keinen konstanten Kurs, sondern einen konstanten Winkel zum Wind. Das hat Vor- und Nachteile: wenn der Wind dreht, fährt man u.U. eine Zeitlang woanders hin als man denkt, aber die Segelstellung ist immer richtig und muss nicht bei jeder Winddrehung korrigiert werden. Und auf Langfahrt kommt es beim Kurs auf 10 oder 20 Grad hin oder her nicht so an, das kann man am nächsten Tag wieder ausgleichen.

Um zu erklären, wie diese geniale Erfindung funktioniert, muss ich allerdings etwas ausholen und gleich drei verschiedene Ruderblätter beschreiben.

Erstens gibt es da das Hauptruder. Mit dem wird das Schiff gesteuert, wenn man das Steuerrad bewegt. Die zugehörigen Ruderblätter (bei uns sind es zwei) sind relativ groß; die Übertragung der Lenkbewegung vom Steuerrad zum Ruderblatt erfolgt bei uns hydraulisch.

Zweitens gibt es das Hilfsruder der Windsteueranlage. Wenn das Schiff schon mal im Wesentlichen in die richtige Richtung steuert (das regelt man mit dem Hauptruder), nimmt dieses Hilfsruder die nötigen Kurskorrekturen vor, um den konstanten Winkel zum Wind einzuhalten. Dieses Hilfsruder ist kleiner als das Hauptruder, aber immer noch groß genug, um das ganze Schiff zu steuern.

Der Auslöser für die Kurskorrekturen ist die sogenannte Windfahne, ein dünnes, etwa skateboardgroßes Sperrholzbrett, klappbar befestigt und von einem Gegengewicht normalerweise senkrecht gehalten. Dieses Sperrholzbrett richtet man nun so aus, dass seine Stirnseite genau in die Windrichtung zeigt. Kommt der Wind also aus dieser Richtung, wirkt keine Kraft auf die Windfahne und sie wird durch ihr Gegengewicht senkrecht gehalten. Kommt der Wind mehr von rechts (z.B. weil das Schiff nach links vom Kurs abkommt), bläst der Wind auf die rechte Seite der Windfahne und das Brett klappt nach links um. Und natürlich umgekehrt: Kursabweichung nach rechts, Wind kommt mehr von links, Windfahne klappt nach rechts.

Soweit alles gut, man muss nur noch die Klappbewegung der Windfahne auf die Lenkbewegung des Hilfsruders übertragen. Doch dummerweise gibt es da ein Problem: Um das Hilfsruder zu bewegen, braucht man sehr viel mehr Kraft, als die Klappbewegung des Brettchens hergibt. Und da kommt jetzt die geniale Idee des Konstrukteurs ins Spiel: man verwendet die Fahrt des Schiffes durchs Wasser als mechanischen Kraftverstärker. Wie geht das?

Der Trick liegt in einem dritten Ruderblatt, dem Pendelruder. Das ist klein (schmal aber lang) und kann tatsächlich durch die Klappbewegung der Windfahne gedreht werden. Das Pendelruder steuert nun aber nicht etwa das Schiff, dazu ist es viel zu klein, sondern sein ganzer Schaft kann sich nach links oder rechts um ein zentrales Gelenk bewegen, eben „pendeln“. Und diese Pendelbewegung, die umso kräftiger ausfällt je schneller das Schiff durchs Wasser fährt, hat genügend Kraft, um nun wieder als Lenkbewegung aufs Hilfsruder zu wirken.

Also nun noch einmal komplett: kommt das Schiff z.B. nach rechts vom Kurs ab, bläst der Wind nicht mehr auf die Stirnseite der Windfahne, sondern mehr auf die linke Seite. Die Windfahne klappt nach rechts. Die Klappbewegung dreht das Pendelruder um seinen Schaft nach links. Durch die Fahrt durchs Wasser pendelt das Pendelruder kräftig nach rechts aus. Diese Pendelbewegung dreht das Hilfsruder nach links, das Schiff wird nach links gesteuert. Der Wind bläst nun wieder auf die Stirnseite der Windfahne, diese richtet sich auf (Gegengewicht), das Pendelruder wird wieder gerade gedreht, es pendelt wieder in die Senkrechte zurück und dreht das Hilfsruder wieder gerade. Ende der Kurskorrektur.

Klingt kompliziert, ist aber so. Und funktioniert prächtig, meistens jedenfalls. Warum es manchmal nicht ganz so einfach ist, und was wir dagegen getan haben, kommt im nächsten Blog-Eintrag.

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wolken

Nix los

Dieser Ozean ist echt groß. Das merkt man schon daran, dass wir – egal wohin – noch nicht einmal die Hälfte geschafft haben, obwohl wir bereits seit fast drei Wochen unterwegs sind, Das letzte Schiff haben wir vor knapp zwei Wochen gesehen, seitdem sind wir ungestört. Wir können also die Musik so laut aufdrehen wie wir wollen, kein Nachbar beschwert sich..

bananen

Das eigentlich Berichtenswerte ist also, dass es kaum Berichtenswertes gibt. Nach der Äquatorüberquerung hatten wir ein paar Tage stärkeren Wind und Seegang und sind recht ungemütlich hin und her geschaukelt worden, aber nun ist es wieder friedlich und wir schaukeln ruhiger und langsamer. Wie es sich anfühlt, wenn es nicht schaukelt, haben wir mittlerweile vergessen.

Zehn Tage lang hatten wir nicht einmal einen Fisch an der Angel. Dann aber biss ein so großer Mahi-Mahi an, dass wir gleich drei Tage lang jeweils zwei Mahlzeiten davon zubereiten konnten, und den Rest hat Birgit in Gläsern eingemacht. Die fliegenden Fische, die wir morgens an Deck finden, zählen wir nicht mit. Außer der große von heute Abend, den wir gerade zappeln hörten, frisch ernten konnten und gleich als Vorspeise braten.

fisch

Bei durchschnittlich einem Segelmanöver alle zwei bis drei Tage (Groß reffen, Fock setzen, Schoner bergen, Schoner setzen, Groß ausreffen, …) überarbeiten wir uns seglerisch auch nicht gerade. Die Windsteueranlage hält brav den Kurs (dazu bald mehr), so dass wir nur Ausguck gehen müssen. Und da gibt es – siehe oben – zur Zeit wenig zu sehen. Die Bordroutine strukturiet den Tag: langes Frühstück, um nach dem unterbrochenen Schlaf der Nachtwachen zu sich zu kommen, Kübeldusche an Deck, Schiff putzen, kochen, essen, Mittagsschlaf, spülen, Sundowner, kochen. essen, über Funk Wetter und E-Mails abrufen. Zwischendurch immer wieder viel lesen, ich habe den Sextanten ausgepackt und poliere meine eingerosteten Kenntnisse in Astronavigation auf.

lesen

Apropos Navigation: den zwischendurch überlegten Abstecher auf die Osterinsel mussten wir streichen, denn da unten ist in den nächsten Tagen ein Sturmtief vorhergesagt, und in 5-6 Meter Welle fahren wir nicht freiwillig hinein. Unser geplantes Ziel ist Pitcairn, aber auch da ist noch ungewiss, ob uns Rasmus da hinsegeln lässt. Wir behalten die Wetterentwicklung im Auge und entscheiden in den nächsten Tagen, ob es möglich ist. Wenn ja, ist freilich noch nicht gesagt, dass wir bei den dann dort herrschenden Bedingungen auch vor der Insel ankern und an Land gehen können. Das ist immerhin noch drei Wochen hin, und so weit reicht keine Vorhersage. Wenn es dann zu rauh ist, können wir bloß einmal winken und weitersegeln, dann waren knapp 1000 Seemeilen Umweg vergeblich. Man versteht, warum so wenige Yachten diese Inseln anlaufen…

schiffchen1

schiffchen2

POS 10°23’S 105°20’W
Noch 1662 sm bis Pitcairn

Über die Linie

wolken

Vor zwei Tagen waren wir keine 50 Meilen mehr vom Äquator entfernt. Die Windvorhersage lautete SE, so dass wir bequem unserem Generalkurs SW folgen können sollten. Aber zu früh gefreut: Der Wind kam aus SSW, und so mussten wir jede Meile Süd, also Richtung Äquator, hart erkämpfen. Die vielen Stunden Flaute zwischendurch, in denen wir mit schlagenden Segeln auf jede nutzbare Brise warteten, halfen auch nicht gerade. Aber die See ist sehr ruhig, und selbst beim kleinsten Windhauch läuft Muktuk wie auf Schienen – wenn auch Richtung Westen.

Vor einem Tag waren wir keine 32 Meilen mehr vom Äquator entfernt. Wir sind noch im Einflussbereichs des Humboldt-Stroms, eine kalte Strömung, die die Küste Chiles heraufkommt. Das Wasser hat nur 22°C, entsprechend ist es zumindest nachts so kalt im Boot, dass wir uns für unsere Nachtwachen mit langen Hosen, Unterhemden und Socken einpacken. Sollte man am Äquator eigentlich nicht denken, oder? Trotz „Kälte“ und Feuchtigkeit sitze ich in der ersten Nachtwache an Deck und bewundere den Sternenhimmel mit seinen noch unvertrauten Sternbildern – das Kreuz des Südens, den Zentaurus, den Skorpion. Sobald der Mond untergegangen ist und alle Sterne und die Milchstrasse klar herauskommen, ein herrlicher Anblick. Um Mitternacht will ich noch gar nicht schlafen gehen, aber ich weiss wie müde ich in drei Stunden sein werde, wenn meine nächste Wache anfängt. Viel zu tun gibt es in den Wachen freilich nicht, das letzte Schiff haben wir vor etlichen Tagen gesehen.

grapefruits

Heute mittag sind wir keine 13 Meilen mehr vom Äquator entfernt. Wir rechnen, ob wir die Linie heute noch, und wenn dann wann, erreichen. Der Morgen hat uns mit wolkenlosem Himmel empfangen (die letzten Tage war es viel bedeckt), so dass im Augenblick das Deck voller Matratzen, Kopfkissen, Laken und Handtüchern ist, um die Feuchtigkeit ein wenig herauszubekommen. Birgit sortiert wie jeden Tag die verdorbenen Zitrusfrüchte aus, Säcke voll mit Grapefruit, Orangen und Limetten brauchen eben Pflege. Ich erledige ein paar kleinere Reparaturen. Nach schon drei Tagen ohne Fisch an der Angel (wir sind einfach zu langsam) haben wir bald wieder richtig Lust auf Sushi. Aber noch haben wir reichlich Vorräte an Gemüse, Salat, Obst und Fleisch, dass wir nicht auf den Fangerfolg angewiesen sind.

Und schliesslich ist es soweit: um 19:50 Bordzeit (01:50 UTC) springt die Anzeige am GPS von N auf S, wir springen über die Linie und sind im Südpazifik.

linie

Lichtermeer

6. April 23h Bordzeit. Unsere zweite Nacht auf See. Noch haben wir unseren Wachrythmus, der die nächsten Monate unseren Tagesablauf bestimmen wird, nicht verinnerlicht. Noch sind wir nicht eingeschaukelt (durchgeschaukelt aber schon), aber dank des sehr rolligen Ankerplatzes in Panama City schon ein wenig an die Bewegungen gewöhnt.

Überhaupt Panama City. Ist das wirklich erst zwei Tage her? Die Hektik der Stadt, die Großeinkäufe in den Supermärkten, den Fleischhallen und Gemüsemärkten, die vergeblichen Versuche, unsere Gasflaschen füllen zu lassen (aus ?Sicherheitsgründen? mussten wir neue kaufen), die zig Dinghifahrten, um die Wasser- und Dieseltanks eimer- bzw. kanisterweise aufzufüllen? Säckeweise Grapefruits, Orangen und Limetten, eimerweise Gemüse, Halbjahresvorräte an Bier Klopapier etc. stellen selbst für die Staumöglichkeiten auf der Muktuk eine Herausforderung dar. Birgit kocht mehrere Dutzend Gläser mit Sugo, Rouladen und Gulasch aus diversen Vierbeinern ein, auch die finden noch ihr Stauplätzchen. Wir arbeiten bis zum Umfallen.

schweine

sack

Eigentlich wollten wir es ja etwas ruhiger angehen lassen, uns Zeit für Panama nehmen, den FAJOs als Linehandler durch den Kanal helfen und ein paar Tage auf den Las Perlas Inseln ausruhen, aber daraus wurde alles nichts, denn laut metbob.com, dem Wetterguru des Südpazifiks hat sich seit vorgestern ein Wetterfenster aufgetan, das uns angeblich bis zu den Galapagos-Inseln und vielleicht darüber hinaus segelbare Winde beschert ? vorausgesetzt man kommt Anfang der Woche los.

Nachdem wir bis zu den Passatwinden auf ca. 10°S nicht nur die „Intertropische Konvergenzzone“ (grob gesagt am Äquator), sondern auch noch die „Südpazifische Konvergenzzone“ durchqueren müssen, beide mit Flaute, unwetterartigen Regenfällen mit und ohne Gewitterböen, und dafür einige Tage Fahrt unter Maschine einplanen müssen (und nicht beliebig viel Diesel haben) , wollten wir dieses Wetterfenster natürlich nutzen. Deshalb die ganze Hektik. Warten wir mal ab, ob das Wetter denn auch so kommt wie bestellt.

Die zweite Nacht auf See also, sehr müde, denn die erste Nacht war mit 6 Windstärken etwas ungemütlich, und tags ist es zum Schlafen einfach zu heiß. Heute dümpeln wir in nahezuer Flaute, Muktuk rollt von einer auf die andere Seite in der Dünung, die Segel schlagen, aber wir wollen sie nicht bergen, denn wir brauchen jeden Windhauch. Soviel zum Wetterfenster?

Aber dafür gibt es heute Nacht ein ganz großartiges Geschenk. Wir haben ja schon ein paar Male Meeresleuchten erleben dürfen, und es ist jedesmal wunderschön, die Glühwürmchen im Wasser zu sehen, aber so ein Lichtermeer wir heute haben wir noch nie erlebt. Wir segeln wie durch eine Großstadt, ringsum uns herum ein Licht am anderen, jeder Wellenkamm ist mit einem hellgrünen Leuchtstreifen markiert. Da wir Neumond haben, konkurriert das Meeresleuchten nur mit dem Sternenhimmel, stellt diesen aber locker in den Schatten. Fotografieren kann man das leider nicht, aber vergessen werden wir diesen Anblick bestimmt nicht so schnell.

Völlig unmöglich allerdings, bei diesem Spektakel Ausguck zu gehen. Die Positionslichter eines anderen Schiffes könnte man nie unter den vielen Lichtern ausmachen, die uns rundum umgeben. Das AIS zeigt aber auch keine Gegner in der Umgebung an, daher sind wir unbesorgt.

delfin

POS 6°31?N 080°46?W
Noch 3445 sm bis Pitcairn

Osterinsel

Muktuk

Manche segeln von Panama aus über 2500 Seemeilen, um auf die Osterinsel zu kommen. Wir haben nur 20 gebraucht. Gut, die Panamesen nennen die Insel Otoque, und wir haben bislang auch keine größeren Steinfiguren gefunden. Aber wir sind Ostern hier angekommen, also haben wir sie Osterinsel genannt, das hat Jakob Roggeveen am 5. April 1722 schließlich auch so gemacht.

Machete

Außerdem ist hier niemand, der uns das Recht zur Namensgebung streitig machen würde. In der großen Bucht im Süden der Insel sind wir die einzigen weit und breit. Wenn man mal von den Pelikanen absieht. In den frühen Morgenstunden jagen sie zu hunderten gemeinsam, tauchen im Sturzflug ins Wasser und meist mit einem Fisch im Schnabel wieder auf. Das Wasser brodelt regelrecht in einer wilden Mischung aus Fisch und Pelikan. Viertel nach sieben ist der Spuk auf einmal vorbei, die Pelikane zerstreuen sich und man sieht sie nur noch einzeln oder in kleineren Grüppchen den ganzen Tag über.

Peli1

Peli2

Wir genießen nach dem ganzen Stress des Ankommens, Ausrüstens, Vorbereitens und der Kanalpassage mit ihren Adrenalinschüben die Ruhe und die Einsamkeit. Immerhin haben wir uns aber gestern zum Osterspaziergang aufgemacht, sind mit dem Beiboot an den Strand und haben uns einen Weg quer über die Insel auf die andere Seite gesucht, wo es ein kleines Örtchen gibt. Haben dort im Lokal eine Cola getrunken (Wasser gab es nicht) und sind wieder zurück. Auf dem Weg konnten wir noch ein paar wildwachsende Limetten sammeln, die beim Abendessen den auf der Überfahrt gefangenen Bonito ganz wunderbar gewürzt haben. So kann das gerne weitergehen.

Peli3

Peli4

Mich lockt am Abend der große Strand fürs Lagerfeuer, Birgit ist aber mit Landausflügen etwas zurückhaltend, denn am Ende des Osterspaziergangs ist unser Dinghi in der Brandung vollgelaufen und wir mussten ganz schön kämpfen, um es wieder flott zu bekommen. Voller Waser und Sand ist das Ding zu schwer, um es zurück auf den Strand ziehen zu können, und so bleibt nichts anderes übrig, als das Wasser schneller auszuschöpfen, als es durch die Brecher wieder hereinschwappt. Mit unserem kleinen Ösfass konnten wir da nicht viel ausrichten, erst als ich am Strand ein paar größere Plastikkanister gefunden habe, kamen wir voran. Tja, Abenteuer auf der Osterinsel…

2Pelis

Panama Kanal

Zwei Tage dauert sie, die Reise vom Atlantik in den Pazifik – zumindest wenn man die Abkürzung nimmt durch den Panama Kanal. Außen herum, um Kap Hoorn, sind es doch ein paar Tage länger, weshalb die großen Pötte bis zu 300.000 Dollar zahlen, um den Kanal benutzen zu dürfen. Wir kamen etwas billiger weg.

Lok

Am Nachmittag des 24. März warteten wir auf dem Ankerplatz vor dem Kanal auf unseren Lotsen. Genauer gesagt auf unseren „transit advisor“, denn die Lotsen sind nur für Schiffe jenseits unserer Tonnage zuständig.

Leinen1

Am ersten Tag fuhren wir „im Päckchen“ durch die drei Gatun Schleusen. Ein etwas größeres Boot in der Mitte, steuerbords ein kleiner Holländer, backbords wir, gut mit jeweils vier Leinen zusammengebunden. Der Skipper des Mittelbootes war deutlich über 70 Jahre alt und nicht mehr ganz auf der Höhe seiner seglerischen Fähigkeiten, zudem sah er schon recht mumifiziert aus. Aber er steuerte uns zunächst ganz gut durch die Schleusen. Als wir uns allerdings nach der dritten Schleuse, im Gatun See angekommen, wieder voneinander lösten (der kleine Holländer war schon frei, wir machten gerade die Leinen los), gab die Mumie Vollgas, ohne zu bemerken, dass unsere Achterleine noch belegt war. Sein Boot schoss also los, unser Heck wurde mit ihm nach vorne gezogen, wir drehten uns um unsere Achse, und nur durch volle Fahrt voraus gelang es mir, unser Heck zumindest einen halben Meter von seiner Bordwand freizuhalten. Bis die Mumie mitbekam, dass da noch 26 Tonnen auf seiner Backbordseite hingen, war unsere Leine schon ziemlich auf Zug, und nur mit viel Glück hielt seine kleine Klampe, an der wir festgemacht hatten, dem enormen Zug stand.

Masten

Leinen2

Auf dem Gatun See ankerten wir für die Nacht, am Morgen kam ein neuer Nicht-Lotse und fuhr mit uns zu den Schleusen auf der Pazifik-Seite. Die Mumie überholte uns unterwegs, schleuste mit dem Holländer zusammen ohne uns, und wir durften alleine, d.h. „center lock“ die Schleusen passieren. Ganz alleine natürlich nicht, denn Segler werden immer nur zusammen mit den großen Frachtern, Tankern oder Kreuzfahrtschiffen geschleust. Waren wir am ersten Tag (bergauf) noch hinter dem Frachter, mussten wir am zweiten Tag (bergab) vor dem Frachter in die Schleusen.

Pott

In den ersten beiden Schleusen war das auch recht entspannt: wir fuhren in die Schleuse bis ans Ende ein, die Leinenwerfer an Land warfen uns dünne Leinen zu, an denen wir unsere vier langen Festmacherleinen anknüpften, diese wurden an Land gezogen, auf Pollern belegt und von Bord aus dichtgeholt. Wie eine Spinne im Netz hielten uns die Leinen in der Mitte der Schleuse, und als das Wasser begann zu fallen, gaben unsere Linehandler (neben Birgit, Silke und Matthias von der FAJO und Thorsten von der INFINITY) immer jeweils soviel Leine nach, um uns weiterhin in der Mittelposition zu halten.

achtern

Wie gesagt: zwei Schleusen lang ging das gut. Die dritte Schleuse hat als Besonderheit (bedingt durch die Mischung aus Süßwasser aus dem See und Salzwasser aus dem Pazifik) eine starke Strömung in Fahrtrichtung. Die Idee ist eigentlich, diese Fahrt mit den Achterleinen abzubremsen. Nur: weil die Leinenwerfer etwas langsam waren, waren unsere Achterleinen selbst ein paar Meter vor dem Schleusentor noch nicht einsatzbereit. Also mussten wir mit Maschine rückwärts bremsen, was ohne Fahrt durchs Wasser (denn das Wasser selbst bewegte sich ja vorwärts) nicht wirklich gut funktioniert. Statt rückwärts zu fahren, dreht sich das Boot dann erst einmal seitlich, und unsere Muktuk fährt besonders schlecht rückwärts. So kamen wir also zwar kurz vor dem Schleusentor zum Stehen, lagen aber fast quer in der Schleusenkammer. Dann Maschine vorwärts, um wieder gerade zu kommen, die Achterleinen waren auch endlich festgemacht, aber die Drehbewegung war zu stark für die Leinen. Zong! Und ab war die Achterleine an Steuerbord! Also wieder volle Maschine rückwärts, um Zeit zu gewinnen, eine neue Leine auszubringen, bis wir endlich, zwar recht schief aber immerhin ohne Fahrt in der Schleusenkammer lagen. Zu guter Letzt musste wir noch ein paar Meter zurücksetzen, damit die Schleusentore Platz hatten aufzugehen, dann endlich öffnete sich das Tor zum Pazifik und wir konnten am Balboa Yachtclub in Panama City vor Anker gehen.

vorne

Unsere Linehandler hatten beschlossen, noch eine Nacht an Bord zu verbringen, was uns sehr gefreut hat, und so gab es dann noch ein schönes gemeinsames Abendessen, ein paar Schleusenbierchen und auch einen tüchtigen Schluck Whisky für den Pazifik, für Rasmus, für die Muktuk und vor allem für die Crew. Wir sagen herzlich Dankeschön!

Die Molas von Kuna Yala

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In Mittelamerika sind neben den schönen Webarbeiten der Maya von Guatemala die Molas der Kuna-Indianer die bekanntesten Produkte in Sachen Textilkunst. Und eine Kunst ist es wahrhaftig.

Eine Mola ist eine Art umgekehrtes Patchwork: bis zu vier Schichten von Stoffen werden übereinander gelegt, Motive ausgeschnitten, mit feinen Stichen umgenäht und bei Bedarf weitere Stoffapplikationen in anderen Farben darauf genäht. Je gleichmäßiger, umfangreicher die Motive, je feiner der Stich, umso kunstvoller die Mola, heißt es.

Vor der Invasion der Spanier und der Ankunft der Missionare trugen die Kunas Körperbemalungen, wie sie u.a. noch bei verwandten Stämmen in Südamerika zu sehen sind. Später wurden die Motive auf die Stoffe ihrer Kleidung gemalt. Man vermutet, dass etwa Mitte des 19. Jahrhunderts die heutige Technik, Molas zu nähen, entwickelt wurde.

Die Molas sind rechteckige Motivbilder und bilden die die Vorder- und Rückseite von Blusen. Die Kuna-Frauen tragen überwiegend die traditionellen geometrischen Muster, nur vereinzelt auch Motive mit Heilpflanzen, Wolken, Geistern oder friedliche Tiere. Die Grundfarben des Hintergrundes sind entweder Schwarz, Purpurrot oder Orange, die Farben der Applikationen variieren.

Die Nachfrage der Touristen nach bunten Molas hat die Palette der Motive und Farben erweitert: blau und grün als Hintergrundfarben, kräftige Farben wie neongelb und grün für die Applikationen kommen hinzu. Tierdarstellungen wie Schildkröten, Krebse, Langusten, Fische, Papageien, das kaufen Touristen gerne.
Die Motivbilder können zu Kissenhüllen umgearbeitet werden, oder Tischdecken und Taschen zieren.

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Venancio Restrepo, Mola-Meister

Gleich nach unserer Ankunft in Kuna Yala klopft Venancio an unser Boot – wir hörten schon von ihm, er habe die schönsten Molas weit und breit. Mit zwei großen Bottichen aus Plastik kommt er an Bord, begleitet von zwei jungen Männern, die ihn im Einbaum zu den Booten fahren. Er packt aus und ich staune, ein Stück schöner und kunstvoller als das andere, vor meinen Augen schwirren die Motive und ich frage ihn vorsichtig, ob ich denn ein paar Fotos machen darf. Sehr gerne möchte Venancio, dass ich seine schönen Molas auch übers Internet bekannt mache und so lege ich los, gut achtzig Fotos entstehen
Er hat jeweils zwei oder vier Molas zusammen geheftet, nach Motiven sortiert. Er erklärt die Bedeutung der traditionellen Motive, ist aber genauso stolz auf die Stücke mit den Tiermotiven für die Touristen, das alles in einer wilden Mischung aus Spanisch und Englisch. Denn Englisch will er nebenbei auch lernen und fragt oft nach den englischen Begriffen. Und ich lerne dabei viel über die Anfertigung der Molas, die Technik, bewundere die feinen Stiche.
In den folgenden Wochen haben wir noch ein paar Mal Molas angeboten bekommen von Kuna-Frauen. Venancio hatte tatsächlich mit Abstand die schönsten!

Hier eine Auswahl:

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Krebse

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Oben: Traditionelle Tänze, unten: Chiefs in der Hängematte mit Pfeife

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Schildkröten

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Traditionelles Motiv mit Heilpflanzen

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Traditionelles geometrisches Motiv, sehr häufig auf Blusen zu sehen

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Geometrisches Motiv, Vorderseite

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Geometrisches Motiv, Rückseite

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Stilisierte Blumen, Vorderseite

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Stilisierte Blumen, Rückseite

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Stoffstreifen für Muster mit Durchbruch

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Wolken

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making of „Wolken“

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Schnecken

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Hähne und Fische

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Segelboot mit Seglern

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Übungsstücke, angefertigt von Schülern aus dem Dorf von Venancio

Mola Lisa

 

Mitte Januar 2016: Der Regenwald am Festland ist nur wenige Meilen von unseren Ankerplätzen entfernt und so verabreden wir mit unseren Freunden von der Fajo, eine Tour zu einem Seitenarm des Rio Tigre. Die Flüsse und den Regenwald darf man nur mit einem Führer bereisen, mit Zustimmung der örtlichen Sailas, den Dorfältesten, lesen und hören wir. Also werden wir eines Morgens von Lisa Harris, bekannter als Mola Lisa, mit ihrem großen Einbaum abgeholt. Schnell noch mal umgekehrt, gut, dass auf der Muktuk noch fünf alte Feststoff-Schwimmwesten lagern, denn ohne dürfen wir nicht los.

1Weste

Bei den Kunas gibt es einige Transvestiten: Jungen, die als Mädchen großgezogen werden, falls eine Familie keine oder zu wenig Mädchen hat. So auch Mola Lisa, lange Haare, Sonnenbrille mit Tigermuster, Handtasche in schwarzem Lack mit Kirschen drauf, feminines Auftreten. Sie näht wunderschöne Molas und bietet Touren an.

2LisaTasche
Mola Lisa

Wir fahren mit ihr und einem älteren Kuna im Boot zur Flussmündung und ein Stück den Fluss hinauf, vorbei an Bananen- und Kokosplantagen, ab und zu schaut ein Kuna am Ufer neugierig, wer da vorbei tuckert. Das Wasser ist schön klar, man kann bis auf den Grund sehen. Irgendwann geht es nicht mehr weiter fürs Boot.

3Fluss

Wir steigen aus und laufen einen Hang durch den Wald hoch, kommen an einem Friedhof vorbei, dann an einem zweiten. Das ist der private Friedhof von Lisa, sie hat vor etlichen Jahren das Grundstück gekauft und inzwischen ihre Eltern und ihren Schwager dort begraben, aber auch andere Familien aus ihrem Dorf haben dort ihre Verwandten zur Ruhe betten können. Kleine Hügel aus lehmiger roter Erde, geschützt gegen Regen durch eine große Hütte mit einem Dach aus Palmwedeln. Wellblech wäre bei der tropischen Feuchte lange nicht so haltbar und viel wichtiger noch, könnten die Seelen nicht entweichen.

4FriedDach
Friedhof

Die Kunas werden in ihrer Hängematte beerdigt, die Frauen tragen ihr schönstes Gewand, eine traditionelle Molabluse und ihren gesamten Schmuck. Auf den Gräbern sehen wir Tonschalen, in denen u.a. Kakao-Bohnen verbrannt werden. Der Rauch kann durch ein Loch im Boden gelangen – für die Toten. Daneben steht die Lieblingstasse des Verstorbenen. Aber auch andere erstaunliche Dinge liegen auf und neben den Gräbern oder hängen an den Pfählen der Hütten, eine Sammlung an Schuhen, ein halber Plastikstuhl, Töpfe, Pfannen.

5FriedGrab

Da keine anderen Kunas in der Nähe sind, dürfen wir Fotos machen, dann geht es weiter durch den Regenwald, wieder zum Fluss runter, Lisa will uns die Wasserfälle zeigen. Quer über den Weg gehen Straßen der Blattschneider-Ameisen, ein Gewimmel aus wandernden Blättern, faszinierend in ihrem Fleiß und Ausdauer.

5aAmeisen
Blattschneiderameisen unterwegs

Wir waten die meiste Zeit knöcheltief durchs Flussbett flussaufwärts bis wir zu einer Stelle gelangen, wo wir unsere Rucksäcke Lisas Helfer geben dürfen, der den Wald hochklettert. Wir waten durch tieferes Wasser, stellenweise geht es nur schwimmend voran und da ist schon der erste kleine Wasserfall. Lisa setzt ihre Schwimmbrille auf und macht uns vor, wie man hier über die Steine wieder runter sausen kann, ins wirbelnde Wasser hinein. Sie ist stark und eine geschickte Schwimmerin.

6LisaBrille

7Andreas

Beim dritten Wasserfall machen wir eine Pause und nach einigem Fragen beginnt Lisa zu erzählen. Sie lebt mit ihrer Schwester und ihren Nichten zusammen, ein reiner Frauenhaushalt, da der Schwager gestorben ist, die Brüder leben in anderen Ortschaften bei ihren Frauen. Aber der Zusammenhalt im Dorf ist groß, die Männer bringen ihr immer wieder Fisch und Langusten mit, dafür hilft sie den Familien aus, wenn es an Mehl und Zucker fehlt oder jemand Geld für besondere Ausgaben braucht. Auch besitzt die Familie etwas Land, das sie ernähren kann.

Nach der Religion gefragt, sagt sie, gibt es nur einen Gott, und der ist der Gott aller Menschen auf Erden. Er hat für die Kunas das schönste Fleckchen der Erde ausgesucht: nicht zu warm, nicht zu kalt, keine Wirbelstürme oder Erdbeben, ausreichend Fisch im Meer und genügend Obst und Gemüse zum Anbauen. Dann hat er vier Sterne in Frauengestalt auf die Erde geschickt, um den Kunas zu zeigen, wo und wie sie hier leben sollen. Eine der vier Frauen blieb bei den Kunas, wurde wie ein Mensch beerdigt und ihre Seele ging den Fluss hinauf ins Paradies. Kunas, die ein gutes Leben gelebt haben, ganz nach den Regeln der Gemeinschaft lässt Gott schnell ins Paradies kommen, ebenfalls flussaufwärts. Andere wiederum, die schlechte Angewohnheiten aus Panama City mitgebracht haben, gar zu Dieben und Mördern wurden, haben es schwerer, sie erscheinen ihren Angehörigen noch lange im Traum, weinen und klagen und dürfen erst nach langer Prüfung in den Himmel. Auch verbiete ihr Gott, dass Menschen operiert werden oder nach ihrem Tode einer Autopsie unterzogen werden. Sie müssen unversehrt beerdigt werden.

Auf die Klimaerwärmung und die sichtbaren Folgen für Guna Yala angesprochen (es verschwinden mehr Inseln durch Überflutung als neue entstehen können) meint Lisa – ja klar, die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind eine Sache. Aber die Kunas glauben, dass dies die Strafe Gottes sei für ungehöriges Verhalten einzelner Gemeinschaftsmitglieder. Und das Meer steige und sinke sowieso im Jahreszyklus, genauso wie der Pegel der Flüsse. Gott werde schon alles richten.

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Auf dem Rückweg nehmen wir die Abkürzung durch den Wald, Lisa zeigt uns noch ein paar Blumen, ein wunderbarer Ausblick von oben aufs Meer, auf den grünen Regenwald. Und noch einmal kommen wir am Friedhof vorbei. Lisa zeigt uns das Grab von zwei Geschwistern, beide waren Albinos. Diese werden von den Kunas sehr verehrt, Gott habe ihnen besondere Kräfte gegeben. Sie sind schon im Alter von 50 Jahren gestorben. Und nein, fügt sie sogleich hinzu – ohne auf die unvermeidliche Frage zu warten, die wurde wahrscheinlich schon häufiger gestellt – nicht an Hautkrebs. Gott habe es so gewollt.

Lisa spricht bei den Familiengräbern mit ihren Angehörigen, verspricht ihnen, bald wieder vorbei zu kommen. Zu ihrer Mutter hatte sie ein sehr enges Verhältnis, erzählt sie. Nach ihrem Tod erschien sie Lisa im Traum, sprach davon, wie schön es im Paradies sei und sie wünschte, ihre Tochter könne bei ihr sein. Sie habe bereits den Schamanen überzeugt, Lisa eine Krankheit zu schicken. Aber Lisa kann und will noch nicht gehen, sie muss ihre Familie versorgen, kann sie nicht alleine lassen. Von den Einnahmen aus den Touren gibt sie die Hälfte an ihr Dorf ab, den Erlös aus dem Verkauf ihrer Molas kann sie gänzlich behalten.

Zurück auf unseren Booten packt Lisa ihren wasserdichten Eimer mit den Molas aus und wir kaufen einige von ihr. Sie hat Molas mit traditionellen geometrischen Mustern, Heilpflanzen oder Wolken und viele mit Vögeln und Tieren des Urwaldes, Meerestieren, und eine mit Köpfen, die Hüte tragen: „Nuchus“ stellen sie dar. Das sind schön geschnitzte Holzstäbe von denen jeder Kuna, aber auch jedes Haus, welche besitzt. Sie werden von den Medizinmännern, den Schamanen, mit Leben versehen und sollen ihre Besitzer, die Häuser und die Dörfer beschützen. Diese guten Geister können sich frei von Insel zu Insel bewegen und erkunden, wo Gefahren drohen, um davor rechtzeitig zu warnen. Auch kann der Schamane mit dem persönlichen Nuchu sprechen, um bei Kranken herauszufinden, wo die Beschwerden liegen.

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Die Mola-Kollektion

Die vier Stunden, die die Tour dauern sollte, sind lange überschritten, wir sind müde von der Sonne, den vielen Eindrücken und könnten trotzdem noch weiter mit Mola Lisa reden, Fragen hätten wir genug. Aber auch sie will weiter, ein amerikanisches Nachbarboot möchte auch Molas kaufen und abends will sie noch ein paar Stunden an der „nueva coleccione“, an neuen Molas arbeiten.