Muktuk-Maru oder: Einklarieren in Japan

Am letzten Tag der Überfahrt mussten wir noch ordentlich bremsen, fuhren nur mit der Fock und 3 Kn bei achterlichem Wind, denn wir wollten nicht nachts ankommen. In der letzten Nacht auf See, auf den letzten Seemeilen vor Okinawa bekamen wir wenig Schlaf: Fischerboote, die keinen stetig geraden Kurs fuhren und Sportboote wollten alle auf einmal an der Muktuk vorbei und wir hatten Mühe, uns da unter Segeln durch zu wursteln, bis wir doch den Motor anwarfen, die Windsteuerung abbauten, um besser manövrieren zu können. Gut, dass die drei Containerschiffe, die wir auch über AIS auf dem Bildschirm hatten, in einem sicheren Abstand von 3-4 sm an uns vorbei zogen.

Wir konnten schon die ganze Nacht den Lichtschein der Insel am Horizont sehen und am Morgen des 27. Januar erschien bei strahlendem Sonnenschein die dicht bebaute Küstenlinie von Okinawa. Andreas rief „Port Control“, die Hafenaufsicht, per Funk, meldete uns an und bat um Auskunft, wo wir einklarieren sollten. Der freundliche Herr von Port Control nahm unsere Daten auf: Name des Bootes, Länge, Crew, Land usw. und bat um etwas Geduld, da er erst bei den zuständigen Behörden Rücksprache halten musste, ein paar Mal meldete er sich noch, um weitere Informationen von uns einzuholen. Irgendwann kam die Antwort, wir sollten in den Industriehafen von Naha fahren und dort festmachen, die genauen Koordinaten gab er uns durch. Andreas sah in der Karte nach, der Platz war so weit innen, da wären wir mit unseren 3,5 m Tiefgang nicht rein gekommen. Also riefen wir noch einmal Port Control an und baten um einen anderen Liegeplatz mit etwas mehr Tiefe. Sehr gerne, bitte warten, wieder Rücksprache, neue Koordinaten, die passten und der abschließende freundliche Zuruf: „Take care“! Vorsichtig reinfahren!

Am Pier im Industriehafen standen ein paar Autos und eine Gruppe von Menschen, die bereits auf uns warteten und die Leinen annahmen. Zuerst kamen zwei Beamte von der Quarantäne an Bord, mit Mundschutz und Handschuhen, maßen Fieber und fragten nach unserer Gesundheit. Während Andreas die ersten Papiere ausfüllte, begleitete ich einen der Beamten, der sich den Kühlschrank, die Spüle und die Schränke drum herum ansehen wollte. Alles ok., nun könnten wir die gelbe Flagge herunter holen, sagten uns die beiden zum Abschied.

Danach kamen alle anderen Beamten und Beamtinnen an Bord: sage und schreibe 8 Leute standen in der Messe um den Tisch herum und weitere 5-6 saßen an Deck, von der Hafenbehörde, vom Zoll und von der Einwanderungsbehörde, alle sehr freundlich und gar nicht so sehr förmlich, wie wir das von Japan gehört und gelesen hatten. Einige von ihnen sprachen Englisch und übersetzten für die anderen die Fragen, die sie an uns hatten. Mit einer jungen Frau unterhielt ich mich länger, sie erzählte von ihrer Deutschlandreise, u.a. zu den Weihnachtsmärkten in Köln und Nürnberg und zeigte mir ein paar Fotos auf ihrem Handy. Ein anderer Beamter fragte uns interessiert nach den Überfahrten, unseren Stationen der letzten Jahre und dem Leben an Bord.

Drei Beamte gingen durch das Schiff, öffneten alle Fächer und wischten mit dünnen feinen Stoff- oder Papierstreifen die Griffe und Ränder der Schapps ab. Ähnlich wie auf dem Flughafen bei der Kontrolle des Handgepäcks, sollen wohl so verbotene Substanzen ermittelt werden. Obst, Gemüse, Tabak und Spirituosen dagegen interessierte niemanden. Andreas musste noch mehr Papiere ausfüllen, Schiffspapiere vorzeigen, Pässe, das ganze Prozedere dauerte gut zwei Stunden.

Der junge Beamte von der Einwanderungsbehörde bat uns, mit unseren Pässen an Land zu seinem Auto zu kommen. Dort warf er einen kleinen Generator an, um die ganze elektronische Ausrüstung mit Strom zu betreiben: ein Laptop, das verbunden war mit einem Scanner für die Pässe sowie einem Scanner für Fingerabdrücke und einem Fotoapparat für den biometrischen Abgleich. Das ersparte uns den Gang zu seiner Behörde am nächsten Tag!

Seit Mai 2018 gibt es eine große bürokratische Reform, eine Erleichterung in Sachen Papierkrieg: In Japan gibt es offene und geschlossene Häfen, historisch bedingt noch aus der Zeit, als Japan sich für mehr als zwei Jahrhunderte vom Rest der Welt abgekapselt hatte. Ein paar große Industriehäfen sind „open ports“, also offene Häfen, für alle anderen „closed ports“, geschlossene Häfen, musste man – für jeden einzeln! – einen Antrag bei der jeweiligen Präfektur stellen, und das im Voraus, bevor man da rein fahren konnte. Die „closed ports“, die geschlossenen Häfen, gibt es zwar immer noch, aber es reicht ein einmaliger Antrag, den wir per Email schon in Guam gestellt hatten. Innerhalb kürzester Zeit erhielten wir den pauschalen Bescheid, ein Dokument, das uns nun erlaubt, alle geschlossenen Häfen in Japan anzulaufen.

Jetzt fehlte nur noch das Papier, das unsere Muktuk aus einem „boat in transit“ in ein „domestic boat“ umwandeln würde, also aus einem durchreisenden in ein ansässiges Boot. Das erhielten wir zwei Stunden später und seither besitzt die Muktuk den zollrechtlichen Status eines einheimischen Bootes und könnte sich Muktuk-Maru nennen, wenn sie denn wollte. Wir dagegen haben erst einmal ein Visum für drei Monate im Pass, das wir aber als EU-Bürger um weitere drei Monate verlängern dürfen.

Eigentlich wollten wir nur noch um die Ecke, zur nahe gelegenen Ginowan Marina tuckern. Da wir von ihnen keine Antwort auf unsere Anfrage per Email erhalten hatten, zückte einer der netten Beamten von der Hafenbehörde sein Handy und rief dort an. Aber, oh weh! Die Marina war belegt und hatte keinen Steg für uns frei. Ich sah uns schon weiter zum Festland segeln, noch mal ein paar Tage auf See. Aber der nette Beamte dachte kurz nach und meinte, es gäbe noch eine andere Marina, eine ganz neue, etwas weiter weg an der Ostküste von Okinawa und rief dort an, sprach kurz in sein Telefon und reichte es an Andreas weiter. Ja, versicherte ihm der Hafenmeister, es gäbe reichlich Platz und wir seien herzlich willkommen und ja, Tiefe ist auch ok, auf 8m ist der Hafen ausgebaggert.

Wir beschlossen, die Nacht vor Anker zu verbringen, bei einer kleinen, nur etwa 5sm vor Naha gelegenen Ausflugsinsel. Dort war es zwar nicht ganz so geschützt, wie es auf der Karte aussah und es schaukelte, aber das waren wir ja noch von der Überfahrt gewohnt.

Frühmorgens um 7.00h gingen wir Anker auf und segelten die letzten 35 sm nach Yonabaru zu unserer Marina, wo wir bei strömendem Regen am einem Steg fest machten.

Hier ist es schön ruhig und geschützt, der perfekte Ort, um nach zwei längeren anstrengenden Überfahrten anzukommen und erst einmal auszuschlafen. Alle Anlagen sind funkelnagelneu, die Marina ist erst seit zwei Jahren im Betrieb, nur gut die Hälfte der Boxen sind belegt. Der Hafenmeister, ein ganz freundlicher und gütiger älterer Herr und seine jungen Mitarbeiter begrüßten uns herzlich und sind uns seither in so vielen Dingen behilflich. Zur Marina gehört eine Werft mit zwei Traveller-Liften, einer für Boote bis zu 20t, der andere bis zu 60t mit sagenhaft günstigen Preisen zum Rausheben. Beinahe hätten wir uns entschlossen, das verlockende Angebot anzunehmen. Aber die Lieferzeiten für das Antifouling waren doch zu lange und eigentlich wäre es auch noch nicht wirklich nötig, neues drauf zu streichen. Und: wir wollten in Japan nicht nur am Schiff arbeiten und reparieren, hatten wir uns vorgenommen.

Nachtrag: Die Überfahrt

Vor der Ankunft in Japan stand allerdings noch eine Überfahrt von knapp 1300 Seemeilen an. Die Langfrist-Wetterprognose in Guam hatte schon sehr früh ein starkes Tropentief vorhergesagt. Acht Tage bevor es Guam erreichen sollte, segelten wir los, denn wir wollten genügend Abstand von diesem System halten. Wir waren darum auch sehr froh, dass wir die ersten Tage hervorragenden Wind hatten und Etmale von über 140 sm zurücklegen konnten. Das Tief wurde dann erst zum tropischen Sturm und dann zum Taifun hochgestuft, bekam einen Namen (Wutip) und erreichte zwei Tage später Kategorie 4 mit 250 km/h Windgeschwindigkeit. Wir waren ihm aber gut 800 sm voraus und haben weder vom Wind noch vom Seegang etwas mitbekommen.

In dieser Region des Pazifiks gibt es kaum Funkstationen des Winlink Netzwerks, und Wladiwostok konnten wir erst drei Tage vor Okinawa empfangen, so dass wir auf der Überfahrt keine Wetterberichte erhielten. Wir haben deswegen immer wieder Frachtschiffe in unserer Nähe auf UKW angerufen und um Wetterinformationen gebeten, insbesondere natürlich um die Position und vorhergesagte Zugrichtung des Taifuns.

Einmal sahen wir ein großes tonnenförmiges Gebilde im Wasser schwimmen. Der Wind stand günstig, so dass wir ohne Probleme hinfahren und erkennen konnten, dass es sich um einen riesigen Styropor-Fender handelte, den wohl ein Fischboot verloren hatte. Weil wir nicht wollten, dass sich ein guter Kubikmeter Styropor in den Ozean verkrümelt, fischten wir das Ding heraus und nahmen es an Deck. Später schneiden wir uns zwei große Scheiben als Hilfsfender für die Muktuk ab und entsorgen den Rest an Land.

Die Überfahrt führte von 13° nach 26° Nord, daher nahm unterwegs die Wasser- und Lufttemperatur kontinuierlich ab, so dass unsere tägliche Kübeldusche auf dem Fischbrett am Ende schon einen leichten brrrr-Faktor bekam. Insgesamt waren wir aber sehr froh, der drückenden Tropenhitze entkommen zu sein und nachts wieder eine Decke zum Schlafen zu brauchen. In den letzten Tagen waren dann sogar wieder Socken angesagt, die wir seit unserer Ankunft in Papua Neuguinea kurz vor Weihnachten nicht mehr ausgestaut hatten.

Konnichi wa

Schon in meiner Jugend übte Japan eine ungeheure Faszination aus. Alles war spannend: die Teezeremonie, die Architektur, die Keramik, die Gärten, Zen und natürlich das Go-Spiel. Japan zu besuchen stand damals natürlich außer Frage, das war viel zu teuer. Und als Erwachsener hat sich eine Reise nach Japan irgendwie nie ergeben. Aber als klar war, dass uns die Segelreise durch den Pazifik führen wird, stand von vornherein fest: nach Japan müssen wir auf jeden Fall. Auch wenn die klimatische Zeitplanung nicht einfach ist, auch wenn es keine taifun-freien Monate gibt, auch wenn die Segelbedingungen nicht ganz einfach sind – Japan auf eigenem Kiel anlaufen zu können ist eine einmalige Gelegenheit, die wir auf keinen Fall verstreichen lassen wollen.

Und da sind wir nun. Noch nicht auf japanischem Festland, denn da ist es noch winterlich kalt, sondern auf Okinawa, einer der südlich vorgelagerten Inseln, wo wir frühsommerliche Temperaturen genießen und uns jeden Tag darüber freuen, wirklich in Japan zu sein. Und es ist tatsächlich alles aufregend, fremd, überraschend hier. Was wir alles erleben, darüber werden wir in den nächsten Beiträgen ausführlich berichten.

In der Waschmaschine nach Guam

Die Überfahrt beginnt mit ganz vernünftigem Wind, dann aber müssen wir zwei Tage lang motoren, bis wir schließlich den Passat erwischen. Und was für ein Passat! Fünf Tage lang weht es nicht unter 6-7 Bft, bei jeder Regenwolke jagen Böen von 8 Bft über uns hinweg. Wir können keine vernünftigen Segel setzen, denn in den Böen sind Fock und zweifach gerefftes Groß mehr als genug, aber zwischen den Wolken machen wir damit zu wenig Fahrt. Wir haben noch auf keiner Überfahrt so häufig den Schoner gesetzt und geborgen, so oft die Fock gegen die Genua ausgetauscht und wieder zurück. Hier ein paar Impressionen von unserem Tanz über die Wellen:

Bei zweieinhalb bis drei Meter Welle ist es auch unter Deck nicht gerade gemütlich. Wir kommen uns vor wie in einer Waschmaschine, werden hin und her geworfen, kommen nicht zur Ruhe. Urlaubssegeln sieht anders aus, da müssen wir noch einmal in den Reiseprospekt schauen. Als Guam nach zehn Tagen in Sicht kommt, sind wir jedenfalls beide froh, anzukommen. Weil das Tageslicht schon schwindet, gehen wir über Nacht in einer kleinen Bucht vor Anker, bis wir am nächsten Morgen in den Haupthafen hineinfahren, zwischen Korallenblöcken den Anker werfen und die Beamten von Zoll und Einwanderungsbehörde am Yachtclub treffen, um einzuklarieren.

Der Ausblick von unserem Ankerplatz ist recht dramatisch, denn unseren Nachbarn hat es beim letzten Taifun aufs Riff geschoben, dort liegt er jetzt jämmerlich auf der Seite mit einem Loch im Rumpf. Da schauen wir doch sicherheitshalber dreimal nach, ob unser Anker hält!

Neben Proviantieren und kleineren Reparaturen steht noch eine Großaktion an. Während der windigen Tage unserer Überfahrt ist unser Bug oft ins Wasser eingetaucht. Durch die undichte Luke im Ankerkasten und durch das Loch, durch das die Ankerkette läuft, kam viel Wasser ins Vorschiff. Ich habe zwar unterwegs immer wieder den Ankerkasten ausgepumpt, aber doch zu wenig. Die Bilgen im Vorschiff sind voll mit Wasser, und so heißt es mal wieder: alles ausstauen, putzen, mit Süßwasser spülen, Bilgen trockenlegen, ebenfalls mit Süßwasser reinigen, alles wieder einstauen. Arbeitsprogramm für einen ganzen Tag. Aber wer will schon nach Guam kommen, um Urlaub zu machen.


Kavieng, letzte Station in Papua Neuguinea

Drei Tage lang brauchen wir von Nissan Island bis Kavieng. Die letzte Nacht lang ankern wir vor Lihir Island, gehen aber nicht an Land, sondern segeln weiter. Auf Lihir wird Gold abgebaut und dort, wo die Erde aufgewühlt ist, sieht es aus wie eine Wüste, Rauchsäulen steigen vereinzelt auf und neben der großen sandfarbenen Narbe stehen Industrieanlagen.
Der Ort Kavieng auf der großen Insel New Ireland (zeitweilig Neu Mecklenburg) ist unsere letzte Station in Papua Neuguinea, hier werden wir ausklarieren.
Unser Ankerplatz befindet sich etwas weiter weg vom Ort, gut geschützt vor der kleinen vorgelagerten Insel Nusa. Darauf befindet sich das Nusa Island Retreat, eine schöne Anlage mit Bungalows auf Stelzen, einem Restaurant, überwiegend Australier kommen hierher um zu surfen, an den umliegenden Riffen und Stränden bauen sich schöne Wellen auf. Die durchreisenden Segelboote sind hier herzlich willkommen, wir können die Wäsche zum Waschen abgeben, Diesel bunkern, der in 200l Fässern herangefahren und in unseren Tank gepumpt wird. Und das abendliche Buffet ist auch sehr lecker.
Die Besitzer des Resorts haben zur Unterstützung ein junges Paar als Manager eingestellt. Lucy stammt aus Prag und Kurt hat Wurzeln in Deutschland, Australien und Papua Neuguinea. Er heißt nämlich mit Nachnamen Diercke, wie der gleichnamige Schulatlas. Und wirklich, sein Ur-Urgroßvater war eben jener Carl Diercke, der den ersten Schulatlas zusammengestellt und mit dem Westermann Verlag 1878 herausgegeben hat. Carls Sohn führte den Atlas weiter und dessen Sohn wiederum wanderte nach Papua Neuguinea aus, transportierte Güter auf seinem Boot und wurde später Besitzer einer Kokosplantage. Als sein Vater starb, war es offensichtlich nicht möglich, ihn binnen der 7-Jahresfrist zu finden, so dass die Rechte an dem Atlas für ihn verloren gingen. Der junge Kurt Diercke war kürzlich in Deutschland unterwegs, hat die Gedenktafel für seinen Urgroßvater im Ort Kyritz gefunden und auch den Westermann-Verlag besucht, der ihm nun Atlanten für die Schulen in PNG zuschickt. Er gab uns ein Buch mit, das er von Bekannten in Deutschland ausgeliehen hatte, die Erinnerungen von Albert Hahl, Richter und Gouverneur von Neuguinea bis 1914, eine ausgesprochen spannende Lektüre über dieses Zeit.
Wir gönnen uns hier ein paar Tage Ruhe und genießen ein bisschen den Luxus des Resorts, bevor wir uns die nächste lange Seestrecke vornehmen. Einmal noch auf dem großen Stadtmarkt von Kavieng einkaufen, dann geht es weiter!

In Papua Neuguinea trägt „Mann“ Handtasche!

Pinga Police! Oder: Mühsam nährt sich das Ei-Hörnchen

Wir sitzen gemütlich mit der ersten Tasse Tee in der Hand, lesen, werden langsam wach. Ein typischer ruhiger Morgen im Boot, die Hitze des Tages hat sich noch nicht ganz entfaltet. Doch da hören wir schon die ersten Stimmen, Kichern, Ruderblätter plätschern im Wasser, ein Poltern an der Bordwand, und irgendwann ein leises „Hello?“, wenn wir nicht gleich den Kopf rausstecken.
Eigentlich bin ich erst nach der zweiten Tasse Tee ansprechbar, aber hier habe ich einfach keine Wahl. Ich will nicht als unfreundliche Weiße gelten und so gehe ich an Deck und schaue nach, wer da ist. Ein Ausleger-Kanu mit zwei, drei, manchmal sogar fünf Kindern darin, die sofort wieder kichern, sobald ich ihnen auch Hello! und Good Morning! zurufe. Manchmal paddeln sie noch mühsam gegen den Wind an, wenn er mal wieder etwas heftiger weht, oder sie haben es schon geschafft, halten sich an der Bordwand fest und schauen neugierig rein.
Die Kinder hier verhalten sich so ganz anders, als wir es in Deutschland gewohnt sind. Schaut man sie an, oder spricht mit ihnen, fragt nach ihrem Namen, wenden sie sich ganz schnell schüchtern ab, verstecken das Gesicht in den Händen und kichern verlegen oder legen ihren Kopf ins Boot, wie ein Vogel Strauß. Manchmal muss ich meine Fragen wiederholen, bis sich eines von ihnen ein Herz fasst und antwortet. Aber dann fällt die Antwort so leise aus, dass ich wiederum nachfragen muss. Als nächstes gilt es, ihr Anliegen vorzubringen. Wenn sie sich nicht gleich trauen, dann frage ich einfach, was sie mitgebracht haben. Wieder allgemeines Kichern und den Kopf verstecken, sobald eines der Kinder „eggplants“ (Auberginen) ruft, oder Bohnen, Ananas, was auch immer sie in einer Tüte oder einem Körbchen dabei haben.
Nun beginnt der schwierigste Teil der Kommunikation, was kann ich ihnen dafür geben? Reis, Mehl, Stifte, Hefte, Kekse?Ja! Heftiges Nicken. Und bitte ein „Pinga Police“! Erneutes Kichern…
Was ist das? Frage ich ratlos zurück? Was für eine Polizei?
Pinga Police!
Hmm? Was ist das? Könnt ihr das beschreiben?
Endlich zeigt eines der Kinder auf seine lila angemalten Fingernägel und wiederholt noch einmal eindrücklich „Pinga Police!“. Oh, alles klar! Finger polish, Nagellack!
Erleichtertes Kopfnicken auf beiden Seiten der Reling, Nagellack ist es, Nagellack soll es sein! Denn am ersten Tag beim Tauschmarkt, den Chief Patrick organisiert hatte, hatte ich ein Fläschchen lila Nagellack dabei und mitsamt Heften und Stiften einer jungen Frau gegeben. Das hatte sich herum gesprochen und nun war Nagellack der Renner geworden. In den nächsten Tagen wird es dann sehr bunt im Dorf, Erwachsene wie Kinder, Männer und Frauen, Jungs und Mädchen laufen herum mit rot, blau, grün, rosa und lila angemalten Nägeln an Händen wie Füßen.
Manchmal schaffe ich es gerade noch, für unser Müsli die Papaya, Ananas und Bananen zu schnippeln – Früchte haben wir ja inzwischen reichlich! – bevor es wieder „Hello?“ von draußen ertönt. So geht das unter Umständen den ganzen Tag lang, die Treppe rauf und wieder runter, in den Schubladen nach Haargummis, Fischhaken, Wäscheklammern und Stiften kramen, Reis (braun oder weiß?) und Mehl aus den 5 kg Großpackungen abfüllen, Obst und Gemüse an Deck nach Ameisen absuchen, verstauen und vor allem versuchen, den Überblick zu behalten. Jetzt haben wir wirklich genug Süßkartoffeln und Bananen. Bei der sechsten Ananas muss ich leider den Kopf schütteln und auf einen anderen Tag vertrösten. Und Trink-Kokosnüssen haben wir auch erst einmal reichlich, so viele können wir gar nicht trinken, wie sich inzwischen an Deck stapeln.
Aber gerne ein paar Kokosnüsse zum Reiben und Kochen und vielleicht Eier, das wäre fein! Kaum hat sich das herum gesprochen, kommen die nächsten Kinder mit Eiern. Halten eines, zwei, selten auch drei Stück in die Höhe! Die Eier sind klein, eher wie von Zwerghühnern und sicher sehr wertvoll, denn die Hühner laufen alle frei herum, können sogar fliegen und wo sie ihre Eier hin legen, das muss erst noch herausgefunden werden. Auch über Frühlingszwiebeln freue ich mich, und frisch ausgegrabenen Ingwer.
Womit wir zum nächsten schwierigen Punkt kommen: woran bemisst sich der Wert der Tauschsache? Wie erkenne ich, ob ich für zwei Eier genauso viel her geben soll wie für eine Papaya? Was ist der Gegenwert für die Tüte Mischgemüse: zwei Süßkartoffeln, drei grüne lange Bohnen, zwei kleine Auberginen und ein frisch abgebrochener Zweig mit scharfen Chilli-Schoten?
Mir fehlt komplett der Kompass dafür, ich kann nur aufzählen, was ich habe, fragen und raten, in die Gärten schauen, mit den Leuten reden und beobachten, ob die Gesichter zufrieden sind, oder ob sie nach einigem Zögern doch noch etwas drauf haben wollen.
Die Kinder paddeln meistens noch länger ums Boot herum, zeigen sich gegenseitig die Sachen, lutschen die Bonbons oder knabbern schon mal an den Keksen. Sie kichern, lachen und gerne wüsste ich, was sie sich so zurufen.
Nach ein bis zwei Tagen kann ich langsam ihre Gesichter auseinander halten und zu manchen die Namen zuordnen, Samelu, der so fröhlich lacht und vorwitzig ist mit seinen sieben Jahren, Pamela, die inzwischen ihre Schüchternheit abgelegt hat, aber immer noch meistens ganz ernst schaut, dann Anna, Benedicta, Laureen, John, Christopher oder Sammy, der Tänzer und das sind noch nicht alle…
Wenn Erwachsene kommen, haben auch sie oft ein paar Kinder unterschiedlichen Alters dabei, die ganz kleinen können oft gerade mal den Kopf aus dem Kanu stecken und halten sich ordentlich fest, die älteren turnen schon viel mutiger herum. Manche bringen auch was zum Tauschen aus ihren Gärten mit, andere kommen einfach nur zum Plaudern oder fragen nach Medikamenten. Dann unterhalten wir uns über ihre Familien, über den Garten, das Leben auf der Insel, über unsere Reisen, woher wir kommen, wohin wir weiter fahren. Und immer wieder hören wir, „Germans are good people“, Deutsche sind gute Leute.

Nissan Atoll

Von Normanby Island sind wir in einem durch bis zu der äußeren Inselkette im Osten von Papua Neuguinea gesegelt mit Ziel Nissan Atoll oder Nehan Island, wie es in der Sprache der Bewohner heißt.
Es gehört zu der autonomen Region Bougainville, die wiederum wird in diesem Jahr ein selbständiger Staat werden, alles ordentlich unter der Regie der UNO und in Person des früheren irischen Premierministers Bertie Ahern als Vermittler. Früher war das deutsche Kolonie bis 1914, der ganze Nordosten des Festlandes von Papua Neuguinea, die Inseln New Britain und New Ireland (Neu Mecklenburg und Neu Pommern), bis weiter nördlich Palau, die Marshall- und die Marianeninseln (außer Guam) haben sie von den Holländern bzw. Spaniern übernommen. Die Deutschen haben sich hier – anders als in Afrika – gut benommen, hören und lesen wir. Sie hatten eine gut funktionierende Verwaltung aufgebaut, versucht, gemeinsam mit den Missionaren die Stammeskriege zu befrieden und damit den Brauch des Menschenfressens zu unterbinden, haben Schulen und Krankenhäuser gebaut. Sie haben Kokosplantagen angelegt, von denen heute noch viele stehen. Damals konnte man richtig reich werden mit der Produktion von Kopra.
Nur die Grenzziehung hat nicht so recht geklappt. Die Insel Bougainville fühlt sich ethnisch den Salomonen zugehörig und immer als Fremdkörper im Staat Papua Neuguinea. Als dann eine australische Firma Kupfer in den 70er Jahren im großen Stil dort abbaute, und 20% des Staatshaushaltes damit finanziert wurde, aber nichts in Bougainville davon ankam außer den massiven Umweltschäden, gab es Rebellion und zuletzt einen Bürgerkrieg, die Produktion der Kupfermine kam gänzlich zum Stillstand, bis heute.
Als wir in der Früh noch ein paar Meilen vor dem Nissan Atoll liegen und warten, bis wir gutes Licht für die Einfahrt haben, funkt uns ein Boot an, die „Vela“ mit Shirley (USA, Phillipinen) und Franz (Holland) drauf, sie wollten auch da rein. Und es meldet sich auch Andrew, der Australier, der dort mit seiner Familie lebt und inzwischen zwei Segelboote vor Anker hat, mit denen er eine Art Fährdienst zwischen den Inseln betreibt, Leute und Fracht. Andrew gibt uns eine Beschreibung durch, wie und wo wir am besten die enge Passage ins Atoll meistern können.
Wir gehen gleich am Nachmittag noch an Land zum Antrittsbesuch bei Chief Patrick im Dorf gegenüber und lernen auch seine nette Tochter Barbara kennen. Chief Patrick ist eine beeindruckende Person und noch sehr fit noch mit seinen 80 Jahren.


Chief Patrick

Es ist eine Wohltat beim Chief auf dem schönen Platz mit dem Tisch und der Bank zu sitzen, auf einer kleinen Anhöhe am Ufer unter Bäumen, wo ein kühlendes Lüftchen weht, denn im Boot brütet die Hitze bis zu 40 Grad Celsius aus! Die Kinder haben momentan Ferien und gefühlt das ganze Dorf hat sich dort versammelt, um Shirley, Franz und uns zu begrüßen. Der Chief hat ein Gästebuch, in dem sich die Segler eintragen, die da Halt machen. Sechs oder sieben Boote waren im letzten Jahr dort, da ist es ein seltener Zufall, dass gleichzeitig zwei Boote ankommen!


Die Vela mit Besuchern

Am nächsten Morgen pünktlich um 8.00 sind wir wieder am Land zum Tauschmarkt, den Chief Patrick für uns organisiert hat. Es ist eine neue Erfahrung für mich, ein Markt, auf dem die Frauen die Preise der Waren in einer anderen Währung bemessen, in Kaffee, Heften, Reis, Mehl oder Zucker. Wir sind mit einem großen schwarzen Eimer voller Tauschwaren an Land und mit einem vollen Eimer Obst und Gemüse wieder zurück aufs Boot.

Anschließend wollen wir einen Spaziergang zusammen mit Shirley und Franz unternehmen. Wie wir das schon von Vanuatu kennen, gehört es sich nicht, Besucher alleine herumlaufen zu lassen. Als Begleitung werden uns vom Chief zwei Jungs um die 20 bestimmt, aber es kommt noch Sammy mit, ein 15jähriger, der gerne singt und tanzt, Samelu, 7, ein Enkel von Patrick und Keith.


Andreas mit den großen Jungs


Samelu

Keith spricht ein überraschend flüssiges Englisch, er war bis vor kurzem drei Jahre lang mit seinen Eltern in Australien gewesen, ist dort zur Schule gegangen, weil seine Mutter an der Uni „economics“ studiert hat. Sie arbeitet nun in Buka ( der Hauptstadt von Bougainville) im Finanzministerium und Keith verbringt seine Ferien sehr gerne bei seiner Oma auf Nissan. Ich hätte ihn auf 12 geschätzt, aber er wird demnächst erst 10 Jahre alt und ist jetzt schon ein wandelndes Lexikon in Sachen Nissan und seine Legenden und Märchen. Den ganzen Weg zum nächsten Dorf, zur Schule und zurück hat er uns Geschichten erzählt und allerlei über die Insel erklärt. Ein wirklich ganz besonderer Junge, ein genauer Beobachter und wissbegierig, wir haben ihn sehr ins Herz geschlossen.


Keith

Wir kommen an einzelnen Häusern und Gärten vorbei, treffen unterwegs immer wieder Leute, bleiben stehen und unterhalten uns mit ihnen. Gärten werden hier, wie auch auf Normanby Island mitten aus dem Urwald heraus gehauen, eine mühsame Arbeit bei der Familie und Nachbarn mit anpacken müssen. Hier allerdings kann der Garten bis zu drei Jahre lang genutzt werden, bevor der Boden wieder dem Urwald überlassen wird, nicht nur ein Jahr lang, wie in der Milne Bay. Denn der Boden enthält noch viel Phosphat von früheren unbesiedelten Zeiten, die großen Vogelkolonien haben reichlich Guano hinterlassen.


Ein erfrischendes Bad unterwegs

Die Jungs haben uns auf dem Rückweg aus einer der Kokospalmen-Plantagen Trink-Kokosnüsse geholt. Es war eine Schau, wie fix das ging, erst ein Seil aus einer kräftigen Pflanze drehen, das um die Füße gebunden und dann ist einer der beiden Älteren die Palme hoch gekraxelt. Ich war von dem Spaziergang in der Sonne so durstig, ich hätte ein Königreich für eine Kokosnuss gegeben – sie hat so gut wie noch nie geschmeckt. Das weiche Fleisch haben wir heraus gekratzt und gegessen und waren danach satt, wie nach einer richtigen Mahlzeit. Ein Mann, der vorbei kam und sich mit uns unterhielt, sagte, dass es die „German Coconut“, die deutsche Kokosnuss sei, die hier wächst, und die sei viel süßer als die üblichen.

Später erfuhren wir, dass tatsächlich ein Deutscher die Plantagen angelegt hat. Zu der Zeit betrieb Australien noch Sklavenhandel mit den Insulanern, sie wurden regelrecht entführt und verschleppt. Ein verzweifelter Einheimischer schaffte es, sich eine Waffe zu besorgen und konnte fliehen. Zurück auf Nissan und schwer traumatisiert, sieht er den weißen deutschen Siedler und erschießt ihn. Später wurde ihm dann die Waffe von Dorfbewohnern entwendet und er damit erschossen, denn er war tatsächlich eine Gefahr für die Insel geworden. Von Andrew, dem Australier, der eine Frau aus dem Dorf geheiratet hat, sie haben drei hübsche Mädchen, haben wir diese und auch viele andere Geschichten über Nissan und Bougainville gehört. Andrew ist sehr zuversichtlich, dass mit der Unabhängigkeit Bougainvilles alles gut gehen wird, das Referendum sei nur noch eine Formsache, man rechne mit fast 100% Zustimmung. Auch die Zukunft sieht er sehr positiv, es gäbe eine junge gut ausgebildete Generation, die sich in den Dienst des Landes stellen wolle. Auch hier auf Nissan Island gibt es noch eine matrilineare Gesellschaft, allerdings mit Einschränkungen, weil die Deutschen versucht haben, ihre Vorstellungen einzubringen. Was aber geblieben ist, sind die restriktiven Regeln wer wen heiraten darf, um Inzucht zu vermeiden und das ist sehr kompliziert.
Unsere letzte der vier Bord-Batterie geben wir Andrew, er baut im Nu eine Box dafür und bringt sie zur Nachbarinsel, damit die Bewohner dort auch ein Funkradio betreiben und Bescheid geben können, wenn sie Hilfe brauchen.
Nach einer Woche segeln wir weiter nach Kavieng – dieses Mal allerdings ohne eine genaue Wettervorhersage, denn wir haben weder übers Handy noch über Pactor Empfang in dieser abgelegenen Ecke. Hier fehlt es nicht an Diesel für den Generator, hier hat die Firma Digicell den Standort für den Funkmast unglücklich gewählt, es besteht ein Disput darum. Eine der streitenden Parteien hat daher einfach die Solarzellen geklaut und ein paar wichtige Teile zerstört, so dass die ganze Insel mit ihren 7.000 Einwohnern trotz der neuen Technologien ohne Empfang da steht.

Normanby Island – Seva Bay

Auf Normanby Island in der Milne Bay im Osten von Papua Neuguinea haben wir auf der Karte die geschützte Seva Bay entdeckt, wo wir über Sylvester blieben, Andreas hat schon davon geschrieben. Auch der Reiseführer „Lonely Planet“ weiß darüber zu erzählen, dass sich hier ein Gästehaus befände und ein kundiger Führer für Wanderungen namens Fred Francesco.

Das stimmt auch, denn gleich nach dem wir den Anker ins Wasser geworfen hatten, wurden wir von ihm begrüßt. Abends kam er auf ein Bier vorbei und wir konnten uns in aller Ruhe miteinander bekannt machen. Das Gästehaus, eigentlich ein paar Bungalows ganz aus Holz und Palmwedeln, gehören seinem Onkel. Durch die Bäume am Ufer sieht man die Häuser der Großfamilie schimmern, dahinter führt ein schmaler Pfad, gesäumt von schönen Büschen und Blumen zu den Bungalows und gleich dahinter fließt der Fluss, der zum Baden und zum Wäschewaschen sich gut eignet.

Pro Jahr kommen rund 60 Gäste, meist in Gruppen und überwiegend Franzosen und Deutsche. Fred übernimmt dann die Gruppen für Wanderungen in die Berge, zeigt Pflanzen und Tiere und weiß viele Geschichten zu erzählen von heutigen und vor allem von früheren Zeiten, als sich die einzelnen Stämme der Insel bekämpften und der Brauchtum des Menschenfressens noch nicht von den Missionaren unterbunden wurde. Ungetrübt vom Einfluss der christlichen Kirchen und immer noch sehr lebendig ist der Glaube an Magie, an Zauberei auf den Inseln der Milne Bay. So hat z.B. ein besonders eifriger Missionar mal einen Dorfältesten ausgeschimpft, weil er am Sonntag in seinem Garten arbeitete. Dieser war darüber so verärgert, dass er einen Zauber-Fluch in Auftrag gab und bald ging es dem armen Missionar so schlecht, dass er verstarb. Sogar in den überregionalen Tageszeitungen lesen wir auch heute noch die deutliche Ermahnung, dass Zauberei unter Strafe gestellt werde.

Ab und zu kommen auch Biologen vorbei, die nach seltenen endemischen Pflanzen, Fröschen und Schlangen suchen und mit denen Fred dann durch die Gegend läuft. Als dann vor ein paar Jahren in den umliegenden Bergen große Mengen an Nickelvorkommen entdeckt wurden, hatte die ausländische Bergbaufirma, die sich dafür interessierte, wenig Aussicht auf Erfolg bei der Großfamilie, die das Land besitzt. Nicht nur, dass damit der Lebensraum dieser seltenen Pflanzen und Tiere zerstört worden wäre, auch heilige und historischen Stätten hätten ihre Ruhe verloren: u.a. der ehemalige Kampfplatz, wo der Stamm dieses Tales so viele Siege errungen hat oder das Tor, oberhalb des Flusses, durch das die Geister der Verstorbenen gehen müssen. Mit Hilfe einer Anwältin, spezialisiert auf diese Art von Konflikt, konnten sie schließlich die Bestrebungen des Minenkonzerns abschmettern.

Auf den Inseln der Milne Bay sind die Gemeinschaften immer noch matrilinear organisiert, d.h. die Männer heiraten in die Familie der Frauen ein und Grund und Boden bleibt im Besitz der Großfamilie der Frau. Wenn man einen Mann in dieser Ecke fragt, wo er wohnt, oder wo seine Familie ist, bekommt man unter Umständen zwei Richtung gezeigt, einmal, wo er aufgewachsen ist und dann wo er gerade wohnt. Die Großfamilien entscheiden meistens gemeinschaftlich, welches Stück Land für den Garten gerodet wird, dort werden dann die Yamswurzeln angepflanzt, die wichtigste Quelle für Kohlehydrate, dann die verschiedenen Bananensorten, Ananas und sonstiges Gemüse. Selbstversorger sind sie alle hier. Nach einem Jahr wird ein neues Stück Land gerodet, die Erde des aktuellen Gartens muss sich für 7-8 Jahre erholen, bevor sie wieder bepflanzt werden kann.

Auch sonst sorgt man sich gut umeinander, die Schwester von Francescos Frau hat eine 12jährige Tochter und ein 11 Monate altes Baby auf dem Arm. Das Baby ist die Tochter ihres Bruders, seine Frau starb, als die Kleine gerade mal ein halbes Jahr alt war, nun wächst sie bei der Tante auf und wird liebevoll umhegt.

Wir verabredeten eine Wanderung mit Fred den Fluss hoch bis zu einem kleinen Wasserfall mit Schwimmbecken. Mit dem Dinghi fahren wir ein Stück am Ufer entlang und binden es an einem groß angelegten betonierten Anleger fest. Er erscheint etwas überdimensioniert für die Motorboote, die sonst so in der Bucht herum sausen, und tatsächlich wurde er eigens für den Besuch eines hochrangigen Politikers gebaut, der nur ein einziges Mal hierher kam. Hinter dem Anleger aber ist eine große ebene Fläche, die jedes Jahr für das örtliche Goldie-Bird-Festival Ende Oktober genutzt wird, drei Tage lang singen und tanzen hier die Menschen von Normanby Island und den umliegenden Inseln, rund 5.000 Besucher waren beim letzten Fest 2018 dabei, nur Einheimische. Eine großzügig angelegte Arena, daneben eine Besuchertribüne und viele Häuser, in denen die Besucher von Auswärts übernachten und kochen können. Hier befindet sich auch die Grundschule, vor Weihnachten haben die langen Sommerferien begonnen und es ist bis auf ein paar Leute, die die Anlagen in Stand halten, ganz ruhig.

Wenige Meter weiter sehen wir ein riesiges trockenes Bachbett vor uns, voller Geröll und Gestein. Sind da ein paar Steine dabei, die eventuell Nickel enthalten? Andreas und Fred suchen und klopfen, aber ohne Erfolg. Es ist warm und bei der hohen Luftfeuchtigkeit geraten wir sehr schnell ins Schwitzen, aber es tut gut, unterwegs zu sein, sich zu bewegen.

Fred zeigt uns ein paar Pflanzen, die es auch in der Trockenzeit im Flussbett aushalten, die Fleischfressende Pflanze mit ihrem hohen schmalen Trichter und dem Deckel, der zuklappen kann. Früher wurde der Trichter auch schon mal als Trinkbecher verwendet, wenn man einen brauchte auf dem Weg zu den weit entlegeneren Gärten. Endlich hören wir ein Plätschern und endlich kommen ein paar Bäume in Sicht, die uns Schatten spenden. Aus einer bemoosten Wand sprudelt es wie aus dem Wasserhahn, bestes Trinkwasser. Und auf den Steinen daneben hockt eine Tarantel, die wir respektvoll aus der Ferne nur fotografieren.

Der Fluss wird enger, wir müssen ab und zu über Steine springen oder im Wasser waten, um weiter zu kommen. Und oben dann endlich das kühle Wasser im Becken, herrlich! Wir baden, waschen unsere T-Shirts und essen die mitgebrachte Papaya mit Limettensaft drauf geträufelt.


Fred Francesco

Wir sehen allerlei Vögel, hören den singenden Papageien zu, die gerne in den Gärten einfallen und sich vom Obst und Gemüse bedienen und sehen die Bussarde kreisen. Für den berühmtesten Vogel der Insel aber, für Goldie Bird, hätten wir ein paar Stunden früher aufstehen müssen, den kann man wohl nur in den frühen Morgenstunden beobachten.

Abwärts geht es um einiges schneller und das ist auch gut so, denn inzwischen knallt die Mittagssonne gewaltig herunter. Ein schöner Ausflug war das als Ausklang zum alten Jahr 2018!

Wieder online

Nach gut vier Wochen Zwangspause geht es jetzt weiter mit unserem Reisebericht.

Anfang Januar erhielten wir von unserem Webhoster webgo eine lapidare E-Mail:

… wir bedauern sehr Ihnen leider mitteilen zu müssen, dass es seit letzter Nacht zu Problemen in der Erreichbarkeit Ihrer Seite gekommen ist.
Inzwischen konnten wir die Ursache analysieren und mussten leider feststellen, dass es beim vorliegenden Fall bedauerlicherweise zu einem menschlichen Fehler gekommen ist.
Das führte leider dazu das Ihre Daten verloren gegangen sind…

Es gab tatsächlich kein Backup unseres Blogs mehr. Die Texte liegen in einer Datenbank, die wir mittlerweile herunterladen konnten, aber die Bilder waren erst einmal weg und mussten in mühevoller Kleinarbeit auf unseren diversen Festplatten wieder herausgesucht, fürs Internet bearbeitet und den Beiträgen zugeordnet werden. Das haben wir mittlerweile hinbekommen, so dass nun auch die alten Beiträge wieder funktionieren sollten. Vielleicht sind ein paar Bilder jetzt andere geworden, aber das meiste sollte stimmen.

Das Ganze haben wir wieder auf den Server hochgeladen und können nun mit unserem Blog fortfahren.

Auf ein Neues

Inzwischen ist das Jahr 2019 angebrochen, und wir wollen Euch einen kurzen Rückblick auf unsere Erlebnisse seit unserer Rückreise zur Muktuk geben.

Es fing damit an, dass sie uns fast nicht zum Boot gelassen haben. In Singapur, wo wir auf einen Flieger der nationalen Fluglinie Air Niugini umsteigen sollten, fragten sie uns nach unserem Rückflugticket. Unsere Beteuerung, dies sei unser Rückflug, fruchteten wenig: nein, wenn wir mit der von uns geplanten Art des Visums einreisen wollten, benötigen wir ein Rückflugticket, d.h. eines, das uns außer Landes bringt. Dass die Behörden in Papua Neuguinea selbst das anders sehen, interessierte die Leute von der Fluggesellschaft nicht die Bohne. Stundenlange, nervenaufreibende Verhandlungen, alles nutzte nichts. Zu guter Letzt kauften wir irgendein Ticket, das uns aus Papua Neuguinea herausbrachte, das billigste ging nach Cairns in Australien, der Termin war uns ja egal. Netterweise bietet Air Niugini in seinem online Verkauf die Option, das Ticket erst 24 Stunden nach Kauf zu bezahlen. Das haben wir natürlich genutzt, aber diesen Passus nicht mit ausgedruckt, als wir unsere Bordkarten nach Port Moresby dann endlich (in letzter Minute) erhalten haben. Insofern hat der ganze Quatsch uns dann doch nur Nerven, aber kein Geld gekostet. Die Welt ist eben nicht für Probleme der Segler eingerichtet.

In Port Moresby kamen wir dann gegen fünf Uhr morgens an, gönnten uns im Yachtclub erst einmal ein Frühstück und versuchten uns an die aufkommende Hitze zu gewöhnen, immerhin rund 40 Grad mehr als bei unserer Abreise aus München. Unsere Reparaturen gingen hervorragend voran, das Geschenk, das ich mir zu Weihnachten gewünscht hatte, war pünktlich fertig: das neue Vorstag war fertig montiert und wir waren wieder segelfertig. Am ersten Weihnachtsfeiertag hatte Brian uns noch zum „Christmas Lunch“ ins noble Crown Plaza Hotel eingeladen, wo wir nicht nur fürstlich gespeist haben, sondern auch – als Gäste von Brian – noch dem Premierminister die Hand schütteln durften.

Und dann ging es – über drei Monate nachdem wir in den Hafen eingelaufen sind – endlich wieder in die freie See hinaus. Wenig Wind, viele Motorstunden, und nun haben wir Sylvester in einer gut geschützten Ankerbucht auf Normanby Island verbracht. Wir liegen vor einer kleinen Siedlung, und schon bei unserer Ankunft wurden wir von zig Auslegerkanus umringt, die alle die „dim dims“ – so heißen Weiße hier – mit ihrem komischen Gefährt anschauen wollten. Schließlich kommen hier pro Jahr nur ein oder zwei Yachten her, da hat man schon Neuigkeitswert. Seitdem haben wir jeden Tag immer wieder Besuch von Männern, Frauen, Kindern, die irgendetwas zum tauschen bringen. Bananen grün und gelb, Kokosnüsse, Limetten, Papayas, Tomaten, Bohnen, Ananas, Guaven, Orangen, Passionsfrüchte – unsere Messe quillt über vor lauter Obst. Was die Leute hier im Tausch gerne hätten? Reis, Angelhaken, Angelleine, T-Shirts für die Kinder, Hefte und Stifte. Birgit kommt mit dem Kuchen backen gar nicht mehr hinterher, denn mit einem Stückchen Bananenkuchen können wir die Tauschwilligen vertrösten, die als fünftes Boot mit einer Staude Bananen ankommen und denen wir beim besten Willen nichts mehr abnehmen können. Und außerdem verbrauchen wir damit wenigstens ein paar Bananen. Was wir dutzendweise hätten mitbringen können, sind Lesebrillen. Haben wir leider nicht, und so hat der methodistische Missionar Birgits Ersatzbrille bekommen, und viele andere gingen leer aus. Nur so als Idee, wenn ihr mal in die Gegend kommt.

Nach und nach lernen wir die Familien- und Klanstrukturen kennen, treffen die Oberhäupter der Familien, des Dorfes und der Bucht. Francesco, der Chef „unserer“ Siedlung, lädt uns zur hiesigen Sylvesterparty ein. Wir bringen kaltes Bier, frisch gebackenes Brot und Kuchen mit, die Familien steuern Yams, Reis und ein frisch geschlachtetes Schwein bei, und fertig ist unser opulentes Sylvestermahl. Hinter der Handvoll einfacher Bambushütten wirft Francesco am Abend den Generator an, so haben wir Licht und laute Musik aus großen Lautsprecher. Kurz vor Mitternacht wird es dann ganz lustig, denn von irgendwoher kommt eine professionelle Band-Ausstattung zum Vorschein: E-Gitarren, Bass, ein Keyboard, ein Mixer, noch mehr Lautsprecher, Mikrophone… Und dann geht es los mit zeitgenössischer Musik aus Papua Neuguinea. Sehr laut, nicht sehr abwechslungsreich, aber mit großer Hingabe, guter Laune und bis zum Sonnenaufgang wird ein Lied nach dem anderen dargeboten. Land der Gegensätze…

Als spezielle Sylvesterüberraschung hatte am Abend des 31. unsere Bordtoilette die Arbeit eingestellt, so dass wir – natürlich bei 35 Grad und 100% Luftfeuchtigkeit – das ganze Ding zerlegen durften und bis zu den Ellenbogen in der Brühe standen. Die Arbeiten gingen auch am Neujahrstag weiter, aber jetzt funktioniert alles wieder und auch die Bilgen sind ausgespült und wieder sauber. Und immerhin konnten wir nach getaner Kanalarbeit ins Wasser springen, um selbst wieder sauber zu werden. Aber die sprichwörtliche Weisheit, dass man alles, was man am Neujahrstag anfängt, das ganze Jahr hindurch tun wird, möge sich in diesem Fall bitte bitte nicht bewahrheiten.

Wir warten derzeit auf ein gutes Wetterfenster zum weitersegeln. An der Südküste des Festlands zieht ein großes Tiefdruckgebiet durch, das auch hier oben wetterwirksam ist, sobald der Starkwind und die Wellen vorbei sind, wollen wir weiter Richtung New Ireland und Kavieng. Sporadisch haben wir hier Internet und können Wetter bekommen. Ob das Internet gerade geht oder nicht, hängt hier aber nicht wie auf dem Marquesas vom Regen ab, sondern ob der Generator für den Handymast noch genug Diesel hat. Andererseits: wenn es gerade aus Eimern schüttet, will auch keiner hoch und Diesel nachfüllen. Und ohne Diesel kein Internet, so einfach ist das.