Setouchi Inland See – Noshima bis Mitarei

13.-18. April 2019

Nun sind wir in der Seto Inland See und bewegen uns hier in Tagesetappen ostwärts von Insel zu Insel. Wind zum Segeln gibt es nur ganz selten, also tuckern wir die meiste Zeit. Nachts hier unterwegs zu sein ist nicht ratsam. Zwar würde man die Lichter der herumfahrenden Boote sehen, nicht aber die vielen Fischerfähnchen und Bojen, die überall überraschend auftauchen. Auch tagsüber muss immer einer von uns an Deck sein und Ausguck gehen, damit wir nicht aus Versehen ein Netz einfangen oder ein treibendes Fischerboot rammen.

Die erste Insel, die wir ansteuern, ist Noshima. Wir tuckern in den kleinen Hafen rein und finden einen Schwimmsteg, an dem wir anlegen können. Ein Mann werkelt an seinem Motorboot, eine Nacht da zu verbringen, sei wohl ok. Es ist noch früher Nachmittag und auf Mapsme sehen wir, dass es einen Wanderweg zum Leuchtturm gibt, den wir von See aus bewundert hatten. Wir gehen durch den kleinen Ort, am Tempel vorbei und den Berg hoch. Ein Bambuswald mit vielen dicken Stämmen verbreitet eine etwas düstere Atmosphäre, denn die Blätter lassen kaum Licht durch, obwohl sie so fein und zart sind.

Der Ort ist so ruhig, er wirkt fast wie ausgestorben. Hier, wie überall auf den Inseln und im ländlichen Raum Japans, ist das Problem der Überalterung der Gesellschaft schon bemerkbar. Verschärft wird die Situation dadurch, dass die jungen Leute in die Großstädte ziehen, und immer mehr Häuser leer stehen. Die Elternhäuser werden nicht so schnell aufgegeben, viele sind noch gut gepflegt, mindestens einmal pro Jahr kommt jemand zurück und schaut nach, ob alles in Ordnung ist. Aber man sieht auch schon etliche verfallene Häuser von Pflanzen überwuchert. Da, wo noch Leute wohnen, sind die Gärten voller Gemüse, Zwiebeln, Kohl, Salat, Spinat, Tomaten und Bäume mit Orangen bzw. Kumquats.

Noshima hat einen sehr schönen Strand, wo wir einen besonders malerischen goldenen Sonnenuntergang sehen können. Auf dem Weg dorthin kommen wir noch an einem kleinen Friedhof vorbei, wo viele frische Blumen in den Vasen stecken und an der Statue eine lachenden Göttin, die einen Fisch unter dem Arm hält. Sie soll den Fischern viel Glück bringen!

Das Wetter ist überwiegend schön, die Temperaturen steigen langsam. Zwischendurch gibt es auch mal einen ungemütlichen Regentag, da passt es gut, wenn wir gerade vor einem Hotel mit einem großen Onsen liegen, um uns aufzuwärmen, wie zum Beispiel auf der Insel, Yashiro.

Umso mehr wirkt die Sonne am nächsten Tag und wir genießen den Ausblick auf die vielen großen und kleinen Inseln, an denen wir vorbei tuckern.

Auch Kurahashi ist eine ruhige verschlafene Insel mit einem großen Tempel und Schrein, allerdings wird hier am Ufer fleißig gearbeitet, drei Leute sind damit beschäftigt, Wellenbrecher zu gießen.

Am nächsten Tag tuckern wir zur Insel Mitarei, deren Ortsmitte ein Kleinod ist, denn fast alle Häuser sind noch im alten Stil erhalten. Die Stadt war eines der Handelszentren der Inlandsee, strategisch günstig gelegen mit einem geschützten Hafen. Ein Geisha-Haus befand sich hier und starke Shoguns wechselten sich beim Regieren ab.

Die Restaurants und Cafés haben noch alle geschlossen, Mitarei liegt im Dornröschenschlaf, aber bald beginnt die Urlaubssaison und da ist bestimmt viel mehr los. In diesem Ort finden wir so viele schöne Fotomotive, hier ein Auswahl davon.

Ube und seine Hormone

Kurz nach der aufregenden Passage durch die Kanmon Strait suchen wir uns einen Hafen an der Nordküste aus. Ube heißt der Ort, das Hafenbecken ist groß und laut Seekarte tief genug, wir fahren am Nachmittag bei fallender Tide hinein. Bald sehen wir eine Pier, die mit schwarz-gelben Streifen markiert ist. Man hatte uns gesagt, so seien die öffentlich verfügbaren Liegeplätze markiert, also legen wir dort an. Wir benötigen allerdings etwas Hilfe, denn die Kaimauer ist gut zwei Meter über Deck und es gibt keine Leiter. Zwei Männer helfen uns, die Leinen anzunehmen, wir machen fest und ich klettere an Land. Mit Gesten und ein paar Brocken Englisch gibt uns einer der Männer zu verstehen, dass dies hier der Liegeplatz der Schlepper sei und wir nicht über Nach bleiben können. Ich zeige fragend mit der Hand im ganzen Hafen herum: „gibt es einen anderen Liegeplatz?“. Gibt es nicht, aber er zeigt mir auf der Handy-Landkarte einen Hafen weiter östlich. Da könnten wir hin. Er telefoniert kurz und bestätigt dann, dass wir dort eine Nacht bleiben könnten.

Diesen Hafen hatte ich auch schon auf der Seekarte angeschaut und als ungeeignet verworfen. Ein enges, langgestrecktes Hafenbecken mit geringen Tiefen, und laut Satellitenkarte liegen dort nur Jollen und kleine Kabinenkreuzer, maximal 4-5 Meter lang. Ein so großes Boot wie unsere Muktuk soll da reinpassen? Mit großen Zweifeln fahren wir die knapp vier Seemeilen und schauen uns den Hafen an. Den Kiel hoch, so dass wir nur noch 2,5 m Tiefgang haben, tasten wir uns in langsamer Fahrt in das Becken hinein. Wir werden schon erwartet, ein kleines Segelboot kommt uns entgegen, das hat nämlich seinen Liegeplatz für uns geräumt. Leute an Land signalisieren uns ganz zum Ende des Hafenbeckens, dort sollen wir an einem alten Kahn festmachen, der als Schwimmsteg dient und von dem eine klapprige Leiter die Pier hinauf führt. Viele Helfer vom hiesigen Segelclub nehmen unsere Leinen an, reichen uns eine Mooring, legen Extra-Leinen vom Schwimmsteg an Land zur Verstärkung, denn Muktuk ist fast doppelt so lang und wahrscheinlich zwanzigmal so schwer wie unser Steg-Kahn. Der Mann vom ersten Hafen ist auch wieder da, er ist mit dem Auto herübergefahren um sicherzugehen, dass wir gut unterkommen. Gastfreundschaft auf japanische Art!

Nachdem Muktuk sicher versorgt ist, machen wir uns auf, Ube zu erkunden. Einen Supermarkt gibt es direkt gegenüber, einen Onsen eine halbe Stunde entfernt. Auf dem Weg dorthin kommen wir an einem Restaurant vorbei, das ganz interessant aussieht. Dort steht auf jedem Tisch ein Grill, wir klopfen an und fragen, ob wir in etwa einer Stunde zum essen kommen können. „Können Sie Hormone essen?“ fragt uns die Wirtin mit Hilfe unseres Google Übersetzers. Birgit und ich schauen uns an. Hmmm… können wir schon, aber wollen wir? „Das sind die inneren Organe der Kuh“ stellt die Wirtin bzw. Google klar. OK, das ist einfacher. Leber mögen wir sowieso, Kutteln kennen wir ja aus der Toskana – wir sagen zu.

Eine Stunde später, frisch gebadet, ist das Restaurant rappelvoll. Gut, dass wir reserviert haben. Die Wirtin fragt, was wir haben wollen. Das Bier zu bestellen ist einfach, aber fürs Essen gibt es keine Speisekarte, die wir verstehen würden, wir machen per Zeichen klar, das wir einen gemischten Teller mit „Hormonen“ wollen. Der kommt dann auch, aber außer einem Stückchen Leber, einem Stückchen Fleisch und einem Stückchen Zunge erkennen wir keines dieser „inneren Organe“. Es sieht eigentlich auch nicht nach wirklichen Organen aus, eher eine Mischung aus Fett und Bindegewebe, mit eigenartigem Geschmack. Später werden wir diese Sachen auch im Supermarkt finden, aber auch da scheitert unser Taschen-Übersetzer, wir wissen bis heute nicht, was wir da gegessen haben. Wie heißt es so schön: interessanter Geschmack. Aber die Zunge war außerordentlich gut, die bestellen wir noch einmal nach und lernen, dass sie nicht wie alles andere in Sojasauce getunkt wird, sondern in Zitronensaft und mit frischem Pfeffer bestreut. Ziemlich gut.

Als wir am nächsten Morgen ablegen, drückt uns der hilfreiche Herr vom Vortag noch eine Tüte in die Hand, gefüllt mit Lebensmitteln. Man lässt in Japan seine Gäste eben nicht hungern. Und nachdem er erst einmal unsere Leine angenommen hat, waren wir wohl seine Gäste. Er springt in ein kleines Segelboot und fährt uns ein paar Minuten hinterher, um uns noch einmal zuzuwinken, dann dreht er ab und fährt wieder in den Hafen zurück.

Seto Inlandsee

Die drei Hauptinseln Japans umschließen ein Binnenmeer, in das wir am Freitag, den 12. April hineinfahren. Wir gehen am Tag davor kurz vor der Einfahrt vor Anker, um morgens pünktlich die Passage der engen Kanmon Strait beginnen zu können. Diese Passage ist nämlich nicht ohne, was im Wesentlichen zwei Gründe hat.

Zum einen ist die Seto Inlandsee eines der am dichtesten befahrenen Seegebiete der Welt, und die Kanmon Strait eine der dichtest befahrenen Seeschiffahrtsstraßen, d.h. dort gibt es einen Tanker nach dem anderen, fast wie vor dem Panamakanal. Vor der Einfahrt kommen vier Hauptschiffahrtslinien zusammen, und da müssen wir irgendwo durch, ohne die Großschiffahrt zu behindern. Auf dem AIS kann man die Verkehrsdichte gut erkennen. Jedes der grünen oder gelben Dreiecke ist ein Schiff.

Zum anderen schwappt die Tide aus dem Pazifik durch alle Öffnungen der Inlandsee hinein und heraus, und zwar umso stärker, je enger die Öffnung. Und die Kanmon Strait ist ziemlich eng, so dass zu Springzeiten bis zu neun Knoten Gezeitenstrom zu erwarten sind. Große Anzeigen an beiden Enden der Passagen zeigen die aktuelle Strömung und die Veränderung an. Diese Strömungen bremsen und beschleunigen nicht nur die Durchfahrt, sondern bilden auch quersetzende Stromwirbel, die selbst die Großschiffahrt je nach Richtung mal auf die Gegenfahrbahn, mal auf die Felsen am Ufer drücken.

An der kritischen Stelle sollte man als untermotorisiertes Segelboot also ziemlich genau bei Stillwasser (also beim Wechsel von Ebbe zu Flut oder umgekehrt) ankommen. Das ist aber gar nicht so leicht zu planen, denn die Geschwindigkeit bis dahin ändert sich wegen des Stroms ständig. Zudem müssen wir Zeit einplanen, um die Schiffahrtslinien vor dem Eingang zu kreuzen, und wer weiß wie lange wir warten müssen, bis sich eine Lücke im Verkehrt auftut.

Kurz und gut: wir müssen sehr genau planen (auf der Seekarte markiere ich für jede halbe Stunde den geplanten Zielort), Reserve einrechnen und ständig die Geschwindigkeit anpassen, um im Plan zu bleiben.

Es geht aber schließlich alles gut, die Passage erwischen wir minutengenau und haben daher auch keinen allzu großen Stress mit der Strömung. Außer dass in der Mitte der kritischsten Stelle ein paar todesmutige Fischer auf ihren Booten angeln, denn die Stromwirbel ziehen anscheinend die Fische an. Wenn die großen Pötte kommen, machen die Fischer Platz, aber so eine kleine Muktuk muss sehen wo sie bleibt und im Zickzack Ausweichmanöver fahren.

In der Seto Inlandsee werden wir nun sechs Wochen bleiben, uns die vielen kleinen Inseln ansehen, ein großes Kunst-Festival besuchen, das nur alle drei Jahre stattfindet und an einer internationalen Segel-Rally teilnehmen. Uns erwartet sehr wenig Wind (also viel Motorfahrt), viel Schiffsverkehr (also ständiges Ausguckgehen), praktisch kein Seegang (also keine Seekrankheit), kurze Tagesetappen und jede Nacht ein Hafen oder Ankerplatz. Wir haben also erst einmal sechs Wochen Urlaub.

Kurzmeldungen aus Babel

Wir haben ja schon berichtet, wie sehr wir auf die automatischen Übersetzungen des Herrn Google angewiesen sind. Eine gewisse Verständigung ist durchaus möglich, aber die Übersetzungen sind doch immer wieder amüsant bis philosophisch.

Beispiele gefällig? Unsere japanischen Schiffspapiere übersetzt Google-San z.B. so:

  • Name des unbekannten Hafens des Schiffes „MUKTUK“ der Bundesrepublik Deutschland, […] ist in der angemeldeten Form patentiert Daher meldet es sich durch das Leben.

Oder aus diversen Webseiten:

  • Bitte besuchen Sie uns mit leichten Wanderschuhen wie Turnschuhen und leicht zu bewegenden Kleidungsstücken.
  • Eltern werden vor der Einschulung in die Grundschule von einem Zwerg begleitet
  • Warum verbringen Sie nicht den ganzen Tag erfrischend, wenn Sie am Morgen von Feiertagen, die Sie an einem Tag ertrinken möchten, das Felsenbad betreten? Was?
  • Die Wirkung der natürlichen heißen Quelle und der Mottengeruch heilen Ihren Körper und Ihren Geist.
  • Das Mitführen von Zimmern in der Kühlbox ist strengstens verboten!

Rezensionen von Restaurants

  • Sowohl das Gebäude als auch die Oma sind sehr lecker und schöner Ort.
  • Kochen ist auch gut. Alkohol ist auch gut. Wenn es ein Tisch ist, kann ich Yakiniku essen. Allerdings habe ich viel über meine Tante gesprochen, ich mag es nicht sehr.

Aus der Speisekarte (zur Abwechslung mal in Englisch)

  • This special curry is a special curry made of rice specialties made of rice specializing in a special form of rice

Ashiya – Stadt der Teekessel

9. – 10. April 2019

Weiter geht es die Küste Kyushus Richtung Norden. Tagesziel ist der kleine Ort Ashiya, der seit dem 14. Jahrhundert Japans Zentrum für gusseiserne Teekessel war. In diesen Teekesseln wird das Wasser bei der Teezeremonie gekocht, sie haben eine besondere Form und sind mit kunstvoll ausgearbeiteten Reliefs verziert.

Allerdings war es erst einmal eine Herausforderung, dort hinzukommen. Wind und Strom sind gegen uns, wir müssen motoren und es steht eine unangenehme, ruppige See. Wir kommen nur mit 2-3 kn Fahrt voran. Auf einmal ertönt der Bilgenalarm – in der Motorbilge steht jede Menge Wasser. Da muss jemand etwas missverstanden haben: unter Seglern wünscht man sich neben Mast-und Schotbruch bekanntlich eine Handbreit Wasser unterm Kiel, von einer Handbreit Wasser in der Bilge ist keine Rede. Die Ursache ist schnell gefunden: die Wellendichtung dichtet die Propellerwelle nicht mehr genügend ab, wenn der Motor auf seinen Gummilagern durch die Bewegung im Seegang arbeitet. Je schneller wir fahren, desto mehr Wasser dringt ein, aber wenn wir langsamer fahren, kommen wir gar nicht mehr voran. Also Augen zu und durch, die Bilgenpumpe schafft es noch problemlos, die Wassermengen wieder nach draußen zu befördern. Aber alle ein bis zwei Minuten läuft sie für 20-30 Sekunden, das ist schon beunruhigend.

Für das Hafenbecken, in dem wir festmachen wollen, fehlen detaillierte Karten, und so sitzen wir trotz 1 Meter aufgeholtem Kiel und über einem Meter Tide erst einmal auf, kommen aber aus eigener Kraft wieder frei. Das mit der Handbreit Wasser unterm Kiel will heute einfach nicht klappen. Schließlich legen wir an einer alten Pier an, die dick mit Seepocken bewachsen, mit rostigen Eisenbeschlägen versehen und mit vorstehenden Betonelementen versetzt ist. Unsere dicken Styroporfender und Fenderbretter kommen also endlich zum Einsatz.

Die Wellendichtung kann ich zum Glück justieren, so dass sie jetzt wieder dicht ist. Dennoch muss sie bei nächster Gelegenheit ausgetauscht werden, denn das Material verliert über die Jahre seine Elastizität und ist mittlerweile am Limit. Der Austausch ist aber nur möglich, wenn das Schiff aus dem Wasser kommt. Das passende Ersatzteil haben wir schon seit Neuseeland an Bord. Einige Stunden Arbeit haben wir aber jetzt schon, bis die Bilge entwässert, mit Süßwasser gespült und getrocknet ist.

Am nächsten Tag ist das Wetter wieder besser und wir machen uns auf zum Teekesselmuseum. Wunderschön gelegen, bietet das Gelände einen klassischen japanischen Garten mit Teich, Steinen, Bäumen und gleich zwei Hütten für die Teezeremonie. Man kann diese Hütten für Veranstaltungen mieten, zur Zeit ist aber nichts los, so dass wir die große Hütte auch von innen besichtigen können, und auch den Garten haben wir praktisch für uns alleine.

Später werden wir berühmtere Gärten in Kyoto und Okayama besichtigen, dann aber zusammen mit Hunderten von Touristen. Hier dagegen können wir die Ruhe und Harmonie, die dieser Garten ausstrahlt, in vollen Zügen genießen.

Keramik in Karatsu

05.-08. April 2019

Am 4. April verabschieden wir uns von Mogi. Während wir die Südspitze der Halbinsel von Nagasaki umrunden, müssen wir ständig Ausguck gehen, so viel Verkehr ist da und wir sind froh, dass wir es bei Tageslicht tun. Die meisten Schiffe sieht man per AIS auf der Karte, aber es gibt immer mal wieder ein Containerschiff das inkognito fährt und die Fischerboote haben sowieso ganz selten ihr AIS eingeschaltet. Nachts ist immer noch große Aufmerksamkeit angesagt, auch wenn nicht mehr ganz so viele Schiffe unterwegs sind, unser Adrenalinspiegel ist entsprechend hoch, wir schlafen nicht viel.


Brücke bei Hierado

Am nächsten Tag am frühen Nachmittags machen wir die Leinen fest im Yachthafen von Karatsu. Allerdings können wir an dem langen Steg nicht liegen bleiben, denn der gehört der Stadt oder der Präfektur, so genau verstehen wir das nicht. Auch nicht, weshalb wir da nicht bleiben können. Die Marina hat leider nur kurze Stege, da passen wir mit der Muktuk beim besten Willen nicht hin. Die Marina-Leute telefonieren mehrmals vergeblich mit den Behörden, aber da will niemand die Zustimmung geben. Vom Fischereihafen gegenüber haben wir keine genauen Karten, so dass wir lieber das Hochwasser am nächsten Morgen abwarten wollen, um zu verlegen. Wir fragen, ob wir wenigstens die eine Nacht bleiben können. Der etwas Englisch sprechende Angestellte der Marina lächelt und sagt ja, „but I don’t care!“, damit hat er sich der Verantwortung entledigt und ist wieder guter Dinge.

Am nächsten Morgen finden wir im Fischereihafen tatsächlich einen unbenutzt aussehenden Schwimmsteg, wo wir die nächsten Tage liegen bleiben können.

Karatsu ist ein in Japan bekannter Ort für Keramik. Auch hier spricht man davon, dass im 16. Jahrhundert Keramikmeister von der koreanischen Halbinsel hierher kamen und sich hier ansiedelten. Unter dem Begriff Karatsu-Keramik versammeln sich viele verschiedene Formen und Farben, von dunkleren erdigen Tönen, schwarzen Schalen bis zu hellblauen oder hellgrauen Teetassen, Flaschen und Tassen für Saké und blauschwarzen Vasen ist alles zu finden. Das Spektrum ist groß und daher auch so interessant und abwechslungsreich. Mit einem Stadtplan in der Hand, auf dem die Töpfereien und Galerien verzeichnet sind, machen wir uns auf den Weg.

Gleich am Bahnhof befindet sich eine Verkaufsausstellung des Keramikerverbandes, in dem so ziemlich jede Töpferei mit Stücken vertreten ist und wo wir schon einmal einen ersten Eindruck von der Vielfalt bekommen, und auch von der großen Bandbreite der Preise (von umgerechnet 4 Euro bis zu 25.000 Euro!).

Ein paar Straßen weiter weg befindet sich ein historischer Brennofen mit vier Kammern, heute ganz mit Gras überwachsen, er gehörte zur Werkstatt von Nakazato Taroemon, der sich große Verdienste erworben hat, um die Marke Karatsu-Keramik bekannt zu machen und auch, die Kenntnis um traditionelle Techniken, Formen und Farben weiter zu geben. Sein Haus ist zu einer Galerie umfunktioniert worden, es ist ein schönes dunkles Holzhaus in einem traditionellen Garten mit Koi-Karpfen-Teich. Vasen und Schalen des Meisters sind hier ausgestellt, sehr schön anzusehen, jedes Stück für sich ein kleines Vermögen wert.

In der Fußgängerzone dann reiht sich ein Laden, eine Galerie an die andere, die Keramik ausstellen und anbieten. Schon in der ersten können wir uns nicht satt sehen und können auch nicht zwei kleinen Teetassen widerstehen, wir kaufen sie. Sie werden immer als Paar angeboten, in Größe und Muster ein bisschen anders, gleich und doch unterscheidbar. So langsam bekommen wir einen Blick für die einzelnen Formen und Stile, überall finden wir neue schöne Stücke, manche können wir leider nur anschauen und bewundern, denn sie sind einfach unerschwinglich.


Handgewebte Tücher mit ähnlichem Motiv

Mittags setzen wir uns in ein Lokal, in dem es ganz verführerisch nach Gegrilltem riecht. Es gibt Aal, der mit allerlei leckeren Beilagen serviert wird. Dazu wird, wie immer in Japan, Grüntee ausgeschenkt. Hier in wunderhübschen weißen Porzellanschälchen mit blassblauem Rand. Andreas fragt die Bedienung, wo diese denn her sind, aber er versteht uns leider nicht recht. Also versuchen wir es nach dem Mittagessen im großen Laden mit Gebrauchskeramik und Porzellan nebenan und zeigen ein Foto vor. Es ist Porzellan aus Arita, einem Ort nicht weit von Karatsu. Aber genau diese haben sie leider nicht. Etwas später, nachdem der große Ansturm der Gäste vorbei ist, gehen wir nochmal zu dem Lokal. Die Inhaberin spricht etwas Englisch und sagt uns, dass sie diese Teetassen bereits vor längerer Zeit direkt in Arita gekauft habe. Wir fragen vorsichtig an, ob wir ihr vielleicht zwei Tassen abkaufen dürften. Oh nein, das auf keinen Fall! Aber: sie will sie uns schenken, denn die Stücke seien schon so alt und hätten schon so viele Gebrauchsspuren. Und schon sind zwei Tässchen eingepackt! Wir sind überwältigt von ihrer Großzügigkeit und bedanken uns überschwänglich!


(Tags darauf bringen wir ihr ein kleines Dankeschön mit.)

Zum Marketing der Karatsu-Keramik gehört auch, dass viele Cafés und Restaurants Essen und Getränke in der einheimischen Keramik servieren. So auch das Café, wo wir einen starken Espresso aus Keramiktassen trinken, bevor wir am Nachmittag weitere Läden mit Keramik anschauen.

Als wir gegen Abend zum Hafen zurück kommen, steht am Nachbarsteg ein kleiner Tankwagen. Er wartet auf ein Fischerboot, das betankt werden soll. Wir fragen ihn ob er genügend Sprit habe, um auch uns welchen zu geben. Ja, gerne! Nachdem das Fischerboot betankt ist, kommt er auf unseren Steg gefahren und füllt 300 Liter Diesel in unseren Tank. Die einzige Schwierigkeit besteht darin, dass er nicht bar abrechnen kann. Deshalb geht der Sprit auf Kosten des Kontos des Fischerbootes und wir geben ihm das Geld. Alles nicht so einfach, aber mit ein bisschen Englisch und mit Hilfe des Handy-Übersetzers klappt die Kommunikation zur Zufriedenheit aller.

Am nächsten Tag ist Sonntag und viele Läden sind geschlossen, was zunächst sehr zur Schonung unseres Geldbeutels beiträgt. Wir gehen ins örtliche kleine Kunstmuseum, das ein paar sehr schöne Bildrollen ausstellt, natürlich auch Keramik, sowie Bilder des Künstlers Kawamura, der impressionistisch malte. Das Meisterwerk, ein Segelboot in der Abendsonne ist auch eines der schönsten Ausstellungsstücke des Museums. Zu unserer Überraschung entdecken wir einen ganzen Raum voller Bierkrüge – aus Deutschland! Die meisten von ihnen stammen aus dem 19. Jahrhundert. Wir können nur vermuten, dass es sich um einen passionierten Sammler handelt, der um die Wende vom 19. Zum 20. Jahrhundert eine Reise durch Deutschland unternommen hat, denn die Erklärungen sind nur auf Japanisch.

Vom ersten Stock des Museums können wir in den Nachbargarten hinunter schauen und in das kleine ebenerdige Holzhaus, wo die Schiebetüren offen stehen und zwei Frauen an einem Tisch Kaffee trinken. Es sieht so gemütlich aus, dass wir beschließen, dort eine Pause einzulegen.

Der Garten ist schon ein Schmuckstück für sich, eine Komposition aus Kiefern, Blumen und Steinen. Das Café erst – so liebevoll eingerichtet und ganz im Zeichen der Kirschblüte dekoriert. Wir haben das Gefühl, in einem Wohnzimmer bei Freunden zu sitzen. Als wir Grüntee bestellen, stellt uns die Inhaberin viele Tassen auf den Tisch, wir dürfen uns aussuchen, aus welcher wir den Matcha-Tee trinken wollen. Natürlich die mit den angedeuteten Kirschblüten! Wir dürfen auch fotografieren und die junge Inhaberin freut sich sehr, dass wir ihre Einrichtung und ihre Blumenarrangements bewundern.

Zwei Freundinnen von ihr kommen ins Café und nachdem sie ihnen Eiskaffee serviert hat, stellt sie uns einfach so auch zwei Gläser davon auf unseren Tisch. Kalter Kaffee mit Eiswürfeln wird mindestens so gerne und oft getrunken wie heißer. Wir kommen alle miteinander ins Gespräch und wie immer, wenn wir sagen, dass wir aus Deutschland kommen und mit dem Segelboot unterwegs sind, unsere Visitenkarte verschenken, wird vor Begeisterung in die Hände geklatscht. Zum Abschied dürfen wir uns noch aus einer Kiste mit hübschen Stäbchenbänkchen aus Keramik je eines als Geschenk aussuchen. Mal wieder reich beschenkt verabschieden wir uns fröhlich mit wiederholten gegenseitigen Verbeugungen.

Karatsu hat auch eines dieser Schlösser mit den geschwungenen Dächern, die wie eine Burg oben auf einem hohen Berg thront. Nur dass die japanischen Schlösser so viel zierlicher sind als die europäischen und auch so viel anfälliger für Feuer, da sie, außer den Fundamenten fast ganz aus Holz gebaut sind. Das Schloss von Karatsu wurde erstmals 1608 vom damaligen Fürsten gebaut und seither mehrfach renoviert und wieder aufgebaut. Darin gibt es auf mehreren Stockwerken Ausstellungen über die Geschichte der Clans und über das Kunsthandwerk der Region, die Papierherstellung und die Keramik. Wir bewundern u.a. ein paar schöne alte Schwerter, die die Samurai früher getragen haben.

Gerade stehen im Schlossgarten die Kirschbäume in der letzten Blüte und viele Familien und Gruppen von Freunden sind an diesem sonnigen Sonntag unterwegs, um ein letztes Mal in diesem Jahr Sakura zu feiern.

Anschließend schauen wir uns in einigen Galerien noch einmal die Vasen und Tassen an, die uns so gut gefallen haben und zuletzt stehen wir in dem großen Laden bei der Gebrauchskeramik vor den Regalen und suchen uns noch mehr schöne Stücke aus. Mit zwei Rucksäcken voller Keramik kehren wir zum Boot zurück. Nun brauchen wir wirklich einen stabilen Hartschalenkoffer, um alles heil im Flugzeug transportieren zu können.

Onsen

Muktuk hat ja keine Dusche unter Deck. Wir haben im Cockpit eine kleine abnehmbare Fußpumpe, mit der wir auch mal mit angewärmten Wasser duschen können, aber in den letzten fünf Jahren haben wir doch meistens das Bad im Meer oder die Kübeldusche auf dem Fischbrett zur Reinigung benutzt, auch wenn die Temperaturen manchmal etwas Überwindung gekostet haben.

In Japan allerdings sind wir nicht nur zu bekennenden Warmduschern, sondern zu regelmäßigen Onsen-Benutzern geworden. Japan ist ja bekannt für seine Badekultur. Schon zu Zeiten, als in Europa das Baden verpönt war (zweimal im Leben reichte: bei der Taufe und als Totenwäsche) und jeder wusste, dass Eintauchen in heißem Wasser alle möglichen Krankheiten verursacht, war das tägliche Bad für Japaner eine Selbstverständlichkeit.

Öffentliche Bäder – onsen genannt – gibt es daher in fast jeder Ortschaft. Und wir versuchen, alle paar Tage auch eines zu besuchen, denn es ist einfach herrlich, nach einer knappen Stunde sauber, warm und entspannt wieder herauszukommen. Die Etikette ist dabei mittlerweile auch Ausländern bekannt: erst setzt man sich auf ein kleines Schemelchen vor einen Wasserhahn, füllt eine Schüssel mit warmen Wasser und schüttet sie sich über Kopf und Körper. Mit einem Waschlappen seift man sich gründlich ein, überschüttet sich wieder mit Wasser und wiederholt diese Prozedur bis man gründlich sauber ist. Erst dann – blitzsauber und seifenfrei – darf man in die heiße Wanne, die man sich mit allen anderen Badegästen teilt.

Trotz mittlerweile zwei Monate langer Übung können wir mit den Japanern allerdings nicht mithalten. Die Leidenschaft, mit der sie sich einseifen, ist unglaublich. Nicht selten sitzen sie schaumbedeckt auf ihrem Schemel, wenn wir das Bad betreten, und wenn wir nach einer knappen Stunde wieder herausgehen, sitzen sie da immer noch und seifen sich ein. Rasieren kann man sich dabei natürlich auch noch.

Fast immer sind die Bäder nach Männern und Frauen getrennt. Es gibt sie von nobel mit Seeblick bis heruntergekommen mit abblätterndem Putz, von hallenbadähnlichen Großanlagen bis zu kleinen sento, d.h. Becken, die mit drei Gästen schon voll sind. Das kleinste konnten Birgit und ich gemeinsam nutzen, denn wir hatten es für uns alleine. Es lag im Nebengebäude eines Restaurants und war für dort essende Gäste umsonst. Sehr nett.

Das große Problem wird für uns sein, uns die Bäder wieder abzugewöhnen, wenn wir Japan in ein paar Wochen verlassen und uns in Richtung Alaska aufmachen. Kalte Kübeldusche statt heißes Wannenbad? Brrrrrrr. Vor ein paar Tagen haben wir einen „Toys’R’Us“ besucht und dort ein aufblasbares Kinderplanschbecken gekauft, das in der Messe zwischen Niedergang und Tisch gerade so hereinpasst. Wenn dann der Holzofen bullert und wir dort einen Topf Seewasser heiß machen, können wir uns da vielleicht hineinsetzen und uns zumindest onsen-mäßig mit heißem Wasser übergießen. Mal sehen, ob sich das bewährt.

Nagasaki

26. März – 04. April 2019

Obwohl die Stadt mit über vierhunderttausend Einwohnern sich auf ein paar enge Täler und die umliegenden Hügel verteilt, wirkt sie überhaupt nicht beengt und hektisch. Im Gegenteil, in den Bussen wird nicht gedrängelt, die kleinen Trams zuckeln in gemächlichem Tempo dahin und auch dort, wo sich die Touristen zu den Sehenswürdigkeiten einfinden, ist es nicht überfüllt.

Ein bisschen Respekt hatte ich schon vor dem Besuch dieser Stadt – denn bei Nagasaki denkt man sofort unweigerlich an die Atombombe, die hier am Ende des Zweiten Weltkrieges abgeworfen wurde. Würde sie sich sehr von anderen Städten Japans unterscheiden? Aber von all dem menschlichen Leid und den Verwüstungen ist heute nichts mehr zu sehen, fast alles ist wieder aufgebaut worden und die Stadt besitzt eine ähnliche Mischung wie andere japanische Städte, mit alten und neuen Häusern und Tempelanlagen dazwischen. Wie es den Menschen geht, die diese Katastrophe überlebten und Stadt wieder aufbauten und auch den nachfolgenden Generationen, das können wir als kurzfristige Besucher nicht einschätzen.
Nur am „ground zero“, wo in einer Höhe von etwa 500m die Atombombe explodierte, ist eine schwarze Stele als Mahnmal aufgestellt und ein Friedenspark drum herum angelegt worden. Die Kirschbäume haben schon die ersten Blüten geöffnet. Alles wirkt so friedlich und ruhig.
Ein paar Schritte weiter den Berg hoch befindet sich das Atombomben-Museum. Fotos von der Zerstörung, Überreste aus den Trümmern sind ausgestellt, ein Modell der Stadt ist aufgebaut, wo die Explosion und der anschließende Feuersturm in einer Simulation vorgeführt werden. Die umliegenden Berge wirkten zwar dämpfend, die Wucht der Druckwelle kanalisierte sich in den dicht besiedelten Tälern umso mehr. Das Museum dokumentiert aber auch die Geschichte der Atombombe nach 1945 bis heute und ist ein einziges starkes Plädoyer für Abrüstung und die Vernichtung dieser Waffen.

Ein kleines Mädchen aus Hiroshima, das infolge der Strahlen der Atombombe an Leukämie erkrankt war, glaubte fest daran, wenn es 1000 Kraniche falten würde, könnte es wieder gesund werden. Papierkraniche, als Symbol des Friedens, werden inzwischen von Kindern aus Japan und aus der ganzen Welt gefaltet und nach Hiroshima und Nagasaki geschickt.

Nagasaki als Hafenstadt war schon immer traditionell allem Neuen gegenüber offen. Auch während der Edo-Zeit, als sich Japan komplett abschottete, gab es hier eine Handelsstation mit ganz eigenen Regeln, besser bekannt unter dem Namen Dejima. Es ist eine von einheimischen Kaufleuten aufgeschüttete Halbinsel in der Bucht von Nagasaki, wohin die in der Stadt verstreuten Ausländer, die „Nambanjin“, Missionare und Kaufleute zusammengeführt wurden und ab 1641/42 auch die Niederländische Handelsstation angesiedelt wurde, die vorher etwas weiter nordöstlich auf der Insel Hirado lag. Ausländer durften das Stadtgebiet in den Jahrhunderten der Isolation nicht betreten, sie durften sich nur auf dieser kleinen Insel auf recht engem Raum aufhalten. Durch dieses enge Nadelöhr gelangte trotz der vielen Einschränkungen viel von europäischen Gütern und auch Wissen nach Japan und umgekehrt wurde japanisches Kunsthandwerk und mehr nach Europa gebracht. Auch später, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als sich Japan wieder öffnete, war Nagasaki die Stadt, von wo aus junge Männer zum Studium nach Europa aufbrachen.
Die ganze Anlage ist in den letzten Jahrzehnten liebevoll Haus um Haus neu aufgebaut worden, teilweise unter Anwendung traditioneller Materialien und sie ist inzwischen ein Publikumsmagnet nicht nur für ausländische Touristen. Wer mehr darüber wissen möchte, kann sich den Roman von David Mitchell: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet vornehmen, der am Ende des 18. Jahrhundert in Dejima spielt und ein recht gutes Bild der damaligen Zeit zeichnet.

Nagasaki ist auch die Stadt der Tempel. Der größte ist auch zugleich der älteste buddhistische Zen-Tempel der Stadt, Sofuku-ji von den chinesischen Einwanderern 1629 gebaut. Eine große Anlage ist es, mit Hauptgebäude, einem großen Vorplatz, Nebengebäude und Garten, die eine sehr schöne ruhige Atmosphäre ausstrahlt.

Von hier aus reiht sich die Straße hoch ein Tempel an den anderen und dahinter befinden sich große steinerne Friedhöfe. Ein starker Kontrast zu den modernen Wohnblocks in unmittelbarer Nachbarschaft.

Und Nagasaki ist auch eine Stadt der Brücken, über den schmalen Fluss spannen sich viele ganz unterschiedliche Steinbrücken, die schönste davon und auch die am meisten fotografierte ist die sogenannte „Brillenbrücke“.

Unweit davon kommt man zu dem Einkaufsviertel der Stadt – große überdachte Einkaufspassagen und enge Straßen mit Kopfsteinpflaster und vielen kleinen Boutiquen und Restaurants in einstöckigen Häuschen. Es gibt hier so viele schöne Sachen zu entdecken.

Vorher aber, direkt in der Straße am Ufer des Flusses, kommen wir an einem Laden vorbei, der wie ein permanenter Flohmarkt wirkt. Hauptsächlich Keramik stapelt sich übereinander, ein unglaubliches Durcheinander und Chaos herrscht hier und es besteht ständig die Gefahr, die Türme zum wackeln zu bringen, sobald man etwas tiefer nach Sachen sucht. Ein Gang ist so vollgestellt, dass man schon gar nicht mehr durch kann. Der Besitzer hat im hinteren Teil des Ladens eine Küche, sitzt dort auf dem Boden in eine große wattierte Decke gehüllt und lässt sich nicht stören, während er seine Schale mit Sushi isst. Irgendwann müssen wir ihn aber doch fragen, was die Sachen kosten, die uns so gut gefallen und die wir Stück für Stück zusammen tragen. Schwer beladen mit viel Gebrauchskeramik und einer alten Bildrolle geht es an diesem Tag zurück zum Boot. Doch das Samurai-Schwert geht Andreas nicht aus dem Kopf, am nächsten Tag gehen wir noch einmal dorthin und dieses Mal kauft Andreas es auch, muss es allerdings den ganzen Tag über durch die Stadt mit herum tragen und wird oft darauf angesprochen.

Da die Winde immer noch aus Nord blasen, können wir nicht weiter die Küste von Kyushu hoch und nutzen die Zeit für Wäsche waschen, Proviantieren. Und für tägliche Fahrten nach Nagasaki, mit dem Bus ist es so einfach und bequem. Andreas findet einen Go-Club, setzt sich einen Nachmittag lang zu den Herren und spielt sogar eine Partie Go mit einem 3-Dan-Spieler, der ihn, ich zitiere: „komplett vom Brett gefegt hat“.

Die Kirschblüte in dieser Region ist nun auf ihrem Höhepunkt angelangt und wir suchen uns einen Park etwas außerhalb von Nagasaki, in Nagayo, in dem über 1000 Bäume blühen. Dieses Mal sind wir schon mittags da, junge Mütter sind unterwegs, ältere Damen sitzen in Gruppen zusammen, die Firmenfeiern sind für den Abend reserviert. Es ist ein Traum in Weiß und Rosa! Wir können uns immer noch nicht satt sehen an diesem herrlichen Schauspiel.

Nach elf Tagen am Steg wird die Muktuk ungeduldig, und wir auch. Der Wind passt, wir werfen die Leinen los und verabschieden uns von Mogi und Nagasaki, diesen beiden Ortschaften, wo wir uns so wohl gefühlt haben.

Fischereihafen Mogi

26. März – 04. April 2019

Eigentlich wollten wir direkt ins Stadtzentrum von Nagasaki, in die Dejima Marina, aber die Muktuk passt mit ihren 15m Länge einfach nicht an die kleinen Stege.
Also suchten wir auf der Karte und fanden einen Platz im Fischereihafen von Mogi, der besser nicht sein konnte. Wir durften am Steg der Personenfähre fest machen, auf der gegenüberliegenden Seite und während der ganzen 11 Tage, die wir da blieben, fragte man uns weder nach Papieren noch nach Liegegebühren. Im Gegenteil, wir wurden täglich von der Besatzung der Fähre herzlich begrüßt und von den Passagieren und den Hobby-Anglern im Hafen neugierig beobachtet und befragt.

Mogi liegt nur 10km weit weg von Nagasaki und mit dem Bus ist man innerhalb von 15min im Zentrum der großen Stadt. Mogi hat einen typischen dörflichen Charakter und das, was in Reiseführern oft als verborgenen Charme bezeichnet wird. Um den zu entdecken, muss man eine Weile im Ort bleiben.
Ein kleiner Fluss trennt das Dorf in zwei Hälften, vom Tal aus ziehen die Häuser und Straßen den Hügel hoch. Neben der großen Durchfahrtsstraße gibt es viele kleine Sträßchen, wo man teilweise nur zu Fuß durchkommt und beim Vorbeigehen den Bewohnern fast schon in die Küche schauen kann.

Alles Nötige und mehr gibt es in Mogi, mehrere kleine Supermärkte, drei Friseure, sogar eine französische Boulangerie mit leckerem Baguette und anderem süßen und salzigen Hefegebäck, für mittags mehrere kleine Restaurants, für abends nur eines, das aber bietet sehr guten und frischen Fisch in Form von Sushi und Sashimi an. Und ein Onsen, ein öffentliches Bad, das wir alle zwei Tage aufsuchen und fast schon wie Stammgäste behandelt werden.
Die örtliche Spezialität sind kleine Kuchen gefüllt mit einer Art Marmelade aus den Früchten der japanischen Wollmispel. Zu dem Verkaufsladen im Ort kommen die Touristen extra angereist. Die Bäume, auf denen diese Früchte wachsen, tragen Tüten – die Früchte sind so wertvoll, dass sie vor gefräßigen Vögeln geschützt werden müssen.

Eines Tages gehen wir am Hafen entlang und sehen ein paar Säcke mit Holzabfällen in einer Ecke stehen. Unsicher, ob wir sie einfach so mitnehmen können, fragen wir in dem gegenüberliegenden Laden nach. Es ist, was man von außen wie so oft nicht erkennen kann, ein winzig kleines Café, in dem es verführerisch nach frisch geröstetem und gemahlenem Kaffee duftet. Gerade mal zwei Tische passen rein. Wir setzen uns, bestellen einen Kaffee und unterhalten uns mit der Inhaberin und dem Gast am Nachbartisch, der recht passabel Englisch spricht. Sein Name ist Osami Nakamura und er lädt uns ein, am nächsten Tag den örtlichen Tempel zu besuchen, seinen Tempel, wie er meint. Der Tempel bzw. die Gemeinde gibt es seit dem Jahr 1626, aber da er aus Holz ist, muss er immer mal wieder neu gebaut werden – der aktuelle wurde vor gerade mal zwei Jahren eingeweiht. Nun ist das Eingangstor dran, es ist eingerüstet und es wird jeden Tag, auch am Sonntag, emsig daran geschraubt und gesägt. Das frische Holz riecht herrlich nach Zeder und einer anderen, uns leider nicht bekannten Art (die Säcke mit den Abfällen stammen von diesen Bauarbeiten und die nächsten Tage, als es draußen kalt geworden ist, riecht es auch auf der Muktuk genauso würzig).
Es stellt sich heraus, dass Osami-San einer der sieben Vorstände des Geyokutai-Tempels ist und bei der Planung des neuen Gebäudes intensiv mit gearbeitet hat. Vom alten Tempel sind nur noch die Holzskulpturen der Löwen an den Eckpfeilern übrig geblieben und das Bild an der Stirnseite. Alles andere ist modern und neu. Jeder der Räume, ob der große für Versammlungen der Gemeinde oder die kleineren für den Empfang von Gästen wie uns, hat seine eigene schlichte und schöne Ausführung.

Zwei kleine Gärten befinden sich mitten drin, einen davon hat Osami-San selbst gestaltet, die Steine und Pflanzen bilden das Schriftzeichen für „Herz“, erklärt er uns.
Wir werden nach der Führung in einen kleinen Raum gebeten, wo zum Grüntee eingeladen, den wir mit Blick auf den kleinen japanischen Garten trinken.

In den Raum mit dem Altar und den Klangschalen können wir heute nur durch die Scheiben rein schauen, denn es findet gerade eine Gedenkfeier statt zum einjährigen Todestag eines Verwandten.
Später kommt Osami-San zu uns an Bord zum Kaffeetrinken und bringt seinen Freund mit, ein Tierarzt im Ruhestand, der jetzt eine Farm betreibt und als Gastgeschenk aus seinem Garten Orangenmandarinen dabei hat, zusätzlich zu einem riesigen Laib Toastbrot von der französischen Bäckerei! Als er hört, dass wir noch nie frische Bambussprossen probiert haben, saust er noch einmal los, um welche zu holen. Die sind schon gekocht und müssen nur noch kurz angebraten werden, damit sie ihr köstlich nussiges Aroma entfalten.

Ein anderes Mal wartet ein Mann im Auto auf uns, als wir aus der Stadt zurück kommen. Er ist Hobbyfotograf und hat die Muktuk fotografiert, als wir in den Hafen reinfuhren. Er schenkt uns einen Abzug des Fotos im DINA4-Format und zeigt uns noch ein paar schöne Aufnahmen, die er z.B. von Raubvögeln im Flug gemacht hat.
Gleich gegenüber von unserem Fähranleger ist eine Halle in der nicht nur Fahrkarten verkauft werden, sondern auch frischer Fisch und zu Mittag auch Fischsuppe mit Nudeln und Beilagen. Und über die Straße hinweg steht drei Mal pro Woche ein Gemüsehändler mit seinem Wagen. Als ich dort am vorletzten Tag bereits am frühen Vormittag noch einmal einkaufen wollte, war er erst gerade dabei, die Waren auszupacken und Preisschilder zu schreiben. Der Wagen war aber schon umringt mit aufgeregt schwatzenden alten Damen, die schon eifrig Obst und Gemüse in Kartons und Taschen packten. Als ich mir auch einen Karton nahm, zeigte mir eine der Damen, dass es bereits eine Warteschlange gab, eine Reihe von Kartons, zu denen ich auch meinen legen konnte. Für diesen Hinweis war ich sehr dankbar, denn schnell kann man sich mit unbedachtem oder unbeabsichtigtem Vordrängeln als Ausländerin unbeliebt machen.
Es berührt uns sehr, wie freundlich wir doch immer wieder in diesem Land willkommen geheißen und wie zuvorkommend wir behandelt werden!

Blütenzauber

Es war ja schon fast kitschig. Aber nur fast. Die Kirschblüte (japanisch sakura) ist nämlich eine ernste Angelegenheit in Japan. Ab Anfang Januar gibt das staatliche meteorologische Institut erste Hochrechnungen heraus, wann in welchen Regionen mit dem Aufblühen der Kirschbäume zu rechnen ist. Neben der Vorhersage von Tsunamis, Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Taifunen ist die Kirschblütenprognose eine wesentliche Aufgabe des Instituts.

Die Methodik wird ausführlich erläutert. Drei Kennzahlen (Erwachensindex, Wachstumsindex und Erblühungsindex) bilden die Basis für die quantitativen Vorhersagen für „Somei Yoshino“, eine speziell für die Blütenpracht gezüchtete Kirschsorte, die in Japan weit verbreitet ist.
Mit dem Näherrücken der Blütezeit gibt es dann tagesaktuelle Prognosen in Tageszeitungen, im Internet und als App („finde aufgeblühte Kirschbäume in Deiner Nähe“), zugrunde liegen dann offizielle Beobachtungsbäume an 58 Standorten in Japan. Das Voranschreiten der sakura zenzen, der Kirschblütenfront quer durch Japan von Südwest nach Nordost, wird aufmerksam verfolgt.

Und warum das Ganze? Weil hanami, das Feiern und Picknicken unter blühenden Bäumen, eine weit über tausendjährige Tradition in Japan hat. Man packt eine Decke, eine ausreichende Menge an Sake und ggf. etwas zu essen ein, sucht sich einen Park mit blühenden Kirschbäumen aus und feiert.

Und so haben wir das natürlich auch gemacht. Wetter und Timing haben gut zusammengespielt, so dass unsere hanami-Premiere auf Birgits Geburtstag fiel. Wir sind zum Tateyama Park gewandert, der auf einem Hügel mit Blick auf Nagasaki liegt und 700 Kirschbäume in fast schon voller Blütenpracht zu bieten hat. Schon als wir am Nachmittag ankamen, gab es überall kleine Gruppen, meist Familien mit Kindern auf Decken auf dem Rasen. Als es dunkel wurde, beleuchteten Hunderte von rosafarbenen Laternen die blühenden Bäume, die Kindergruppen gingen heim und die Freundes- und Firmenpartys übernahmen das Geschehen. Sake- und Geräuschpegel stiegen an, eine herrlich ausgelassene Atmosphäre.

Neben uns lagerte eine ganz professionelle Gruppe junger Leute, die auf ihrer Decke (die natürlich ganz japanisch nur mit Socken betreten wird, die Schuhe stehen am Rand davor) mehrere Kochstellen errichteten und darauf Reis und Eintopf kochten, mit verführerischen Gerüchen. Auch wir bekamen ein Schälchen Eintopf angeboten und alle lachten, als wir uns bedankten und unser japanisches Wort für „lecker“ anbrachten: oishi desu.

Das Kirschblüten hanami kommt jedenfalls definitiv auf die Liste der Dinge, die wir gerne aus Japan in unser Alltagsleben mitnehmen würden.

Doch irgendwann sind die Kirschen verblüht. Der Somei Yoshino trägt keine nennenswerten Früchte. Die Mischung aus Schönheit und Vergänglichkeit ist typisch für die japanische Ästhetik. Oder wie es Henry, der Hafenmeister aus Yonabaru, beschrieb: „Wenn die Blütenblätter herabrieseln, dann sitzen wir unter dem Kirschbaum, trinken Sake und weinen“.