Anfang – Mitte Juni
Nellies Rest: Diese Bucht kennen wir, hier waren wir schon einmal: acht Jahre und einen Monat ist es her, als wir bei unseren Freunden auf der anderen Muktuk zu Besuch waren und zwei Wochen lang mit ihnen im Prince William Sound von Bucht zu Bucht gefahren sind. Damals, Ende April lag der Schnee immer noch 3-4 m hoch, auch heute noch erinnern sich die Einwohner von Alaska an den Winter von 2012, in dem es so unglaublich viel geschneit hatte. Jetzt, im Jahre 2020 ist alles schon saftig grün und die ersten Blumen blühen. Der Sommer ist kurz aber wegen der langen hellen Tage – Mitte Juni ist es um Mitternacht immer noch hell – wächst alles in einem atemberaubenden Tempo. Eine Beschleunigung, die wir so gar nicht kennen.
Um die Ecke von Nellies Rest befindet der Nelly Juan Gletscher, der sich schon sehr weit zurück gezogen hat. Nur die glatt geschliffenen Felsen zeugen davon, dass hier mal vor langer Zeit Eis- und Geröllmassen entlang gerutscht sind. Mit der Muktuk können wir da nicht rein fahren und mit dem Dinghi scheint es uns viel zu weit. Im ruhigen Wasser vor dem Gletscher legen wir den Krabbenkorb auf etwa 80m Tiefe aus und als wir ihn am nächsten Morgen rausholen ist er voll: 100 Garnelen zählen wir, die Kleinen, die wir wieder zurück ins Wasser werfen nicht mit eingerechnet. Wir legen den Korb eine weitere Nacht aus und wahrscheinlich hätten wir noch einmal so viele Tierchen drin gehabt, wenn sich nicht ein sehr großer Oktopus um den Korb gekümmert hätte. Als wir den Korb hoch holten, hielt er ihn fest umschlungen und ließ erst in letzter Sekunde los, um wieder in der Tiefe zu verschwinden. In seinem gefräßigen Eifer hatte er zwei Löcher ins Netz gerissen, durch das etliche Garnelen entwischen konnten. Wir sind trotzdem begeistert über weitere 50 frische Krabben, die – geschält und mit Knoblauch und etwas Chilli in Olivenöl angebraten – einen ganz feinen süßen Geschmack entwickelten und sich auch für Sushi hervorragend verwenden lassen. Es ist ein Festschmaus, sich an Garnelen einmal so richtig satt essen zu können.
So langsam wollen wir uns nun nach Süden zum Ausgang des Prince William Sound bewegen. Als wir in die Knight Passage einbiegen, liegen da auf einmal zehn, zwanzig und mehr Fischerboote auf Lachsfang, die gesamte Fischereiflotte von Cordova scheint sich hier versammelt zu haben, alles „gill-netter“: sie legen ein Netz aus, das ähnlich wie ein Vorhang im Wasser hängt, oben durch viele kleine Schwimmkörper hoch gehalten wird und dessen Ende mit einer großen roten Boje oder Fender markiert ist. So lassen sich die Boote mit ihren Netzen treiben und hoffen, dass die Lachse sich darin verfangen. Wir mussten höllisch aufpassen, wie wir da im Zickzack durch und vorbei fahren können, ohne in eines der Netze zu geraten. Einer von uns muss immer mit dem Fernglas nach den roten Bojen schauen, die das Ende des Netzes markierten und gleichzeitig raten, zu welchem Boot denn das Netz hinführt, der andere muss am Steuer stehen. Die roten Bojen kann man zwar aus der Ferne ganz gut erkennen, die kleinen weißen Schwimmkörper aber oft erst in letzter Minute sehen und dann müssen wir unter Umständen schnell den Kurs ändern.
Auch am nächsten Tag tuckern wir langsam und vorsichtig um die Fischerboote herum, als eines mit hoher Geschwindigkeit auf uns zu gefahren kommt. Einer der beiden jungen Männer im Boot fragt uns, ob wir denn einen Lachs kaufen wollten. Und so bekommen wir unseren ersten frischen Lachs, in diesem Jahr, einen „red salmon“ ein schönes großes Exemplar.
Ein paar Meilen weiter sollte es laut Revierführer in einer Bucht einen Wasserschlauch geben. Wir ankern dort und sehen hier zwei Netze im Wasser schwimmen, die an einem Ende am Ufer festgemacht sind. Geschützt unter den Bäumen steht eine kleine Hütte, daneben ein Schuppen. Ein Mann und ein kleiner Junge machen sich gerade fertig, um in ihr Boot zu steigen. Sie fahren ihre Netze ab und holen ein paar Lachse heraus, der kleine Junge hilft tatkräftig mit. Dann kommen sie zu uns gefahren, um sich ein bisschen mit uns zu unterhalten. Die Hütte und das Gelände gehört der Familie des Mannes. Sie wohnen in Cordova, sind aber mit den Kindern den ganzen Sommer lang hier draußen wegen der Lachse. Drei Monate dauern die Sommerferien für die Kinder, von Mitte Mai bis Mitte August – und die verbringen sie überwiegend hier draußen, wie so viele andere Kinder auch. Zum Schluss holt der Fischer einen Lachs für uns aus seiner Kühlkiste und will gar nichts dafür haben! Gut, dass ich gerade einen frischen Sandkuchen gebacken hatte: Andreas‘ Lieblingskuchen. Aber er hat nichts dagegen, dass dieser über die Reling wandert im Tausch gegen einen köstlichen Lachs. Diesen Lachs können wir nämlich nicht selbst fangen, denn er geht nicht an die Angel und so freuen wir uns umso mehr darüber. Zwei große Lachse innerhalb weniger Stunden, so viel können wir beide unmöglich aufessen, also wandert ein Teil davon in Gläser und wird eingekocht.
Gibt es einen schöneren Abschied vom Prince William Sound? Ein sonniger Tag, freundliche Menschen, eine fischreiche See!
Am nächsten Tag tut sich ein günstiges Wetterfenster auf – mit moderaten Winden und nicht viel Seegang und so tuckern wir das letzte Stück raus und setzen die Segel, um den Golf von Alaska zu überqueren mit Ziel Südost-Alaska. Die Seebeine sind uns in den letzten Monaten an Land und in den ruhigen Gewässern des Prince William Sound abhanden gekommen und schon die eineinhalb Meter hohe Welle macht mir mächtig zu schaffen, erst am dritten Tag ist es mit der Seekrankheit vorbei. Die Wettervorhersage hält ihre Zusage für guten Wind und sogar während der angesagten Flaute zwischendurch ist immer noch so viel Wind da, dass wir mit 2.5-3 Knoten schaukelnd vorankommen und den Motor nicht anwerfen müssen. Unterwegs sehen wir auf der ganzen Überfahrt vielleicht drei Fischerboote. Und kein einziges Kreuzfahrtschiff – diese bringen normalerweise im Sommer tausende von Touristen nach Alaska zu den schönen Gletschern, nicht aber in diesem Jahr, wegen Corona ist alles anders.
Nach fünf Tagen und vier Nächten auf See halten wir auf einen geschützten Ankerplatz südlich der Icy Strait zu. Südost-Alaska empfängt uns mit einer Gruppe von Orcas, die ganz nahe an uns vorbei ziehen und tief hängenden Wolken mit viel Regen – das typische Wetter hier, das den Regenwald umso üppiger wachsen lässt. Mit dem beruhigenden Rauschen des Wasserfalls nebenan lässt es sich wunderbar einschlafen und wir freuen uns, endlich wieder die Nacht durchschlafen zu können!