Ensenada

Wenn man die letzten Einträge gelesen hat, könnte der Eindruck entstehen, wir würden den ganzen Tag nur Motoren und Pumpen reparieren und kaputte Geräte aus- und neue einbauen.
Aber nein, Ensenada ist ein Ort, wo man es sich auch gut gehen lassen kann. Buchstäblich an jeder Straßenecke steht ein mobiler Imbiss, wo man Tacos und Tortillas „mariscos“ mit Meeresfrüchten essen kann oder große Becher mit Ceviche auslöffeln und ein paar Scheiben Avocado auf Chips dazu bekommt. Das heißt, dass wir mittags meistens nicht kochen, sondern schnell mit den Fahrrädern losfahren und in der Stadt was essen: köstlich und günstig.
Und da die Leute hier alle so freundlich und kontaktfreudig sind, kommen wir meistens mit dem Inhaber des Imbisses oder mit dem einen oder anderen Gast schnell ins Gespräch. Die einzige Hürde dabei ist unser fürchterlich eingerostetes Spanisch.

Auch im Hafen an unserem Steg treffen wir auf viele nette Segler. Zwar ist nicht so viel los, wie vor der Pandemie, viele Boote sind hier geparkt und ihre Besitzer zurück in den USA. Die paar verbliebenen „liveaboards“ (Segler, die auf ihrem Boot leben und dauerhaft im Hafen liegen) kennen sich untereinander ganz gut und wir machen für einige Wochen in dieser Gemeinschaft mit: wir treffen uns auf ein Glas Wein oder helfen einander.

Und dann gibt es noch unsere lautstarken Nachbarn: eine Seelöwenkolonie erobert ab und zu einen freien Steg und unter viel Getöse und Lärm kämpfen sie um den bequemsten Platz in der Sonne. Die Möwen sind nicht weniger laut, ständig auf der Suche nach Essbarem. Sobald eine etwas gefunden hat, kommen aus allen Richtungen weitere Möwen dazu und das Schreien und Quaken geht los.


Wenn sie allerdings so verschränkt im Wasser liegen, schlafen sie und sind ganz still.

Gleich neben unserer Marina ist die Anlegestelle für die Kreuzfahrtschiffe. Zwei von diesen riesigen schwimmenden Städten können gleichzeitig festmachen. Einige der Linien haben bereits wieder ein paar Gäste an Bord. Ein Unternehmen aber nutzt den Aufenthalt hier, um seine Schiffe zu reparieren. Dann sieht und hört man vor allem das ständige Brummen und Hämmern der Arbeiter, die den Rost klopfen, putzen und alles neu streichen.

Nur die kleine schwarze Katze huscht abends lautlos auf dem Steg umher und versucht, durch offene Luken in die Boote zu gelangen, um ein bisschen Essen, das offen herum liegt, zu stibitzen.

Wir befinden uns ganz oben im Norden der mexikanischen Provinz namens „Baja California“ (Niederkalifornien). Eine Halbinsel von über 1.200 km (im Vergleich ungefähr so lang wie Italien) und eine der sichersten Ecken des Landes. Der Ort Ensenada liegt eine gute Stunde südlich von der Grenze der USA entfernt. Direkt an der Grenze befindet sich die Stadt Tijuana, durch diese schreckliche Mauer von San Diego getrennt. Es ist eigentlich ein Metallzaun, durch den man hindurch schauen kann, unüberwindliche Meter hoch. Ohne den Zaun könnte man gar nicht erkenne, wo Tijuana aufhört und wo San Diego anfängt, beide Ortschaften sind so aufeinander zugewachsen.
Während der Prohibition in den USA vor hundert Jahren entwickelte sich Tijuana zu einem beliebten Ausflugsziel, es entstanden Vergnügungsviertel mit Kneipen und Casinos, wo es nachts nicht mehr ganz so sicher war. Und auch heute ist die Stadt eine beliebtes Ziel, vor allem in den „spring breaks“, den Frühlingsferien, kommen viele junge US-Amerikaner hierher, um zu feiern.

Ensenada lebt auch vom Tourismus, momentan geht es aber etwas ruhiger zu. Die Kreuzfahrtschiffe brachten vor der Pandemie ständig Tagestouristen in die Stadt, viele US-Amerikaner kamen mit dem Auto hierher, für sie ist diese Gegend ebenso attraktiv wie für einheimische Reisende.
Wie das vor Corona gewesen sein muss, wenn drei bis viertausend Touristen von zwei Schiffen auf einmal durch die Stadt zogen, kann ich mir nicht recht vorstellen. Aber Ensenada ist gut gerüstet dafür: in drei langen Straßenzügen reihen sich Boutiquen, Andenkenläden, Restaurants und Cafés aneinander. Alle sehr einladend und hübsch eingerichtet. Auch das Umland hat ein paar Sehenswürdigkeiten: an der Küste entlang gibt es immer mal wieder schöne Strände und Hotels, im Hinterland in den Hügeln liegt das Weinbaugebiet Valle Guadeloupe, und im Winter kann man darauf hoffen, Walen auf ihrer Wanderung an der Küste entlang zu begegnen.

Jenseits der Touristenmeile gehört die Stadt den Einheimischen: die Straßen sind in einem quadratischen Raster angelegt: Große Supermärkte neben kleinen Läden, auf der Straße fliegende Händler, dazwischen Handwerksbetriebe und kleine Cafés. Ab und zu ein Restaurant oder ein kleiner Imbiss und überall die vielen fahrbaren Straßenstände, bereiten traditionellere Gerichte zu, die zudem günstiger sind.
Nach und nach haben wir die Stadt erkundet, viele Ecken sind uns vertraut und wir wissen nun, wo es eine gute Auswahl an Schrauben gibt, welcher Fischladen immer frische Krabben bereit hält und welcher Stand die guten reifen Tomaten hat…

 

Zwischendurch eine kleine Oase der Ruhe: der Innenhof eines Cafés:

Velociped

Mit diesem einfachen Trick haben wir unsere Rumpfgeschwindigkeit um mindestens das fünffache gesteigert. Funktioniert allerdings nur an Land, auf See ist nicht genügend Auslauf vorhanden.

Unsere beiden Hightech-Boliden (eines hat sogar Gangschaltung!) haben wir für umgerechnet 45 Euro pro Stück auf dem „Globo Market“ gefunden, einem riesigen Floh-, Gemüse-, Fleisch-, Fisch- und Jahrmarkt, ein paar Fahrradminuten vom Hafen entfernt. Das heißt, einmal mussten wir hinlaufen, das hat dann länger gedauert.

Und da wir die beiden nicht nur als Draht- sondern auch als Lastesel brauchen, musste ich beim einen noch einen Gepäckträger und beim anderen einen Lenkerkorb dazu bauen. Meine erste Gepäckträger-Konstruktion hat allerdings den Härtetest nicht bestanden: als ich auf dem Korb drei Wasserkanister zu je 10 Liter transportieren wollte, brach das Ding nach dem letzten Schlagloch einfach zusammen. Der neue Gepäckträger sollte jetzt besser halten.

Wie lange wir die Räder behalten können, ist noch nicht klar, denn für schwere See haben wir keine Lagermöglichkeit an Deck, und außerdem werden sie das ständige Begießen mit Salzwasser sicher nicht mögen. Und unter Deck haben wir zwar wirklich ausgiebig gesucht, aber den Eingang zum Fahrradkeller finden wir einfach nicht!

Bis San Franzisco sollte es aber hoffentlich gelingen, sie mitzunehmen, und vielleicht gibt es dort auch einen Flohmarkt und dann heißt es: in gute Hände abzugeben…

Eingerostet

Wir waren ja sehr gespannt, wie wir unsere Muktuk wohl nach elf Monaten Abwesenheit vorfinden würden. Noch nie waren wir so lange Zeit vom Boot fortgewesen. Unsere Befürchtungen waren überwiegend grundlos, denn Dank des trockenen und gleichmäßig warmen Klimas in Ensenada hat sich alles gut gehalten, ohne Schimmel und Muffigkeit. So wurde es nach einigem Putzen an und unter Deck und kräftigem Durchlüften schnell wieder wohnlich und wir genießen es sehr, wieder zu Hause zu sein.

Da es aber keinem Schiff guttut, so lange unbewohnt zu sein, gab es natürlich jede Menge Arbeit. Alles Bewegliche wurde elf Monate lang nicht bewegt und sah überhaupt nicht ein, dass dies nun anders werden sollte. Die Relais der Ankerwinsch und des Bugstrahlruders saßen fest, mussten ausgebaut und gängig gemacht werden. Die Dichtungen am Wasserhahn der Küche waren versprödet und leckten, dasselbe galt (leider) auch für die Hauptdichtungen der Toilette, also war Ausbau und Ersetzen angesagt.

Unsere Not-Pinne, die ja gleich zwei Ruderblätter bewegen muss und daher mechanisch stark belastbar ausgelegt ist, konnte uns erfolgreich beweisen, dass auch 12 mm starker Stahl durchrosten kann. Zur Belohnung wird sie jetzt mit verbesserter Rezeptur neu geschweißt.

Selbst unsere Kaffeemühle, die bei uns allerdings nicht artgerecht als Gewürzmühle gehalten wird, verweigerte den Dienst und musste wieder gängig gemacht werden. Soweit die Kleinigkeiten.

An größeren Brocken standen (geplante) Reparaturen am Fäkalientank und der Austausch der Frischwasserpumpe an, und nach unserem Auspuffdebakel vom letzten Jahr, bei dem ja viel Seewasser in den Maschinenraum gelangt war, war unsere große Lichtmaschine komplett korrodiert und festgefressen. Zum Glück ließ sie sich ohne große Gegenwehr ausbauen, aufschrauben, entrosten, putzen und schmieren, so dass sie jetzt wieder läuft und lädt. Die passenden Ersatz-Keilriemen hatten wir zum Glück noch.

Unsere Bord-Batterien hat es übel mitgenommen, nachdem unsere Solarpaneele von den Möwen als Sitz- und vor allem Verdauungsplatz umfunktioniert wurden und derart zugedreckt keinen Strom mehr produzieren konnten (denn, siehe oben: hier regnet es praktisch nicht). Somit waren die Batterien auf etwa halbe Nennspannung abgefallen, was normalerweise ein Todesurteil ist. Dank Landstrom und nach einigen Ladezyklen konnten wir sie aber wieder zum Leben erwecken und kommen wahrscheinlich um einen vorzeitigen Austausch herum.

Solange wir noch in der Marina liegen und den Luxus eines Frischwasserschlauchs genießen, müssen wir uns noch um die Lackierung des Decks kümmern. Hier hatten wir im letzten Jahr auf der Werft ein neues System der Anti-Rutsch-Behandlung ausprobiert. Statt normierten Sand aus der Gießerei auf die gestrichenen Flächen zu streuen, haben wir speziell gemahlenen Walnussschalen in die Farbe gemischt und das Deck damit (einheitlich weiß) gestrichen. Dieses Experiment ist auf ganzer Linie gescheitert, denn im Ergebnis haben wir jetzt ein immer noch rutschiges, sehr ungleichmäßig aussehendes Deck, auf dem durch die Körnung jeder Dreck haften bleibt und den man nun – durch die weiße Farbe – auch hervorragend sieht.

Da müssen wir also noch einmal ran, und werden wieder graue Teilflächen mit spezieller Antirutsch-Farbe malen, die schon bestellt, aber noch nicht bei uns ist. Zur Vorbereitung müssen wir aber alle Flächen, die weiß bleiben sollen, abschleifen und neu weiß lackieren, um die Schmutzfänger, d.h. Körnchen der Walnussschalen, loszuwerden. Die ganze Aktion erinnert fatal an Keynes‘ Vorschlag, zur Ankurbelung der Wirtschaft ein großes Loch graben und wieder zuschütten zu lassen.

The Family That Dared

Ein paar Wochen dauert es noch, bis wir wieder zurück zur Muktuk können. Momentan liegt sie gut bewacht in der Marina in Ensenada, Mexiko. Befreundete Segler schauen immer mal nach ihr und versichern uns, dass soweit alles in Ordnung ist.

Zufällig las ich in diesem Frühling einen Beitrag auf der Webseite der Zeitschrift „Yacht“ über eine Familie aus Deutschland. Ihren Abenteuern zu folgen half uns ein wenig, das Fernweh auszuhalten und die Zeit zu überbrücken. (Hier klicken: Interview in der Yacht)

Die Geschichte handelt von Marie und Joachim Campe, die Mitte der 1970er Jahre beschlossen hatten, ihr Haus im bayerischen Icking zu verkaufen und mit ihren vier Kindern zu den entlegensten Winkeln dieser Erde zu segeln.

Sie gaben ein Segelboot in Auftrag in einer kleinen Werft in Frankreich, in der Nähe von La Rochelle: ein Boot aus Stahl, ein Schoner. Vom Decksaufbau und der Ausstattung erinnert vieles an unsere Muktuk, die ebenfalls in der Gegend nur wenige Jahre später gebaut wurde.
Von La Rochelle legten sie 1977 los, ihr erstes Ziel war Neufundland mit einem Zwischenstopp in Grönland. Nicht die einfachste Route für eine unerfahrene Crew. Sieben Jahre lange  waren sie insgesamt unterwegs, die meiste Zeit abseits der gängigen Segelrouten im Atlantik und im Pazifik.

Joachim Campe vereinbarte mit dem Bayerischen Rundfunk, unterwegs Filme über ihre Segelreise zu drehen. Zwölf Folgen zu je 45 min wurden schließlich 1984 gesendet. Es ist eine beeindruckende Langzeitdokumentation: der Bau des Bootes wird filmisch begleitet, die Eltern und die Kinder überlegen sich, was sie von der Weltreise auf dem Boot erwarten. In den einzelnen Folgen kommen immer wieder die Kinder zu Wort. Sie erzählen, von ihrem ungewöhnlichen Alltag, sie staunen über die unendliche Weite des Meeres, beobachten und zeichnen die exotische Tierwelt der Galapagos Inseln und verbringen Wochen auf abgelegenen Inseln der Südsee, wo sie in die Dorfgemeinschaft aufgenommen werden. Es ist faszinierend zu sehen, wie leichtfüßig sie sich auf dem Boot bewegen und überall mit anpacken, wie neugierig sie an Land alles erkunden und wie unbefangen sie auf fremde Menschen zugehen.

Die Filme wurden unter heute unvorstellbar schwierigen Bedingungen gedreht: Damals gab es noch keine Handys oder wasserfeste Gopro-Kameras mit schier unbegrenztem Speicherplatz: die Kamera war mehrere Kilogramm schwer, die Filmrollen nahmen im Boot viel Platz weg und alles musste vor dem Salzwasser und der Feuchtigkeit geschützt werden. Und statt einer Drohne, die man heute problemlos über den schönsten Ankerplätzen steigen lassen kann, mieteten sie einen Heißluftballon, um in der Wildnis von Südost-Alaksa spektakuläre Aufnahmen machen zu können.

Joachim Campe ist 2019 noch einmal mit seinem Boot los gesegelt und nun gerade in Lombok, Indonesien. Dort traf er auf Vernon, einen passionierten Video-Blogger, der mit Joachims Einverständnis die Filme digitalisiert und mit Untertiteln versehen, nach und nach ins Netz gestellt hat.

Als Einführung spricht Vernon mit Joachim Campe, inzwischen 82 Jahre alt. Joachim erzählt, warum er mit seiner Familie um die Welt segeln wollte, von der Vereinbarung mit dem BR und gewährt einen ersten Einblick in ihren Alltag auf See. Ein paar Filmausschnitte von ihrer Weltreise sind in diesem Beitrag bereits zu sehen, einfach anklicken: Interview mit Joachim Campe

Alle 12 Folgen sind inzwischen auf Youtube abrufbar unter „The Family That Dared“ auf dem Youtube-Kanal „Sailing Lessons“ von Vernon.

2. Folge

3. Folge

4. Folge

5. Folge

6. Folge

7. Folge

8. Folge

9. Folge

10. Folge

11. Folge

12. Folge

Und wie ging es danach weiter? Hier das Interview zum Abschluss der Serie, noch einmal Joachim Campe und Vernon in Indonesien:
Abschluss-Interview

 

Ein Corona Märchen

Es war einmal auf einer langen Seereise. Eines Tages bekommt das Schiff ein Loch im Rumpf, und das Wasser steigt schnell an. Der Kapitän ordnet Dienst an den Pumpen an, aber die Wachführer haben ihre eigenen Ideen. In der einen Wache wird erst gepumpt, wenn der Wasserspiegel 1,50 Meter übersteigt. In der anderen kann nur gepumpt werden, wenn dies nicht andere wichtigen Tätigkeiten wie Lesen, Musikhören und geselligen Austausch beeinträchtigt.

Durch ein zweites Loch im Rumpf steigt das Wasser immer schneller. Es wird beschlossen, erst einmal eine Pause vom Pumpen einzulegen. Schließlich müsse man auch die Bedürfnisse derer berücksichtigen, die keine Lust auf Pumpen haben.

Der Wasserstand übersteigt die Marke von 1,50 Meter. Da die erste Wache aber immer noch nicht pumpen möchte, erklärt sie, die 1,50 Meter müssten nicht vom tiefsten Punkt der Bilge, sondern von den Bodenbrettern aus gemessen werden – man habe also noch jede Menge Zeit, sich das mit dem Pumpen zu überlegen.

Der Großteil der Crew hat Angst zu ertrinken und wundert sich, warum die Schiffsführung so gelassen reagiert. Schwimmwesten gibt es leider keine, denn sie wurden zwar in einer Sammelbestellung für die ganze Crew geordert, werden aber erst am Ende der Reise geliefert.

Alfred allerdings vertritt die Auffassung, der Wassereinbruch sei absichtlich herbeigeführt worden, um die Crew zu versklaven. Außerdem sei Wasser lebensnotwendig und auf See ganz normal. Er lässt sich das nicht gefallen und geht lieber zum Sonnenbaden an Deck.

Keine Pointe.

Plan C

Willst Du die Götter zum Lachen bringen, dann erzähl ihnen von Deinen Plänen.

Dieses schöne russische Sprichwort war selten wahrer als beim Langfahrtsegeln in Covid-19 Zeiten. Als wir im Februar in Cordova ankamen, wollten wir den Frühling in Alaska verbringen, im Sommer nach Kanada und im Herbst in Seattle oder San Franzisko ankommen, um von dort zurück nach Deutschland zu fliegen. Die geschlossene Seegrenze nach Kanada und die Virus-Hotspots an der US-Westküste haben dies unmöglich gemacht.

Die Alternative? Die US-Behörden raten dazu, das Boot hier in Alaska zu lassen und heimzufliegen. Unser Zuhause ist aber die Muktuk, würden wir sie hier in Alaska zurücklassen, könnten wir aus Deutschland erst einmal nicht wieder zurück, denn europäische Touristen dürfen nicht in die USA einreisen. Außerdem ist die Segelsaison nur kurz – vor Mai kämen wir hier nicht wieder weg. Und wenn wir den Schimmel und das von Feuchtigkeit aufgequollene Holz im Boot ansehen, möchten wir Muktuk auch nicht noch einem Winter in Alaska aussetzen.

Plan B also. Der ist, von Alaska nach Hawaii zu segeln, dort ca. zwei Monate zuzubringen und Ende November weiter nach Japan zu fahren. So ist das Hurrikan-Risiko im Ostpazifik begrenzt und die Taifun-Saison im Westpazifik vorbei. Die Heimreise nach Deutschland müssen wir dann dieses Jahr streichen. Einziger Haken: Obwohl wir vier Wochen in internationalen Gewässern unterwegs sind, gilt das nicht als Aus- und Wiedereinreise. Wir bleiben sozusagen in den USA, weil die sogenannte „meaningful departure“, also die ernstgemeinte Ausreise fehlt, und die brauchen wir nach maximal sechs Monaten Aufenthalt. Kanada erlaubt aber den Transit durch ihre Gewässer, und dabei dürfen wir auch notwendige Stopps einlegen, etwa um nachts zu ankern oder um zu tanken. Ein solcher Tankstopp mit Quittung soll uns also als Nachweis dienen, dass wir zwischendurch in Kanada waren. Wir bekommen das Signal, dass die Behörden in Hawaii das wohl anerkennen würden.

Das war der Stand, als wir vor zehn Tagen per Telefon schlechte Nachrichten erhielten: wegen eines Krankheitsfalls in der Familie müssen wir nach Deutschland zurück, Covid-Ansteckungsrisiko hin oder her. Also planen wir kurzfristig nochmal alles um, besorgen nach vier Wochen Wildnis in Ketchikan Proviant und Ersatzteile und segeln morgen von Alaska direkt nach Mexiko, wo wir hoffentlich in gut zwei Wochen ankommen, Muktuk in Ensenada in den Hafen stellen und den nächsten Flieger nach Deutschland nehmen. Dort liegt das Boot sicher und trocken, und zumindest Stand heute ist die Wiedereinreise von Europa aus noch erlaubt. Wir werden sehen… man weiß ja, wie das mit den Plänen so ist.

Port Alexander

01.-03. Juli 2020

Wir umrunden das südliche Kap von Baranof Island und tasten uns zwischen Algenfeldern aus Kelp langsam in die Bucht von Port Alexander hinein. Wir wollen in der Bucht ankern, aber der Anker hält nicht, zu steinig ist der Boden und zu eng der Raum zum Schwingen. Also  legen wir schnell die Leinen und die Fender aus und fahren zum Schwimmsteg des Ortes. Dort liegen ein paar kleinere Motorboote und zwei Fischerboote. Eines davon gehört Terry, einem jungen Mann Anfang 30. Sein Boot ist ungefähr nur halb so lang wie die Muktuk und sieht fast wie ein Spielzeugboot aus, ist aber mit allem ausgestattet, was man braucht, um Lachse zu fangen. Und, das Besondere daran: es wurde gegen Ende des 19. Jahrhundert gebaut, aus Holz. Teile des Rumpfes sind noch original, erzählt er mit einer Mischung aus Staunen und leichter Sorge, wie lange sie wohl noch halten werden.

In der Nacht fängt es an zu blasen, ein Nordwind mit 7er Böen, wir müssen die Leinen verstärken und sind nun sehr froh, dass wir nicht vor Anker liegen. Am nächsten Tag bläst es immer noch ordentlich mit 5-6 Bft, die Wolken sind weg, der Himmel klar und es wird einer der sehr seltenen sonnigen Tage.

Port Alexander ist ein bisschen so, wie man sich Bullerbü in Alaska vorstellt – ruhig, beschaulich und alles da, was man braucht. Ein winziger Laden, eine Post, Schule mit Bibliothek und viele hübsche Häuser mit Blumen drum herum.

Früher war es wohl mal ein größerer Fischereihafen, jetzt wohnen nur noch ein paar Leute hier, von denen wir kaum welche antreffen. Ein Bohlenweg führt an den Häusern vorbei, links und rechts davon wachsen riesige Sträucher mit den ersten reifen Salmonberries.

Wir laufen ein Stück durch den Wald, über sumpfige Wiesen zu einer kleinen Lagune ganz im Inneren der Bucht. Und hier finden wir sogar die ersten Blaubeeren!

An einer Stelle scheint es eine Art Schiffsfriedhof zu geben: etliche Boote liegen da auf dem Trockenen, umgekippt und verrottend. Manche sind schon dicht mit Moos bedeckt und von hohem Gras umwachsen. Ein gutes Fotomotiv aber auch ein Ort zum Stöbern, ob nicht doch noch etwas Brauchbares zu finden ist. An einem Boot hängen noch jede Menge Angelhaken und bunte Metallköder, eine große Drahtrolle. Letztere geben wir später dem jungen Fischer, denn so ein speziell angefertigter Draht ist sehr teuer und er kann ihn bestens gebrauchen.

Auch in Port Alexander herrschen die üblichen Quarantäne-Bestimmungen und wir können Terry nicht zu uns aufs Boot einladen, da wir erst vor ein paar Tagen aus Sitka weg gefahren sind und wir ihn unter Umständen gefährden würden. Also sitzen wir zum Abendessen mit ihm draußen am Steg, wo wir besser Abstand halten können, bei Schweinerippchen mit Kartoffelsalat und genießen die Abendsonne.

Auspuff al pomodoro

Aus gegebenem Anlass heute mal wieder ein technischer Beitrag. Wie auf den meisten Schiffen üblich hat auch Muktuk einen sogenannten „nassen Auspuff“, d.h. Seewasser aus dem Kühlkreislauf wird mit den Auspuffgasen vermischt, kühlt diese stark herab (von 500 Grad auf handwarm) und das Gemisch aus Kühlwasser und Abgasen wird dann über dicke Schläuche und Plastikrohre zum Auspuff geleitet.

Das Ganze funktioniert so lange prima, solange Seewasser angesaugt wird. Verstopft die Ansaugöffnung, wird normalerweise die Seewassermenge weniger, der Motor wird nicht mehr ausreichend gekühlt und es gibt einen akustischen Alarm. Auch eine sehr geringe Menge Seewasser kühlt den Auspuff immer noch herab, so dass man meisten rechtzeitig reagieren kann, wenn der Alarm losgeht.

So war das jedenfalls die letzten sieben Jahre. Hier in Südostalaska passierte uns aber zum ersten Mal eine komplette Verstopfung des Seewasser-Einlasses, so dass schon bevor der Motor heiß wurde und der Kühlwasser-Alarm anschlug, der Auspuff nicht mehr gekühlt wurde. Und das nicht nur einmal, sondern im Abstand weniger Tage gleich zweimal hintereinander, wahrscheinlich wegen der ungeheuren Mengen an Kelp, die hier im Wasser herumschwimmen.

Beim ersten Mal schmolz ein gewinkeltes Plastikrohr durch, das zwei Abschnitte Auspuffschlauch miteinander verbindet. Symptom: schwarzer Qualm aus dem Motorraum, Kühlwasser ergießt sich in die Bilge. Kein Vergnügen. Aber auch kein großes Problem: wir haben offenen Seeraum, können uns treiben lassen, während wir den verstopften Seewasser-Einlass freimachen, das Plastikrohr ausbauen und mit einem Stück Ersatz-Abgasschlauch überbrücken. Weiter geht’s.

Das zweite Mal war etwas problematischer. Diesmal fiel dem heißen Auspuffgas der Wassersammler zum Opfer, ein kompliziertes Plastikteil, das die Aufgabe hat, nach dem Abstellen des Motors das restliche Wasser im Auspuffsystem aufzufangen, damit es nicht in den Motor zurückläuft. Und diesen Wassersammler hat es böse erwischt: ein Anschluss-Stutzen durchgeschmort mit einem großen Loch, der andere zusammengeschmolzen, im Korpus zwei weitere Löcher… das sieht nicht reparabel aus. Ein Ersatzteil haben wir nicht. Und natürlich sind wir zwar in Landnähe, aber fast zweihundert Seemeilen von der nächsten Ortschaft entfernt, in einer großen, im Wesentlichen unbewohnten Bucht.
Glück im Unglück: einen Bewohner gibt es doch. Alan, der sich am Platz einer aufgelassenen Konservenfabrik ein Haus gebaut hat, hatte uns schon am Tag zuvor angefunkt und zu sich eingeladen. Als unser Auspuff den Geist aufgibt, sind wir nicht weit von seinem Haus entfernt. Er sieht uns Fahrt verlieren und anhalten, bietet über Funk seine Hilfe an. Er schleppt uns gekonnt mit seinem stark motorisierten Fischerboot an seinen Anlegesteg. Jetzt haben wir erst einmal Muße, unser Problem anzugehen.

Und besser noch: wir dürfen nach Herzenslust auf seinem Gelände Ersatzteile suchen, mit denen wir ein provisorisches Auspuffsystem zusammenbasteln können. Beladen mit Plastikrohren, Regenrinnen, Plastikmatten und Kunststoffkleber kehren wir an Bord zurück, aber die richtigen Durchmesser für unsere Auspuffschläuche finden wir auch bei ihm nicht. Egal: wir arbeiten mit dem Material, was wir haben. Als am Ende noch ein Verbindungsstück zwischen zwei Schlauchenden benötigt wird, fällt mein Blick auf die leere Tomatendose von der Lasagne des Vortags – schnell noch den Boden abgeschnitten, der Durchmesser sieht gut aus!

Ich kann berichten, dass die Tomatendose das einzig dichte Stück am ganzen System war. Aus den Regenrinnen-Teilen tropfte es fürchterlich (eigentlich logisch!), aber der meiste Qualm zog durch den Auspuff ab. So konnten wir also wieder weiterfahren, allerdings muss die Bilgenpumpe oft laufen, um das heraustropfende Kühlwasser nach außen zu befördern. Wenn wir gut lüften, ist die Abgasbelastung im Schiffsinneren auszuhalten. Notfalls kommen wir damit in den nächsten Ort, wo wir ein Ersatzteil bestellen können.

Im Übrigen war das Treffen mit Alan ausgesprochen nett. Wir durften über Nacht an seinem Steg bleiben, aßen mit ihm zu Abend und hatten lange, spannende Gespräche.

Drei Tage später gelang es mir, den geschmolzenen Wassersammler doch noch zu reparieren: ich sägte das beim ersten Mal geschmolzene Winkelstück auseinander, um zwei neue Stutzen zu gewinnen, sägte die kaputten Stutzen am Wassersammler ab und verschweißte die Teile mit dem Lötkolben in mühsamer und stundenlanger Kleinarbeit. Auch die zwei Löcher im Korpus konnte ich mit Altplastik zuschweißen. Ein Überzug aus Epoxy-Kleber dichtet die restlichen kleinen Löcher ab.

Ich konnte das Provisorium aus Regenrinnen und Tomatendosen also wieder ausbauen und durch einen geflickten Wassersammler ersetzen – wir humpeln wieder auf höherem Niveau! Das Ganze ist halbwegs dicht, die Bilgenpumpe hat wieder frei bekommen. Bis zum nächsten Ort sollte es halten.

Aber auf jeden Fall hat Birgit recht: man sollte immer genug Dosentomaten dabei haben.

Auf dem Weg nach Sitka

21. – 28. Juni 2020

Südostalaska besteht im Wesentlichen aus einem langen schmalen Küstenstreifen, der seiner Form wegen oft als „pan handle“, also Pfannenstiel, bezeichnet wird. Das weite Hinterland gehört schon zu Kanada. Zur See hin befindet sich ein unübersichtliches Labyrinth an Inseln und dazwischen schlängelt sich die „Inside Passage“, die Innenpassage, ein geschützter Seeweg, den u.a die Frachter und die Kreuzfahrtschiffe befahren. Dichte Regenwälder ziehen die steilen Berge hoch mit großen geraden Fichten und undurchdringlichem Unterholz. Aus diesen Wäldern weht ständig ein würziger Geruch übers Wasser, manchmal mit ein paar süßen Noten versetzt, vermutlich von Wildblumen. An manchen Tagen ist der Duft so stark, dass wir versucht sind, ständig tief einzuatmen, um so viel wie möglich davon aufzunehmen – eine Aromatherapie der besonderen Art.

In einigen Buchten sind Überreste alter „canneries“, Fischfabriken, zu finden. Hundert Jahre zuvor brauchte man noch die kurzen Wege vom Fischerboot zur Fischverarbeitung, weil die Kühlmöglichkeiten sehr begrenzt waren. Die Fischfabriken konzentrieren sich heute in Ortschaften mit Fluganbindung und/oder größeren Häfen. Heute bringen die meisten Fischer ihren Fisch zu Transportschiffen, die mit großen Kühlräumen ausgerüstet sind und im Auftrag der Fischfabriken die Küste rauf und runter fahren und den Fisch einsammeln.

Auf dem Weg die Küste entlang nach Sitka ankern wir in einer Bucht wo einst ein Lager für Holzfäller war. Vom Anleger haben Wind und Welle nur noch die Stümpfe hinterlassen. An Land finden wir sehr viel altes rostiges Eisen: bei einigen Teilen können wir nur rätseln, wofür sie gebraucht wurden, andere sind leicht zuzuordnen, wie etwa ein Heizkörper mit einem schönen schnörkeligen Muster. Es wird noch etliche Jahrzehnte mehr benötigen, bevor diese Überreste gänzlich verrotten.

Der Hafenmeister von Sitka hat leider keinen freien Liegeplatz für uns, er empfiehlt uns, eine Lücke am Steg für durchreisende Boote (transient dock) zu suchen. Hätte die Muktuk die Maße eines Smart, hätten wir uns vielleicht noch zwischen die großen Fischerboote zwängen können, aber so ankern wir lieber im Hafenbecken hinter den Wellenbrechern, wo es auch gut geschützt ist. Es ist der erste längere sonnige Tag in Südostalaska und wir machen uns sogleich auf, die Stadt zu erkunden.

Es muss ein besonderes Mikroklima sein, denn die ersten Salmonberries sind schon reif und überall in den Vorgärten und in den Parks der Stadt stehen die schönsten und buntesten Blumenbeete, als ob die Blumen beschlossen hätten, alle gleichzeitig zu blühen.

Sikta wurde von Alexander Baranow im Auftrag der Russisch-Amerikanischen (eine halbstaatliche russische Handelskompanie) gegründet, hieß zunächst Neu-Archangelsk und war ab Mitte des 19. Jahrhunderts auch Sitz des Russisch-Orthodoxen Bischofs. Der Ort aber gehörte zum Siedlungsgebiet der Tlingit (Wikipedia-Artikel), die ihre Stellung 1804 erst nach aufreibenden Kämpfen aufgaben. Die Tlingit gehören zusammen mit dem Stamm der Haida (Wikipedia-Artikel) zu den indigenen Völkern Nordamerikas, und besiedelten bereits vor tausenden von Jahren den Küstenstreifen von Südostalaska und Teile von Britsh Columbia in Kanada.

Erst 1906 wurde die Hauptstadt von Alaska nach Juneau verlegt. Sitka hat heute über 8.000 Einwohner und ist damit eine der größeren Ortschaften des Landes. Der Hafen ist riesig, Fischerboote fahren ständig rein und raus, aber der Rest der Stadt verbringt diesen Sommer in einem Dämmerzustand. Jeder zweite Laden in der Haupteinkaufsstraße hat geschlossen: Andenken- und Kunsthandwerksläden, Galerien, Sportgeschäfte für  Camping- und Angelbedarf, sie alle leiden darunter, dass die Touristen und vor allem die Kreuzfahrtschiffe in diesem Jahr ausbleiben. Wir müssen uns – nach so langer Zeit in der Wildnis – wieder daran gewöhnen, wie man sich in Zeiten von Corona in Ortschaften bewegt. Es ist ein befremdliches Gefühl, dass uns Leute auf dem Gehsteig weiträumig ausweichen. In manche Läden herrscht strenge Maskenpflicht, in anderen wiederum wird höflich darum gebeten, welche zu tragen: „We strongly encourage you“, heißt es da.

In Sitka befindet sich ein Freilichtmuseum für Totempfähle – die ältesten von ihnen wurden bereits vor über hundert Jahren vom damaligen Gouverneur gesammelt und in einem Park und im angrenzenden Waldstück ausgestellt. Beeindruckend große Skulpturen überwiegend mit stilisierten Tierköpfen: Rabe, Bär, Frosch, Adler, Wal, alle sind wichtige Protagonisten in der Mythologie der Ureinwohner. Viele Pfähle erzählen Geschichten, die heute leider nicht mehr so leicht zu entziffern sind oder aber von ihren ursprünglichen Besitzern als ihr Geheimnis betrachtet wurden. Auf alten Fotos kann man ihre ehemaligen Standorte sehen – Häuser, die am Ufer eines Flusses in einer Reihe gebaut wurden und davor jeweils die Totempfähle.

Wir haben Glück, dass eines der Museen von Sitka gerade wieder für Besucher geöffnet hat, mit eingeschränkten Öffnungszeiten und Zugang. Wir melden uns telefonisch an und bekommen einen Termin. Es ist das Jackson Sheldon Museum (hier ein virtueller Rundgang) mit einer der umfangreichsten Sammlungen an Kunst-  und Alltagsgegenständen der indigenen Völker von Kanada und Alaska, in einem schön gestalteten Rundbau.

In dem hohen – und einzigen – Ausstellungsraum ist jeder Platz ausgenutzt für die ausgestellten Objekte: Schlitten, Kajaks und Speere an den Wänden unter der Decke, Gesichtsmasken, festliches Gewand und selbst genähte regendichte Kleidung aus Tierhäuten und Därmen, Körbe und Kochgeschirr, Spielzeug, Angelhaken und Nähzeug in den Vitrinen und vieles mehr noch in Schubladen unter den Vitrinen, die wir als Besucher auch öffnen und die kunstvoll verzierten Alltagsgegenstände bewundern können. Fotografieren ist ausdrücklich erlaubt. Eine eigene Faszination geht von den Objekten aus, so viele schöne Verzierungen und Gravuren noch auf dem kleinsten Gegenstand aus Knochen, Stein oder Holz, so viele schöne Muster. Mehr als zwei Stunden verbringen wir mit den Zeugnissen der Kultur der Tlingit und der Haida aus dieser Gegend, der Eyaks vom Prince William Sound, der Aleuten, der Athabasken vom nördlichsten Teil Alaska u.v.m.

Aus den Därmen der Seerobben wurde wasserdichte Kleidung genäht

Angelhaken für Heilbutt

Nähzubehör

Behälter für Nähnadeln

Amulett

Wir treffen auf einen netten Zollbeamten, der unser „cruising permit“ für die Muktuk verlängert, so dass das Datum mit unserem Visum übereinstimmt. Einen halben Tag lang verbringen wir im Waschsalon und eine größere Einkaufsrunde zu den beiden Supermärkten steht an. Es regnet wieder und wir müssen aufpassen, dass die Kartons, in die wir die Sachen verstaut haben, unterwegs nicht aufweichen und vor allem das Mehl trocken an Bord gelangt.

Nun freuen wir uns auf drei bis vier Wochen in den Buchten – zwei weitere heiße Schwefelquellen haben wir auf unserer Route – und hoffen sehr, dass uns dieser Sommer noch ein paar sonnigere Tage beschert.

Mirror Harbor

Als wir die Bilder sahen, konnte uns nichts mehr halten. Über ein Jahr schon ist es her, dass wir in Japan zum letzten Mal in einem Onsen waren, diesen wunderbaren heißen Bädern.

Südostalaska hat eine ganze Reihe heißer Quellen, an einigen Orten wurden drumherum Holzhütten errichtet, wo man – mitten in der Natur – das heiße, leicht schwefelige Wasser genießen kann. Für uns, deren einzige Dusche an Bord im Cockpit ist, wo es beizeiten in Alaska ganz schön ungemütlich ist, ein ganz besonderer Luxus.

Vom Ankerplatz, wegen seines spiegelglatten Wassers „Mirror Harbor“ genannt, fährt man ein paar Minuten mit dem Dinghy zum Beginn des Bohlenweges, der nach knapp zwei Kilometern das Badehaus erreicht. Der Weg ist übersät mit frischer Losung von Bären, wir sind mit Bärenspray, Gewehr und Trillerpfeifen unterwegs und bekommen zum Glück keinen der in dieser Jahreszeit noch hungrigen Bären zu Gesicht.

Das Badehaus liegt direkt am Strand. Wenn man die großen Schiebetüren öffnet, hat man freien Blick auf die „Bertha Bay“, einen steinübersäten Küstenabschnitt, in den die Dünung des Nordpazifiks ungehindert hineinläuft. Dazu das typische Südostalaska-Wetter: niedrig hängende Wolken, Regen… Wildnis pur. Und mitten darin diese Oase der Wärme und Sauberkeit. Herrlich!

Der Haken an der Sache: die Einfahrt in den Mirror Harbor ist verzwickt, eng und voller Unterwasserhindernisse. Die Seekarte hilft überhaupt nicht weiter, die zeigt einfach nur Steine. Wir haben eine Skizze und eine Beschreibung, entlang derer wir uns in Schleichfahrt hineintasten, aber trotzdem knallen wir an der Schlüsselstelle mit dem Kiel an einen Felsen. Drei Anläufe brauchen wir, bis wir endlich den richtigen Winkel für die Einfahrt heraus haben – unsere Muktuk ist einfach zu groß für diesen Hafen.

Wie kommen wir da nur wieder raus? Nach einer – sagen wir mal: schlafarmen Nacht steht mein Plan fest. Ich gehe erst einmal in den Wald und fälle sechs kleine Tannen. Nicht dass mich Weihnachtsgefühle übermannen würden – nein, ich brauche einfach ein paar möglichst gerade Stecken, und die Tannen (nach Entfernen der Äste) sind das einzig gerade, was hier zu finden ist. Sechs schwere Felsbrocken sind schnell eingesammelt, eine Leine verbindet jeweils den Stein mit dem unteren Ende des Steckens. Die Länge der Leine ist so berechnet, dass bei Hochwasser der Stock senkrecht im Wasser schwimmt, aber noch so weit möglich mit der Spitze herausschaut.

Bei Niedrigwasser mache ich mich mit dem Beiboot auf den Weg und sehe mir die Unterwasserfelsen an. Ich platziere die Markierungen und schaue sechs Stunden später bei Hochwasser, ob alles gut zu erkennen ist. Ich lerne schnell: der Job des Tonnenlegers ist nicht ganz einfach. Dicke Kelp-Bündel verfangen sich in den Leinen, so dass die Stöcke nicht aufschwimmen können. Treibholz in Gestalt ganzer Baumstämme treibt im Tidenstrom durch die Engstelle und nimmt eine meiner Markierungen mit. Manche Stöcke haben nicht genug Auftrieb und brauchen zusätzliche Hilfe durch einen Schwimmkörper. Aber am nächsten Tag ist alles soweit repariert und neu platziert, und die Ausfahrt gelingt ohne Schrammen. Es hilft eben einfach, wenn man weiß wo die Felsen sind.