Keramik in Karatsu

05.-08. April 2019

Am 4. April verabschieden wir uns von Mogi. Während wir die Südspitze der Halbinsel von Nagasaki umrunden, müssen wir ständig Ausguck gehen, so viel Verkehr ist da und wir sind froh, dass wir es bei Tageslicht tun. Die meisten Schiffe sieht man per AIS auf der Karte, aber es gibt immer mal wieder ein Containerschiff das inkognito fährt und die Fischerboote haben sowieso ganz selten ihr AIS eingeschaltet. Nachts ist immer noch große Aufmerksamkeit angesagt, auch wenn nicht mehr ganz so viele Schiffe unterwegs sind, unser Adrenalinspiegel ist entsprechend hoch, wir schlafen nicht viel.


Brücke bei Hierado

Am nächsten Tag am frühen Nachmittags machen wir die Leinen fest im Yachthafen von Karatsu. Allerdings können wir an dem langen Steg nicht liegen bleiben, denn der gehört der Stadt oder der Präfektur, so genau verstehen wir das nicht. Auch nicht, weshalb wir da nicht bleiben können. Die Marina hat leider nur kurze Stege, da passen wir mit der Muktuk beim besten Willen nicht hin. Die Marina-Leute telefonieren mehrmals vergeblich mit den Behörden, aber da will niemand die Zustimmung geben. Vom Fischereihafen gegenüber haben wir keine genauen Karten, so dass wir lieber das Hochwasser am nächsten Morgen abwarten wollen, um zu verlegen. Wir fragen, ob wir wenigstens die eine Nacht bleiben können. Der etwas Englisch sprechende Angestellte der Marina lächelt und sagt ja, „but I don’t care!“, damit hat er sich der Verantwortung entledigt und ist wieder guter Dinge.

Am nächsten Morgen finden wir im Fischereihafen tatsächlich einen unbenutzt aussehenden Schwimmsteg, wo wir die nächsten Tage liegen bleiben können.

Karatsu ist ein in Japan bekannter Ort für Keramik. Auch hier spricht man davon, dass im 16. Jahrhundert Keramikmeister von der koreanischen Halbinsel hierher kamen und sich hier ansiedelten. Unter dem Begriff Karatsu-Keramik versammeln sich viele verschiedene Formen und Farben, von dunkleren erdigen Tönen, schwarzen Schalen bis zu hellblauen oder hellgrauen Teetassen, Flaschen und Tassen für Saké und blauschwarzen Vasen ist alles zu finden. Das Spektrum ist groß und daher auch so interessant und abwechslungsreich. Mit einem Stadtplan in der Hand, auf dem die Töpfereien und Galerien verzeichnet sind, machen wir uns auf den Weg.

Gleich am Bahnhof befindet sich eine Verkaufsausstellung des Keramikerverbandes, in dem so ziemlich jede Töpferei mit Stücken vertreten ist und wo wir schon einmal einen ersten Eindruck von der Vielfalt bekommen, und auch von der großen Bandbreite der Preise (von umgerechnet 4 Euro bis zu 25.000 Euro!).

Ein paar Straßen weiter weg befindet sich ein historischer Brennofen mit vier Kammern, heute ganz mit Gras überwachsen, er gehörte zur Werkstatt von Nakazato Taroemon, der sich große Verdienste erworben hat, um die Marke Karatsu-Keramik bekannt zu machen und auch, die Kenntnis um traditionelle Techniken, Formen und Farben weiter zu geben. Sein Haus ist zu einer Galerie umfunktioniert worden, es ist ein schönes dunkles Holzhaus in einem traditionellen Garten mit Koi-Karpfen-Teich. Vasen und Schalen des Meisters sind hier ausgestellt, sehr schön anzusehen, jedes Stück für sich ein kleines Vermögen wert.

In der Fußgängerzone dann reiht sich ein Laden, eine Galerie an die andere, die Keramik ausstellen und anbieten. Schon in der ersten können wir uns nicht satt sehen und können auch nicht zwei kleinen Teetassen widerstehen, wir kaufen sie. Sie werden immer als Paar angeboten, in Größe und Muster ein bisschen anders, gleich und doch unterscheidbar. So langsam bekommen wir einen Blick für die einzelnen Formen und Stile, überall finden wir neue schöne Stücke, manche können wir leider nur anschauen und bewundern, denn sie sind einfach unerschwinglich.


Handgewebte Tücher mit ähnlichem Motiv

Mittags setzen wir uns in ein Lokal, in dem es ganz verführerisch nach Gegrilltem riecht. Es gibt Aal, der mit allerlei leckeren Beilagen serviert wird. Dazu wird, wie immer in Japan, Grüntee ausgeschenkt. Hier in wunderhübschen weißen Porzellanschälchen mit blassblauem Rand. Andreas fragt die Bedienung, wo diese denn her sind, aber er versteht uns leider nicht recht. Also versuchen wir es nach dem Mittagessen im großen Laden mit Gebrauchskeramik und Porzellan nebenan und zeigen ein Foto vor. Es ist Porzellan aus Arita, einem Ort nicht weit von Karatsu. Aber genau diese haben sie leider nicht. Etwas später, nachdem der große Ansturm der Gäste vorbei ist, gehen wir nochmal zu dem Lokal. Die Inhaberin spricht etwas Englisch und sagt uns, dass sie diese Teetassen bereits vor längerer Zeit direkt in Arita gekauft habe. Wir fragen vorsichtig an, ob wir ihr vielleicht zwei Tassen abkaufen dürften. Oh nein, das auf keinen Fall! Aber: sie will sie uns schenken, denn die Stücke seien schon so alt und hätten schon so viele Gebrauchsspuren. Und schon sind zwei Tässchen eingepackt! Wir sind überwältigt von ihrer Großzügigkeit und bedanken uns überschwänglich!


(Tags darauf bringen wir ihr ein kleines Dankeschön mit.)

Zum Marketing der Karatsu-Keramik gehört auch, dass viele Cafés und Restaurants Essen und Getränke in der einheimischen Keramik servieren. So auch das Café, wo wir einen starken Espresso aus Keramiktassen trinken, bevor wir am Nachmittag weitere Läden mit Keramik anschauen.

Als wir gegen Abend zum Hafen zurück kommen, steht am Nachbarsteg ein kleiner Tankwagen. Er wartet auf ein Fischerboot, das betankt werden soll. Wir fragen ihn ob er genügend Sprit habe, um auch uns welchen zu geben. Ja, gerne! Nachdem das Fischerboot betankt ist, kommt er auf unseren Steg gefahren und füllt 300 Liter Diesel in unseren Tank. Die einzige Schwierigkeit besteht darin, dass er nicht bar abrechnen kann. Deshalb geht der Sprit auf Kosten des Kontos des Fischerbootes und wir geben ihm das Geld. Alles nicht so einfach, aber mit ein bisschen Englisch und mit Hilfe des Handy-Übersetzers klappt die Kommunikation zur Zufriedenheit aller.

Am nächsten Tag ist Sonntag und viele Läden sind geschlossen, was zunächst sehr zur Schonung unseres Geldbeutels beiträgt. Wir gehen ins örtliche kleine Kunstmuseum, das ein paar sehr schöne Bildrollen ausstellt, natürlich auch Keramik, sowie Bilder des Künstlers Kawamura, der impressionistisch malte. Das Meisterwerk, ein Segelboot in der Abendsonne ist auch eines der schönsten Ausstellungsstücke des Museums. Zu unserer Überraschung entdecken wir einen ganzen Raum voller Bierkrüge – aus Deutschland! Die meisten von ihnen stammen aus dem 19. Jahrhundert. Wir können nur vermuten, dass es sich um einen passionierten Sammler handelt, der um die Wende vom 19. Zum 20. Jahrhundert eine Reise durch Deutschland unternommen hat, denn die Erklärungen sind nur auf Japanisch.

Vom ersten Stock des Museums können wir in den Nachbargarten hinunter schauen und in das kleine ebenerdige Holzhaus, wo die Schiebetüren offen stehen und zwei Frauen an einem Tisch Kaffee trinken. Es sieht so gemütlich aus, dass wir beschließen, dort eine Pause einzulegen.

Der Garten ist schon ein Schmuckstück für sich, eine Komposition aus Kiefern, Blumen und Steinen. Das Café erst – so liebevoll eingerichtet und ganz im Zeichen der Kirschblüte dekoriert. Wir haben das Gefühl, in einem Wohnzimmer bei Freunden zu sitzen. Als wir Grüntee bestellen, stellt uns die Inhaberin viele Tassen auf den Tisch, wir dürfen uns aussuchen, aus welcher wir den Matcha-Tee trinken wollen. Natürlich die mit den angedeuteten Kirschblüten! Wir dürfen auch fotografieren und die junge Inhaberin freut sich sehr, dass wir ihre Einrichtung und ihre Blumenarrangements bewundern.

Zwei Freundinnen von ihr kommen ins Café und nachdem sie ihnen Eiskaffee serviert hat, stellt sie uns einfach so auch zwei Gläser davon auf unseren Tisch. Kalter Kaffee mit Eiswürfeln wird mindestens so gerne und oft getrunken wie heißer. Wir kommen alle miteinander ins Gespräch und wie immer, wenn wir sagen, dass wir aus Deutschland kommen und mit dem Segelboot unterwegs sind, unsere Visitenkarte verschenken, wird vor Begeisterung in die Hände geklatscht. Zum Abschied dürfen wir uns noch aus einer Kiste mit hübschen Stäbchenbänkchen aus Keramik je eines als Geschenk aussuchen. Mal wieder reich beschenkt verabschieden wir uns fröhlich mit wiederholten gegenseitigen Verbeugungen.

Karatsu hat auch eines dieser Schlösser mit den geschwungenen Dächern, die wie eine Burg oben auf einem hohen Berg thront. Nur dass die japanischen Schlösser so viel zierlicher sind als die europäischen und auch so viel anfälliger für Feuer, da sie, außer den Fundamenten fast ganz aus Holz gebaut sind. Das Schloss von Karatsu wurde erstmals 1608 vom damaligen Fürsten gebaut und seither mehrfach renoviert und wieder aufgebaut. Darin gibt es auf mehreren Stockwerken Ausstellungen über die Geschichte der Clans und über das Kunsthandwerk der Region, die Papierherstellung und die Keramik. Wir bewundern u.a. ein paar schöne alte Schwerter, die die Samurai früher getragen haben.

Gerade stehen im Schlossgarten die Kirschbäume in der letzten Blüte und viele Familien und Gruppen von Freunden sind an diesem sonnigen Sonntag unterwegs, um ein letztes Mal in diesem Jahr Sakura zu feiern.

Anschließend schauen wir uns in einigen Galerien noch einmal die Vasen und Tassen an, die uns so gut gefallen haben und zuletzt stehen wir in dem großen Laden bei der Gebrauchskeramik vor den Regalen und suchen uns noch mehr schöne Stücke aus. Mit zwei Rucksäcken voller Keramik kehren wir zum Boot zurück. Nun brauchen wir wirklich einen stabilen Hartschalenkoffer, um alles heil im Flugzeug transportieren zu können.

Nagasaki

26. März – 04. April 2019

Obwohl die Stadt mit über vierhunderttausend Einwohnern sich auf ein paar enge Täler und die umliegenden Hügel verteilt, wirkt sie überhaupt nicht beengt und hektisch. Im Gegenteil, in den Bussen wird nicht gedrängelt, die kleinen Trams zuckeln in gemächlichem Tempo dahin und auch dort, wo sich die Touristen zu den Sehenswürdigkeiten einfinden, ist es nicht überfüllt.

Ein bisschen Respekt hatte ich schon vor dem Besuch dieser Stadt – denn bei Nagasaki denkt man sofort unweigerlich an die Atombombe, die hier am Ende des Zweiten Weltkrieges abgeworfen wurde. Würde sie sich sehr von anderen Städten Japans unterscheiden? Aber von all dem menschlichen Leid und den Verwüstungen ist heute nichts mehr zu sehen, fast alles ist wieder aufgebaut worden und die Stadt besitzt eine ähnliche Mischung wie andere japanische Städte, mit alten und neuen Häusern und Tempelanlagen dazwischen. Wie es den Menschen geht, die diese Katastrophe überlebten und Stadt wieder aufbauten und auch den nachfolgenden Generationen, das können wir als kurzfristige Besucher nicht einschätzen.
Nur am „ground zero“, wo in einer Höhe von etwa 500m die Atombombe explodierte, ist eine schwarze Stele als Mahnmal aufgestellt und ein Friedenspark drum herum angelegt worden. Die Kirschbäume haben schon die ersten Blüten geöffnet. Alles wirkt so friedlich und ruhig.
Ein paar Schritte weiter den Berg hoch befindet sich das Atombomben-Museum. Fotos von der Zerstörung, Überreste aus den Trümmern sind ausgestellt, ein Modell der Stadt ist aufgebaut, wo die Explosion und der anschließende Feuersturm in einer Simulation vorgeführt werden. Die umliegenden Berge wirkten zwar dämpfend, die Wucht der Druckwelle kanalisierte sich in den dicht besiedelten Tälern umso mehr. Das Museum dokumentiert aber auch die Geschichte der Atombombe nach 1945 bis heute und ist ein einziges starkes Plädoyer für Abrüstung und die Vernichtung dieser Waffen.

Ein kleines Mädchen aus Hiroshima, das infolge der Strahlen der Atombombe an Leukämie erkrankt war, glaubte fest daran, wenn es 1000 Kraniche falten würde, könnte es wieder gesund werden. Papierkraniche, als Symbol des Friedens, werden inzwischen von Kindern aus Japan und aus der ganzen Welt gefaltet und nach Hiroshima und Nagasaki geschickt.

Nagasaki als Hafenstadt war schon immer traditionell allem Neuen gegenüber offen. Auch während der Edo-Zeit, als sich Japan komplett abschottete, gab es hier eine Handelsstation mit ganz eigenen Regeln, besser bekannt unter dem Namen Dejima. Es ist eine von einheimischen Kaufleuten aufgeschüttete Halbinsel in der Bucht von Nagasaki, wohin die in der Stadt verstreuten Ausländer, die „Nambanjin“, Missionare und Kaufleute zusammengeführt wurden und ab 1641/42 auch die Niederländische Handelsstation angesiedelt wurde, die vorher etwas weiter nordöstlich auf der Insel Hirado lag. Ausländer durften das Stadtgebiet in den Jahrhunderten der Isolation nicht betreten, sie durften sich nur auf dieser kleinen Insel auf recht engem Raum aufhalten. Durch dieses enge Nadelöhr gelangte trotz der vielen Einschränkungen viel von europäischen Gütern und auch Wissen nach Japan und umgekehrt wurde japanisches Kunsthandwerk und mehr nach Europa gebracht. Auch später, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als sich Japan wieder öffnete, war Nagasaki die Stadt, von wo aus junge Männer zum Studium nach Europa aufbrachen.
Die ganze Anlage ist in den letzten Jahrzehnten liebevoll Haus um Haus neu aufgebaut worden, teilweise unter Anwendung traditioneller Materialien und sie ist inzwischen ein Publikumsmagnet nicht nur für ausländische Touristen. Wer mehr darüber wissen möchte, kann sich den Roman von David Mitchell: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet vornehmen, der am Ende des 18. Jahrhundert in Dejima spielt und ein recht gutes Bild der damaligen Zeit zeichnet.

Nagasaki ist auch die Stadt der Tempel. Der größte ist auch zugleich der älteste buddhistische Zen-Tempel der Stadt, Sofuku-ji von den chinesischen Einwanderern 1629 gebaut. Eine große Anlage ist es, mit Hauptgebäude, einem großen Vorplatz, Nebengebäude und Garten, die eine sehr schöne ruhige Atmosphäre ausstrahlt.

Von hier aus reiht sich die Straße hoch ein Tempel an den anderen und dahinter befinden sich große steinerne Friedhöfe. Ein starker Kontrast zu den modernen Wohnblocks in unmittelbarer Nachbarschaft.

Und Nagasaki ist auch eine Stadt der Brücken, über den schmalen Fluss spannen sich viele ganz unterschiedliche Steinbrücken, die schönste davon und auch die am meisten fotografierte ist die sogenannte „Brillenbrücke“.

Unweit davon kommt man zu dem Einkaufsviertel der Stadt – große überdachte Einkaufspassagen und enge Straßen mit Kopfsteinpflaster und vielen kleinen Boutiquen und Restaurants in einstöckigen Häuschen. Es gibt hier so viele schöne Sachen zu entdecken.

Vorher aber, direkt in der Straße am Ufer des Flusses, kommen wir an einem Laden vorbei, der wie ein permanenter Flohmarkt wirkt. Hauptsächlich Keramik stapelt sich übereinander, ein unglaubliches Durcheinander und Chaos herrscht hier und es besteht ständig die Gefahr, die Türme zum wackeln zu bringen, sobald man etwas tiefer nach Sachen sucht. Ein Gang ist so vollgestellt, dass man schon gar nicht mehr durch kann. Der Besitzer hat im hinteren Teil des Ladens eine Küche, sitzt dort auf dem Boden in eine große wattierte Decke gehüllt und lässt sich nicht stören, während er seine Schale mit Sushi isst. Irgendwann müssen wir ihn aber doch fragen, was die Sachen kosten, die uns so gut gefallen und die wir Stück für Stück zusammen tragen. Schwer beladen mit viel Gebrauchskeramik und einer alten Bildrolle geht es an diesem Tag zurück zum Boot. Doch das Samurai-Schwert geht Andreas nicht aus dem Kopf, am nächsten Tag gehen wir noch einmal dorthin und dieses Mal kauft Andreas es auch, muss es allerdings den ganzen Tag über durch die Stadt mit herum tragen und wird oft darauf angesprochen.

Da die Winde immer noch aus Nord blasen, können wir nicht weiter die Küste von Kyushu hoch und nutzen die Zeit für Wäsche waschen, Proviantieren. Und für tägliche Fahrten nach Nagasaki, mit dem Bus ist es so einfach und bequem. Andreas findet einen Go-Club, setzt sich einen Nachmittag lang zu den Herren und spielt sogar eine Partie Go mit einem 3-Dan-Spieler, der ihn, ich zitiere: „komplett vom Brett gefegt hat“.

Die Kirschblüte in dieser Region ist nun auf ihrem Höhepunkt angelangt und wir suchen uns einen Park etwas außerhalb von Nagasaki, in Nagayo, in dem über 1000 Bäume blühen. Dieses Mal sind wir schon mittags da, junge Mütter sind unterwegs, ältere Damen sitzen in Gruppen zusammen, die Firmenfeiern sind für den Abend reserviert. Es ist ein Traum in Weiß und Rosa! Wir können uns immer noch nicht satt sehen an diesem herrlichen Schauspiel.

Nach elf Tagen am Steg wird die Muktuk ungeduldig, und wir auch. Der Wind passt, wir werfen die Leinen los und verabschieden uns von Mogi und Nagasaki, diesen beiden Ortschaften, wo wir uns so wohl gefühlt haben.

Fischereihafen Mogi

26. März – 04. April 2019

Eigentlich wollten wir direkt ins Stadtzentrum von Nagasaki, in die Dejima Marina, aber die Muktuk passt mit ihren 15m Länge einfach nicht an die kleinen Stege.
Also suchten wir auf der Karte und fanden einen Platz im Fischereihafen von Mogi, der besser nicht sein konnte. Wir durften am Steg der Personenfähre fest machen, auf der gegenüberliegenden Seite und während der ganzen 11 Tage, die wir da blieben, fragte man uns weder nach Papieren noch nach Liegegebühren. Im Gegenteil, wir wurden täglich von der Besatzung der Fähre herzlich begrüßt und von den Passagieren und den Hobby-Anglern im Hafen neugierig beobachtet und befragt.

Mogi liegt nur 10km weit weg von Nagasaki und mit dem Bus ist man innerhalb von 15min im Zentrum der großen Stadt. Mogi hat einen typischen dörflichen Charakter und das, was in Reiseführern oft als verborgenen Charme bezeichnet wird. Um den zu entdecken, muss man eine Weile im Ort bleiben.
Ein kleiner Fluss trennt das Dorf in zwei Hälften, vom Tal aus ziehen die Häuser und Straßen den Hügel hoch. Neben der großen Durchfahrtsstraße gibt es viele kleine Sträßchen, wo man teilweise nur zu Fuß durchkommt und beim Vorbeigehen den Bewohnern fast schon in die Küche schauen kann.

Alles Nötige und mehr gibt es in Mogi, mehrere kleine Supermärkte, drei Friseure, sogar eine französische Boulangerie mit leckerem Baguette und anderem süßen und salzigen Hefegebäck, für mittags mehrere kleine Restaurants, für abends nur eines, das aber bietet sehr guten und frischen Fisch in Form von Sushi und Sashimi an. Und ein Onsen, ein öffentliches Bad, das wir alle zwei Tage aufsuchen und fast schon wie Stammgäste behandelt werden.
Die örtliche Spezialität sind kleine Kuchen gefüllt mit einer Art Marmelade aus den Früchten der japanischen Wollmispel. Zu dem Verkaufsladen im Ort kommen die Touristen extra angereist. Die Bäume, auf denen diese Früchte wachsen, tragen Tüten – die Früchte sind so wertvoll, dass sie vor gefräßigen Vögeln geschützt werden müssen.

Eines Tages gehen wir am Hafen entlang und sehen ein paar Säcke mit Holzabfällen in einer Ecke stehen. Unsicher, ob wir sie einfach so mitnehmen können, fragen wir in dem gegenüberliegenden Laden nach. Es ist, was man von außen wie so oft nicht erkennen kann, ein winzig kleines Café, in dem es verführerisch nach frisch geröstetem und gemahlenem Kaffee duftet. Gerade mal zwei Tische passen rein. Wir setzen uns, bestellen einen Kaffee und unterhalten uns mit der Inhaberin und dem Gast am Nachbartisch, der recht passabel Englisch spricht. Sein Name ist Osami Nakamura und er lädt uns ein, am nächsten Tag den örtlichen Tempel zu besuchen, seinen Tempel, wie er meint. Der Tempel bzw. die Gemeinde gibt es seit dem Jahr 1626, aber da er aus Holz ist, muss er immer mal wieder neu gebaut werden – der aktuelle wurde vor gerade mal zwei Jahren eingeweiht. Nun ist das Eingangstor dran, es ist eingerüstet und es wird jeden Tag, auch am Sonntag, emsig daran geschraubt und gesägt. Das frische Holz riecht herrlich nach Zeder und einer anderen, uns leider nicht bekannten Art (die Säcke mit den Abfällen stammen von diesen Bauarbeiten und die nächsten Tage, als es draußen kalt geworden ist, riecht es auch auf der Muktuk genauso würzig).
Es stellt sich heraus, dass Osami-San einer der sieben Vorstände des Geyokutai-Tempels ist und bei der Planung des neuen Gebäudes intensiv mit gearbeitet hat. Vom alten Tempel sind nur noch die Holzskulpturen der Löwen an den Eckpfeilern übrig geblieben und das Bild an der Stirnseite. Alles andere ist modern und neu. Jeder der Räume, ob der große für Versammlungen der Gemeinde oder die kleineren für den Empfang von Gästen wie uns, hat seine eigene schlichte und schöne Ausführung.

Zwei kleine Gärten befinden sich mitten drin, einen davon hat Osami-San selbst gestaltet, die Steine und Pflanzen bilden das Schriftzeichen für „Herz“, erklärt er uns.
Wir werden nach der Führung in einen kleinen Raum gebeten, wo zum Grüntee eingeladen, den wir mit Blick auf den kleinen japanischen Garten trinken.

In den Raum mit dem Altar und den Klangschalen können wir heute nur durch die Scheiben rein schauen, denn es findet gerade eine Gedenkfeier statt zum einjährigen Todestag eines Verwandten.
Später kommt Osami-San zu uns an Bord zum Kaffeetrinken und bringt seinen Freund mit, ein Tierarzt im Ruhestand, der jetzt eine Farm betreibt und als Gastgeschenk aus seinem Garten Orangenmandarinen dabei hat, zusätzlich zu einem riesigen Laib Toastbrot von der französischen Bäckerei! Als er hört, dass wir noch nie frische Bambussprossen probiert haben, saust er noch einmal los, um welche zu holen. Die sind schon gekocht und müssen nur noch kurz angebraten werden, damit sie ihr köstlich nussiges Aroma entfalten.

Ein anderes Mal wartet ein Mann im Auto auf uns, als wir aus der Stadt zurück kommen. Er ist Hobbyfotograf und hat die Muktuk fotografiert, als wir in den Hafen reinfuhren. Er schenkt uns einen Abzug des Fotos im DINA4-Format und zeigt uns noch ein paar schöne Aufnahmen, die er z.B. von Raubvögeln im Flug gemacht hat.
Gleich gegenüber von unserem Fähranleger ist eine Halle in der nicht nur Fahrkarten verkauft werden, sondern auch frischer Fisch und zu Mittag auch Fischsuppe mit Nudeln und Beilagen. Und über die Straße hinweg steht drei Mal pro Woche ein Gemüsehändler mit seinem Wagen. Als ich dort am vorletzten Tag bereits am frühen Vormittag noch einmal einkaufen wollte, war er erst gerade dabei, die Waren auszupacken und Preisschilder zu schreiben. Der Wagen war aber schon umringt mit aufgeregt schwatzenden alten Damen, die schon eifrig Obst und Gemüse in Kartons und Taschen packten. Als ich mir auch einen Karton nahm, zeigte mir eine der Damen, dass es bereits eine Warteschlange gab, eine Reihe von Kartons, zu denen ich auch meinen legen konnte. Für diesen Hinweis war ich sehr dankbar, denn schnell kann man sich mit unbedachtem oder unbeabsichtigtem Vordrängeln als Ausländerin unbeliebt machen.
Es berührt uns sehr, wie freundlich wir doch immer wieder in diesem Land willkommen geheißen und wie zuvorkommend wir behandelt werden!

Amakusa-jima

Die Insel Amakusa ist weder in den Reiseführern beschrieben noch in den Blogs der Japan-Segler zu finden. Wir sind einfach durch Zufall darauf gestoßen, dass diese Insel für ihr weißes Porzellan berühmt ist. Von China über Korea kam das Wissen über diese Kunst nach Japan und nachdem man auf Amakusa auch die richtigen Zutaten in der Erde fand, entstanden hier bereits vor mehr als vierhundert Jahren mehrere Töpfereien.

Da wir beide uns sehr gerne schöne Keramik anschauen und diese Insel sowieso auf dem Weg liegt, wollen wir dort vorbei schauen. In zwei Tagesetappen sollten wir dort sein.
Am 24. März in der Früh machen wir die Leinen los vom Hotelsteg in unserem Fischerdörfchen, es ist ein sonniger und windstiller Tag, wir müssen die ganze Strecke bis zur nächsten Insel Kami Kochiki durch tuckern. Wir kommen gerade bei Niedrigwasser an und die Kaimauern im Hafen von Sato sehen unüberwindlich aus, 2-3 Meter kann ich unmöglich mit den Leinen hoch springen, Leitern gibt es auch keine, da wo man anlegen könnte. Also beschließen wir, im Hafenbecken zu ankern, es ist genug Platz da.

Am nächsten Tag gehen wir schon um 6.00h morgens Anker auf und tuckern weiter. Vier Stunden später geht unterwegs auf einmal der Motoralarm los, das Kühlwasser läuft nicht mehr richtig durch. Ein Blick in den Kielkasten zeigt: beim Zulauf schwimmt störrisches Seegras, das haben wir wohl in Teilen mit eingesaugt. Andreas bekommt mit Hilfe des Bootshakens einen Teil der Pflanzen raus, den Rest müssen wir von Innen mit einer Luftpumpe raus pusten. Zwei Mal lassen wir den Motor an, zwei Mal holen wir aus dem Filter weitere Pflanzenteile raus, bis das Kühlwasser endlich wieder in der gewünschten Geschwindigkeit durch fließen kann. Wie gut, dass es den Impeller dabei nicht zerlegt hat.

Trotz dieser Unterbrechung kommen wir schon gegen 15.00 Uhr auf der Insel Amakusa an und werfen den Anker in der Bucht vor dem Ort Takahama. In den kleinen Fischereihafen können wir leider nicht rein, er ist nicht tief genug für die Muktuk. Es regnet und ist recht unfreundlich, aber wir wollen trotzdem an Land. Gut eingepackt in Regenzeug stiefeln wir durch den Ort. Er hat auch bei diesem Wetter seinen eigenen Charme, viele schöne Holzhäuser, und schon die erste Brücke ist mit einer weiß-blauen Porzellanvase geschmückt.

In einer Seitenstraße entdecken wir einen Tempel, gehen die Treppen hoch und schauen durch die Fenster rein. Da kommt auch schon der Mönch und öffnet die Schiebetüren. Sichtlich erfreut über diesen seltenen Besuch bittet er uns, herein zu kommen, eine Einladung, die wir sehr gerne annehmen. Es ist ein schöner eindrucksvoller Raum mit Tatami-Matten ausgelegt, zwei Reihen mit niedrigen Bänken stehen vor dem großen Altar, eine reichlich verzierte Lampe hängt von der Decke. Mit Hilfe unseres Handys können wir uns ein bisschen verständigen und der Mönch führt uns zum Schluss noch ein Gebet vor mit Gesang, Klangschalen und Trommel. Wir sind sehr beeindruckt und berührt.

Am nächsten Morgen scheint wieder die Sonne, wir stehen sehr früh auf und gehen noch einmal in den Ort, dieses Mal zur Töpferei Juhougama. Der Laden hat eine große Auswahl an Porzellanwaren – Teller, Tassen, Vasen, sogar Ingwer-Reiben. So viele schöne Stücke, am liebsten würde ich einen ganzen Korb voll füllen und mitnehmen. Das Museum nebenan hat zahlreiche alte Keramiken ausgestellt, viele mit dem traditionellen Motiv einer stilisierten Seegras-Blume versehen. Dieses Motiv wird neben anderen auch heute noch von dieser Töpferei verwendet.


Traditionelles Motiv


Teeschale mit Gebrauchsspuren im Museum


Der Garten des Museums


Vasen im Laden


Ingwer-Reiben

Eigentlich wollten wir an diesem Tag noch zu einen anderen Ort auf der Insel fahren und dort weitere Töpfereien besuchen, aber das Wetter spielt leider nicht mit, eine Winddrehung ist vorhergesagt. Wir beeilen uns, um rechtzeitig wieder an Bord zu kommen. Der Wind weht schon in die Bucht rein und die Muktuk tanzt schon ganz ordentlich in der Welle, wir schaffen es gerade noch so, an Bord zu gehen. Schnell holen wir das Dinghi an Deck und gehen Anker auf. Nächstes Ziel – Nagasaki!

Von Okinawa nach Kagoshima


14. – 24. März 2019

Das Wetter hält, was es verspricht und nach fast genau 36 Stunden sind wir von Okinawa mit nur einer Nachtfahrt auf der Insel Amami angekommen. Im Süden der Insel gibt es einen Kanal der die Hauptinsel von einer kleinen Inselgruppe trennt. Wir tuckern da durch, viele kleine Fischerboote sind unterwegs, Personenfähren kreuzen unseren Weg. Im Kanal pfeift der Wind ganz ordentlich und es regnet dazu noch. Wir biegen in eine der vielen kleinen Buchten ab und machen an einer Boje in einer ganz gut geschützten Ecke fest und auf einmal sind die Wolken und der Regen weg, die Sonne kommt heraus.

Mit einer Tasse Kaffee in der Hand sitzen wir in der Sonne an Deck, wenig später, um 17.00 erklingt aus den Lautsprechern vom Land her eine schöne Musik. So werden die Anlangen wohl täglich getestet, die im Ernstfall vor Erdbeben und Tsunamis warnen sollen. Aber auch morgens um sieben Uhr erklingt Musik und auch die eine oder andere Durchsage auf Japanisch hören wir tagsüber und wüssten gerne, was sie uns mitteilen möchten.

Vier Tage bleiben wir hier und warten auf das nächste Wetterfenster. Andreas repariert zum wiederholten Mal den Motor des Bugstrahlruders und versucht, ein paar Fische zu angeln. Vor uns liegt ein Dörfchen, mit einem schmalen Fluss und Fußgängerbrücken darüber. Auf den ersten Blick wirkt es wie ausgestorben, aber es leben doch einige Leute hier, viele haben kleine Gärten mit Zwiebeln, Kohl, Lauch und Möhren darin, dazu Obstgärten mit Orangen und Grapefruitbäumen. Und eine Wiese mit Ziegen, die ganz aufgeregt blöken, als wir vorbei kommen.

Wir spazieren auch mal bei Niedrigwasser am Ufer der Bucht entlang, über Felsen und Steine, ab und zu gibt es einen kleinen Sandstrand, und neben angeschwemmtem Holz finden wir hier auch viel anderes Strandgut, Plastik in allen Formen und Farben. Sogar noch mehr von den dicken großen Styropor-Fendern, wie wir einen aus dem Meer gefischt hatten.

Andreas tüftelt eine Route aus, bei der wir einen Bogen fahren und innerhalb von gut zwei Tagen zum Festland kommen können. Es klappt, der Wind hält sich in Geschwindigkeit und Richtung bis fast zuletzt an die Vorhersage und wir sausen bei 6-7 Bft und meist Halbwindkurs nur so dahin, es schüttelt uns nur am ersten Tag bei 3m Welle etwas durch.

Am 21. März nachmittags, erreichen wir endlich das Festland Japans und machen die Muktuk an einem Hotelsteg fest. In der südwestlichsten Ecke der Region von Kagoshima befindet sich in einem kleinen Fischerdorf namens Nomaike ein schönes modernes Hotel, das Kasasa Ebisu, das eben einen Steg für Segler bereit hält. Wir melden uns an der Rezeption an und freuen uns schon auf unseren ersten Besuch in einem Onsen, dem traditionellen japanischen Badehaus. (Dazu später mehr).

Danach feiern wir unsere Ankunft bei einem schönen Abendessen im Restaurant des Hotels mit einer großen Platte Sashimi, zu der es allerlei leckere Beilagen gibt, u.a. eine feine Misosuppe, eingelegtes Gemüse und alles wunderschön angerichtet. Wir bestellen dazu Shochu, eine Art Schnaps, der in dieser Gegend aus Süßkartoffeln gebraut wird. Wir lassen uns vom Kellner beraten, welche der vielen Sorten auf der Speisekarte am besten schmeckt und wie man ihn am besten trinkt: nämlich verdünnt mit heißem Wasser aus der Thermoskanne. Er freut sich sichtlich, dass wir alles so genießen und bringt uns zwischendurch ungefragt noch je ein Gläschen Sake und zuletzt noch ein Glas Bier. Wie gut, dass wir nach so viel Hochprozentigem nur einen kurzen „Heimweg“ haben.

Am nächsten Tag laufen wir durch den Ort, dessen Häuser sich im Wesentlichen um das große Hafenbecken entlang gruppieren. In einer Ecke werden große Wellenbrecher aus Beton in Formen gegossen, eine weitere Schutzmauer gegen die Wellen wird gerade gebaut um die Fisch- bzw. Muschelfarmen zu schützen. In einer Halle am Ufer stehen ein paar Fischer und unterhalten sich, gegenüber befindet sich der kleine Supermarkt. Wir gehen weiter, auch hier sind überall Frühlingsblumen zu sehen und viele kleine Gärten mit Gemüse. Wir sind auf der Suche nach einer Tankstelle, die es hier am Hafen irgendwo geben soll. Ein paar Tanks sehen wir, aber niemand ist da. Aber ein paar hundert Meter weiter, in dem Büro der Fischfarm, sitzen vier junge Männer. Wir klopfen an und fragen, ob einer von ihnen vielleicht Englisch spricht und wo man Diesel bekommen könnte. Mit Hilfe der Mobiltelefone bzw. der Übersetzungs-Apps können wir uns verständigen – einer der jungen Männer hängt sich ans Telefon und organisiert alles. Zwei Stunden später kommt ein kleiner Tankwagen zum Hotelsteg angefahren, einer der jungen Männer kommt mit dem Motorboot angesaust und beide helfen uns, Diesel in Kanistern zum Boot zu bringen.

Wir entschließen uns, am nächsten Tag doch nach Kagoshima Stadt zu fahren, auch wenn es mit dem Bus mit einmal Umsteigen drei Stunden lang dauert, nur die einfache Fahrt gerechnet. Auf der Strecke an der Küste entlang haben wir atemberaubende Aussichten auf Felsen und Meer, und auch die Hügel im Landesinneren mit den blühenden Pflaumenbäumen, feine weiße Tupfer im frühlingshaften Grün, sind schön anzusehen.

Vom zentralen Busbahnhof in Kagoshima erreicht man einen schönen Park am Fluss, wo man an Schautafeln und Skulpturen entlang gehen und über die Geschichte der Samurai und ihre Ausbildung in speziellen Schulen einiges lernen kann. Die berühmtesten Samurais werden auch heute noch verehrt. Wir kommen zum Museum der Meiji-Restauration und gerade rechtzeitig zu einer Multimedia-Show, die über die Kriegswirren ab der Mitte des 19. Jahrhunderts vom Ende der Edo-Zeit und Beginn der Meiji-Ära berichtet, als Japan sich nach 250jähriger Isolation wieder der Welt öffnete. Wir können die Handlung mit Kopfhörern zwar auf Englisch mit verfolgen, aber wir blicken trotzdem nicht ganz durch, denn die vielen Samurai, Fürsten und ihre Ratgeber, mal als Verbündete, dann wieder als Gegenspieler sind uns alle unbekannt. Wir bräuchten mehr Hintergrundwissen zur Geschichte Japans. Wir verstehen, dass es ziemlich kompliziert war und nicht einfach für die Befürworter der Vereinigung und Öffnung Japans sich gegen die Traditionalisten durchzusetzen.

Uns bleibt noch Zeit, durch die Stadt zu laufen, in einem Nudellokal zu Mittag zu essen, in der Einkaufspassage in ein paar Schaufenster zu schauen und am Fluss in der Sonne einen Kaffee zu genießen, bevor wir den letzten Bus zurück zu unserem Fischerdörfchen nehmen. Und wir kommen rechtzeitig zurück, um uns noch einmal im Onsen des Hotels richtig aufzuwärmen.


Der aktive Vulkan Sakurajima gegenüber der Stadt

Der königliche Garten Shikina-En auf Okinawa

Zum Frühling in Okinawa gehören auch regnerische Tage mit viel Wind, an denen wir die Leinen verstärken müssen, Muktuk zieht und zerrt am Steg mit der Kraft ihrer 26t. Da blieben wir lieber im Boot und kümmerten uns um die Muktuk, hatten viel Zeit, um im Internet zu recherchieren, Bücher zu lesen und uns auszuruhen.

Doch mit dem ersten Sonnentag machten wir uns auf zu einem weiteren Ausflug mit den Fahrrädern. Dieses Mal zum Shikina-En Garten der Ryukyu-Könige, gegen Ende des 18. Jahrhunderts gebaut bzw. angelegt.

Shikina-En ist eine Art ganzjährliche Sommerresidenz der königlichen Familie gewesen, denn das Wetter in dieser subtropischen Gegend ist eigentlich immer sommerlich oder frühsommerlich warm. Ein zum Shuri-Palast vergleichsweise einfaches Haus ist umgeben von einem kunstvoll angelegten Garten von knapp 42.000 qm. Von der Hauptveranda des Hauses hat man einen wunderbaren Blick auf den Teich, über den zwei steinerne Brücken führen und einem kleinen Pavillon nebenbei. Eine grüne Lunge, die heute von Wohngebieten und Schnellstraßen eingefasst ist.

Der Garten diente früher zur Erholung der königlichen Familie, aber auch ausländische Gäste wurden gerne hierher eingeladen. Auf einer  Anhöhe am Rande des Parks steht ein kleiner Pavillon, der den Blick frei gibt auf die umliegenden Täler und Hügel. Ausnahmsweise ist kein Meer zu sehen. Zu diesem Aussichtspunkt wurden in den vergangenen Jahrhunderten bevorzugt Gäste aus China geführt, um ihnen zu zeigen, wie groß Okinawa sei, so weit das Auge reicht, nur Land und kein Meer!

Auch diese Anlage wurde während der Schlacht von Okinawa zerstört, konnte aber in den 1970er Jahren wieder aufgebaut werden. Heute gehört der Garten ebenfalls zum Weltkulturerbe.

Wir laufen den Garten ab, immer den Wegweisern nach, die uns damit auf einen schönen geschlängelten Rundgang führen. Wir dürfen im Haus alle Räume betreten, nachdem wir vorher die Schuhe an der Treppe ausgezogen haben und bewundern auch hier wieder die eigentümliche warme Ausstrahlung der Holzkonstruktion und die Schlichtheit und Schönheit der Innenräume.

Es ist eine Ruhe und Abgeschiedenheit in diesem Garten und im Haus, man fühlt sich ein bisschen wie aus dem Jahrhundert gefallen.

Doch auch damals wie heute muss man zwischendurch was essen, und so gehen wir anschließend zu einem kleinen Nudellokal, das wir unweit des Gartens entdeckt haben. Das Wetter ist zu schön, um drinnen zu sitzen.  Wir setzen uns raus an den Tisch, wo schon zwei Männer unter dem Sonnenschirm ihre Nudelsuppe löffeln. Sie lächeln uns freundlich zu und bevor sie gehen, will der Banknachbar von Andreas unbedingt noch ein Foto von mit ihm.


Ohaio! Eine Kindergartengruppe unterwegs, wir winkten uns begeistert zu!

Wir haben viele ähnliche Begegnungen mit freundlichen und neugierigen Menschen, trotz aller sprachlichen Hürden. So z.B. trafen wir an einem anderen Tag eine kleine zierliche ältere Dame, die uns spontan zu sich nach Hause auf einen Kaffee einlud, als sie hörte, dass wir noch nie Karaoke mitgemacht haben. (Für das Nachtleben in Yonabaru waren wir abends einfach zu müde!). Im Erdgeschoß ihres Hauses hat sie einen gemütlichen Raum eingerichtet, mit einer Bar, ein paar niedrigen Tischen und viel Krimskram vom Flohmarkt, das den heimeligen Eindruck nur noch verstärkt. Das modernste im Raum ist die Karaoke-Anlage, auf der sie uns ein paar japanische Schlager vorspielt und sie erzählt in recht gutem Englisch, (sie lebte 10 Jahre in den USA), dass sich meistens am Nachmittag eine Damengruppe hier trifft und viel Spaß am Singen hat.

Am übernächsten Tag in der Früh schauen wir uns, wie jeden Morgen, die Wettervorhersage an: dieses Mal scheint es tatsächlich ein kleines Wetterfenster von eineinhalb Tagen zu geben, wo wir ausnahmsweise keinen Nordwind zu erwarten haben. Also entscheiden wir uns, am nächsten Tag ganz in der Früh los zu segeln. Und so nutzen wir den letzten Tag in Okinawa, um noch einmal Wäsche zu waschen und Proviant einzukaufen, füllen den Kühlschrank und die Netze mit frischem Obst und Gemüse und gehen noch einmal ins Ricchu Café zum Mittagessen.


In diesem Häuschen befindet sich das Ricchu Café, ein kleines Wohnzimmer mit vier Tischen


Jeden Tag gibt es ein Menü, heute: Suppe, Huhn auf Salat, Gemüse und Reis, ein Algenpudding, Tomatenkompott mit Zimt und Zucker und als Nachtisch ein Kuchen mit einer Tasse Tee.

Am Nachmittag verabschieden uns ganz herzlich vom Hafenmeister und seinen Mitarbeitern. Viel zu früh oder viel zu spät ziehen wir los, je nachdem, wie man es sehen mag: ich habe schon wieder angefangen, Wurzeln zu schlagen. In jedem Gespräch mit Henry, dem Hafenmeister, sagte er mindestens einmal, wir sollten doch einfach die nächsten Monate hier bleiben, am besten ein Jahr lang, das Wetter und das Essen seien doch so gut und ich könnte Deutsch unterrichten, wenn ich wollte.

Zum Abschied sagt er uns noch „I will never forget you!“ – Ich werde mich immer an euch erinnern. Wir auch!

Auf dem Weg zum Königsgarten kamen wir auchStaatlichen Archiv vorbei, das eine schöne und informative Ausstellung zur Geschichte der Insel mit vielen interessanten Dokumenten präsentiert.


Die Unterschrift des Königs


Das Siegel von Ryukyu, auf einer Keramiktafel im Foyer

Naha City, Okinawa

Im Internet studieren wir lange die Bus-Pläne, was gar nicht so einfach ist mit den japanischen Webseiten. Morgens stehen wir an der Haltestelle, gespannt darauf, ob das auch alles so klappt mit unserem Ausflug nach Naha. Eine ältere Dame stellt sich dazu, studiert den Fahrplan und wendet sich wortreich an uns, bevor sie weiter geht. Wir erwidern ihr Lächeln, können ihr aber nicht antworten, denn wir haben kein einziges Wort verstanden. Meinte sie etwa, der Bus käme nicht?
Der aber kommt pünktlich und wir fahren los. Wo Yonabaru aufhört und wo ein anderer Ort anfängt, ist überhaupt nicht zu erkennen, die Ortschaften gehen ineinander über. 80% der Bevölkerung von Okinawa wohnt hier im Süden der Insel, im Ballungszentrum um Naha herum. Wir sehen viele zweckmäßige Wohnhäuser, Einkaufszentren, Autohäuser, Betriebe, alles neu und nach den Zerstörungen der letzten Kriegsmonate nach und nach aufgebaut.
Am zentralen Busbahnhof in Naha steigen wir aus und finden schon nach wenigen Schritten ein nach außen hin unscheinbares aber im Inneren äußerst luxuriösen Kaufhauses im Stil der Galerie Lafayette. In einer der oberen Etagen bei der Haushaltsabteilung bewundern wir die schöne Alltagskeramik und das Regal mit den Stäbchen. Und passend dazu, befindet sich auf dieser Etage auch eine Abteilung mit Ständen, an denen allerlei Köstlichkeiten angeboten werden: im Waffeleisen gebackene salzige und süße Teilchen, mit Ingwer eingelegte kleine Venusmuscheln, Algen aller Art, ein in Fässern über Jahre gereifter Pflaumenessig, der ähnlich wie ein guter alter Balsamico schmeckt und ein Vermögen kostet. Überall an allen Ständen darf man probieren, was wir, genauso wie die japanische Kundschaft, ausgiebig tun – und wir sind hin und weg von den vielen so unterschiedlichen Geschmackrichtungen!


Muji-Produkte!

Aber eigentlich wollten wir zur Kokusai-dori, dem touristischen Zentrum der Stadt, einer 1,6 km langen Straße mit Läden und Restaurants, im Wesentlichen für die 6,5 Mio Touristen gedacht, die jährlich nach Okinawa kommen. Hier kann man sich mit allen möglichen Mitbringseln eindecken, die für Okinawa typisch sind, Bittergurken als Saft oder getrocknet, schwere dunkle Keramikgefäße oder bunte Gläser, die Hunde mit Löwenkopf in allen Größen und Farben und sommerlich-bunte Hemden und Kleider. Schon nach ein paar hundert Metern sind wir völlig überfordert von dem Trubel und den vielen Läden mit ihrem fast identischen Angebot.

Plötzlich bleibe ich überrascht stehen und traue meinen Augen nicht: siebenbürgischer Baumstriezel wird da beworben! Der Laden führt den ungarisch klingenden Namen für Baumstriezel, die es in Ungarn ja auch gibt: „Kürtös Kalacs“, der Inhaber stammt aus Tschechien. Aber wie auch immer, da drinnen werden kleine Baumstriezel am laufenden Band gebacken und die Leute stehen Schlange dafür.
https://de.wikipedia.org/wiki/Baumstriezel

Nach einer Weile haben wir genug gesehen und biegen in eine Seitenstraße ab, die zum großen überdachten städtischen Markt, dem Daiichi Makishi, führt. Dort gibt es in der großen Halle so ziemlich jeden Fisch zu kaufen, den man aus dem umliegenden Meer ziehen kann, und unzählige kleine und große Muscheln und Schnecken. Auch die Metzger haben hier einen Stand am anderen, hauptsächlich Schwein, alles sehr schön und kunstvoll aufgebaut. Mit Obst und Gemüse, Tee und Heilkräutern und vielem mehr kann man sich in der Halle und in den Läden um den Komplex herum eindecken. Wir finden in einer der angrenzenden Straßen ein Fischlokal mit ein paar einfachen Bänken davor und während wir die Tafel mit der Speisekarte und den Bildern darauf studieren, fragen uns zwei junge Männer auf Englisch, ob sie uns vielleicht helfen können. Ja, natürlich gerne! Wir sind dankbar für Empfehlungen und folgen ihrer Einladung, uns zu ihnen an den Tisch zu setzen. Der eine ist der Bruder des Besitzers, hat eine Schürze um und hilft mit im Laden aus, der andere komponiert und textet Lieder für Musiker und möchte demnächst gerne ein Jahr lang in Berlin verbringen, die Stadt sei so spannend, habe er gehört. Wir essen Fisch-Carpaccio (roh) und ausgebackenem Fisch und Gemüse und bekommen darüber hinaus einen Teller mit kleinen Meeres-Schnecken zum Probieren.

So gut gestärkt gehen wir zurück zur Hauptstraße, erst zum Zentrum für Kunsthandwerk. Traditionelle, kunstvoll gewebte oder bedruckte Stoffe für Kimonos aus Seide oder Baumwolle sind dort zu bewundern, Lackarbeiten mit Intarsien und die schwere irdene Keramik, die für Osaka so typisch ist.


Werbetafel beim Tourismusbüro

Mit dem Stadtbus fahren wir danach zum Museum der Präfektur Osaka. Das riesige Gebäude aus Beton mit oben abgerundeten Ecken sieht innen sehr viel heller und freundlicher aus. In einem Trakt ist eine große kulturgeschichtliche Sammlung ausgestellt, während der andere für die moderne Kunst reserviert ist, ausschließlich Arbeiten von Künstlern aus Okinawa. Wir sehen uns die Sonderausstellung mit schwarz-weiß-Fotografien von Okinawa der letzten Jahrzehnte an, jeder der vier ausgestellten Fotografen hat seine eigene künstlerische Handschrift. Wir bekommen einen kleinen Einblick in die Zeit vor der großen Modernisierungswelle, die auch diese Inseln erfasst hat.

Gegen Ende des Nachmittags sind unsere Augen müde und brennen, wir können gar nichts mehr aufnehmen. Mit dem Bus fahren wir zurück nach Yonabaru und setzen uns zum Abendessen in eine winzige Kneipe, wo es die besten Yakitori (Fleisch am Spieß) geben soll. Der junge Mann am Grill begrüßt uns und alle anderen Gäste mit einer Freude und Herzlichkeit, als würde er Freunde willkommen heißen. Sozusagen im Fenster des Ladens steht ein Holzkohlegrill, wo Hühnerleber, -herzen und -mägen gebraten werden, ebenso wie Schweinefleisch, auch Eier oder Tomaten mit Schinken umwickelt gibt es am Spieß. Wir bestellen Bier und eine Variation von allem und futtern uns Spießchen um Spießchen entlang, unter den begeisterten Blicken des Personals und der Gäste, die sich freuen, dass es uns so gut schmeckt.

Shuri – Königspalast der Ryukyu-Dynastie

Es ist Sonntagmorgen und wir entscheiden uns, an diesem schönen sonnigen Tag eine Fahrradtour zum alten Königspalast zu unternehmen.

Die Strecke ist in der elektronischen Karte im Mobiltelefon mit 45 min angegeben, wir rechnen noch etwas mehr Zeit dazu, denn es geht stetig bergauf, an stark befahrenen Straßen entlang und auf Wegen, die eigentlich für Fußgänger gedacht sind. Die Fahrräder haben eine einfache 3-Gang-Schaltung und uns geht öfters die Puste aus, so dass wir absteigen, und die Fahrräder schieben müssen. Aber dann haben wir es geschafft und stehen vor dem Park, der die dicke Ringmauer des Palastes umgibt.

An dieser Stelle ist ein kurzer historischer Exkurs fällig: Okinawa liegt ja mehr als 500 km weit weg vom eigentlichen Japan und gehört noch gar nicht so lange dazu. Jahrhundertelang war das Inselarchipel in viele kleine Fürstentümer aufgeteilt, im Jahr 1429 schlossen sie sich unter dem Herrscher Sho Hashi zusammen und fortan bestand das Königreich Ryukyu. China war einer der wichtigsten Partner des Königreichs, Delegierte beider Reiche besuchten einander, jeder neue Herrscher von Ryukyu bat China formell um Anerkennung seiner Regentschaft. Auch in der Kunst und Kultur ist der Einfluss chinesischer Elemente sichtbar. Die ersten 250 Jahre gelten als das „Goldene Zeitalter“ von Ryukyu, wirtschaftlich ging es dem Inselreich gut, Waffen waren verboten, es waren friedliche und ruhige Jahre. Doch um 1609 wurde das Königreich Ryukyu von einem Clan aus Satsuma, dem heutigen Kagoshima in Japan, überfallen und musste die Kontrolle über seinen Handel mit China und Korea abgeben und hohe Tribute zahlen. Während der Meiji-Ära (in der sich Japan wieder der Welt öffnete) wurde das Königreich Ryukyu von Japan annektiert, 1879 das Inselreich zur Präfektur Okinawa umgewandelt. Die Einwohner von Okinawa galten lange Zeit als den Japanern kulturell unterlegen, in den Schulen wurde nur noch japanische Geschichte und die japanische Sprache gelehrt, so dass heute von der alten Sprache Ryukyus nur noch ein paar Reste in der Umgangssprache vorhanden sind.

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges fand die „Schlacht von Okinawa“ statt, bei der beide Seiten, Japan und die USA, in einem von Anfang April bis Ende Juni 1945 dauernden Belagerungskrieg schrecklich hohe Verluste erlitten. Zudem starben während der Kämpfe um die 100.000 Zivilisten. Okinawa blieb bis 1952 unter US-Amerikanischer Besatzung und unter der Kontrolle des Militärs bis 1972. Danach wurde es offiziell an Japan zurück gegeben unter der Bedingung, dass die USA weiterhin eine Militärbasis in Okinawa betreiben dürfen. Rund 30.000 Militärs leben und arbeiten zurzeit hier, die Marine unterhält ein paar Kriegsschiffe und die Luftwaffe hat einen eigenen Flughafen, gleich neben dem normalen Flughafen in Naha, von dem aus täglich Kampfflugzeuge mit einem ohrenbetäubenden Lärm in den Himmel hoch steigen.

Der Königspalast mit seinen dicken Ringmauern wurde während der Schlacht um Okinawa fast vollständig zerstört und konnte erst in den 1990er Jahren wieder nach und nach aufgebaut werden, seit 2000 wurde er zu einem Weltkulturerbe erklärt und die Liste der UNESCO aufgenommen. Heute ist er eines der bekanntesten und beliebtesten Ausflugsziele von Okinawa.


Blick vom Park über die Stadt Naha

Auf dem Weg zum Palast gehen wir erst durch ein steinernes, dann durch hölzerne Tore, jedes von ihnen hat eine eigene Bedeutung, das erste Tor hat sogar die Funktion eines heiligen Schreines, bei dem man um Glück und gute Reise bitten kann. Ältere japanische Besucher stehen ehrfurchtsvoll davor und fotografieren.

Auch der Palast selber hat ein imposantes Tor mit einer großen Freitreppe davor. In traditionelle Gewänder gekleidetes Personal begrüßt die Besucher und prüft die Eintrittskarten, bevor man den großen quadratischen Innenhof betreten kann, der komplett von Gebäuden umringt ist. Das größte und beeindruckendste davon ist das „Seiden“, in dem die Könige  Hof hielten, mit einer in überwiegend roten und goldenen Farben gehaltenen Fassade, einem pagodenartigen Dach mit Drachen darauf, die alles bewachen. Sehr exotisch für unsere Augen!

Bevor wir den Palast mit all seinen Räumen besichtigen können, erhalten wir im Eingangsbereich eine Plastiktüte, in der wir unsere Schuhe verstauen können. Mit Socken oder barfuß geht es weiter. Die ersten Räume sind zu einem kleinen Museum umgewidmet worden. Eine Sonderausstellung zeigt ein paar wunderschöne alte Kimonos, dunkelbraun lackierte Holzgefäße mit Intarsien und Keramik, alle mit unterschiedlichen Blumen- und Pflanzenmustern, passend zum Frühlingsbeginn. Leider dürfen wir da nicht fotografieren!

Wir durchqueren die unterschiedlichen Bereiche, die Regierungsräume der Beamten, den Wohntrakt der Königsfamilie und der Bediensteten, die alle sehr spartanisch und klar aussehen. Helle Holzwände, Tatami-Matten auf dem Boden, Schiebetüren und Schiebefenster teilweise mit weißem durchscheinendem Papier ausgekleidet, vermitteln trotz der Kargheit einen warmen Eindruck. Einige der Räume dürfen wir auch betreten und stellen fest, wie angenehm man auf den Tatami-Matten gehen kann. Andreas setzt sich in eine Ecke des Raumes und genießt den Eindruck der Einfachheit und Klarheit. Immer mal wieder können wir einen Blick auf die wirklich sehr kleinen Gärten werfen, die zwischen den Wohnräumen und der Ringmauer angelegt sind.

Die Regierungs- und Repräsentationsräume mit dem Thron des Königs, in denen die wichtigen Zeremonien stattfanden und hochrangige Besucher empfangen wurden, sind alle in der Farbe Rot angestrichen, die Säulen mit Motiven bunt und golden angemalt, goldene Schriftzeichen zieren die Wand hinter dem Thron. Sie bilden einen starken farblichen Kontrast zu den anderen Räumen  und können auch heute noch die Besucher beeindrucken.


Modell des Innenhofes

Daher verwundert es nicht, dass der japanische Premierminister als Gastgeber des G8-Gpfels im Jahre 2000 die Regierungschefs zu einem Abendessen in diese Residenz eingeladen hat: Gerhard Schröder, Vladimir Putin, Tony Blair, Bill Clinton … saßen alle beisammen, entnehmen wir der Schautafel im Besucherzentrum.

Der Weg zurück geht nun bergab, wir müssen nur ab und zu aufpassen beim ungewohnten Linksverkehr, wenn wir zwischendurch auf der Straße und nicht auf dem Gehsteig radeln. In kürzester Zeit sind wir wieder daheim auf der Muktuk, voller neuer Eindrücke und einer guten Müdigkeit in den Knochen vom Fahrradfahren.

Yonabaru, Okinawa

Gleich nachdem wir die Papiere im Büro der Marina ausgefüllt haben und Henry Asano, der Hafenmeister, uns auf einem Stadtplan gezeigt hat, wo wir einen Geldautomaten finden und wo einen Supermarkt, machen wir uns auf, die Stadt zu erkunden. Mit Schirm und Regenjacke, denn es regnet immer noch. Das macht uns nicht viel aus, wie freuen uns, dass wir endlich ein paar Schritte gehen können und sind ganz aufgeregt und gespannt, ist es doch der erste Landgang in Japan! (Die paar Schritte am Pier im Industriehafen in Naha zählen nicht wirklich.)

Auf den ersten Blick sieht alles sehr vertraut aus, eine ruhige Kleinstadt, die es in Deutschland so auch geben könnte, aufgeräumt, mit modernen mehrstöckigen Appartement-Blocks, Reihenhäusern, dazu Parks mit Spielplätzen, Schulen, Kindergärten, Handwerksbetrieben, ein Einkaufszentrum gleich gegenüber der Marina. Ein Fluss schlängelt sich durch den Ort, darüber ein paar schöne Brücken. Hier und da versteckt sich noch ein älteres Haus aus Holz, mit Schiebetüren und pagodenartigem Ziegeldach. Wir sind eindeutig wieder in einem westlich geprägten Land unterwegs. Und doch gibt es Unterschiede: angefangen von den japanischen Schriftzeichen, dem Linksverkehr auf den Straßen, dem Essen, der Kultur bis zu den Menschen, die uns auch hier freundlich zunicken, wenn wir vorbei gehen. Und so Vieles mehr, das wir in den nächsten Tagen und Wochen noch entdecken und bestaunen werden!

Mit den Fahrrädern, die wir von der Marina kostenlos ausleihen können, fahren wir in den nächsten Tagen die Sehenswürdigkeiten der Stadt ab, die in der englischsprachigen Informationsbroschüre aufgeführt sind. Dazwischen halten wir an und schauen uns kleinere Läden mit Kunsthandwerk an, fragen in einem Handyshop nach Sim-Karten und suchen uns zum Mittag- oder Abendessen eines der vielen Nudelrestaurants aus. Und natürlich gehen wir auch in den großen Baumarkt im Einkaufszentrum gleich bei der Marina und laufen die Regale sorgfältig ab, um zu sehen, was es alles gibt und was wir davon fürs Schiff gebrauchen könnten. In den nächsten Tagen haben wir Glück mit dem Wetter: die Sonne scheint, Yonabaru zeigt sich von seiner gemütlichen Seite, eine Stadt, die für sich wirbt mit dem Slogen: „Enjoy the retro feel and charm of Yonabaru“ – genieße den Retro-Gefühl und den Charme von Yonabaru. Ja wirklich, das tun wir!


Mit dem Fahrrad unterwegs, auch zur Wäscherei


Der „Farmers Market“, ein Supermarkt mit lokalen Produkten, Obst und Gemüse


Keramikladen


Kleine Löwen


Löwen bewachen fast jedes Haus

Muktuk-Maru oder: Einklarieren in Japan

Am letzten Tag der Überfahrt mussten wir noch ordentlich bremsen, fuhren nur mit der Fock und 3 Kn bei achterlichem Wind, denn wir wollten nicht nachts ankommen. In der letzten Nacht auf See, auf den letzten Seemeilen vor Okinawa bekamen wir wenig Schlaf: Fischerboote, die keinen stetig geraden Kurs fuhren und Sportboote wollten alle auf einmal an der Muktuk vorbei und wir hatten Mühe, uns da unter Segeln durch zu wursteln, bis wir doch den Motor anwarfen, die Windsteuerung abbauten, um besser manövrieren zu können. Gut, dass die drei Containerschiffe, die wir auch über AIS auf dem Bildschirm hatten, in einem sicheren Abstand von 3-4 sm an uns vorbei zogen.

Wir konnten schon die ganze Nacht den Lichtschein der Insel am Horizont sehen und am Morgen des 27. Januar erschien bei strahlendem Sonnenschein die dicht bebaute Küstenlinie von Okinawa. Andreas rief „Port Control“, die Hafenaufsicht, per Funk, meldete uns an und bat um Auskunft, wo wir einklarieren sollten. Der freundliche Herr von Port Control nahm unsere Daten auf: Name des Bootes, Länge, Crew, Land usw. und bat um etwas Geduld, da er erst bei den zuständigen Behörden Rücksprache halten musste, ein paar Mal meldete er sich noch, um weitere Informationen von uns einzuholen. Irgendwann kam die Antwort, wir sollten in den Industriehafen von Naha fahren und dort festmachen, die genauen Koordinaten gab er uns durch. Andreas sah in der Karte nach, der Platz war so weit innen, da wären wir mit unseren 3,5 m Tiefgang nicht rein gekommen. Also riefen wir noch einmal Port Control an und baten um einen anderen Liegeplatz mit etwas mehr Tiefe. Sehr gerne, bitte warten, wieder Rücksprache, neue Koordinaten, die passten und der abschließende freundliche Zuruf: „Take care“! Vorsichtig reinfahren!

Am Pier im Industriehafen standen ein paar Autos und eine Gruppe von Menschen, die bereits auf uns warteten und die Leinen annahmen. Zuerst kamen zwei Beamte von der Quarantäne an Bord, mit Mundschutz und Handschuhen, maßen Fieber und fragten nach unserer Gesundheit. Während Andreas die ersten Papiere ausfüllte, begleitete ich einen der Beamten, der sich den Kühlschrank, die Spüle und die Schränke drum herum ansehen wollte. Alles ok., nun könnten wir die gelbe Flagge herunter holen, sagten uns die beiden zum Abschied.

Danach kamen alle anderen Beamten und Beamtinnen an Bord: sage und schreibe 8 Leute standen in der Messe um den Tisch herum und weitere 5-6 saßen an Deck, von der Hafenbehörde, vom Zoll und von der Einwanderungsbehörde, alle sehr freundlich und gar nicht so sehr förmlich, wie wir das von Japan gehört und gelesen hatten. Einige von ihnen sprachen Englisch und übersetzten für die anderen die Fragen, die sie an uns hatten. Mit einer jungen Frau unterhielt ich mich länger, sie erzählte von ihrer Deutschlandreise, u.a. zu den Weihnachtsmärkten in Köln und Nürnberg und zeigte mir ein paar Fotos auf ihrem Handy. Ein anderer Beamter fragte uns interessiert nach den Überfahrten, unseren Stationen der letzten Jahre und dem Leben an Bord.

Drei Beamte gingen durch das Schiff, öffneten alle Fächer und wischten mit dünnen feinen Stoff- oder Papierstreifen die Griffe und Ränder der Schapps ab. Ähnlich wie auf dem Flughafen bei der Kontrolle des Handgepäcks, sollen wohl so verbotene Substanzen ermittelt werden. Obst, Gemüse, Tabak und Spirituosen dagegen interessierte niemanden. Andreas musste noch mehr Papiere ausfüllen, Schiffspapiere vorzeigen, Pässe, das ganze Prozedere dauerte gut zwei Stunden.

Der junge Beamte von der Einwanderungsbehörde bat uns, mit unseren Pässen an Land zu seinem Auto zu kommen. Dort warf er einen kleinen Generator an, um die ganze elektronische Ausrüstung mit Strom zu betreiben: ein Laptop, das verbunden war mit einem Scanner für die Pässe sowie einem Scanner für Fingerabdrücke und einem Fotoapparat für den biometrischen Abgleich. Das ersparte uns den Gang zu seiner Behörde am nächsten Tag!

Seit Mai 2018 gibt es eine große bürokratische Reform, eine Erleichterung in Sachen Papierkrieg: In Japan gibt es offene und geschlossene Häfen, historisch bedingt noch aus der Zeit, als Japan sich für mehr als zwei Jahrhunderte vom Rest der Welt abgekapselt hatte. Ein paar große Industriehäfen sind „open ports“, also offene Häfen, für alle anderen „closed ports“, geschlossene Häfen, musste man – für jeden einzeln! – einen Antrag bei der jeweiligen Präfektur stellen, und das im Voraus, bevor man da rein fahren konnte. Die „closed ports“, die geschlossenen Häfen, gibt es zwar immer noch, aber es reicht ein einmaliger Antrag, den wir per Email schon in Guam gestellt hatten. Innerhalb kürzester Zeit erhielten wir den pauschalen Bescheid, ein Dokument, das uns nun erlaubt, alle geschlossenen Häfen in Japan anzulaufen.

Jetzt fehlte nur noch das Papier, das unsere Muktuk aus einem „boat in transit“ in ein „domestic boat“ umwandeln würde, also aus einem durchreisenden in ein ansässiges Boot. Das erhielten wir zwei Stunden später und seither besitzt die Muktuk den zollrechtlichen Status eines einheimischen Bootes und könnte sich Muktuk-Maru nennen, wenn sie denn wollte. Wir dagegen haben erst einmal ein Visum für drei Monate im Pass, das wir aber als EU-Bürger um weitere drei Monate verlängern dürfen.

Eigentlich wollten wir nur noch um die Ecke, zur nahe gelegenen Ginowan Marina tuckern. Da wir von ihnen keine Antwort auf unsere Anfrage per Email erhalten hatten, zückte einer der netten Beamten von der Hafenbehörde sein Handy und rief dort an. Aber, oh weh! Die Marina war belegt und hatte keinen Steg für uns frei. Ich sah uns schon weiter zum Festland segeln, noch mal ein paar Tage auf See. Aber der nette Beamte dachte kurz nach und meinte, es gäbe noch eine andere Marina, eine ganz neue, etwas weiter weg an der Ostküste von Okinawa und rief dort an, sprach kurz in sein Telefon und reichte es an Andreas weiter. Ja, versicherte ihm der Hafenmeister, es gäbe reichlich Platz und wir seien herzlich willkommen und ja, Tiefe ist auch ok, auf 8m ist der Hafen ausgebaggert.

Wir beschlossen, die Nacht vor Anker zu verbringen, bei einer kleinen, nur etwa 5sm vor Naha gelegenen Ausflugsinsel. Dort war es zwar nicht ganz so geschützt, wie es auf der Karte aussah und es schaukelte, aber das waren wir ja noch von der Überfahrt gewohnt.

Frühmorgens um 7.00h gingen wir Anker auf und segelten die letzten 35 sm nach Yonabaru zu unserer Marina, wo wir bei strömendem Regen am einem Steg fest machten.

Hier ist es schön ruhig und geschützt, der perfekte Ort, um nach zwei längeren anstrengenden Überfahrten anzukommen und erst einmal auszuschlafen. Alle Anlagen sind funkelnagelneu, die Marina ist erst seit zwei Jahren im Betrieb, nur gut die Hälfte der Boxen sind belegt. Der Hafenmeister, ein ganz freundlicher und gütiger älterer Herr und seine jungen Mitarbeiter begrüßten uns herzlich und sind uns seither in so vielen Dingen behilflich. Zur Marina gehört eine Werft mit zwei Traveller-Liften, einer für Boote bis zu 20t, der andere bis zu 60t mit sagenhaft günstigen Preisen zum Rausheben. Beinahe hätten wir uns entschlossen, das verlockende Angebot anzunehmen. Aber die Lieferzeiten für das Antifouling waren doch zu lange und eigentlich wäre es auch noch nicht wirklich nötig, neues drauf zu streichen. Und: wir wollten in Japan nicht nur am Schiff arbeiten und reparieren, hatten wir uns vorgenommen.