Port Alexander

01.-03. Juli 2020

Wir umrunden das südliche Kap von Baranof Island und tasten uns zwischen Algenfeldern aus Kelp langsam in die Bucht von Port Alexander hinein. Wir wollen in der Bucht ankern, aber der Anker hält nicht, zu steinig ist der Boden und zu eng der Raum zum Schwingen. Also  legen wir schnell die Leinen und die Fender aus und fahren zum Schwimmsteg des Ortes. Dort liegen ein paar kleinere Motorboote und zwei Fischerboote. Eines davon gehört Terry, einem jungen Mann Anfang 30. Sein Boot ist ungefähr nur halb so lang wie die Muktuk und sieht fast wie ein Spielzeugboot aus, ist aber mit allem ausgestattet, was man braucht, um Lachse zu fangen. Und, das Besondere daran: es wurde gegen Ende des 19. Jahrhundert gebaut, aus Holz. Teile des Rumpfes sind noch original, erzählt er mit einer Mischung aus Staunen und leichter Sorge, wie lange sie wohl noch halten werden.

In der Nacht fängt es an zu blasen, ein Nordwind mit 7er Böen, wir müssen die Leinen verstärken und sind nun sehr froh, dass wir nicht vor Anker liegen. Am nächsten Tag bläst es immer noch ordentlich mit 5-6 Bft, die Wolken sind weg, der Himmel klar und es wird einer der sehr seltenen sonnigen Tage.

Port Alexander ist ein bisschen so, wie man sich Bullerbü in Alaska vorstellt – ruhig, beschaulich und alles da, was man braucht. Ein winziger Laden, eine Post, Schule mit Bibliothek und viele hübsche Häuser mit Blumen drum herum.

Früher war es wohl mal ein größerer Fischereihafen, jetzt wohnen nur noch ein paar Leute hier, von denen wir kaum welche antreffen. Ein Bohlenweg führt an den Häusern vorbei, links und rechts davon wachsen riesige Sträucher mit den ersten reifen Salmonberries.

Wir laufen ein Stück durch den Wald, über sumpfige Wiesen zu einer kleinen Lagune ganz im Inneren der Bucht. Und hier finden wir sogar die ersten Blaubeeren!

An einer Stelle scheint es eine Art Schiffsfriedhof zu geben: etliche Boote liegen da auf dem Trockenen, umgekippt und verrottend. Manche sind schon dicht mit Moos bedeckt und von hohem Gras umwachsen. Ein gutes Fotomotiv aber auch ein Ort zum Stöbern, ob nicht doch noch etwas Brauchbares zu finden ist. An einem Boot hängen noch jede Menge Angelhaken und bunte Metallköder, eine große Drahtrolle. Letztere geben wir später dem jungen Fischer, denn so ein speziell angefertigter Draht ist sehr teuer und er kann ihn bestens gebrauchen.

Auch in Port Alexander herrschen die üblichen Quarantäne-Bestimmungen und wir können Terry nicht zu uns aufs Boot einladen, da wir erst vor ein paar Tagen aus Sitka weg gefahren sind und wir ihn unter Umständen gefährden würden. Also sitzen wir zum Abendessen mit ihm draußen am Steg, wo wir besser Abstand halten können, bei Schweinerippchen mit Kartoffelsalat und genießen die Abendsonne.

Auf dem Weg nach Sitka

21. – 28. Juni 2020

Südostalaska besteht im Wesentlichen aus einem langen schmalen Küstenstreifen, der seiner Form wegen oft als „pan handle“, also Pfannenstiel, bezeichnet wird. Das weite Hinterland gehört schon zu Kanada. Zur See hin befindet sich ein unübersichtliches Labyrinth an Inseln und dazwischen schlängelt sich die „Inside Passage“, die Innenpassage, ein geschützter Seeweg, den u.a die Frachter und die Kreuzfahrtschiffe befahren. Dichte Regenwälder ziehen die steilen Berge hoch mit großen geraden Fichten und undurchdringlichem Unterholz. Aus diesen Wäldern weht ständig ein würziger Geruch übers Wasser, manchmal mit ein paar süßen Noten versetzt, vermutlich von Wildblumen. An manchen Tagen ist der Duft so stark, dass wir versucht sind, ständig tief einzuatmen, um so viel wie möglich davon aufzunehmen – eine Aromatherapie der besonderen Art.

In einigen Buchten sind Überreste alter „canneries“, Fischfabriken, zu finden. Hundert Jahre zuvor brauchte man noch die kurzen Wege vom Fischerboot zur Fischverarbeitung, weil die Kühlmöglichkeiten sehr begrenzt waren. Die Fischfabriken konzentrieren sich heute in Ortschaften mit Fluganbindung und/oder größeren Häfen. Heute bringen die meisten Fischer ihren Fisch zu Transportschiffen, die mit großen Kühlräumen ausgerüstet sind und im Auftrag der Fischfabriken die Küste rauf und runter fahren und den Fisch einsammeln.

Auf dem Weg die Küste entlang nach Sitka ankern wir in einer Bucht wo einst ein Lager für Holzfäller war. Vom Anleger haben Wind und Welle nur noch die Stümpfe hinterlassen. An Land finden wir sehr viel altes rostiges Eisen: bei einigen Teilen können wir nur rätseln, wofür sie gebraucht wurden, andere sind leicht zuzuordnen, wie etwa ein Heizkörper mit einem schönen schnörkeligen Muster. Es wird noch etliche Jahrzehnte mehr benötigen, bevor diese Überreste gänzlich verrotten.

Der Hafenmeister von Sitka hat leider keinen freien Liegeplatz für uns, er empfiehlt uns, eine Lücke am Steg für durchreisende Boote (transient dock) zu suchen. Hätte die Muktuk die Maße eines Smart, hätten wir uns vielleicht noch zwischen die großen Fischerboote zwängen können, aber so ankern wir lieber im Hafenbecken hinter den Wellenbrechern, wo es auch gut geschützt ist. Es ist der erste längere sonnige Tag in Südostalaska und wir machen uns sogleich auf, die Stadt zu erkunden.

Es muss ein besonderes Mikroklima sein, denn die ersten Salmonberries sind schon reif und überall in den Vorgärten und in den Parks der Stadt stehen die schönsten und buntesten Blumenbeete, als ob die Blumen beschlossen hätten, alle gleichzeitig zu blühen.

Sikta wurde von Alexander Baranow im Auftrag der Russisch-Amerikanischen (eine halbstaatliche russische Handelskompanie) gegründet, hieß zunächst Neu-Archangelsk und war ab Mitte des 19. Jahrhunderts auch Sitz des Russisch-Orthodoxen Bischofs. Der Ort aber gehörte zum Siedlungsgebiet der Tlingit (Wikipedia-Artikel), die ihre Stellung 1804 erst nach aufreibenden Kämpfen aufgaben. Die Tlingit gehören zusammen mit dem Stamm der Haida (Wikipedia-Artikel) zu den indigenen Völkern Nordamerikas, und besiedelten bereits vor tausenden von Jahren den Küstenstreifen von Südostalaska und Teile von Britsh Columbia in Kanada.

Erst 1906 wurde die Hauptstadt von Alaska nach Juneau verlegt. Sitka hat heute über 8.000 Einwohner und ist damit eine der größeren Ortschaften des Landes. Der Hafen ist riesig, Fischerboote fahren ständig rein und raus, aber der Rest der Stadt verbringt diesen Sommer in einem Dämmerzustand. Jeder zweite Laden in der Haupteinkaufsstraße hat geschlossen: Andenken- und Kunsthandwerksläden, Galerien, Sportgeschäfte für  Camping- und Angelbedarf, sie alle leiden darunter, dass die Touristen und vor allem die Kreuzfahrtschiffe in diesem Jahr ausbleiben. Wir müssen uns – nach so langer Zeit in der Wildnis – wieder daran gewöhnen, wie man sich in Zeiten von Corona in Ortschaften bewegt. Es ist ein befremdliches Gefühl, dass uns Leute auf dem Gehsteig weiträumig ausweichen. In manche Läden herrscht strenge Maskenpflicht, in anderen wiederum wird höflich darum gebeten, welche zu tragen: „We strongly encourage you“, heißt es da.

In Sitka befindet sich ein Freilichtmuseum für Totempfähle – die ältesten von ihnen wurden bereits vor über hundert Jahren vom damaligen Gouverneur gesammelt und in einem Park und im angrenzenden Waldstück ausgestellt. Beeindruckend große Skulpturen überwiegend mit stilisierten Tierköpfen: Rabe, Bär, Frosch, Adler, Wal, alle sind wichtige Protagonisten in der Mythologie der Ureinwohner. Viele Pfähle erzählen Geschichten, die heute leider nicht mehr so leicht zu entziffern sind oder aber von ihren ursprünglichen Besitzern als ihr Geheimnis betrachtet wurden. Auf alten Fotos kann man ihre ehemaligen Standorte sehen – Häuser, die am Ufer eines Flusses in einer Reihe gebaut wurden und davor jeweils die Totempfähle.

Wir haben Glück, dass eines der Museen von Sitka gerade wieder für Besucher geöffnet hat, mit eingeschränkten Öffnungszeiten und Zugang. Wir melden uns telefonisch an und bekommen einen Termin. Es ist das Jackson Sheldon Museum (hier ein virtueller Rundgang) mit einer der umfangreichsten Sammlungen an Kunst-  und Alltagsgegenständen der indigenen Völker von Kanada und Alaska, in einem schön gestalteten Rundbau.

In dem hohen – und einzigen – Ausstellungsraum ist jeder Platz ausgenutzt für die ausgestellten Objekte: Schlitten, Kajaks und Speere an den Wänden unter der Decke, Gesichtsmasken, festliches Gewand und selbst genähte regendichte Kleidung aus Tierhäuten und Därmen, Körbe und Kochgeschirr, Spielzeug, Angelhaken und Nähzeug in den Vitrinen und vieles mehr noch in Schubladen unter den Vitrinen, die wir als Besucher auch öffnen und die kunstvoll verzierten Alltagsgegenstände bewundern können. Fotografieren ist ausdrücklich erlaubt. Eine eigene Faszination geht von den Objekten aus, so viele schöne Verzierungen und Gravuren noch auf dem kleinsten Gegenstand aus Knochen, Stein oder Holz, so viele schöne Muster. Mehr als zwei Stunden verbringen wir mit den Zeugnissen der Kultur der Tlingit und der Haida aus dieser Gegend, der Eyaks vom Prince William Sound, der Aleuten, der Athabasken vom nördlichsten Teil Alaska u.v.m.

Aus den Därmen der Seerobben wurde wasserdichte Kleidung genäht

Angelhaken für Heilbutt

Nähzubehör

Behälter für Nähnadeln

Amulett

Wir treffen auf einen netten Zollbeamten, der unser „cruising permit“ für die Muktuk verlängert, so dass das Datum mit unserem Visum übereinstimmt. Einen halben Tag lang verbringen wir im Waschsalon und eine größere Einkaufsrunde zu den beiden Supermärkten steht an. Es regnet wieder und wir müssen aufpassen, dass die Kartons, in die wir die Sachen verstaut haben, unterwegs nicht aufweichen und vor allem das Mehl trocken an Bord gelangt.

Nun freuen wir uns auf drei bis vier Wochen in den Buchten – zwei weitere heiße Schwefelquellen haben wir auf unserer Route – und hoffen sehr, dass uns dieser Sommer noch ein paar sonnigere Tage beschert.

Abschied vom Prince William Sound

Anfang – Mitte Juni

Nellies Rest: Diese Bucht kennen wir, hier waren wir schon einmal: acht Jahre und einen Monat ist es her, als wir bei unseren Freunden auf der anderen Muktuk zu Besuch waren und zwei Wochen lang mit ihnen im Prince William Sound von Bucht zu Bucht gefahren sind. Damals, Ende April lag der Schnee immer noch 3-4 m hoch, auch heute noch erinnern sich die Einwohner von Alaska an den Winter von 2012, in dem es so unglaublich viel geschneit hatte. Jetzt, im Jahre 2020 ist alles schon saftig grün und die ersten Blumen blühen. Der Sommer ist kurz aber wegen der langen hellen Tage – Mitte Juni ist es um Mitternacht immer noch hell – wächst alles in einem atemberaubenden Tempo. Eine Beschleunigung, die wir so gar nicht kennen.

Um die Ecke von Nellies Rest befindet der Nelly Juan Gletscher, der sich schon sehr weit  zurück gezogen hat. Nur die glatt geschliffenen Felsen zeugen davon, dass hier mal vor langer Zeit Eis- und Geröllmassen entlang gerutscht sind. Mit der Muktuk können wir da nicht rein fahren und mit dem Dinghi scheint es uns viel zu weit. Im ruhigen Wasser vor dem Gletscher legen wir den Krabbenkorb auf etwa 80m Tiefe aus und als wir ihn am nächsten Morgen rausholen ist er voll: 100 Garnelen zählen wir, die Kleinen, die wir wieder zurück ins Wasser werfen nicht mit eingerechnet. Wir legen den Korb eine weitere Nacht aus und wahrscheinlich hätten wir noch einmal so viele Tierchen drin gehabt, wenn sich nicht ein sehr großer Oktopus um den Korb gekümmert hätte. Als wir den Korb hoch holten, hielt er ihn fest umschlungen und ließ erst in letzter Sekunde los, um wieder in der Tiefe zu verschwinden. In seinem gefräßigen Eifer hatte er zwei Löcher ins Netz gerissen, durch das etliche Garnelen entwischen konnten. Wir sind trotzdem begeistert über weitere 50 frische Krabben, die – geschält und mit Knoblauch und etwas Chilli in Olivenöl angebraten – einen ganz feinen süßen Geschmack entwickelten und sich auch für Sushi hervorragend verwenden lassen. Es ist ein Festschmaus, sich an Garnelen einmal so richtig satt essen zu können.

So langsam wollen wir uns nun nach Süden zum Ausgang des Prince William Sound bewegen. Als wir in die Knight Passage einbiegen, liegen da auf einmal zehn, zwanzig und mehr Fischerboote auf Lachsfang, die gesamte Fischereiflotte von Cordova scheint sich hier versammelt zu haben, alles „gill-netter“: sie legen ein Netz aus, das ähnlich wie ein Vorhang im Wasser hängt, oben durch viele kleine Schwimmkörper hoch gehalten wird und dessen Ende mit einer großen roten Boje oder Fender markiert ist. So lassen sich die Boote mit ihren Netzen treiben und hoffen, dass die Lachse sich darin verfangen. Wir mussten höllisch aufpassen, wie wir da im Zickzack durch und vorbei fahren können, ohne in eines der Netze zu geraten. Einer von uns muss immer mit dem Fernglas nach den roten Bojen schauen, die das Ende des Netzes markierten und gleichzeitig raten, zu welchem Boot denn das Netz hinführt, der andere muss am Steuer stehen. Die roten Bojen kann man zwar aus der Ferne ganz gut erkennen, die kleinen weißen Schwimmkörper aber oft erst in letzter Minute sehen und dann müssen wir unter Umständen schnell den Kurs ändern.

Auch am nächsten Tag tuckern wir langsam und vorsichtig um die Fischerboote herum, als eines  mit hoher Geschwindigkeit auf uns zu gefahren kommt. Einer der beiden jungen Männer im Boot fragt uns, ob wir denn einen Lachs kaufen wollten. Und so bekommen wir unseren ersten frischen Lachs, in diesem Jahr, einen „red salmon“ ein schönes großes Exemplar.

Ein paar Meilen weiter sollte es laut Revierführer in einer Bucht einen Wasserschlauch geben. Wir ankern dort und sehen hier zwei Netze im Wasser schwimmen, die an einem Ende am Ufer festgemacht sind. Geschützt unter den Bäumen steht eine kleine Hütte, daneben ein Schuppen. Ein Mann und ein kleiner Junge machen sich gerade fertig, um in ihr Boot zu steigen. Sie fahren ihre Netze ab und holen ein paar Lachse heraus, der kleine Junge hilft tatkräftig mit. Dann kommen sie zu uns gefahren, um sich ein bisschen mit uns zu unterhalten. Die Hütte und das Gelände gehört der Familie des Mannes. Sie wohnen in Cordova, sind aber mit den Kindern den ganzen Sommer lang hier draußen wegen der Lachse. Drei Monate dauern die Sommerferien für die Kinder, von Mitte Mai bis Mitte August – und die verbringen sie überwiegend hier draußen, wie so viele andere Kinder auch.  Zum Schluss holt der Fischer einen Lachs für uns aus seiner Kühlkiste und will gar nichts dafür haben! Gut, dass ich gerade einen frischen Sandkuchen gebacken hatte: Andreas‘ Lieblingskuchen. Aber er hat nichts dagegen, dass dieser über die Reling wandert im Tausch gegen einen köstlichen Lachs. Diesen Lachs können wir nämlich nicht selbst fangen, denn er geht nicht an die Angel und so freuen wir uns umso mehr darüber. Zwei große Lachse innerhalb weniger Stunden, so viel können wir beide unmöglich aufessen, also wandert ein Teil davon in Gläser und wird eingekocht.

Gibt es einen schöneren Abschied vom Prince William Sound? Ein sonniger Tag, freundliche Menschen, eine fischreiche See!

Am nächsten Tag tut sich ein günstiges Wetterfenster auf – mit moderaten Winden und nicht viel Seegang und so tuckern wir das letzte Stück raus und setzen die Segel, um den Golf von Alaska zu überqueren mit Ziel Südost-Alaska. Die Seebeine sind uns in den letzten Monaten an Land und in den ruhigen Gewässern des Prince William Sound abhanden gekommen und schon die eineinhalb Meter hohe Welle macht mir mächtig zu schaffen, erst am dritten Tag ist es mit der Seekrankheit vorbei. Die Wettervorhersage hält ihre Zusage für guten Wind und sogar während der angesagten Flaute zwischendurch ist immer noch so viel Wind da, dass wir mit 2.5-3 Knoten schaukelnd vorankommen und den Motor nicht anwerfen müssen. Unterwegs sehen wir auf der ganzen Überfahrt vielleicht drei Fischerboote. Und kein einziges Kreuzfahrtschiff – diese bringen normalerweise im Sommer tausende von Touristen nach Alaska zu den schönen Gletschern, nicht aber in diesem Jahr, wegen Corona ist alles anders.

Nach fünf Tagen und vier Nächten auf See halten wir auf einen geschützten Ankerplatz südlich der Icy Strait zu. Südost-Alaska empfängt uns mit einer Gruppe von Orcas, die ganz nahe an uns vorbei ziehen und tief hängenden Wolken mit viel Regen – das typische Wetter hier, das den Regenwald umso üppiger wachsen lässt. Mit dem beruhigenden Rauschen des Wasserfalls nebenan lässt es sich wunderbar einschlafen und wir freuen uns, endlich wieder die Nacht durchschlafen zu können!

Quarantäne im Prince William Sound

Seit mehr als zwei Wochen sind wir nun schon draußen im Prince William Sound. Es war eine lange Zeit im Hafen: seit Mitte September für die Muktuk und seit Mitte Februar für uns. Vor allem ich hatte mich so sehr an Cordova gewöhnt, die Freunde im Hafen, die tägliche Routine trotz der vielen Einschränkungen, so dass ich mir gar nicht mehr so recht vorstellen konnte weg zu fahren. Und schon gar nicht an einem Regentag.

Aber schon nach den ersten hundert Metern, als die Masten und Antennen der Boote im Hafen und die Häuser von Cordova hinter uns langsam im Nieselregen verschwammen und sich vor uns das Wasser weitete, in der Ferne sich die schneebedeckten Berge mit den schwarzen Wäldern auftürmten, da kam gleichzeitig mit der Erinnerung an die Buchtentage des vergangenen Jahres eine unerwartete Euphorie auf. Ich hatte tatsächlich vergessen, wie schön es draußen sein kann!

Vier Stunden später hatten wir unsere erste Bucht, die Sheep Bay, erreicht. Unzählige Otter ließen sich mit der Strömung treiben, hoben neugierig den Kopf, sobald sie unseren Motor hörten, schwammen ein Stück näher, um dann mit einer schnellen Drehung unter Wasser zu verschwinden, bevor ich sie fotografieren konnte. Zwei Weißkopfadler flogen von Tannenspitze zu Tannenspitze und der große Wasserfall in der Bucht rauschte so laut, dass er das Motorengeräusch übertönte und überall an den Steilhängen stürzten, gespeist vom Schmelzwasser, größere und kleinere Bäche herunter.

Die ersten Tage verbrachten wir im Wesentlichen damit, zu lesen, zu kochen, den Regen und die Landschaft zu betrachten – das Aufregendste war eine donnernde Schneelawine hoch oben am Berg, die Steine und Strauchwerk mit sich riss. Internet gab es keines (zu hohe Berge ringsherum). Die Ruhe und Einsamkeit der Bucht tat uns gut.

Nach ein paar Tagen kam die Sonne heraus, ich hatte keine Ausrede mehr, nicht an Land zu gehen. Mit Bärenspray, Tröte und Gewehr stiefelten wir los und anfangs war mir schon noch ein bisschen mulmig zu Mute – auch noch, als wir den Berg hoch gingen auf der Suche nach dem Wanderweg zum See. Der Weg war nicht ausgezeichnet, also bewegten wir uns auf den Wildpfaden durch den Wald – Pfade, die die Rehe und Bären im Laufe der Zeit ausgetreten hatten. Doch von Bären waren noch keine Spuren zu sehen, nur die Losungen der Rehe und die Abdrucke ihrer Hufe in den verbliebenen Schneefeldern. Die ersten Blaubeersträucher blühen schon an besonders geschützten Stellen mit rosa oder weißen Blütenkelchen, und leuchtend kräftige hellgelbe, fast schon neonfarbene, Pflanzen wachsen aus dem Moos oder dem Schnee hervor, von Weitem sehen sie aus wie Pilze und sind wohl eine Delikatesse für die Rehe.

Auf Montague Island fanden wir einen Strand, wo wir an einem Abend grillten, anderntags lange Spaziergänge unternahmen und wo Andreas noch mal gutes Feuerholz sägte. In der Lagune konnten wir die ersten Zugvögel beobachten, sie waren nicht zu überhören: die Gänse zogen paarweise laut rufend übers Wasser.

Unterwegs von einer Bucht zur anderen hielten wir immer mal wieder an, um an einem Unterseehügel zu angeln – der erste Rockfisch der Saison ging gleich am ersten Tag an den Haken zusammen mit einem kleinen vorwitzigen Fischchen und eine Woche später biss sogar ein schöner mittelgroßer Heilbutt an! Jedes Mal ein Fest für die Bordküche!

Am Tag vor der Abfahrt aus Cordova hatten wir von der Werft im Nachbarort Valdez die schriftliche Zusage bekommen, dass wir die Muktuk dort aus dem Wasser heben können. Die Zusage war allerdings mit der Auflage verbunden, vorher mindestens zwei Wochen lang in Quarantäne vor Anker zu liegen. Außerdem sollten wir möglichst gut mit Vorräten ausgestattet sein, denn es sei nicht klar, wie frei wir uns in Valdez außerhalb der Werft bewegen dürften.

Der „travel ban“, das Verbot von Ort zu Ort zu reisen, wird also sehr pragmatisch ausgelegt. Ähnlich wie sich auch der wirtschaftliche Druck auf viele Entscheidungen ausgewirkt hat: die Fischerboote dürfen fischen, die Fischfabriken können den Fisch annehmen. Vorausgesetzt wird, dass jeder Betrieb ein Quarantäne- und Sicherheitskonzept vorlegt, das im Einzelnen von den Behörden genehmigt werden muss. Im Falle der Fischerboote heißt das, jedes einzelne braucht ein eigenes Konzept, da die Fischer als Selbständige mit Crew arbeiten.

Mitte Mai wird die Lachssaison eröffnet, die ersten Lachse, die zum Copper River Delta zurück schwimmen, gelten als ausgesprochene Delikatesse. Die Fischerboote richten momentan ihre Boote und Netze dafür her, viele von ihnen kommen für die Saison aus dem Süden und müssen zwei Wochen Quarantäne einhalten, wie auch die eingeflogenen Arbeiter, wobei ihnen die Zeit unterwegs wohl auch schon angerechnet wird. Cordova hat den Hafen inzwischen zur „hot zone“, also zu einem Brennpunkt erklärt, wo höhere Sicherheitsmaßnahmen als im Dorf selbst gelten.

Ein paar Sendemasten sind im Prince William Sound aufgestellt, so dass wir unterwegs und auch in einigen Buchten Internet haben. So können wir die Nachrichten einigermaßen verfolgen und uns über die neuesten Entwicklungen in der Pandemie informieren. Alaska hat bisher 378 getestete Fälle an Erkrankungen, davon 10 Tote, und in Anchorage werden ab Montag die Ausgangsbeschränkungen gelockert, Kinos, Restaurants, Fitnessstudios und mehr dürfen wieder öffnen. Aber nun ist auch in Cordova der erste Fall einer Covid-19 Ansteckung bekannt geworden.

Wir sind froh, dass wir momentan draußen in der Wildnis sein können. In Quarantäne oder im „lock down“, also wochenlang zu zweit alleine auf dem Boot zu leben, das kennen wir und es funktioniert sehr gut. Wir hatten ja auch ein paar Jahre Zeit, es zu üben. Wir müssen aber auch nicht gleichzeitig einen Vollzeitjob in Heimarbeit stemmen und nebenher die Schulaufgaben der Kinder beaufsichtigen. Ulrich Tukur, Schauspieler, Musiker und Schriftsteller schrieb kürzlich:

„Meine Gedanken sind oft bei denen, die mit dem Rücken an der Wand stehen und für die diese Zeit kein absurdes Theater ist, sondern existenziell bedrohliche Wirklichkeit. Ich hoffe inständig, dass sich der Vorhang bald über dieses seltsame Stück senkt und wir danach alle etwas bescheidener nach Hause gehen und darüber nachdenken, was da eigentlich gespielt wurde. Vielleicht fühlen wir dann endlich, wie zerbrechlich diese Welt ist und wie schützenswert. Wissen tun wir es längst.“ (Aus: DIE ZEIT Nr. 19, 29.04.2020)

Wursten und Räuchern

Fragt man deutsche Segler, was sie unterwegs vermissen, dann ist die Antwort ziemlich eindeutig: Brot, Schinken und Wurst.

Brot backen kann man recht schnell lernen, aber das mit den Würsten und dem Schinken ist nicht so einfach. Bislang haben wir uns immer einen Vorrat an Geräuchertem aus Deutschland mitgebracht, aber in die Vereinigten Staaten darf man dergleichen nicht einführen.

Also packte Andreas irgendwann den Räucheraufsatz für unseren Holzofen aus, legte Fleischstücke in Salzlake ein und probierte, Schinken zu räuchern. Das klappte schon mal sehr gut!

Und dann machten wir eine unerwartete Entdeckung beim Fleisch-Kühlregal im Supermarkt in Cordova: eingesalzene Därme, vakuumverpackt! Einen Fleischwolf haben wir an Bord, es fehlt aber der Aufsatz für den Wurstdarm. Andreas suchte nach allerlei Plastikteilen, aus denen er die Tülle bauen konnte, recherchierte im Internet nach Wurstrezepten und legte los. Zuerst gab es Bratwürste mit Majoran und Piment nach fränkischer Art gewürzt. Eine schweißtreibende Arbeit, das Brät durch den Fleischwolf zu drehen und gar nicht so einfach, gleichmäßige Würste herzustellen. Aber sie schmeckten hervorragend! Beim zweiten Mal wünschte ich mir siebenbürgische Bratwürste mit viel Knoblauch. Und auch die schmeckten fein, fast genauso wie vom Metzger Moser in Nürnberg. Eine Hälfte davon waren mit Pökelsalz statt einfachem Kochsalz vermischt und fürs Räuchern bestimmt. Zwei Tage lang mussten sie erst einmal in der Küche hängen, um zu Reifen. Leider können wir mit unserem Ofen nur warm räuchern, und es wurde den Würsten schon fast zu heiß. Da müssen wir noch ein bisschen üben.

Neue Normalität

Als wir von Deutschland weg flogen, wurden in den Nachrichten von den ersten Fällen mit Corona-Virus in einer Firma im Süden Münchens berichtet. Seither verfolgen wir die Entwicklung, lesen täglich lange im Internet, telefonieren mit Familie und Freunden in Deutschland. Sogar die Tagesschau sehen wir uns nun an. Erst schien alles weit weg, aber es war bald klar, dass auch die USA nicht von dem Virus verschont bleiben würde und auch Alaska nicht, so abseits im hohen Norden.

Cordova hat das erste Mal den Winter über für sieben Monate lang keine Fährverbindung mehr, Waren werden mit privaten Fähren oder einem Frachter von Seattle hierher gebracht. Oder aber mit dem Flugzeug. Und mit diesem reisen auch viele Bewohner hin und her, nach Anchorage für Besorgungen, oder in den Urlaub nach Florida. Vor gut drei Wochen wurde dann der erste Kranke in Anchorage gemeldet, es war der Pilot einer Frachtmaschine, und damit kamen so langsam auch in Alaska die Vorbereitungen in Gang, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen.

Die Kinder hatten gerade alle eine Woche Frühlingsferien, diese wurden erst einmal bis Ende März verlängert (inzwischen sollen sie bis Ende April daheim bleiben). Das Wetter war prächtig, der Schilift im Ort lief noch und alle waren guter Dinge. Ein paar Tage später verfügte der Gouverneur von Alaska die Schließung aller öffentlichen Einrichtungen, also wurde auch das Kulturzentrum bis auf Weiteres zu gemacht, aber auch das städtische Schwimmbad (wo ich mit meiner Dauerkarte morgens gerne zum Schwimmen ging) und auch das Bidarki-Sportzentrum (mit der Sauna, wo Andreas die Dauerkarte hat) sind nun geschlossen. Damit fällt auch unsere Duschmöglichkeit weg. Die Marina besitzt zwar auch Duschen, aber da kosten 3 Minuten heißes Wasser 6,00 USD!

Restaurants und Bars mussten nun auch zumachen und auch einige Geschäfte haben freiwillig geschlossen, so z.B. für Schiffszubehör, Handys, der wunderbare große Handarbeitsladen. Sie machen nur auf Anruf auf, wenn man etwas dringend benötigt.

„Social distancing“ ist die Devise, man solle mindestens 2 Meter Abstand voneinander halten.

In den Supermärkten laufen die Angestellten mit Handschuhen und Desinfektionsmittel herum und an der Kasse steht man sowieso meistens alleine, auch mit Hamsterkäufen halten sich die Menschen hier im Wesentlichen zurück. Einer der drei Supermärkte bittet um Verständnis, dass man pro Familie und Einkauf nur eine begrenzte Menge an Reis, Toilettenpapier und Desinfektionsmittel abgeben könne.

Da in Anchorage die Regale der Supermärkte leer gekauft wurden, schrieb der Kolumnist der wöchentlich erscheinenden Zeitung „The Cordova Times“ dazu: „We all need huge rolls of respect, caring, sacrifice, hope, patience … and humor. “ (Wir brauchen alle große Rollen an Respekt, Zuwendung, Verzicht, Hoffnung, Geduld … und Humor).

Auch die sieben Kirchen des Ortes (Anglikanisch, Katholisch, Orthodox, zweierlei Baptisten…) werden nun an den Sonntagen vorerst keine Gottesdienste abhalten, alle gehen online.

Große Sorgen bereitet den Menschen hier an den Küsten Alaskas, wie es in dieser Saison mit dem Fischfang sein wird, unglaublich viele Arbeitsplätze und Einkommen hängen davon ab. Allein in Dutch Harbor, landeten 2018 rund 346.000 Tonnen Fisch im Wert von 182 Millionen USD. Damit steht dieser Hafen auf Platz 1 innerhalb der USA und das schon seit 22 Jahren. Alaska liefert 58% des gesamten Fangs der USA an Fisch und Meerestieren und 97% des gesamten Lachses.

Sehr viele Fischerboote würden sich normalerweise in diesen Wochen fertig zum Auslaufen machen. Bald wäre der berühmte Königslachs aus dem Copper River Delta dran, der in großen Mengen direkt frisch an die Restaurants in den USA verschickt wird. Da diese aber alle geschlossen sind, fallen sie als Kunden weg. Anfang Mai sollten dann schon viele Gast- bzw. Saisonarbeiter hier sein, um in den „Canneries“, den Konservenfabriken, zu arbeiten. Sie würden aber zusätzliche Ansteckungen mitbringen, denn selbst wenn sie erst einmal für zwei Wochen in Quarantäne gingen, so würden sie wahrscheinlich, wie sonst auch, zu viert in den kleinen Unterkünften wohnen, wo sich das Virus weiter ausbreiten könnte. Aber ohne diese Arbeitskräfte kann der angelieferte Fisch nicht verarbeitet werden. Noch ist nicht klar, wie es weiter gehen wird, ob es sich für die Boote überhaupt lohnt, in dieser Saison raus zu fahren.

Das soziale Leben verlangsamt sich zusehends, auch zum geliebten und beliebten Potluck treffen wir uns nicht mehr. Und auch hier im Hafen überlegen wir täglich, wie oft wir noch zusammen sitzen sollen, auch wenn wir wenige bis gar keine Kontakte zu anderen Leuten im Dorf haben.

Wir wollen in den nächsten Wochen, sobald wir mit allen Reparaturen und Wartungen auf der Arbeitsliste fertig sind und das Wetter besser wird, in den Prince William Sound raus fahren, um der ersten Welle der Infektion zu entgehen und auch um im Zweifelsfall nicht selbst den Virus zu verbreiten.

Für uns ausländische Segler im Hafen stellt sich aber nun zusätzlich ein ganz neues ungewohntes Problem. Wir beide hier auf der Muktuk haben bei der Rückreise aus Deutschland bzw. der Einreise am Flughafen ein Visum für sechs Monate bekommen. Das geht noch bis Mitte August. Bis dahin wollten wir so langsam in Richtung Kanada segeln, um dann im Herbst in Seattle zu sein. Nun aber haben Kanada und die USA ihre Grenzen dicht gemacht, die Häfen für Kreuzfahrtschiffe und eben auch für Segler sind in Kanada geschlossen. Das bedeutet für uns, dass wir momentan nicht nach Kanada segeln können, aber auch wenn wir ausreisen, nicht wieder in die USA einreisen können, weiter südlich die Westküste runter. Hawaii ist auch dicht, ebenso wie die Marschall-Inseln. Kurz gesagt: wir müssten raus, könnten aber nirgendwo wieder rein – auch wenn wir länger als zwei Wochen auf See wären und somit die nötige Quarantäne hinter uns gebracht hätten.

Die Behörden haben auf telefonische Nachfrage auch noch keine Lösung für unser Problem, sie sind von den Ereignissen genau so überrascht worden, wie wir auch und halten sich vorläufig strikt an die Vorgaben, niemanden rein zu lassen. Wir hoffen nun alle, dass es bald Ausnahmegenehmigungen gibt, so dass wir unsere Visa verlängern können. Wir könnten in unser Heimatland zurück, noch. Aber unser Schiff ist momentan unser Zuhause und das wollen und können wir nicht auf eine so lange unbestimmte Zeit alleine lassen.

Wie schnell sich alles um uns herum innerhalb kürzester Zeit verändert hat und wie normal uns inzwischen alle Vorsichtsmaßnahmen erscheinen. An Tagen wie diesen wünschen wir allen vor allem eines: Gesundheit!

Cordova – Alltag im Hafen

So einen schönen Winter hatten wir schon lange nicht mehr! So viele sonnige Tage hintereinander und wenn der Himmel dazwischen mal grau wurde, dann nur, um noch mehr Schnee zu bringen!

Die Sonne steht zwar noch nicht sehr steil am Himmel, aber wir haben nun deutlich längere Tage. Anfang März wurde dann noch die Sommerzeit („daylight saving time“) eingeführt, nun haben wir vom Aufwachen bis gegen acht Uhr am Abend Tageslicht. Die Sonne mag es an manchen Abenden besonders spektakulär und färbt die umliegenden schneebedeckten Berge in unterschiedliche gelb-orange-rosa Töne. Und da die Dämmerung hier oben so viel länger andauert, kann man dann den Bergen zusehen, wie sie in dem diffusen Licht nach Sonnenuntergang in einem kalten Weiß-Blau scheinen.

Und nicht nur die Schifahrer hatten was von dem vielen Schnee. Ein langer schöner Wanderweg führt vom Dorfrand den Berg hoch bis zur Skipiste mit wunderbaren Aussichten auf die umliegenden Bergketten und das Delta des Copper Rivers. Ich bin den Weg ein paar Mal hoch gegangen und jedes Mal war es, als ob ich durch einen Märchenwald ginge, still und verzaubert.

Frost und Schnee zusammen konnten aber auch über Nacht für Überraschungen sorgen, etwa wenn morgens die Luke zum Niedergang nicht mehr auf ging. Wie gut, dass wir unsere Stegnachbarn anrufen konnten und Jan es mit Hilfe der Schneeschaufel und heißem Wasser schaffte, uns zu befreien.

Cordova hat vor ein paar Jahren ein Kulturzentrum gebaut mit Museum, öffentlicher Bibliothek, Räumen für Tagungen und einem großen Saal, der für Konzerte, Theater und Kino gleichermaßen geeignet ist. Der örtliche Kulturverein „Cordova Arts and Pageants“ von viel ehrenamtlicher Arbeit getragen, kümmert sich um das Programm: Künstler auf Alaska-Tournee, die auch nach Cordova eingeladen werden und hier ein enthusiastisches Publikum vorfinden. Zwei bis drei Spielfilme oder Dokumentarfilme werden pro Monat von dem Freundesverein der Bibliothek ausgesucht und gezeigt. Ganz anders als in München, wo einen das kulturelle Angebot schnell erschlagen kann, freut man sich hier auf jede Aufführung und geht dann auch hin.

Außerdem wurden wir von unseren Freunden hier im Hafen zu ihren Freunden im Ort mitgenommen, wo jeden Montagabend ein „Potluck“ stattfindet. Alle sind herzlich willkommen, jeder bringt etwas zum Essen mit und schnell entfalten sich spannende Gespräche. So sehen wir nicht nur fast alle unsere Stegnachbarn wieder sondern lernen auch viele neue Leute aus dem Dorf kennen. Eine sehr schöne Sache und ein großes Dankeschön an das junge Paar, das sein gemütliches großes Wohnzimmer dafür zur Verfügung stellt.

Weil unser kleiner Ofen ein großer Holzfresser ist, mussten wir dann doch noch einmal in den Wald. Zwar hätten wir uns für den großen Holzschlagplatz des staatlichen Forstamtes beim Flughafen anmelden können, da liegen riesige Holzstämme unter dem Schnee. Aber die sind viel zu dick für unsere kleine Kettensäge. Also fragten wir beim Forstamt nach, ob wir uns aus dem Wald einen kleineren Baum aussuchen dürften. Ja, das wäre möglich, solange es sich um Totholz handelt. Vorsichtshalber fragten wir auch noch bei der Stadt nach und bei den Anwohnern des Waldes, um nicht in privatem Besitz zu wildern. Und so stiefelten wir dann an einem sonnigen Tag los, mit Kettensäge, Axt und Eimern den Berg hoch – Andreas sägte und zusammen schleppten wir die Stücke aus dem Wald raus an den Straßenrand.

Als wir fertig waren – und auch so richtig „fertig“ von der ungewohnten Arbeit – und uns noch überlegten, wie wir diese Menge Holz am besten mit einem Schlitten oder unserem Wägelchen in wie vielen Fuhren runter zum Hafen bringen könnten, kam der Nachbar vorbei und bot uns an, das Holz auf seinen Pickup zu laden. Großartig! Ein paar Stunden später trafen wir uns und er brachte Verstärkung mit: seine kleine Tochter, noch keine fünf Jahre alt, bestand darauf, mit zu helfen. Tauschte ihre Ballerina gegen Gummistiefel ein und schleppte fröhlich singend ein Stück nach dem anderen zum Auto. Als sie nach einem größeren Stück griff und ich meinte, „Vorsicht, das ist doch viel zu schwer für dich“, sagte ihr Vater nur: Ach, wir würden uns wundern, was sie für ihr Alter schon alles schleppen könne. Starke Frauen in Alaska!

Von der spontanen und unkomplizierten Hilfsbereitschaft und dem Zusammenhalt der Menschen hier sind wir jedes Mal überwältigt.

Überhaupt mussten wir uns in den ersten Tage an ein anderes Tempo und einen anderen Ton gewöhnen: dass aus den vorbeifahrenden Autos jeder und jede mit Handzeichen grüßt, dass so ziemlich jedes Auto anhält, wenn man die Straße überqueren will, dass die Autos die großen Pfützen umfahren, wenn ein Fußgänger am Straßenrand entlang geht, dass man überall freundlich angesprochen wird und gefragt wird, wie es einem geht und was es doch für ein schöner Tag heute sei und wie schnell man ins Gespräch kommt mit den Menschen hier. Keine Hektik, nirgends!

Das Problem mit der Tropfsteinhöhle, sprich: dem nassen Mittelschiff, wo das Kondenswasser von den Wänden floss, ging vom täglichen Abwischen und Abwarten leider nicht weg. Den Heizlüfter täglich anzufeuern, das hätte unsere Stromrechnung in die Höhe getrieben. Also kam der Zufall uns zu Hilfe, denn in einem Baucontainer unweit des Hafens fand Andreas ein paar Sperrholzplatten, betätigte sich für ein paar Stunden lang als Schreiner und baute eine Türe. Die ist nun eine ungleich bessere Barriere als der Vorhang. Nun entweicht keine warme Luft mehr und es bleibt auch um einiges wärmer da, wo wir heizen und uns überwiegend aufhalten, in der Messe und in der Küche!

In dem Baucontainer lag noch viel mehr Holz, trocken und hervorragend als Brennholz geeignet. Nun musste Andreas erneut am Steg Sägen und Holz hacken. Aber jetzt sollten wir wirklich genug haben.

Cordova ist ein hervorragender Platz, um den Winter zu verbringen!

Muktuk vor Gletscher

Ende August 2019

Je weiter östlich wir reisten, umso höher wurden die Gebirge und die ersten Gletscher tauchten auf. Wie gewaltig diese Eismassen sind, konnten wir aus der Ferne nur erahnen. Also entschlossen wir uns, noch einen Tag länger beim Nationalpark der Kenai Fjords zu verbringen, um einen Gletscher aus der Nähe anzuschauen.

Bei der Einfahrt mussten wir ein bisschen aufpassen, denn in den Karten war die Rede von Sandbänken, die sich jedes Jahr ein wenig verschieben. Ein paar Gezeiten-Wellen brachten uns noch zum Schaukeln und dann waren wir im stillen Wasser der langgezogenen Bucht. Die Gletscher waren noch weit weg und trotzdem wurde die Luft immer kälter, denn die Morgensonne musste sich erst noch aus den Schleierwolken heraus kämpfen. Nur mit dicker Jacke und Mütze war es am Vorschiff beim Ausguck und Fotografieren gemütlich.

Die Gletscher boten beim Näherkommen immer neue Blickwinkel und jeder war spektakulärer als der vorherige. Kleine Eisschollen in bizarr anmutenden Formen trieben träge an uns vorbei, auf manchen hatten sich Möwen einen Ruheplatz gesucht. So stellt man sich eigentlich Alaska vor…

Wir umrundeten eine der Inseln in der Bucht und fuhren zum Northwestern Glacier, ganz hinten in der NW-Ecke. Dort kommen von zwei Seiten die festgepressten Schneemassen herunter, es knackste ab und zu bedrohlich, und manchmal fielen auch ein paar Kubikmeter Eis polternd und donnernd die Felsenwände herunter. Auch wenn es, mit Abstand betrachtet, gar nicht so große Stücke waren, so machte es doch einen ziemlichen Lärm.

In einer respektvollen Entfernung vom Gletscher hielten wir an und ließen uns treiben, denn zum Ankern war es viel zu tief. Mit einer Tasse Kaffee saßen wir in der Sonne, schauten uns diese wunderbare Märchenwelt aus Eis an und fühlten uns mal wieder wie Glückspilze.

Und überlegten, warum eigentlich der festgepresste Schnee an den Abbruchkanten so blau schimmert. Eisdichte, Lichtbrechung? Am liebsten wären wir den ganzen Tag da sitzen geblieben.

Nach ein paar Stunden fuhren wir die Bucht ab auf der Suche nach einem sicheren Ankerplatz, was gar nicht so einfach war, denn fast überall ging es ganz nah am Ufer von 3-4 Meter gleich auf 20 Meter runter. Schließlich fanden wir eine Stelle vor einem Fluss in der Nordostecke der Bucht und im Schlick hielt der Anker auch einigermaßen.

Auch hier war ein Gletscher, ganz weit oben stürzte ein großer Wasserfall die Felsen herunter und weiter unten, wo sich noch ein paar Eismassen türmten, sahen wir eine Art offene Kathedrale aus gepresstem Schnee. Mit dem Dinghi fuhren wir an Land und wanderten den Gletscherfluss hoch, auch hier waren immer wieder Gruppen von Lachsen unterwegs, selbst in den kleinsten Nebenrinnsalen versuchten sie, über Stock und Stein höher zu kommen. (Später erfuhren wir in Gesprächen mit Fischern, dass es in diesem Sommer in Alaska viel zu heiß war und viel zu wenig geregnet hatte, dass die Flüsse normalerweise viel mehr Wasser führen. So hatten viele Lachse nicht nur Probleme, zu ihren angestammten Laichgründen hoch zu schwimmen, es war ihnen auch viel zu heiß, was ihnen zusätzlichen Stress bereitete.)

Am nächsten Tag machten wir uns auf den Weg in Richtung Prince William Sound und konnten bei der Ausfahrt noch einmal die großen und kleinen Gletscher in der Morgensonne bewundern. Wir tuckerten an der Ostseite der Granit-Insel vorbei. An der Ostseite dieser Insel befindet sich eine winzig kleine geschützte Bucht mit einer spektakulären Einfahrt, wo wir zwei Tage zuvor geankert hatten. Hätten uns unsere Freunde nicht darauf hingewiesen und von der Bucht vorgeschwärmt, hätten wir uns da vermutlich gar nicht erst rein gewagt. Mitten in der Einfahrt sind Felsen, die sichere Passage ist links davon und so eng, dass meinem Skipper und mir ganz mulmig wurde. Aber wir wagten es, Andreas manövrierte uns durch die enge Stelle, wo sich auch noch der Schwell der See brach und zusätzlich für Nervenkitzel sorgte.

Einfahrt in die Bucht
Geschafft!

Von Sand Point bis Kodiak

05. – 15. August 2019

Sand Point ist ein winzig kleines Dorf, hat einen großen, gut geschützten Fischereihafen und vor allem eine Tankstelle mit dem günstigsten Sprit weit und breit. Während wir unsere Runden drehten und warteten, dass der Tank-Steg frei wird, kam ein Fischer mit seinem großen Beiboot vorbei, brachte uns ein paar Filets vom frisch gefangenen Lachs und war schon wieder weg, bevor wir ihm als Dankeschön ein paar selbst gebackene Kekse hinüber reichen konnten.
Auch ist der Fischfang allgegenwärtig – gleich neben der Tankstelle liegen die Hallen der Fischfabrik, dahinter die Wohnhäuser der Gastarbeiter, daneben ihre Kantine und ein kleiner Supermarkt. Und als ganz heißer Tipp vom Tankwart, eine Wäscherei, wo man die Wäsche einfach abgeben und sie nach zwei Stunden fertig zusammen gelegt abholen kann. Wunderbar, ein Luxus, denn seit Japan hatte es nur Handwäsche am Fluss gegeben. Der Rest des Dorfes verteilt sich auf eine Hauptstraße mit zwei Restaurants, einem Café, zwei bis drei Behörden und einem weiteren Supermarkt, wo für Obst, Gemüse und andere Lebensmittel erschreckend, aber verständlich hohe Preise. Denn alles muss mit der Fähre oder dem Flugzeug hierher gebracht werden.
Nachdem wir alles erledigt und unsere Freundin zum Flughafen gebracht hatten, segelten wir gleich weiter, in einem durch mit zwei Nachtfahrten bis zur südöstlichen Ecke der Insel Kodiak.
Und nun legte auch der Supersommer los – ein sonniger Tag nach dem anderen, vier Wochen lang. Wir konnten es kaum glauben, jeden Tag morgens wieder strahlend blauen Himmel zu sehen und wärmende Sonne, hatten wir doch ganz andere Geschichten von den Seglern in Alaska gehört und gelesen.
Wenn wir nun an Land gingen, wurde es immer mühsamer, die Berge hoch zu kraxeln. Denn das Gras und die Pflanzen bildeten mit ihren Wurzeln einen sehr holprigen und unsicheren Boden. Bäume tauchten vereinzelt auf und je weiter wir die Buchten ostwärts abfuhren umso höher wurde das Buschwerk.

Wir lagen in Buchten mit den schönen Namen wie Three Saints Bay (Bucht der drei Heiligen), wo es angeblich die erste russische Siedlung auf Kodiak gegeben hat oder Japanese Bay, wo wohl mal ein Japaner gewohnt haben soll. Allesamt unglaublich malerisch, umgeben von hohen schroffen Felsen, andere wiederum mit runden sanften Hängen, an denen auch schon mal ein Reh graste.

Den berühmten Kodiak-Bären sahen wir zunächst nicht, nur hin und wieder Spuren im Sand, die beeindruckend groß erschienen.

Japanese Bay

Wo springt der nächste Lachs?

Krebse, ein Festmahl!

Trockenfallen – der Rumpf musste mal dringend geschrubbt werden …

denn es hingen viel zu viele Muscheln dran.

Die Wege hier Bild sind nicht von Menschenhand gestaltet: das waren Rehe und Bären

Von Dutch Harbor bis Sand Point

21. Juli – 05. August 2019

Zusammen mit Astrid verbrachten wir zwei sehr schöne und entspannte Wochen in vielen malerischen Ankerbuchten: in der Chernovsky Bay, wo wir für ein paar Tage die anderen Muktuks noch einmal trafen, dann in der Ravens Bay, in Captains Harbor und zuletzt auf Unga Island. Alaska beschenkte uns reich in diesem Sommer: Bären, Wale, Papageientaucher, dazu Heidelbeeren, Salmonberries und viele viele Blumen.

Hier ein paar Impressionen:

Beim Angeln am Fluss: Forellen und Saiblinge


Captains Bay

Sooo groooß sind wir, wenn der Bär kommt!


Versteinertes Holz


Und so sieht es im Inneren aus, wie Kohle


Lagerfeuer in der letzten Bucht auf Unga Island