Toyoshima

Frühling und Sommer 2024

Was ist das Schöne, das Magische an dieser Insel in der Seto Inlandsee, zu der wir immer wieder gerne fahren? Ist es die Abgeschiedenheit, der kleine Sandstrand, das Kunstwerk Gerhard Richters im Bambuswald, der verlassene Hafen mit dem von Schlingpflanzen überwucherten Tempel dahinter? Oder die kleine Bucht, in der man nur bei guten Wetterbedingungen ankern kann? Ist es die Freude und Begeisterung der japanischen Freunde, die wir dorthin mitgenommen haben, und durch deren Augen wir noch einmal das Besondere dieser Insel sehen konnten? Schwer zu erklären, sicher eine Mischung davon und noch ein bisschen mehr.

Auf Toyoshima ist kaum was los. Zwar gibt es hier ein exklusives kleines Hotel, das man vom Ankerplatz aus sehen kann. Die dazu gehörenden drei bis vier Bungalows verstecken sich zwischen den Bäumen. Nur einmal haben wir abends Licht gesehen, Gäste sind wohl sehr selten da. Unter der Woche arbeitet tagsüber die Gärtnerin in dem Anwesen und der ein oder andere Handwerker, der irgendetwas an den Häusern repariert. Am Nachmittag gegen fünf Uhr kommt ein kleines Motorboot und holt alle ab.

Bei jedem unserer Besuche fahren wir mit dem Dinghi zum Steg, gehen den Hang hoch, durch den Garten und den Bambuswald zum Kubus von Gerhard Richter. In diesem Jahr haben wir viele Male das große Glück, dass die Tür nicht abgeschlossen ist und wir uns die Kunstinstallation in aller Ruhe anschauen können.

Tolle Fotos kann man auch von außen machen, aber was wirklich nur im Inneren zu sehen ist, das sind die witzigen Spiegelungen, die durch die Anordnung der einzelnen Glasscheiben entstehen.

Und natürlich hat man von hier aus den schönsten Blick auf die Bucht, in der die Muktuk ankert.

Im August segeln wir ein letztes Mal nach Toyoshima: Ein letztes Mal wandern wir den Hügel hoch, ein letztes Mal umrunden wir die Glasscheiben im Inneren, machen Fotos und schauen auf die Muktuk runter. Und dann zieht ein heftiger Regenschauer über die Insel. Wir bleiben noch eine Weile drinnen im Kubus, hören dem Regen zu.

Tempelfest in Imabari

25. Mai 2024

An diesem Samstag waren wir zu einem kleinen Kunsthandwerksmarkt eingeladen, wo sich Freunde von uns mit ihrer Musikband am musikalischen Begleitprogramm beteiligen sollten.

Als wir vor dem Gemeindezentrum in einem Vorort von Imabari aus dem Auto ausstiegen, hörten wir Flötenspiel und Trommeln ziemlich nahe bei.

Neugierig folgten wir den ungewohnten Klängen. Am Fuß einer hohen steilen Treppe, die zu einem Tempel hinauf führte, hatten sich bereits viele Zuschauer versammelt, die alle gebannt einem ganz besonderen Schauspiel folgten: eine Gruppe junger Männer teilte sich ein Löwenkostüm, sie sprangen im Takt der Flöten wild herum, während einer von ihnen mit dem Kopf des Löwen umher wedelte.

Danach wurden drei kleine Jungen, vielleicht 8-9 Jahre alt, auf die Schultern von jeweils einem jungen Mann gehoben. Gekleidet in traditionelle Gewänder, teilweise mit Kopfschmuck versehen und im Gesicht stark geschminkt, vollführten die Jungen im Takt der Trommeln und Flöten kunstvolle Handbewegungen mit allerlei Insignien wie Fähnchen, Rasseln und Fächern. Dann aber wurde es richtig akrobatisch: Erst setzten die jungen Männer die kleinen Jungen ab und jeder einzelne von ihnen stieg auf die Schultern eines sehr kräftig aussehenden Mannes, der wiederum von mehreren Männern seitlich gestützt wurde. Dann wurde der kleine Junge hoch gereicht, den wiederum der junge Mann auf seine Schulter setzte. Drei Türme mit jeweils drei Menschen!

Dort oben führten die kleinen Jungen noch einmal ihre rituellen Bewegungen vor. Zum Abschluss verteilten sie ganz viel Konfetti, das aus Schirmchen regnete, die ihnen vorher hochgereicht wurden, während von unten von allen Seiten Luftschlangen auf die drei geworfen wurden.

Die Zuschauer klatschten begeistert und gleichzeitig erleichtert, dass alles gutgegangen war. Alle Darsteller stiegen die Treppe herunter und formten eine kleine Prozession. Während sie an uns vorbei gingen, konnte man in einigen Gesichtern die Freude und Erleichterung sehen.

Mittelpunkt der Prozession war dieser mit viel Gold verzierte Schrein, der sehr schwer sein musste, so wie die Männer unter seiner Last schwankten. Begleitet wurde der Schrein vom Priester des Tempels und etlichen älteren Herren in schwarzen Anzügen, die an hohen Stangen befestigte Gebetsfahnen trugen.

Wir folgten dem Zug durch den Stadtteil bis zum Hafen, wo der Schrein abgestellt wurde. Der Priester sprach ein paar Gebete und versprengte Weihwasser, während sich die Akrobaten im Schatten etwas erholten. Denn sie mussten gleich wieder ran und in der schon recht heißen Vormittagssonne das ganze Programm mit den Tänzen noch einmal aufführen, dieses Mal sogar zeitweise mit vier Türmen nebeneinander.

Hier aus nächster Nähe betrachtet wirken die Darbietungen noch spektakulärer. Wir bewundern die akkuraten Bewegungen der Jungen, die sich da oben in luftiger Höhe fast schon synchron bewegen, staunen über die Kraft der Männer und ihre Konzentration, die keine Sekunde nachlassen durfte, um jede kleinste Schwankung aufzufangen.

Eine Zuschauerin, die gut Englisch sprach, erklärte mir, dass sich im Schrein die Schutzgöttin des Stadtviertels befände. Einmal im Jahr würde der Schrein durch den Ort geführt, um der Gottheit zu zeigen, wie gut es den Menschen hier ginge. Die zeremoniellen Tänze stellten alle eine Ehrbezeugung für die Göttin dar.

Zuletzt, so erzählte sie mir, würde der Schrein aufs Wasser hinaus gefahren werden. Diese Fischerboote sind miteinander verbunden und tragen gemeinsam eine Art Plattform. Darauf sollen noch einmal die zeremoniellen Tänze präsentiert werden. Leider konnten wir nicht so lange bleiben, um zu sehen, ob sie diese akrobatischen Nummern tatsächlich in vollem Umfang auch auf dem Wasser ausprobiert haben.

Takamatsu

25. – 30. April 2024

Wir ziehen weiter in der Seto Inlandsee nach Takamatsu, eine der größten Städte der Großinsel Shikoku. Für die Muktuk ist es wieder schwierig, einen geeigneten Platz zu finden, die Yachthäfen sind viel zu eng und zu klein. So ankern wir etwas außerhalb in diesem geschützten Hafenbecken und fahren jeden Tag mit dem Dinghi an Land. Am Bahnhof von Takamatsu kann man Fahrräder ausleihen, mit denen wir sehr bequem die Stadt erkunden können.

Im Zentrum von Takamatsu befindet sich eine kleine Burg, die 1588 erbaut wurde. In den folgenden Jahrhunderten wurde ein Wassergraben um die Burg gebaut, der mit Meereswasser gefüllt wird.

Zur Burg gehört ein wunderschöner kleiner Park, in dem gerade die Azaleen in voller Blüte stehen.

Auf der Fahrt durch die Stadt entdecken wir in einer kleinen Seitenstraße lustige Figuren aus Pappmaschee, die dieser nette Herr gebaut und aufgestellt hat. Sie haben alle bewegliche Arme oder Köpfe, deren Funktion wir nach und nach vorgeführt bekommen.

Gerade läuft eine Ausstellung über die traditionelle Lackkunst der Provinz Kagawa. Wie sich herausstellt, befindet sie sich im Erdgeschoss des dazu gehörenden Institutes, in dem dieses einzigartige Handwerk gelehrt wird. Wir werden ganz herzlich von einem älteren Herrn begrüßt, der  – wie sich herausstellt – der frühere Direktor der Schule ist und uns eine ganz persönliche Führung anbietet. Zuerst bittet er uns in die oberen Räume, wo wir den Studenten zusehen dürfen, wie sie die vielen Lackschichten auftragen und wie sie diese speziellen Muster herausschnitzen.

In einem anderen Stockwerk sitzen gerade einige Studentinnen mit ihrer Professorin zusammen, die sich mit der Kunst des Kintsugi beschäftigen. Auch hierfür braucht man den Urushi-Lack, der anschließend mit Goldpuder bestäubt wird, wodurch die typische rot-goldene Farbe entsteht.

Nachdem wir sehr viel über die Herstellung der Lackkunst erklärt und gezeigt bekommen haben, schauen wir uns die kleine Ausstellung nun mit ganz anderen Augen an.

Das Sanuki Spielzeugmuseum von Takamatsu lädt zum Mitmachen ein. Hier dürfen auch wir als Erwachsene rein und die überwiegend aus Holz gefertigten Spielsachen ausprobieren. Wir sehen ein paar traditionelle alte und viele neue Spielsachen. Eine Schulklasse hat für diese Vormittag einen Ausflug ins Museum geplant und bevor sich die Kinder auf die einzelnen Spielstationen verteilen, stellen sie sich zu diesem Gruppenbild auf.

In einem Laden mit Kunsthandwerk aus der Region entdecken wir eine Installation aus von der Decke herunter hängenden Rollen der beliebten japanischen Washi-Klebebänder.

Ritsurin Park

Die wohl bekannteste Sehenswürdigkeit von Takamatsu ist der Ritsurin koen, der 1745 als privater Garten für die örtlichen Adeligen in der heutigen Form fertig gestellt wurde. Erst seit 1875 ist er auch für die allgemeine Öffentlichkeit zugänglich.

In diesem weitläufigen Park kann man getrost einen ganzen Tag zubringen, bis man alle Ecken erkundet hat, alle Wege abgelaufen ist, die Ausstellungen in einer der Villen des Parks angeschaut und sich zwischendurch ein paar Momente der Ruhe in einem der beiden Teehäuser gegönnt hat.

Hier ein paar Impressionen:

 

Kunst und Meer – Naoshima und Teshima

19. – 21. April und 02. – 05. Mai 2024

Kunstmuseen auf einsamen Inseln zu eröffnen, wie sollte das gehen? Dass dieses Konzept tatsächlich funktioniert, und inzwischen viele Touristen aus Japan und der ganzen Welt mit Fähren hierher kommen, davon hatten wir bereits berichtet, als wir vor fünf Jahren in Japan waren.

Im östlichen Teil der Seto Inlandsee hat die Benesse Stiftung auf den Inseln Naoshima, Teshima und Inujima ein Museum nach dem anderen eröffnet, um Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts auszustellen. Auch sind in den Ortschaften der Inseln traditionelle Holzhäuser zu sogenannten „art houses“ (Kunsthäusern) umgebaut worden. Dafür konnte die Stiftung bekannte Architekten gewinnen, u.a. Tadao Ando sowie internationale und japanische Künstler und Künstlerinnen, die eigens für diese Inseln Kunstwerke und Installationen schufen.

Naoshima ist die größte der drei Inseln und auch die, auf der sich die meisten Museen befinden. Wir ankern in einer ruhigen Ecke des Hafenbeckens in sicherer Entfernung zum Fährterminal und freuen uns auf zwei Tage voller Kunst.

Diese großen bunten Kürbisse der japanische Künstlerin Yayoi Kusama sind eine der Hauptattraktionen hier auf der Insel.

Der gelbe Kürbis wurde, so lesen wir später, im Jahr 2021 während eines Taifuns vom Steg gefegt und stark beschädigt. Unter der Aufsicht der Künstlerin wurde er restauriert und ein Jahr später wieder an seinen prominenten Platz am Ufer aufgestellt. Nun ist er allerdings mit einem schweren Sockel im Inneren gesichert.

Wir entdecken ein neues Museum, eher eine großangelegte Installation. Die Silberkugeln, die auf dem Teich schwimmen und sich je nach Windrichtung in unterschiedlichen Konstellationen zusammenfinden, sind eine Idee der Künstlerin Yayoi Kusama. Auf der Wiese neben dem See liegen noch mehr Kugeln. Ein paar Schritte weiter ins Tal hinein steht ein Gebäude, von Tadao Ando entworfen, mit teils fensterlosen, teils nach oben offenen Räumen, in denen ebenfalls diese silbernen Kugeln angeordnet sind.

Vielleicht können wir im Frühjahr 2025 wieder kommen, denn dann findet die nächste Setouchi Art Triennale statt und es werden bestimmt wieder ein paar neue interessante Sachen zu sehen sein.

Teshima Art Museum

Ein paar Meilen weiter östlich, gleich auf der Nachbarinsel Teshima befindet sich ein ganz besonderes Museum, das wir sehr gerne noch einmal besuchen möchten. Und auch wenn wir vor gut vier Jahren schon einmal davon erzählt haben, möchte ich es hier und heute noch einmal kurz beschreiben. Denn dieses Museum sollte man bei einem Besuch in Japan – wenn möglich – nicht verpassen!

Die Künstlerin Rei Naito und der Architekt Ryue Nishizawa haben gemeinsam ein großartiges Kunstwerk erschaffen.
Das Teshima Art Museum ist eigentlich ein Gebäude für eine einzigartige Kunstinstallation. Das Gebäude selbst korrespondiert in seiner Form eines flachen Wassertropfens mit der Idee des Kunstwerkes, den Weg von Wassertropfen nachzuverfolgen, die aus mehreren kleinen Öffnungen im Boden in unregelmäßigen Abständen herauskommen und sich in zufälligen Konstellationen auf dem glatten Beton zu größeren Tropfen zusammenfinden, kleinere Rinnsale bilden und in Mini-Teichen enden. Leider darf man im Inneren nicht fotografieren, aber auf der Webseite des Museums sind ein paar Fotos zu sehen.

Wir suchen uns einen sonnigen Tag für unseren Besuch aus und sind wieder ganz fasziniert von diesem Gebäude und den quicklebendigen Wassertropfen in ihren immer neuen Formationen. Alle, die in diesen großen Raum eintreten (nur mit Socken, die Schuhe bleiben draußen), werden gebeten, möglichst still zu sein, denn die runde Kupppel wirkt wie ein Verstärker. Auch Kinder mit ihren Eltern flüstern und können doch ab und zu einen fröhlichen oder erstaunten Ausruf nicht ganz unterdrücken. Das stört überhaupt nicht, im Gegenteil.

Das Museumscafé und der Museumsshop sind in einem kleineren Gebäude nebenan untergebracht, auch in der gleichen Form einer Linse oder eines plattgedrückten Wassertropfens erbaut. Auf der Wiese davor stehen kleine Tische wo man bei gutem Wetter sitzen und die großartige Aussicht aufs Meer und die benachbarten Reisterrassen genießen kann.

Poesie im Regen – das “Old Folk House” auf der Insel Iwagi

April 2024

Leere Häuser gibt es viele im ländlichen Raum, die Bevölkerung Japans nimmt stark ab und konzentriert sich in den großen Städten. In der Regel werden die Familienhäuser nicht so schnell aufgegeben, oft reichen ein bis zwei Besuche jährlich zu den hohen Feiertagen, um sie weiter instand zu halten. Manchmal aber müssen die Familien die Häuser ihrer Vorfahren doch aufgeben, wenn sie im Unterhalt zu aufwendig und zu teuer geworden sind.

Wenn es sich dabei um besonders schöne oder historisch bedeutende Anwesen handelt, springt die Gemeinde ein, um es nicht verfallen zu lassen. Sofe sie es sich finanziell leisten kann.

Auf der Insel Iwagi, so hören wir, soll es ein solches Haus geben, das früher einer wohlhabenden und angesehenen Familie gehörte und das inzwischen zu einem Heimatmuseum umgewidmet worden sei. Es sei jeden Tag geöffnet, man könne einfach hinein gehen und sich umsehen. Vor dem Verlassen solle man nur die Lampen wieder ausschalten und die Schiebetüren schließen.

Am Toreingang hängt ein einfacher weißer Noren, wir schieben den Vorhang leicht zur Seite und bücken uns etwas, um in den schmalen Vorhof zu gelangen.

Während wir unsere Schuhe ausziehen, fällt unser Blick auf den kleinen Brunnen, der sich neben der Eingangstreppe befindet.

Wir betreten das Haus und sehen uns in den für japanische Häuser großzügig geschnittenen Räumen um, Wohnen und Repräsentieren in Einem.
Hier sind neben dem Familienschrein viele wertvolle und schöne Sachen ausgestellt, Kleidung, Möbel, Bilder und Gedichte eines bekannten Dichters, der hier ein paar Tage die Ruhe der Insel genießen durfte.

Auch eine Sammlung von besonders schönen und wertvollen Hina-Puppen ist hier ausgestellt. In privaten Haushalten, in denen Mädchen aufwachsen, werden traditionell im Frühjahr nur für einen begrenzten Zeitraum diese Puppen aufgestellt.

Diese Puppe wiederum stellt die Prinzessin aus einer japanischen Sage dar, die die Rüstung ihres Vaters in den Händen hält:

Öffnet man die Schiebetüren des letzten großen Raumes des Haupthauses blickt man auf einen wunderschönen japanischen Garten. Wieder einmal bewundern wir, wie scheinbar mühelos die Sträucher, Bäume und Steine zu einem harmonischen Gesamtkunstwerk zusammengestellt wurden.

Zwei Mal besuchen wir dieses Haus. Einmal an einem regnerischen Tag, an dem die Wolken grau und tief über dem Dorf hängen und im Garten die Regentropfen wie zarte Edelsteine in den Kiefernzweigen hängen.

Das nächste Mal sind wir mit zwei japanischen Freunden da, die wir vor fünf Jahren auf der Internationalen Rally in der Seto Inlandsee kennengerlernt hatten.

Auch sie sind begeistert von dem Haus und genießen die Ruhe des Gartens.

Die Kirschblüte in Japan 2024

Ende März bis Mitte April 2024

Die Zeit der Kirschblüte, Sakura, ist seit Jahrhunderten fester Bestandteil der japanischen Kultur. Im Frühling gehört es zur normalen Wettervorhersage auch über den aktuellen Stand der Kirschblüte zu berichten. Der nationale japanische Wetterdienst hat mittlerweile sogar eine App rund um die Kirschblüte entwickelt. Hier kann man sich – nach Regionen sortiert – über den voraussichtlichen und aktuellen Stand der Blüten informieren. Zusätzlich bieten die App und auch die Webseite eine Liste der schönsten Parks an, wo man Hanami, das Kirschblütenfest, feiern kann. So ist es ein Leichtes für uns, während unserer Fahrt durch die Seto Inlandsee einige dieser Parks anzusteuern.

Die ersten Blüten in Okayama

Für die Gegend um Okayama wird der Beginn der Kirschblüte auf Ende März festgelegt. Alles ist vorbereitet: die Verkaufsbuden für Essen und Souvenirs stehen schon und der Übertragungswagen der örtlichen Fernsehstation ist auch schon da, um die ersten Blüten zu filmen. Im berühmten Korakuen Park neben der Burg sehen die Bäume aber noch sehr kahl aus, ein Kamerateam hat sich unter einem Baum aufgestellt und sucht in den Zweigen nach der allerersten Blüte. Auch am Flussufer, wo auf beiden Seiten große alte Kirschbäume stehen, sind nur vereinzelt ein paar wagemutige Blüten zu sehen, an besonders sonnigen und windgeschützten Stellen allerdings sind schon ganze Zweige aufgeblüht!

Blütenmeer auf der Insel Iwagi

Eine gute Woche später sind wir mit Freunden unterwegs und fahren zur Insel Iwagi, wo wir die Muktuk an einem Schwimmsteg parken können. Nicht weit vom Hafen entfernt befindet sich ein Tempel, in dessen Hof ein paar alte Kirschbäume stehen, deren ausladende Äste mit dicken Pflöcken abgestützt werden müssen.

In der Mitte der Insel erhebt sich der Berg Sekizen auf etwa 360 Meter über dem Meeresspiegel. Während des Zweiten Weltkrieges wurden sämtliche Kiefern der Insel gefällt, das Kiefernöl war damals eine begehrte Alternative zum knapp gewordenen Erdöl. In der Nachkriegszeit begannen die Inselbewohner mit einer Aufforstung der besonderen Art: sie pflanzten Kirschbäume auf die kahlen Hänge. Inzwischen hat sich der Brauch eingebürgert, dass Kinder zu ihrer Einschulung und alle, die ihren 60. Geburtstag feiern, einen Kirschbaum pflanzen.

Mittlerweile sind es um die 4.000 Kirschbäume, die im Frühling zu unterschiedlichen Zeiten mit ihrer Blüte beginnen. Knapp vierhundert Meter machen keinen großen Unterschied aus, könnte man meinen. Für die Kirschblüte aber schon: unten am Fuß des Berges ist die Blüte bereits in vollem Gange, während oben am Gipfel noch sehr viele rosa Knospen zu sehen sind. So kann man während der Wanderung zum Berggipfel alle Stadien der Kirschblüte genießen.


Besonders schön ist hier der Kontrast zwischen den weißen bis blassrosa Kirschblüten und den gerade aufblühenden Azaleen.


Blick von oben auf die umliegenden Inseln.

Muktuk am Steg in Iwagi

Kirschblüte in Onomichi

Onomichi ist bekannt für seine vielen Tempel, die sich inmitten eines Wohngebietes mit alten traditionellen Häusern befinden. Zusammen bilden sie ein verwirrendes Labyrinth von kleinen und kleinsten Gässchen, die an manchen Stellen so eng sind, dass man selbst mit den schmalen japanischen Autos nicht mehr durchkommt. Oberhalb dieses Stadtteils ist bis zur Spitze des Berges ein weitläufiger Park angelegt worden, wo im Frühling viele hundert Kirschbäume blühen. Wir fahren mit der Drahtseilbahn hoch und können unterwegs einige Tempel aus der Vogelperspektive betrachten.

Die Kirschbäume im Park sind inzwischen alle voll aufgeblüht und mit jedem Windstoß wirbeln Blütenblätter durch die Luft. Als Andreas mich unter einem Baum stehend fotografieren will, kommen zwei ältere Herren dazu und schütteln die Äste über meinem Kopf, so dass ich in einem Blütenregen stehe. Sie freuen sich sichtlich darüber, uns Fremden zu diesem Fotomotiv der Vergänglichkeit zu verhelfen.

Wir können uns nicht satt sehen an dieser Blütenpracht und genießen die schöne entspannte Stimmung, in die sich eine leise Wehmut schleicht.

Die Wege zwischen den Bäumen sind inzwischen über und über mit Blütenblättern bedeckt, bald ist die Kirschblüte vorbei.

Bis nächstes Jahr, vielleicht!

Takehara und die Haseninsel Okunoshima

21. – 23. März 2024

Takehara, ein kleiner Ort an der Küste der Seto Inlandsee wird in Reiseberichten immer wieder mit dem Beinamen „Klein-Kyoto“ erwähnt. Früher war der Ort berühmt für seinen Handel mit Salz und ist es heute noch für seine Sake-Brauereien.

Im Zentrum der Stadt sind viele alte Holzhäuser aus der Edo-Zeit erhalten geblieben, drei komplette Straßenzüge lang. Gemeinsam bilden sie ein schönes Ensemble, das mit viel Liebe zum Detail erhalten und gepflegt wird. Jetzt in der Nebensaison sind nur ein paar japanische Touristen unterwegs und hier und da auch ein paar Ausländer.

Diese Kugel aus Reisig ist in ganz Japan ein Zeichen dafür, dass in diesem Haus Sake gebraut und verkauft wird.

An einem anderen Haus hängen diese geschnitzten Kunstwerke aus Bambus.

Leider haben wir es versäumt, eine Flasche von diesem mit Salz von der Seto Inlandsee gebrauten Bier zu kaufen, so können wir nicht sagen, ob es salzig oder doch malzig-süß schmeckt.

Von Takehara aus geht stündlich eine Fähre zur nahe gelegenen Haseninsel Okunoshima. So niedlich die freilaufenden Hasen sind, so grausam die Geschichte der Insel, denn bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges wurde hier Giftgas für das Kaiserliche Heer produziert. In den ehemaligen Räumen der Anlage ist heute ein Museum untergebracht, das über die verheerenden Folgen der Produktion berichtet.

Die Kaninchen sind Nachfahren der ehemaligen Versuchskaninchen (im buchstäblichen Sinne des Wortes) und haben die Insel inzwischen komplett übernommen. Sie sind sehr zutraulich und hoppeln ohne Angst auf Menschen zu, denn sie wissen, dass sie von ihnen großzügig mit Futter versorgt werden.

In dem großen Hotel, wo wir als Tagesgäste den Onsen mit Meeresblick nutzen dürfen, gibt es im Erdgeschoss ein Café, dessen Logo dem von Starbucks nachempfunden ist.

Nach diesem Zwischenstopp auf der Haseninsel tuckern wir weiter.

Shimokamagari

16. – 20. März 2024

Von Kami-Kamagari fahren wir nur ein kurzes Stück zur Nachbarinsel Shimokamagari, die mit dem Festland durch eine Brücke verbunden ist.

In der Edo-Zeit (1603-1868) war Shimokamagari eine wichtige Station für Reisende in der Seto Inlandsee. Wegen der starken Gezeitenströme mussten die Schiffe Pausen einlegen, gegen den Strom zu segeln ist mühsam und teils nicht möglich.

Für diese meist adeligen Reisenden und ihr Gefolge standen herrschaftliche Unterkünfte bereit. Einige von ihnen sind erhalten geblieben und zu Museen umgestaltet worden. Insgesamt fünf Museen befinden sich auf der Insel! Japanische Geschichte, Kunst und Kultur können hier auf engstem Raum besichtigt werden.

Das Shotoen Museum liegt direkt am Ufer der Meerenge zwischen den beiden Inseln, umgeben von einem japanischen Zen-Garten mit Steinskulpturen.

Das Museum besteht aus mehreren historischen Gebäuden, in denen unterschiedliche Sammlungen aufbewahrt und gezeigt werden, unter anderem ein Keramikmuseum mit wertvollen alten Keramiken aus ganz Japan sowie einem Lampenmuseum, das von antiken Terracotta-Leuchten bis zu japanischen Papierlaternen seltene Fundstücke aus mehreren Jahrhunderten ausstellt.

Am spannendsten für mich ist die ehemalige Banketthalle, in der Exponate über die Geschichte der Koreanischen Gesandten gezeigt werden. Diese Gesandten reisten während der Edo-Zeit in diplomatischen Missionen mehrmals nach Japan und wurden auf ihrer Zwischenstation in Shimokamagari mit großen Ehren empfangen. Die koreanische Delegation bestand meist aus 1.000 Menschen, die sich auf 6 Schiffe verteilten. Es heißt, dass viele Helfer, aber auch Schaulustige auf die Insel kamen, um die koreanischen Gästen zu empfangen – so viele, dass die Insel zu sinken drohe.

Die koreanischen Schiffe wurden von hier aus mit japanischen Ruderbooten weiter durch die Seto Inlandsee befördert. Diese lange Schriftrolle ist ein ganz besonderes Zeugnis aus jener Zeit: hier hat ein unbekannter Zeichner alle Schiffe und Boote festgehalten, die im Jahr 1748 mit der 10. Diplomatischen Mission aus Korea unterwegs waren. Diese Rolle und eine weitere, die die Gespräche der Gesandten mit ihren japanischen Gastgebern protokolliert, sind inzwischen zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt worden.

Im ehemaligen Banketthaus sind die Empfangszeremonien und Umzüge in Miniatur-Szenen nachgestellt, an den Wänden hängen Zeichnungen von Mitwirkenden, sogar die Speisen, die für die Gäste aufgetragen wurden, sind täuschend echt in Plastik nachgebildet.

Das Rantokako Kunstmuseum und das Sannose Museum für Kunst und Kultur zeigen Malerei und Kunsthandwerk japanischer Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts.

Diese große Treppe vor dem Eingang des Sannose Museums stammt noch aus der Edo-Zeit. Die Schiffe konnten an die Treppe heran fahren und die Passagiere meist trockenen Fußes an Land gelangen.

Ein kleiner Fußweg führt am Kunstmuseum den Berg hoch, wo sich ein historisches Teehaus aus dem 18. Jahrhundert befindet. Früher stand es in Kyoto und wurde erst in den 1990er Jahren dort abgebaut, hierher transportiert und neu aufgestellt. Dieses Teehaus weist eine Besonderheit auf: es besitzt ein weiteres Stockwerk als Aufbau, in dem im 19. Jahrhundert chinesische Schriftrollen studiert wurden. Die Deckenbalken sind über und über mit Schriftzeichen bedeckt.

Als letztes besuchen wir das Insekten-Museum. In Schaukästen werden hier Schmetterlinge, Motten, Käfer und Libellen der Provinz Hiroshima gezeigt, aber auch ein paar seltene Schmetterlinge aus Südamerika. Dazu gibt es Ausstellungstücke aus dem Bereich der Kunst und des Kunsthandwerkes, auf denen Insekten dargestellt sind. Die Sammlung ist in einem schön renovierten japanischen Haus im Sukiya-Stil untergebracht. Wir sind immer wieder beeindruckt von der Harmonie und den kunstvollen Details dieser Art von traditionellen Häusern.

Für den Sonntag ist ein kleines Fest geplant zur offiziellen Einweihung eines Graffiti, das auf eine hohe Mauer am Ufer gemalt wurde. „Here it is“ steht drauf.

Es ist kühl und der Nieselregen hüllt alles in ein trübes Grau, trotzdem sind viele Leute gekommen – von Familien mit kleinen Kindern bis zu fröhlichen alten Damen sind alle Generationen vertreten. Es gibt Essenstände, frisches Obst und auf der improvisierten Bühne treten im Halbstundentakt Musikgruppen auf.

Am spannendsten für die Kinder ist eine Aufführung mit dem japanischen Holzspielzeug namens Kendama, für das man viel Übung und Geschick braucht. Zwei Männer zeigen, wie sie flink die Kugel hin und her balancieren und hüpfen lassen und laden auch Kinder aus dem Publikum auf die Bühne ein, die stolz vorführen, welche Kunststücke sie drauf haben.

Dann holen die beiden Männer ihre erweiterten Kendamas hervor, mit fünf und mehr Kugeln, die alle gleichzeitig mit einem Hops auf die Schalen befördert werden sollen. Nach einigen missglückten Anläufen, die die Spannung deutlich erhöhen, gelingt dem jungen Mann das finale Kunststück.

Der Frühling setzt sich langsam durch! Auf einem Spaziergang über die Insel entdecken wir viele blühende Mimosenbäume.

Kami-Kamagari – Orangen und eine Schutzgöttin

12. – 16. März 2024

Nach ein paar kurzen Wochen in Deutschland, während Muktuk in Hiroshima in einem sicheren Hafen geparkt war, nachdem wir ein paar Reparaturen am Boot erledigt und unsere Bekannten in Etajima noch einmal besucht haben, ziehen wir weiter ostwärts in der Seto Inlandsee.

Nächster Halt für die Muktuk ist der Schwimmsteg auf der Insel Kami-Kamagari.

Auf der anderen Seite der schmalen Landzunge befindet sich eine Art Ferienanlage mit einem Park, einem großen Hotel nebst Sportplatz und einer Reihe einfacher Ferienhäuser mit Meeresblick. Jetzt in der Nebensaison ist kaum was los, wir haben den Strand komplett für uns alleine.

Nur der Onsen und das Café oben am Berg sind einigermaßen gut besucht. Und so sieht ein typisches Mittagsmenü in dem Café aus:

Wir haben wieder Glück mit dem Wetter und nutzen die sonnigen Tage für ausgedehnte Spaziergänge. Von hier oben sieht man, wie die Strömungen der Inlandsee das Wasser durcheinander wirbeln.

Hinter dem Strand mit den Ferienanlagen erheben sich steile Hänge, auf denen Obstgärten mit Zitrusfrüchten angelegt sind, dazwischen die Wirtschaftswege, die wir für unsere Wanderungen nutzen. An den steilen, der Sonne zugewandten Hängen gedeihen die Mandarinen, Orangen und Zitronen im milden Klima der Seto Inlandsee besonders gut.

Gerade hängen die Bäume voller Orangen. Diese Sorte wird in Japan Hasaku genannt. Sie sind größer als die handelsüblichen Orangen, haben eine etwas abgeflachte Form und ein ganz besonderes Aroma mit einer leicht bitteren Note in Richtung Grapefruit.

Auch hier zeigt sich deutlich der Rückgang der Bevölkerung, Arbeitskräfte fehlen, um alle Gärten in Stand zu halten. Wir laufen an vielen aufgelassenen Obstgärten vorbei, in denen das Gras zwischen den Bäumen hoch steht und sich Schlingpflanzen um die Baumstämme und Äste ranken. In manchen Gärten ist die Verwilderung bereits so weit fortgeschritten, dass die Bäume von den Schlingpflanzen komplett überwuchert sind und keine Früchte mehr tragen können.

Die Bäume an diesen steilen Hängen zu pflegen, stellen wir uns sehr mühselig vor. Auch die Ernte ist nicht so einfach. Überall sehen wir eine Art Lastenzüge, auf denen die Obstkisten transportiert werden. Viele sind längst nicht mehr in Betrieb und haben Rost angesetzt, wie auch dieses Auto, das sehr kreativ am Straßenrand parkt.

Die Mandarinen-Saison ist eigentlich schon vorbei. Doch an diesem Baum hängen sie noch dicht an dicht, es ist offensichtlich, dass sich niemand um diesen Garten kümmert. Also trauen wir uns, ein paar Früchte mitzunehmen, sie sind köstlich!

Am nächsten Tag nehmen wir uns einen anderen Höhenweg vor, der uns bis zu einer Andachtsstätte führt.

Hier steht die Statue einer buddhistische Gottheit, die über Fischer und Seefahrer wacht. Die Legende besagt, dass sie früher leuchtete, um sie vor Gefahren in den strömungsreichen Gewässern zu warnen.

Neben der Statue führt ein steiler Weg den Berg hoch. Ich bin nicht mehr so schwindelfrei wie früher und muss meinen ganzen Mut zusammen nehmen, um die Treppen zu bewältigen, den Blick immer fest auf die Stufen gerichtet.

Nach ein paar Windungen und spektakulären Ausblicken erreichen wir ein kleines Plateau, wo eine weitere Andachtsstätte errichtet wurde: ein kleiner Schrein schmiegt sich an den Felsen, davor hängt eine Glocke, die man zum Gebet schlagen kann.

Unten am Parkplatz haben zwei ältere Herren ihre Campingstühle aufgestellt und eine Drohne ausgepackt. Mit ihr verfolgen sie unseren Weg und als wir wieder unten ankommen, fragen sie uns, ob wir einverstanden sind, dass sie die Aufnahmen auf ihrem Kanal auf Youtube einstellen und wir darauf zu sehen sind. Hier ist das Video, das sie von dem Berg gedreht haben.

Neujahr in Etajima

29. Dezember 2023 – 09. Januar 2024

Für die letzten Tage des alten Jahres finden wir einen Ankerplatz in einer geschützten Bucht der Insel Etajima, zwischen dem Fähranleger und einer kleinen Felsinsel mit einem roten Schrein ist gerade genug Platz für uns. Ein paar Schritte weiter an Land befindet sich ein schöner Onsen mit Sauna und Außenbecken.

Im Onsen trifft Andreas auf Keisuke und Yasu, beide Ende Zwanzig, mit denen wir uns später im Foyer noch etwas unterhalten. Wir laden die beiden ein, uns am nächsten Tag auf der Muktuk zu besuchen und verbringen mit ihnen einen fröhlichen Nachmittag. Keisuke hat ein Jahr lang in Australien und ein weiteres Jahr in Kanada gearbeitet. Und auch Yasu spricht Englisch, so dass die Kommunikation wunderbar klappt.
Keisuke reist zurzeit mit dem Auto durch Japan, er kann online arbeiten und ist ortsunabhängig. Auf Etajima ist er schon seit einer ganzen Weile, hat Freunde gefunden und hilft einem von ihnen bei der Renovierung eines Hauses. Im Lauf der nächsten Tage macht er uns mit vielen seiner Freunde hier auf der Insel bekannt.

Um Neujahr herum gibt es in Japan etliche Feiertage, viele Firmen machen in dieser Zeit Betriebsurlaub und so nehmen sich viele Menschen eine ganze Woche frei, um zu ihren Familien zu fahren. Silvester ist ein stilles Fest in Japan, Feuerwerk und Böller gibt es keine. Das öffentliche Leben kommt fast gänzlich zum Stillstand – etwa vergleichbar mit Heilig Abend und den Weihnachtsfeiertagen in Deutschland.

Am letzten Abend im Jahr wird eine Suppe mit langen Soba-Nudeln gekocht. Die Nudeln stehen stellvertretend für ein langes Leben und ein gutes neues Jahr. In den buddhistischen Tempeln gibt es verschiedenen Zeremonien, so werden um Mitternacht 108 Glockenschläge geschlagen: 107 im alten Jahr und einer im neuen Jahr. Am Neujahrstag wiederum sind die Shinto-Schreine voll mit Besucherinnen und Besuchern, die für Glück und Segen im neuen Jahr beten.

Da am Silvesterabend alle Restaurants geschlossen sind, bereiten wir die traditionelle Suppe mit den Soba-Nudeln bei uns an Bord zu. Wir schlürfen gewissenhaft und wünschen uns dabei schon mal Gesundheit fürs neue Jahr.

Gegen 23 Uhr machen wir uns auf den Weg zu einem buddhistischen Tempel, den Keisuke uns empfohlen hat. Dort angekommen, werden wir von einem älteren Paar, offensichtlich im Kuratorium des Tempels tätig, freudig erstaunt begrüßt. Sie geben uns zwei schön bedruckte Zettel mit einer Nummer drauf, die wir unbedingt beachten sollten.

Sie zeigen uns, welche Verrichtungen wichtig sind: so spenden wir einige 100-Yen-Münzen, dürfen Räucherkerzen anzünden und uns zu einem kurzen Gebet vor dem Altar verneigen. Danach bitten sie uns, ein Foto mit dem Priester des Tempels machen zu dürfen.

Etwa 20 Minuten vor Mitternacht ist der Andachtsraum des Tempels fast zur Hälfte gefüllt, wir sitzen alle auf niedrigen Stühlen vor dem breiten Altarraum. Der Priester beginnt mit einem kurzen Gottesdienst. Er betet, singt mit der Gemeinde zwei Lieder und hält eine kurze Predigt. Wir verstehen leider gar nichts davon, aber seiner Miene nach zu urteilen und den Reaktionen der anderen Zuhörer, war es eine Ansprache voller Zuversicht und Freude. Danach gehen wir alle raus in den großen Hof des Tempels.


Gesangbuch

In einer Ecke des Hofes befindet sich in einem stabilen Holzgerüst eine riesige Glocke. Der Priester klettert hoch zur Glocke, während sich die Gemeinde in einer ordentlichen Reihe vor dem Podest aufstellt, gemäß den Nummern auf den anfangs erhaltenen Zetteln. Alles ist wohl organisiert.
In diesem Tempel gibt es eine andere Tradition als die, von der wir im Internet gelesen haben. Der Priester schaut gebannt auf sein Mobiltelefon und Punkt Mitternacht schlägt er als erster die Glocke. Dafür schwingt er ein starkes rundes Holzstück, das an einer Kette befestigt ist, mit viel Schwung auf die Glocke zu. Danach verbeugt er sich kurz zu einem Gebet.

Nach ihm ist die Gemeinde dran. Jeder und jede darf zur Glocke hoch steigen und einen Ton schlagen, kurz innehalten und sich verneigen, so auch wir. Ein erhebender Moment für uns, Teil dieser Zeremonie sein zu dürfen.

Es herrscht eine fröhlich-feierliche Stimmung im Hof. Die Leute fotografieren sich gegenseitig, auch die Kinder dürfen die Glocke schlagen, die ganz Kleinen werden in die Luft gehoben, um den Klöppel zu erreichen.

Im Hof ist ein Stand aufgebaut, wo alle einen Becher mit heißer süßer Amazake bekommen, einem auf Basis von Reis fermentierten alkoholfreien Getränk. Etwas weiter weg brennt in einer großen Blechtrommel ein Holzfeuer, an dem man sich anschließend wärmen kann.

Wir freuen uns, wie selbstverständlich wir in die Zeremonie mit einbezogen werden und wie freundlich uns die Leute alle anschauen. Manche fragen ganz neugierig, woher wir kommen und wollen gerne wissen, was uns bewogen hat, um Mitternacht in den Tempel zu kommen. Wir versuchen, so gut es geht, mit unserem bisschen Japanisch diese Fragen zu beantworten.

Am Neujahrstag holt uns Keisuke gegen Mittag mit seinem Auto ab und wir fahren zusammen zu einem Shinto-Schrein. Erst müssen wir – wie bei fast allen großen Schreinen – eine steile Treppe hoch steigen.

Im Vorraum des Schreines stellen wir uns in die Warteschlange, während Keisuke erklärt, was wir zu tun haben: verbeugen, beten, zwei Mal in die Hände klatschen, noch einmal verbeugen, während die beiden Priester ihre Gebetsfahnen über uns schwenken. Danach bekommen wir aus einem flachen Schälchen einen Schluck Sake, den zwei junge Frauen den Besuchern anbieten.

Auf der linken Seite des Raumes sind Tische aufgebaut, da kann man Glücksbringer kaufen und aus einem Automaten Zettel mit Prophezeiungen für das neue Jahr ziehen. Wir gehen zurück in den Hof, wo Keisuke unsere Zettel anschaut und sie für uns übersetzt. Wir haben Glück, es sind lauter gute Dinge, die uns für das neue Jahr vorhergesagt werden.

Wenn man einen Zettel bekommen hat, der nicht so gut klingt, kann man ihn an einem der Blumengestecke anbinden und für bessere Vorhersagen beten. Während der Gebete sind alle sehr gefasst und feierlich, davor und danach herrscht eine zwanglos geschäftige Stimmung. Die Familien fotografieren sich gegenseitig vor dem Eingang des Tempels oder mit den Blumen im Hintergrund und auch wir machen viele Fotos.

Danach nimmt Keisuke uns zu seinen Freunden mit. Eine größere Gruppe hat sich bei Haru und Yasu in ihrem „Wearhouse“ eingefunden, eine Art Café, Second-Hand-Laden und Veranstaltungsort in einem. Wir werden herzlich begrüßt und finden uns nach einer ersten Vorstellungsrunde mit einem Glas Wein in der Hand in ernsthafte Gespräche verwickelt. Wie wir nach und nach feststellen, haben die meisten von ihnen beschlossen, sich nicht oder nicht mehr dem Erfolgsdruck und den oft unmenschlichen Bedingungen eines Angestelltenlebens (company slave) in der Großstadt auszusetzen. Sie versuchen, eine bessere Balance zwischen Arbeiten und Leben zu finden. Es ist eine Gruppe mit durchweg interessanten Menschen, die alle eine spannende Geschichte zu erzählen haben.

Was für ein Glück, Oshogatsu (Neujahrsfest mit Familie und Freunden) in diesem Kreis feiern zu dürfen.

Der Nachmittag ist viel zu schnell vorbei, darum verabreden wir uns für die nächsten Tage, an denen sie alle noch frei haben.

Zuerst kommen Haru, Yosuke, Asuka und Keisuke zu uns an Bord und wir sitzen in kleiner Runde bis spät nachts zusammen, essen und erzählen.

Zwei Tage später finden sich noch mehr junge Menschen ein, Freunde von Freunden, die alle Zeit haben und unbedingt einmal so ein Segelboot auf Langfahrt anschauen wollen. Da wir vor Anker liegen, klingelt ständig ein Mobiltelefon und Andreas macht sich auf den Weg zum Steg, um mit dem Dinghi die nächsten Besucher abzuholen. So sitzen wir schließlich zu elft in der Messe, am Tisch und auf der Treppe, darunter ein kleiner Junge von gerade mal 18 Monaten. Alle haben Unmengen an leckerem Essen mitgebracht und Kartons voller Getränke, auf dem großen Tisch ist kaum noch Platz für Teller. Wir steuern eine Lasagne bei und staunen, wie kunstvoll sie mit Stäbchen verzehrt werden kann.

Alle reden durcheinander, erzählen, machen Witze, lachen. Später spielt der Vater des kleinen Jungen auf der mitgebrachten Handpan, Andreas holt unsere Gitarre und zwei weitere Besucher spielen darauf ein paar Stücke. Wir sind begeistert und glücklich, so viele neue Menschen auf einmal kennen zu lernen.

Und wir hoffen, dass wir sie vielleicht auch später noch ab und zu treffen werden. Denn sie haben uns einen Floh ins Ohr gesetzt: in den ländlicheren Gegenden von Japan stehen viele Häuser leer und sind für sehr wenig Geld zu haben. Der Bürgermeister von Etajima sei sehr offen für alle, die sich hier niederlassen möchten, er unterstützt die neu Zugezogenen so gut es geht. Und warum wir nicht auch hierher ziehen wollten, meinen sie. Nun haben wir für das neue Jahr viel zum Nachdenken auf den Weg bekommen.

Diese Tage auf Etajima sind wirklich etwas ganz Besonderes!