Raku in Kyoto

Dass wir ausgesprochene Keramik-Fans sind, steht ja schon in einigen anderen Artikeln dieses Blogs. Der Höhepunkt der getöpferten Kunstwerke kommt aber hier.

Der Begriff Raku hat in Japan eine speziellere Bedeutung als in Deutschland. Bei uns steht Raku allgemein für eine Brenntechnik, bei der das Töpfergut nach dem Brand bei niedriger Hitze (rund 1000 Grad) eine Reduktionsphase durchläuft, durch die sich Kohlenstoffeinlagerungen, feine Risse und metallischer Glanz bilden können.

In Japan wurde Raku aber auch als Familienname der berühmtesten Töpfer-Dynastie verliehen. Diese geht zurück auf Sen Rikyu, den Meister der Teezeremonie und den Töpfer Chojiro, die das alles im 16. Jahrhundert erfunden haben. Seither gibt es fünfzehn Generationen der Töpfermeister aus der Raku Familie. Der derzeit amtierende heißt Raku Kichizaemon XV, wurde 1949 geboren und löste 1981 seinen Vorgänger in der Dynastie ab. In jeder neuen Generation ist dabei beides gefragt: sowohl die Tradition fortzusetzen, als auch sie zu brechen und weiterzuentwickeln.

Die Produktionen dieser Raku Meister sind überwiegend Teeschalen, die im Rahmen der Teezeremonie Verwendung finden. Und was für welche! Wir hatten in Kyoto sowohl Gelegenheit, Werke aller fünfzehn Generationen im Raku-Museum zu sehen, als auch eine Ausstellung im nahegelegenen Segawa Art Museum, die ausschließlich Raku Kichizaemon XV gewidmet war.

Ein wenig zum Hintergrund: Bei der Teezeremonie dreht sich alles um wa (Harmonie), alle Details ordnen sich dem unter: vom Garten über die Architektur der Teehütte, den reduzierten Schmuck in der tokonoma mit ihrer Bild- oder Schriftrolle und ihrer zur Jahreszeit passenden Pflanze bis hin zur Auswahl des Teekessels und eben der Teeschale. Das kennzeichnende Element der Ästhetik ist dabei wabi-sabi. Sabi bedeutet soviel wie „gereift durch den Gebrauch“ und wird beispielsweise durch Patina erreicht, durch leichte Rostspuren am Teekessel, der seit Generationen im Einsatz ist oder eben durch die Raku-typischen Risse in der Keramik. Wabi ist das Ideal des Unvollkommenen, der Schlichtheit, das Gegenteil der Perfektion. Und typisch japanisch ist es, diese Schlichtheit und Unvollkommenheit zur höchsten Perfektion zu treiben – und damit sind wir wieder bei Raku.

Raku Teeschalen werden in einem mehrtägigen Prozess von Hand geformt, sind nie ganz rund, haben bewusst sichtbare Spuren des Bearbeitungsprozesses oder Abdrücke der Zange, mit der sie noch rotglühend dem Töpferofen entnommen wurden. Jede Schale ist natürlich ein Unikat, hat einen Namen, oft gibt es dazu ein Gedicht aus dem Man’yoshu, der ältesten Gedichtsammlung Japans. Und sie sind einfach unglaublich schön, egal ob es sich um alte Klassiker oder moderne Interpretationen dieses Stils handelt.

In beiden Museen war es eigentlich verboten zu fotografieren. Weil aber einige der ausgestellten Schalen in keinem Katalog zu sehen sind, haben wir doch heimlich ein paar Bilder gemacht:

Ube und seine Hormone

Kurz nach der aufregenden Passage durch die Kanmon Strait suchen wir uns einen Hafen an der Nordküste aus. Ube heißt der Ort, das Hafenbecken ist groß und laut Seekarte tief genug, wir fahren am Nachmittag bei fallender Tide hinein. Bald sehen wir eine Pier, die mit schwarz-gelben Streifen markiert ist. Man hatte uns gesagt, so seien die öffentlich verfügbaren Liegeplätze markiert, also legen wir dort an. Wir benötigen allerdings etwas Hilfe, denn die Kaimauer ist gut zwei Meter über Deck und es gibt keine Leiter. Zwei Männer helfen uns, die Leinen anzunehmen, wir machen fest und ich klettere an Land. Mit Gesten und ein paar Brocken Englisch gibt uns einer der Männer zu verstehen, dass dies hier der Liegeplatz der Schlepper sei und wir nicht über Nach bleiben können. Ich zeige fragend mit der Hand im ganzen Hafen herum: „gibt es einen anderen Liegeplatz?“. Gibt es nicht, aber er zeigt mir auf der Handy-Landkarte einen Hafen weiter östlich. Da könnten wir hin. Er telefoniert kurz und bestätigt dann, dass wir dort eine Nacht bleiben könnten.

Diesen Hafen hatte ich auch schon auf der Seekarte angeschaut und als ungeeignet verworfen. Ein enges, langgestrecktes Hafenbecken mit geringen Tiefen, und laut Satellitenkarte liegen dort nur Jollen und kleine Kabinenkreuzer, maximal 4-5 Meter lang. Ein so großes Boot wie unsere Muktuk soll da reinpassen? Mit großen Zweifeln fahren wir die knapp vier Seemeilen und schauen uns den Hafen an. Den Kiel hoch, so dass wir nur noch 2,5 m Tiefgang haben, tasten wir uns in langsamer Fahrt in das Becken hinein. Wir werden schon erwartet, ein kleines Segelboot kommt uns entgegen, das hat nämlich seinen Liegeplatz für uns geräumt. Leute an Land signalisieren uns ganz zum Ende des Hafenbeckens, dort sollen wir an einem alten Kahn festmachen, der als Schwimmsteg dient und von dem eine klapprige Leiter die Pier hinauf führt. Viele Helfer vom hiesigen Segelclub nehmen unsere Leinen an, reichen uns eine Mooring, legen Extra-Leinen vom Schwimmsteg an Land zur Verstärkung, denn Muktuk ist fast doppelt so lang und wahrscheinlich zwanzigmal so schwer wie unser Steg-Kahn. Der Mann vom ersten Hafen ist auch wieder da, er ist mit dem Auto herübergefahren um sicherzugehen, dass wir gut unterkommen. Gastfreundschaft auf japanische Art!

Nachdem Muktuk sicher versorgt ist, machen wir uns auf, Ube zu erkunden. Einen Supermarkt gibt es direkt gegenüber, einen Onsen eine halbe Stunde entfernt. Auf dem Weg dorthin kommen wir an einem Restaurant vorbei, das ganz interessant aussieht. Dort steht auf jedem Tisch ein Grill, wir klopfen an und fragen, ob wir in etwa einer Stunde zum essen kommen können. „Können Sie Hormone essen?“ fragt uns die Wirtin mit Hilfe unseres Google Übersetzers. Birgit und ich schauen uns an. Hmmm… können wir schon, aber wollen wir? „Das sind die inneren Organe der Kuh“ stellt die Wirtin bzw. Google klar. OK, das ist einfacher. Leber mögen wir sowieso, Kutteln kennen wir ja aus der Toskana – wir sagen zu.

Eine Stunde später, frisch gebadet, ist das Restaurant rappelvoll. Gut, dass wir reserviert haben. Die Wirtin fragt, was wir haben wollen. Das Bier zu bestellen ist einfach, aber fürs Essen gibt es keine Speisekarte, die wir verstehen würden, wir machen per Zeichen klar, das wir einen gemischten Teller mit „Hormonen“ wollen. Der kommt dann auch, aber außer einem Stückchen Leber, einem Stückchen Fleisch und einem Stückchen Zunge erkennen wir keines dieser „inneren Organe“. Es sieht eigentlich auch nicht nach wirklichen Organen aus, eher eine Mischung aus Fett und Bindegewebe, mit eigenartigem Geschmack. Später werden wir diese Sachen auch im Supermarkt finden, aber auch da scheitert unser Taschen-Übersetzer, wir wissen bis heute nicht, was wir da gegessen haben. Wie heißt es so schön: interessanter Geschmack. Aber die Zunge war außerordentlich gut, die bestellen wir noch einmal nach und lernen, dass sie nicht wie alles andere in Sojasauce getunkt wird, sondern in Zitronensaft und mit frischem Pfeffer bestreut. Ziemlich gut.

Als wir am nächsten Morgen ablegen, drückt uns der hilfreiche Herr vom Vortag noch eine Tüte in die Hand, gefüllt mit Lebensmitteln. Man lässt in Japan seine Gäste eben nicht hungern. Und nachdem er erst einmal unsere Leine angenommen hat, waren wir wohl seine Gäste. Er springt in ein kleines Segelboot und fährt uns ein paar Minuten hinterher, um uns noch einmal zuzuwinken, dann dreht er ab und fährt wieder in den Hafen zurück.

Seto Inlandsee

Die drei Hauptinseln Japans umschließen ein Binnenmeer, in das wir am Freitag, den 12. April hineinfahren. Wir gehen am Tag davor kurz vor der Einfahrt vor Anker, um morgens pünktlich die Passage der engen Kanmon Strait beginnen zu können. Diese Passage ist nämlich nicht ohne, was im Wesentlichen zwei Gründe hat.

Zum einen ist die Seto Inlandsee eines der am dichtesten befahrenen Seegebiete der Welt, und die Kanmon Strait eine der dichtest befahrenen Seeschiffahrtsstraßen, d.h. dort gibt es einen Tanker nach dem anderen, fast wie vor dem Panamakanal. Vor der Einfahrt kommen vier Hauptschiffahrtslinien zusammen, und da müssen wir irgendwo durch, ohne die Großschiffahrt zu behindern. Auf dem AIS kann man die Verkehrsdichte gut erkennen. Jedes der grünen oder gelben Dreiecke ist ein Schiff.

Zum anderen schwappt die Tide aus dem Pazifik durch alle Öffnungen der Inlandsee hinein und heraus, und zwar umso stärker, je enger die Öffnung. Und die Kanmon Strait ist ziemlich eng, so dass zu Springzeiten bis zu neun Knoten Gezeitenstrom zu erwarten sind. Große Anzeigen an beiden Enden der Passagen zeigen die aktuelle Strömung und die Veränderung an. Diese Strömungen bremsen und beschleunigen nicht nur die Durchfahrt, sondern bilden auch quersetzende Stromwirbel, die selbst die Großschiffahrt je nach Richtung mal auf die Gegenfahrbahn, mal auf die Felsen am Ufer drücken.

An der kritischen Stelle sollte man als untermotorisiertes Segelboot also ziemlich genau bei Stillwasser (also beim Wechsel von Ebbe zu Flut oder umgekehrt) ankommen. Das ist aber gar nicht so leicht zu planen, denn die Geschwindigkeit bis dahin ändert sich wegen des Stroms ständig. Zudem müssen wir Zeit einplanen, um die Schiffahrtslinien vor dem Eingang zu kreuzen, und wer weiß wie lange wir warten müssen, bis sich eine Lücke im Verkehrt auftut.

Kurz und gut: wir müssen sehr genau planen (auf der Seekarte markiere ich für jede halbe Stunde den geplanten Zielort), Reserve einrechnen und ständig die Geschwindigkeit anpassen, um im Plan zu bleiben.

Es geht aber schließlich alles gut, die Passage erwischen wir minutengenau und haben daher auch keinen allzu großen Stress mit der Strömung. Außer dass in der Mitte der kritischsten Stelle ein paar todesmutige Fischer auf ihren Booten angeln, denn die Stromwirbel ziehen anscheinend die Fische an. Wenn die großen Pötte kommen, machen die Fischer Platz, aber so eine kleine Muktuk muss sehen wo sie bleibt und im Zickzack Ausweichmanöver fahren.

In der Seto Inlandsee werden wir nun sechs Wochen bleiben, uns die vielen kleinen Inseln ansehen, ein großes Kunst-Festival besuchen, das nur alle drei Jahre stattfindet und an einer internationalen Segel-Rally teilnehmen. Uns erwartet sehr wenig Wind (also viel Motorfahrt), viel Schiffsverkehr (also ständiges Ausguckgehen), praktisch kein Seegang (also keine Seekrankheit), kurze Tagesetappen und jede Nacht ein Hafen oder Ankerplatz. Wir haben also erst einmal sechs Wochen Urlaub.

Kurzmeldungen aus Babel

Wir haben ja schon berichtet, wie sehr wir auf die automatischen Übersetzungen des Herrn Google angewiesen sind. Eine gewisse Verständigung ist durchaus möglich, aber die Übersetzungen sind doch immer wieder amüsant bis philosophisch.

Beispiele gefällig? Unsere japanischen Schiffspapiere übersetzt Google-San z.B. so:

  • Name des unbekannten Hafens des Schiffes „MUKTUK“ der Bundesrepublik Deutschland, […] ist in der angemeldeten Form patentiert Daher meldet es sich durch das Leben.

Oder aus diversen Webseiten:

  • Bitte besuchen Sie uns mit leichten Wanderschuhen wie Turnschuhen und leicht zu bewegenden Kleidungsstücken.
  • Eltern werden vor der Einschulung in die Grundschule von einem Zwerg begleitet
  • Warum verbringen Sie nicht den ganzen Tag erfrischend, wenn Sie am Morgen von Feiertagen, die Sie an einem Tag ertrinken möchten, das Felsenbad betreten? Was?
  • Die Wirkung der natürlichen heißen Quelle und der Mottengeruch heilen Ihren Körper und Ihren Geist.
  • Das Mitführen von Zimmern in der Kühlbox ist strengstens verboten!

Rezensionen von Restaurants

  • Sowohl das Gebäude als auch die Oma sind sehr lecker und schöner Ort.
  • Kochen ist auch gut. Alkohol ist auch gut. Wenn es ein Tisch ist, kann ich Yakiniku essen. Allerdings habe ich viel über meine Tante gesprochen, ich mag es nicht sehr.

Aus der Speisekarte (zur Abwechslung mal in Englisch)

  • This special curry is a special curry made of rice specialties made of rice specializing in a special form of rice

Ashiya – Stadt der Teekessel

9. – 10. April 2019

Weiter geht es die Küste Kyushus Richtung Norden. Tagesziel ist der kleine Ort Ashiya, der seit dem 14. Jahrhundert Japans Zentrum für gusseiserne Teekessel war. In diesen Teekesseln wird das Wasser bei der Teezeremonie gekocht, sie haben eine besondere Form und sind mit kunstvoll ausgearbeiteten Reliefs verziert.

Allerdings war es erst einmal eine Herausforderung, dort hinzukommen. Wind und Strom sind gegen uns, wir müssen motoren und es steht eine unangenehme, ruppige See. Wir kommen nur mit 2-3 kn Fahrt voran. Auf einmal ertönt der Bilgenalarm – in der Motorbilge steht jede Menge Wasser. Da muss jemand etwas missverstanden haben: unter Seglern wünscht man sich neben Mast-und Schotbruch bekanntlich eine Handbreit Wasser unterm Kiel, von einer Handbreit Wasser in der Bilge ist keine Rede. Die Ursache ist schnell gefunden: die Wellendichtung dichtet die Propellerwelle nicht mehr genügend ab, wenn der Motor auf seinen Gummilagern durch die Bewegung im Seegang arbeitet. Je schneller wir fahren, desto mehr Wasser dringt ein, aber wenn wir langsamer fahren, kommen wir gar nicht mehr voran. Also Augen zu und durch, die Bilgenpumpe schafft es noch problemlos, die Wassermengen wieder nach draußen zu befördern. Aber alle ein bis zwei Minuten läuft sie für 20-30 Sekunden, das ist schon beunruhigend.

Für das Hafenbecken, in dem wir festmachen wollen, fehlen detaillierte Karten, und so sitzen wir trotz 1 Meter aufgeholtem Kiel und über einem Meter Tide erst einmal auf, kommen aber aus eigener Kraft wieder frei. Das mit der Handbreit Wasser unterm Kiel will heute einfach nicht klappen. Schließlich legen wir an einer alten Pier an, die dick mit Seepocken bewachsen, mit rostigen Eisenbeschlägen versehen und mit vorstehenden Betonelementen versetzt ist. Unsere dicken Styroporfender und Fenderbretter kommen also endlich zum Einsatz.

Die Wellendichtung kann ich zum Glück justieren, so dass sie jetzt wieder dicht ist. Dennoch muss sie bei nächster Gelegenheit ausgetauscht werden, denn das Material verliert über die Jahre seine Elastizität und ist mittlerweile am Limit. Der Austausch ist aber nur möglich, wenn das Schiff aus dem Wasser kommt. Das passende Ersatzteil haben wir schon seit Neuseeland an Bord. Einige Stunden Arbeit haben wir aber jetzt schon, bis die Bilge entwässert, mit Süßwasser gespült und getrocknet ist.

Am nächsten Tag ist das Wetter wieder besser und wir machen uns auf zum Teekesselmuseum. Wunderschön gelegen, bietet das Gelände einen klassischen japanischen Garten mit Teich, Steinen, Bäumen und gleich zwei Hütten für die Teezeremonie. Man kann diese Hütten für Veranstaltungen mieten, zur Zeit ist aber nichts los, so dass wir die große Hütte auch von innen besichtigen können, und auch den Garten haben wir praktisch für uns alleine.

Später werden wir berühmtere Gärten in Kyoto und Okayama besichtigen, dann aber zusammen mit Hunderten von Touristen. Hier dagegen können wir die Ruhe und Harmonie, die dieser Garten ausstrahlt, in vollen Zügen genießen.

Onsen

Muktuk hat ja keine Dusche unter Deck. Wir haben im Cockpit eine kleine abnehmbare Fußpumpe, mit der wir auch mal mit angewärmten Wasser duschen können, aber in den letzten fünf Jahren haben wir doch meistens das Bad im Meer oder die Kübeldusche auf dem Fischbrett zur Reinigung benutzt, auch wenn die Temperaturen manchmal etwas Überwindung gekostet haben.

In Japan allerdings sind wir nicht nur zu bekennenden Warmduschern, sondern zu regelmäßigen Onsen-Benutzern geworden. Japan ist ja bekannt für seine Badekultur. Schon zu Zeiten, als in Europa das Baden verpönt war (zweimal im Leben reichte: bei der Taufe und als Totenwäsche) und jeder wusste, dass Eintauchen in heißem Wasser alle möglichen Krankheiten verursacht, war das tägliche Bad für Japaner eine Selbstverständlichkeit.

Öffentliche Bäder – onsen genannt – gibt es daher in fast jeder Ortschaft. Und wir versuchen, alle paar Tage auch eines zu besuchen, denn es ist einfach herrlich, nach einer knappen Stunde sauber, warm und entspannt wieder herauszukommen. Die Etikette ist dabei mittlerweile auch Ausländern bekannt: erst setzt man sich auf ein kleines Schemelchen vor einen Wasserhahn, füllt eine Schüssel mit warmen Wasser und schüttet sie sich über Kopf und Körper. Mit einem Waschlappen seift man sich gründlich ein, überschüttet sich wieder mit Wasser und wiederholt diese Prozedur bis man gründlich sauber ist. Erst dann – blitzsauber und seifenfrei – darf man in die heiße Wanne, die man sich mit allen anderen Badegästen teilt.

Trotz mittlerweile zwei Monate langer Übung können wir mit den Japanern allerdings nicht mithalten. Die Leidenschaft, mit der sie sich einseifen, ist unglaublich. Nicht selten sitzen sie schaumbedeckt auf ihrem Schemel, wenn wir das Bad betreten, und wenn wir nach einer knappen Stunde wieder herausgehen, sitzen sie da immer noch und seifen sich ein. Rasieren kann man sich dabei natürlich auch noch.

Fast immer sind die Bäder nach Männern und Frauen getrennt. Es gibt sie von nobel mit Seeblick bis heruntergekommen mit abblätterndem Putz, von hallenbadähnlichen Großanlagen bis zu kleinen sento, d.h. Becken, die mit drei Gästen schon voll sind. Das kleinste konnten Birgit und ich gemeinsam nutzen, denn wir hatten es für uns alleine. Es lag im Nebengebäude eines Restaurants und war für dort essende Gäste umsonst. Sehr nett.

Das große Problem wird für uns sein, uns die Bäder wieder abzugewöhnen, wenn wir Japan in ein paar Wochen verlassen und uns in Richtung Alaska aufmachen. Kalte Kübeldusche statt heißes Wannenbad? Brrrrrrr. Vor ein paar Tagen haben wir einen „Toys’R’Us“ besucht und dort ein aufblasbares Kinderplanschbecken gekauft, das in der Messe zwischen Niedergang und Tisch gerade so hereinpasst. Wenn dann der Holzofen bullert und wir dort einen Topf Seewasser heiß machen, können wir uns da vielleicht hineinsetzen und uns zumindest onsen-mäßig mit heißem Wasser übergießen. Mal sehen, ob sich das bewährt.

Blütenzauber

Es war ja schon fast kitschig. Aber nur fast. Die Kirschblüte (japanisch sakura) ist nämlich eine ernste Angelegenheit in Japan. Ab Anfang Januar gibt das staatliche meteorologische Institut erste Hochrechnungen heraus, wann in welchen Regionen mit dem Aufblühen der Kirschbäume zu rechnen ist. Neben der Vorhersage von Tsunamis, Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Taifunen ist die Kirschblütenprognose eine wesentliche Aufgabe des Instituts.

Die Methodik wird ausführlich erläutert. Drei Kennzahlen (Erwachensindex, Wachstumsindex und Erblühungsindex) bilden die Basis für die quantitativen Vorhersagen für „Somei Yoshino“, eine speziell für die Blütenpracht gezüchtete Kirschsorte, die in Japan weit verbreitet ist.
Mit dem Näherrücken der Blütezeit gibt es dann tagesaktuelle Prognosen in Tageszeitungen, im Internet und als App („finde aufgeblühte Kirschbäume in Deiner Nähe“), zugrunde liegen dann offizielle Beobachtungsbäume an 58 Standorten in Japan. Das Voranschreiten der sakura zenzen, der Kirschblütenfront quer durch Japan von Südwest nach Nordost, wird aufmerksam verfolgt.

Und warum das Ganze? Weil hanami, das Feiern und Picknicken unter blühenden Bäumen, eine weit über tausendjährige Tradition in Japan hat. Man packt eine Decke, eine ausreichende Menge an Sake und ggf. etwas zu essen ein, sucht sich einen Park mit blühenden Kirschbäumen aus und feiert.

Und so haben wir das natürlich auch gemacht. Wetter und Timing haben gut zusammengespielt, so dass unsere hanami-Premiere auf Birgits Geburtstag fiel. Wir sind zum Tateyama Park gewandert, der auf einem Hügel mit Blick auf Nagasaki liegt und 700 Kirschbäume in fast schon voller Blütenpracht zu bieten hat. Schon als wir am Nachmittag ankamen, gab es überall kleine Gruppen, meist Familien mit Kindern auf Decken auf dem Rasen. Als es dunkel wurde, beleuchteten Hunderte von rosafarbenen Laternen die blühenden Bäume, die Kindergruppen gingen heim und die Freundes- und Firmenpartys übernahmen das Geschehen. Sake- und Geräuschpegel stiegen an, eine herrlich ausgelassene Atmosphäre.

Neben uns lagerte eine ganz professionelle Gruppe junger Leute, die auf ihrer Decke (die natürlich ganz japanisch nur mit Socken betreten wird, die Schuhe stehen am Rand davor) mehrere Kochstellen errichteten und darauf Reis und Eintopf kochten, mit verführerischen Gerüchen. Auch wir bekamen ein Schälchen Eintopf angeboten und alle lachten, als wir uns bedankten und unser japanisches Wort für „lecker“ anbrachten: oishi desu.

Das Kirschblüten hanami kommt jedenfalls definitiv auf die Liste der Dinge, die wir gerne aus Japan in unser Alltagsleben mitnehmen würden.

Doch irgendwann sind die Kirschen verblüht. Der Somei Yoshino trägt keine nennenswerten Früchte. Die Mischung aus Schönheit und Vergänglichkeit ist typisch für die japanische Ästhetik. Oder wie es Henry, der Hafenmeister aus Yonabaru, beschrieb: „Wenn die Blütenblätter herabrieseln, dann sitzen wir unter dem Kirschbaum, trinken Sake und weinen“.

Semiotische Verwirrungen

Eines der Probleme für uns in Japan ist die hartnäckige Verwendung des Japanischen durch die heimische Bevölkerung. Und das gleich auf drei Ebenen.

Als erstes wäre da die gesprochene Sprache. Bisher haben wir wirklich kaum Japaner getroffen, die auch nur minimale Englischkenntnisse haben (oder zugeben würden). Wir mit unserer Handvoll Brocken auf Japanisch (hallo, bitte, danke, wo ist, gibt es, ich möchte, ja, nein, lecker, ich spreche kein Japanisch) kommen auch nur in sehr einfachen Gesprächssituationen klar, allerdings meist zur Erheiterung der Japaner. Was oft weiterhilft, ist der Google Übersetzer auf dem Smartphone, der einfache Unterhaltungen hin und her dolmetscht. Toll, diese Technik.

Als zweites die Schrift. Um die Sache möglichst unübersichtlich zu machen, verwenden die Japaner ja nicht nur ein unlesbares Alphabet, sondern gleich drei davon (Hiragana, Katakana und Kanji). Keines davon können wir auch nur ansatzweise entziffern, und so bleiben Busfahrpläne, Beschriftungen und Speisekarten meist unverständlich. Hier kommt uns ebenfalls die Technik im Smartphone zu Hilfe, denn Google übersetzt auch den mit der Kamera aufgenommenen japanischen Text. Bei handgeschriebenen Zeichen oder stylischen Schriftarten scheitert das Programm allerdings.

Im Falle der Speisekarten gibt es weitere Hilfsmittel. Zwar versucht man ja normalerweise aus kulinarischen Gründen Lokale zu vermeiden, die Fotos ihrer Gerichte auf den Speisekarten abdrucken, in Japan ist das aber nichts Ehrenrühriges und wir nehmen die Hilfestellung für Analphabeten gerne an. Es geht aber noch besser: Japan ist absoluter Weltmeister in der Disziplin Plastikessen. Es gibt hier Firmen, die Speisen derart täuschend echt in Kunststoff nachbilden können, dass man ihren Geruch schon vom Ansehen in der Nase hat. Diese Plastikversion der Gerichte wird im Schaufenster ausgestellt, und das durchaus nicht nur in billigen Touri-Fallen.

Es bleiben aber oft genug Restaurants übrig, wo es weder Bilder noch 3D-Drucke der Gerichte gibt und das Verhältnis von Bestellabsicht zu geliefertem Essen von Überraschungen geprägt ist. Macht auch nichts, wir lernen ja gerne Neues kennen.

Die dritte Ebene der mangelnden Orientierung ist etwas schwieriger zu beschreiben. Bewegt man sich in Deutschland durch eine Stadt, so kann man meist unmittelbar wahrnehmen, ob es sich bei einem Laden um einen Bäcker, einen Metzger oder ein Reisebüro handelt. Dafür muss man weder die Beschriftung des Geschäfts lesen noch den Inhalt des Schaufensters sehen. Allein die visuelle Signatur verrät einem: „so sieht ein Bäcker aus“. Dieser Referenzrahmen fehlt uns in Japan. Bäcker, Metzger und Reisebüros sehen hier so komplett anders aus, dass wir oft ein Geschäft erst betreten müssen, um festzustellen, worum es sich handelt (und selbst dann sind wir oft am Rätseln).

Es kommen freilich auch andere Interpretationsfehler dazu: Anfangs war ich überrascht, dass es so viele Schuster in Japan gibt. Irgendwann habe ich dann kapiert, dass die vielen Schuhe im Schaufenster nicht zum Verkauf stehen. Es kann z.B. ein Kindergarten oder ein Büro sein, wo man sich beim Betreten die Schuhe auszieht und diese in einem Regal abstellt. Eigentlich logisch.
Zum Abschluss noch ein kleines Quiz: Worum handelt es sich bei den folgenden Geschäften?

Auflösung (von oben nach unten): Friseur, Bekleidungsgeschäft, Tierklinik, Bäckerei

Zahnersatz

Weil wir auf der Überfahrt nach Japan praktisch durchgehend schönen Wind hatten, segelten wir mit der Windsteueranlage. Das war auch gut so, denn unser Autopilot hat zuletzt endgültig seinen Geist aufgegeben. Eine eigentlich sehr pfiffige Konstruktion überträgt die Drehung des Motors über vier Kunststoffzahnräder auf das Ritzel. Dieses Getriebe hat schon auf der Fahrt nach Guam fürchterlich geknirscht, denn die Zähnchen aus Plastik sind mit der Zeit abgeschliffen und drehen durch. Ich hatte bereits vor ein paar Jahren ein Ersatzgetriebe verbaut und versuchte noch aus acht kaputten Zahnrädern die vier besten einzubauen, aber das hat auch nicht mehr lange gehalten. Als also am Ende unserer Überfahrt der Wind einschlief und wir die Windsteuerung nicht mehr fahren konnten, musste einer von uns immer im Cockpit sitzen und entweder von Hand steuern oder zumindest dem Autopiloten beim Steuern helfen.

Jetzt haben wir aus Großbritannien ein sündhaft teures Ersatzgetriebe bestellt. Für die vier kleinen Plastikzahnrädchen waren umgerechnet 136 Euro fällig, das sind 34 Euro pro Zahnrad oder 1,30 Euro pro Zahn. Na ja, immer noch billiger als Zahnersatz sonst, und nun schnurrt unser Autopilot wieder.

Unser Respekt vor der früheren Seglergeneration, die ohne Autopilot oder Windsteuerung die Welt umsegelten, ist jedenfalls noch einmal ein Stück gewachsen.

Geld

In der Reihe „was alles anders ist in Japan“ geht es heute ums Geld. Das braucht man nämlich zum Einkaufen, und zwar in Form von Bargeld. Kreditkarten werden üblicherweise weder in Supermärkten oder anderen Geschäften noch in Restaurants akzeptiert. Selbst unsere Liegegebühr in der Marina müssen wir in bar bezahlen. Geldautomaten gibt es zwar viele, aber kaum einer akzeptiert nicht-japanische Kreditkarten. Wenn man aber einen passenden Automaten findet, kann man viel Geld auf einmal abheben.

Mit Bargeld zu bezahlen ist aber – typisch japanisch – eine hochautomatisierte Angelegenheit. Als ich am ersten Tag im Supermarkt dem freundlichen Herrn an der Kasse einen Geldschein entgegenreiche, schaut der etwas verlegen und hält mir auf Japanisch einen längeren Vortrag, bis ich es endlich kapiere: an der anderen Seite der Kasse ist der Automat zum Bezahlen. Dort gibt man Geldscheine und/oder Münzen hinein und bekommt automatisch das Wechselgeld wieder ausgespuckt.

Wenn man einmal sein Wechselgeld von einem Menschen erhält, wird es auf typisch japanische Weise präsentiert: mit beiden Händen, einer Verbeugung und vielfacher Dankesbezeugung: „Arigato gozaimashita“.

An jeder Straßenecke und in den kleinsten Dörfchen gibt es Verkaufsautomaten für Essen und Trinken. Im Nudelrestaurant steht am Eingangsbereich ein großer Automat, dort drückt man die Tasten mit den gewünschten Gerichten, wirft das Geld ein und erhält aus dem Automaten kleine Zettelchen, die man an der Theke zur Küche abgibt. Das Essen wird dann aber, wenn es fertig ist, ganz normal von Hand an den Tisch gebracht.

Im Bus zieht man beim Einsteigen ein Ticket mit einer Nummer darauf, die den Tarifbereich der Haltestelle angibt. Auf einem Monitor kann man verfolgen, wie der Fahrpreis zu dieser Tarifnummer während der Fahrt immer höher wird, je weiter man fährt. Beim Aussteigen wirft man das Ticket und den am Ende erreichten Fahrpreis in einen Automaten.

Man kann eben auch aus dem Bezahlen mit Bargeld eine Kunst machen.