Oaxaca – Paris – Sonthofen

Auf dem Weg ins Stadtzentrum von Oaxaca sehen wir durch eine große Glasfront in eine Druckerei. Auffällig steht dort eine Druckerpresse – jede Menge Walzen, Zahnräder, Kurbeln und Stellschrauben. Das Ganze ein Getüm aus Gusseisen, massiv und antik aussehend. Ein an der Maschine Arbeitender winkt uns herein, als er sieht, wie wir unsere neugierigen Nasen an die Scheibe pressen. Im Nebenraum, der als Galerie der Druckerzeugnisse dient, steht eine zweite Presse, kleiner aber noch älter, mit viel Holz und einer großen Handkurbel.

Auf Spanisch erklärt uns der Mitarbeiter, was es mit der Maschine auf sich hat. Von den 30 Prozent, die wir verstehen, sind wir bereits sehr beeindruckt. Nach einer Weile werden wir aber an Mariana weitergereicht, eine junge Frau, die für Vertrieb und die Galerie zuständig ist, und die spricht hervorragendes Englisch, so dass wir nun mehr Details erfahren können.


Beide Maschinen sind aus Paris, auf der älteren Sternradpresse aus dem 19ten Jahrhundert haben noch berühmte französische Impressionisten ihre Druckwerke produziert. Die größere ist neueren Datums (also aus dem 20. Jahrhundert), aber erst vor zwei Jahren nach Mexiko verschifft worden. Um sie in die Druckerei zu bekommen, musste eigens der Eingang erweitert werden, sonst hätte das tonnenschwere Monstrum nicht hineingefunden.


Spannend wird es, als Mariana uns von der Drucktechnik erzählt – hier werden im Wesentlichen Lithografien hergestellt. Diese Methode hat 1797 der aus Franken stammende Alois Senefelder erfunden, zunächst um damit Musiknoten zu vervielfältigen. Dabei wird auf Kalksteinplatten mit fetthaltiger Tusche oder Kreide die Vorlage seitenverkehrt gezeichnet, dann die Steinplatte befeuchtet. Der Stein saugt das Wasser auf, außer an den zuvor bezeichneten Stellen. Beim nachfolgenden Druckvorgang bleibt die ebenfalls lipophile Druckfarbe nur auf den bezeichneten Stellen haften, nicht aber auf dem nassen Untergrund und wird dann unter hohem Druck auf das Papier übertragen. Gut wird das Ergebnis aber nur mit gutem Papier, das deshalb extra aus Frankreich eingeführt wird.

Marianas Augen leuchten, als sie uns ihre Sammlung von Lithografiesteinen zeigt. Die kommen nämlich aus der weltweit besten Herkunftsstätte: wieder aus Deutschland, nämlich aus Solnhofen im Altmühltal. Solnhofener Plattenkalk entstand im Jura als Sediment von Lagunen (also als das Altmühltal noch am Meer lag) und wurde schon im 2. Jahrhundert von den Römern als Bodenfliesen verwendet. Aber nach Senefelders Erfindung wurde der Abbau der Lithografiesteine das Hauptgeschäftsfeld. Mittlerweile sind die Vorkommen der Steinplatten mit Lithografie-Qualität nahezu erschöpft. Die Steine, die die Druckerei in Oaxaca besitzt, sind daher auch ihr ganzer Stolz und werden als die Kostbarkeiten behandelt, die sie sind. Nach jeder Druckserie müssen sie für die Aufnahme eines neuen Motivs abgeschliffen werden und werden so ein paar Zehntelmillimeter dünner. Eine Stärke von mindestens 10-12 cm müssen sie aber behalten, um unter dem hohen Druck der Presse nicht zu zerbrechen.



Wir sind völlig fasziniert von den Erklärungen, und dass wir ausgerechnet im fernen Oaxaca so viel neues über fränkische Erfinder und Steinplatten aus dem Altmühltal lernen. Mariana zeigt uns Druckerzeugnisse der vielen lokalen Künstler, die in ihrer Werkstatt ihre Drucke hergestellt haben. In den nächsten Tagen tauchen wir noch etliche Male in der Druckerei auf. Mal haben wir beim Recherchieren Interessantes über Solnhofen oder die Steine herausgefunden (z.B. das Lithografiesteinarchiv im Münchner Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung oder ein Beitrag aus Bayern 3 über den Solnhofener Plattenkalk), was wir unbedingt Mariana zeigen müssen, denn diese plant eine Reise nach Deutschland. Mal zieht es uns zurück an die Schublade mit den Druckerzeugnissen, aus der wir eine Lithografie eines lokalen Künstlers so liebgewonnen haben, dass wir sie am Ende kaufen.

Hilfsruder Autopsie

Es ist schon viele Monate her. Wir waren dabei, eine Bucht in der Nähe von La Paz zu verlassen, ich legte hart Ruder, um eine enge Linkskurve zu fahren, das Boot kam aber kaum herum. Bis ich das merkte, waren wir schon auf Grund gelaufen, denn so viel Platz war in der Bucht eben nicht. Auslöser des Problems war das Hilfsruder der Windsteueranlage. Muktuk hat ja zwei Ruderblätter, aber nur einen Propeller in der Mitte, hinter dem sich also nicht, wie sonst üblich, ein Ruderblatt befindet. Ohne Ruderblatt, das direkt vom Schraubenwasser angeströmt wird, kann man aber nicht auf engem Raum manövrieren, da bei langsamer Fahrt kaum Ruderwirkung vorhanden ist. Die Lösung auf der Muktuk: das Hilfsruder der Windsteueranlage ist, zumindest wenn wir unter Maschine fahren, über ein Gestänge mit den Hauptruderblättern verbunden, so dass wir nun doch ein – wenn auch kleineres – Ruderblatt haben, das vom Propeller angeströmt wird.

Diese Konstruktion war in der Bucht ausgefallen. Die Ursache war schnell gefunden: der Schaft des Hilfsruders war nicht mehr mit dem Ruderblatt verbunden. Zwar drehte sich über das verbindende Gestänge der Schaft des Hilfsruders, aber eben nicht das Ruderblatt selbst.

In der nächsten Bucht haben wir das Hilfsruder ausgebaut, und den Schaft aus dem Ruderblatt herausgezogen. Er war knapp innerhalb des Ruderblatts gebrochen. Zum Glück war noch ein innerer Stahlkern übrig, der noch fest mit dem Ruderblatt verbunden war. Durch Verschrauben des gebrochenen Edelstahl-Rohrs des äußeren Schaftes mit dem inneren Stahlkern konnten wir das Ganze provisorisch reparieren und wieder einbauen. Aus der nächsten Bucht kamen wir also wieder ohne Grundberührung heraus.

Aber beim nächsten Werftaufenthalt stand eine ordentliche Reparatur des Hilfsruders an. Ich kontaktierte Peter Förthmann, den Hersteller unserer Windsteueranlage, und er gab mir ausführliche Ratschläge und eine detaillierte Anleitung, wie die Reparatur vonstattengehen sollte.

Als erstes befreite ich das Ruderblatt von den über Jahrzehnte aufgebauten Schichten Antifouling. Dann kam der gruselige Schritt, das Ruderblatt rundherum mit der Flex aufzusägen, bis ich die beiden Hälften auseinanderklappen, die Reste des alten PU-Schaums entfernen und den gebrochenen Schaft herausnehmen konnte. Der war nicht nur an einer Stelle gebrochen, sondern hatte auch noch an einer weiteren Stelle bereits Haarrisse. Zudem war er etwas verbogen. Der Schaft ging zum Schweißer, der alles wieder hergerichtet hat.


Für die weiteren Schritte brauchte ich einiges an Material, das alles in Puerto Peñasco nicht zu bekommen war. Erst nach einer eintägigen Einkaufsreise über die US-Grenze nach Phoenix, Arizona, konnte das Projekt fortgesetzt werden. Der Schaft wurde mit Epoxy-Spachtel erst in eine Halbschale des Ruderblatts eingeklebt. Dann wurde die andere Hälfte aufgelegt und ebenfalls mit Epoxy-Spachtel verbunden. Entlang der aufgesägten Trennung wurde das Ruderblatt mit in Epoxidharz getränkten Glasfasermatten verbunden und verstärkt. Nach Ab- und Glattschleifen kamen noch zwei Schichten Gelcoat drauf, um eine glatte Oberfläche und einen zusätzlichen Schutz zu erhalten.



Nun stand die nächste heikle Operation an: der Hohlraum im Inneren musste mit geschlossenporigem PU-Schaum wieder ausgeschäumt werden, damit sich das Ruderblatt im Betrieb nicht mit Wasser füllt. Hierzu habe ich das Ruderblatt senkrecht gestellt, mit etlichen Schraubzwingen und Keilen in Form gehalten, oben ein Loch gebohrt und mit einem Trichter die angerührte PU-Mischung eingefüllt. Das muss sehr schnell gehen, denn 60 Sekunden nach dem Zusammenschütten der beiden Komponenten fängt das Zeug an zu schäumen. Das sind also 15 Sekunden zum Vermischen und 45 Sekunden zum Einfüllen. Und man darf nicht zu viel nehmen, sonst zerbirst das Ruderblatt unter dem Druck des sich aufblähenden Schaums. Ich habe das in drei Etappen gemacht, bis nach der letzten Runde gerade mal ein kleines bisschen Schaum aus der Einfüll-Öffnung herauskam.

Nun musste nur noch das Loch verschlossen, das Schraubenloch von der provisorischen Erstreparatur gefüllt und das Ruderblatt mit drei Lagen Antifouling gestrichen werden – fertig zum Einbau.

Ich war jedenfalls ganz schön froh, als das Ding wieder an einem Stück und an Ort und Stelle war.

 

Deutsche Segelschiffe in Santa Rosalia

Wir haben in Santa Rosalia einen kleinen, verschlafenen Hafen vorgefunden, in dem so wenig los war, dass wir sogar mitten im Hafenbecken ankern konnten. Doch das war Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts völlig anders.

Zur Verhüttung des Kupfererzes wurden große Mengen an Koks benötigt, außerdem Kohle für die Dampfmaschinen und die Eisenbahn. Beides war in Mexiko Mangelware und wurde aus Europa herangeschafft. Jahr für Jahr machten sich zwanzig bis dreißig Großsegler, teils unter deutscher, teils unter britischer Flagge, auf große Fahrt ins ferne Mexiko. Der Panama-Kanal war noch nicht fertiggestellt, und so dauerte die Reise rund Kap Horn mindestens vier, häufig auch fünf oder sechs Monate.

[Das Vollschiff FLOTIBEK war schon 1895 in Santa Rosalia und machte 1903 eine Reise von Hamburg nach Santa Rosalia in llB Tagen. (Foto: National Maritime Museum, Greenwich)]

[Ausreise der Viermastbark SCHÜRBEK 7913 nach Santa Rosalia und Portland/Or.]

Koks und Kohle stammten überwiegend aus dem Königreich Sachsen, wurden per Binnenschiff nach Hamburg transportiert und dort in die großen Segelschiffe, meist Viermastbarken von 2.000 bis 3.000 Bruttoregistertonnen, verladen. Diese Großsegler waren die letzte Generation ihrer Art, denn die Dampfschifffahrt machte den Seglern bereits viele Marktanteile streitig. Auf der Strecke nach Mexiko und zur amerikanischen Westküste war das Dampfschiff allerdings noch unrentabel. Grund waren die hohen Treibstoffkosten: Bunkerkohle, die in Südamerika einfach zu teuer war.

[Die britische Viermastbark ANDORINHA lädt im Juli 1906 Preßkohle und Koks aus Waggons und einem Elbkahn (Foto: Slg. F. W. Arnemann)]

So kam den deutschen Reedern die Koksfahrt nach Santa Rosalia wirtschaftlich sehr gelegen. Auf der Rückreise hatten sie die Auswahl zwischen Getreide und Holz von der nordamerikanischen Westküste, Salpeter aus Chile (Rohstoff für Dünger und Schießpulver), oder eben auch Kupfer aus Santa Rosalia.

Die Kupferbarren waren allerdings so schwer, dass die Segler ein ganz ungewohntes Problem bekamen. Normalerweise möchte man ja für die Stabilität des Schiffes viel Ballast möglichst tief im Rumpf. Mit einer Ladung Kupfer lag der Schwerpunkt aber so tief, dass das Schiff zu steif wurde und dem Winddruck nicht mehr ausreichend ausweichen konnte – in den Böen brach die Takelage. Um das Problem zu lösen, wurde der Laderaum durch Holzgerüste künstlich angehoben und das Kupfer etwas höher gestaut.

Aber es gab auch andere Gefahren. So ruhig der Golf von Kalifornien auch im Normalfall sein mag, bei den Sommerstürmen konnte der Anker slippen und das Schiff wurde auf die Felsen gesetzt. Oder der Kapitän geriet bei auflandigem Wind auf Legerwall und konnte sich nicht freisegeln. Und saß so ein Großsegler erst einmal auf Grund, war das Schiff meist verloren, denn in Mexiko gab es keine Schlepper, die stark genug waren, um es wieder freischleppen zu können. Doch der Profit dieser Reisen muss wohl hoch genug gewesen sein, um die Risiken aufzuwiegen.

Die Besatzungen der Kokssegler teilten den Enthusiasmus ihrer Reeder allerdings eher nicht. Die lange Reise über 15.000 sm, die eintönige Verpflegung für vier bis sechs Monate, ungemütliche und gefährliche Reiseabschnitte in Nordsee, Ärmelkanal und rund Kap Horn, die nicht selten für Verletzungen und Todesfälle sorgten. Und war man erst einmal im Golf von Kalifornien, das Ziel nur noch 350 sm entfernt, kämpften sie oft wochenlang bei Windstille oder leichtem Gegenwind für eine Strecke, die bei günstigem Wind zwei Tage gedauert hätte. Und das bei tropischer Hitze, knappen Wasservorräten und häufigen Fieberkrankheiten. Kein Wunder, dass so mancher Seemann am Ziel desertierte, obwohl die Wüstengegend auch nicht gerade einladend war.

Der Ausbruch des ersten Weltkriegs beendete die deutsche Schifffahrt nach Übersee und damit auch die deutsche Koksschifffahrt von Hamburg nach Santa Rosalia. Zwölf deutsche Segelschiffe befanden sich zu diesem Zeitpunkt in Santa Rosalia oder auf dem Weg dorthin. Manche trafen mit völlig ahnungslosen Besatzungen ein und erfuhren von den Franzosen, dass ihre Länder sich im Krieg befinden. Mexiko war nicht am Krieg beteiligt, und so konnte sich die Besatzung frei an Land bewegen, aber die Schiffe konnten die neutralen Gewässer des Golfs von Kalifornien nicht verlassen. Kurz vor Kriegsende befahl die deutsche Regierung den Kapitänen die Zerstörung der Schiffe, der Befehl traf aber wohl nicht vor der Kapitulation ein und wurde daher nicht ausgeführt. Im Versailler Vertrag fielen die Schiffe als Reparationsleistung an Frankreich, Italien und Großbritannien. In diesen Ländern war aber kein Reeder bereit, die über fünf Jahre nicht instandgesetzten Schiffe zu übernehmen, so dass die meisten an eine amerikanische Reederei verkauft und bald abgetakelt wurden.

Nach dem ersten Weltkrieg war die Zeit der Großsegler endgültig vorbei. Der Panamakanal war 1914 eröffnet worden, die Dampfschifffahrt hatte auch auf der Koksroute nach Mexiko gewonnen. Schade eigentlich – wir hätten gerne unseren Liegeplatz im Hafen von Santa Rosalia mit ein paar deutschen Viermastbarken geteilt und Seemannsgarn ausgetauscht.

Wer mehr über diese spannende Zeit erfahren will – die meisten Informationen stammen aus dieser Quelle: Burmester, H. (1987). Segelschiffsreisen nach Santa Rosalia. Deutsches Schiffahrtsarchiv, 10, 37-76. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-55876-6

Kupfer in Santa Rosalia

Im Jahre 1868 entdeckte José Rosas Villavicencio, ein mexikanischer Viehzüchter, in der Nähe des heutigen Städtchens Santa Rosalia ein paar merkwürdig aussehende Gesteinsbrocken. Er zeigte sie dem Kapitän eines in Guaymas vor Anker liegenden Schiffes, der zwei Deutsche dazu holte, um die Steine zu begutachten. Diese boten dem Bauern Geld, damit er ihnen die Fundstätte dieser Steine zeigte. Es handelte sich nämlich um Erz mit einem recht ansehnlichen Kupfergehalt von 20 bis 25%. In den folgenden Jahren wurde das Kupfererz zunächst durch ein mexikanisch-deutsches Unternehmen in geringem Umfang und nur im Tagebau gefördert, anscheinend aber mangelte es dieser Firma an fast allem: Kapital, Ausrüstung und Fachkenntnis. Ohne Hüttenwerk war es auch unrentabel, das Erz zu verschiffen, und als dann noch der fallende Kupferpreis dazukam, ging das Unternehmen 1879 pleite.


Das inzwischen nach Europa (hauptsächlich Schweden und England) exportierte Kupfererz weckte aber das Interesse der Rothschild-Familie. Zu dieser Zeit war der Weltmarkt für Kupfer von einem einzigen Hersteller bzw. einer einzigen Mine dominiert: Rio Tinto in Spanien. Rothschild beauftragte zwei französische Ingenieure damit, die Erzvorkommen in der Baja California zu untersuchen, und ausgestattet mit einem Startkapital von 12 Millionen Franc wurde die „Compania del Boleo“ als Aktiengesellschaft gegründet, die 1885 die Konzession zum Kupferabbau erhielt.

Die mexikanische Regierung versprach sich davon die Erschließung dieses bisher unbesiedelten Landstrichs und gewährte der neuen Firma Steuerfreiheit für 70 Jahre. Neben der Infrastruktur für den Erzabbau und die Kupferhütte errichtete „El Boleo“ auch Unterkünfte für die Arbeiter und französischen Ingenieure – der Ort Santa Rosalia entstand, und eine Landungsbrücke für Schiffe wurde erbaut, die Keimzelle des heutigen Hafens. 1892 hatte Santa Rosalia bereits 600 Einwohner, zwanzig Jahre später schon über 6000. Selbst eine Kirche wurde herangeschafft, aus Einzelteilen zusammengesetzt und von niemand geringerem als Gustave Eiffel entworfen. Eben genau das Richtige für französische Ingenieure!

Ende des 19. Jahrhunderts produzierte Santa Rosalia bereits 11.000 Tonnen Kupfer pro Jahr, die Hälfte der mexikanischen Produktion. Die Abbaubedingungen waren dennoch primitiv. Maschinen oder Sprengstoff kamen nicht zum Einsatz, stattdessen Handbohrer und Spitzhacke. Nur die einheimischen Yaquis aus Sonora waren der Hitze gewachsen und wurden – nur mit Lendenschurz bekleidet – unter Tage geschickt, viele erkrankten und starben aufgrund der extremen Arbeitsbedingungen.


Das Hüttenwerk war dagegen seit seiner Erbauung stets „state of the art“. Anfangs wurde das Erz nur zerkleinert und in Hochöfen verhüttet, bald kamen aber auch Konverter dazu, bei denen in das noch flüssige Rohkupfer Luft eingeblasen und die Unreinheiten damit verbrannt wurden. Am Ende blieb 98% reines Kupfer übrig, das in Barren gegossen wurde. Der als „Abfallprodukt“ entstehende Hochdruck-Dampf trieb Maschinen sowie Generatoren zur Stromerzeugung an. Die im Hochofen anfallende Schlacke wurde über Förderbänder zu einem Verladeturm am Hafen transportiert, auf Schiffe verladen und ins Meer geschüttet. Noch heute ist das Hafenbecken durch Wellenbrecher aus Schlacke geschützt.

Als nach siebzig Jahren die Steuerfreiheit von El Boleo auslief, machte die Firma 1954 dicht, die Minen wurden in Folge von mexikanischen, kanadischen und zuletzt koreanischen Betreibern weiter genutzt. Auch die Kupferhütte blieb noch bis in die 1970er Jahre in Betrieb. Das Gebäude ist mittlerweile recht verfallen, und in Deutschland wäre es aus Sicherheitsgründen sicher gesperrt und mit allerlei Zäunen umgeben. Hier in Mexiko sieht man das nicht so eng. Wir können auf dem ungesicherten Gelände herumgehen und die riesigen Anlagen und Maschinen bestaunen. Man muss eben selber zusehen, dass man nirgends einbricht und dass einem nichts auf den Kopf fällt.


Peppino, ein mittlerweile 85-jähriger ehemaliger Angestellter von El Boleo, führt uns in der Maschinenhalle herum, erklärt uns den Verhüttungsprozess und beantwortet geduldig unsere Fragen. Am Ende der Führung steigt er wieder in sein Taxi – denn aktuell verdient er mit Taxifahren sein Geld. Wir laufen noch lange in der Ruine der Anlage herum, schießen unzählige Fotos und bewundern die massiven, verrosteten Maschinenteile. Das Hüttenwerk flößt uns noch immer Respekt ein, Respekt vor der Ingenieursleistung, aber auch vor ihrer schieren Dimension. Ein befreundeter Segler, der mit uns zusammen die Anlage besichtigt, findet die passende Beschreibung: wie ein großes, mächtiges totes Tier.

Osterglocken

Ostersonntag, und keine Kirche in Sicht. Wir machen uns in voller Vormittagshitze auf den Weg, um einen kleinen Berg zu besteigen. Gleich zwei Besonderheiten führt der Revierführer hier an: im unteren Abschnitt des Pfades gibt es sogenannte Petroglyphen, das sind Steinzeichnungen, die angeblich noch von den Ureinwohnern der Halbinsel stammen sollen.

Und auf dem Gipfel hat man nicht nur einen schönen Ausblick auf die Autobahnraststätte und unseren Ankerplatz, sondern man findet hier auch „bell rocks“, Glockensteine. Diese Felsbrocken haben so einen hohen Eisengehalt, dass sie metallisch klingen, wenn man auf sie schlägt. Manche klingen wie Ambosse, andere tatsächlich wie Glocken. Aber hört selbst:

Ankern an der Autobahnraststätte

Wir hatten ja schon viele Ankerplätze, mal mehr, mal weniger malerisch. Aber an einer Autobahnraststätte geankert, das hatten wir bisher noch nicht. Hier in der Bahia Concepcion führt die mexikanische Autobahn Nummer 1 direkt am Strand entlang, und so findet der Reisende keine 50 Meter von der Autobahn entfernt sowohl ein Restaurant als auch einen Sandstrand mit ein paar Ferienhütten, der Platz dazwischen zu Ostern natürlich dicht an dicht mit Zelten aufgefüllt.

Die akustische Kulisse ist beeindruckend: um uns herum sausen Jet-Skis und Motorbötchen, am Strand tönt aus einigen Lautsprechern mexikanische Blasmusik, und zwischendurch dröhnen die Dieselmotoren der vielachsigen Lastwagen, die auf der ansteigenden Straße einen Gang herunterschalten.

Das ganze Programm wird uns natürlich nicht nur tagsüber geboten: bis morgens gegen vier Uhr läuft die Musik (die aber zumindest ab zwei Uhr zwar nicht leiser, aber schöner wird), und die Laster sind auch die ganze Nacht hindurch unterwegs.

Für uns erst einmal genug Zivilisation. Am nächsten Tag ankern wir um.

Bald auch Pinguine?

Was ist denn da schiefgelaufen? Hier sollten doch selbst im Januar mindestens 20°C herrschen und nicht Temperaturen unter Null!

Aber die Bilder sprechen für sich. Die vom Reif überzogene Vegetation. Die dünne Schneeschicht über den Steinen am Ufer. Die schneeverwehten Pfähle. Die Eisdecke auf dem Wasser in Ufernähe. Und die weiter draußen treibenden Eisbrocken.



Müssen wir bald nach Eisbären Ausschau halten? Oder kommen bald die Pinguine?


Ganz ehrlich – wir haben nicht etwa unsere Fotos aus Alaska hier eingeschmuggelt. Diese Bilder sind wirklich im Januar im Golf von Kalifornien entstanden. Doch die im Sonnenlicht funkelnden Kristalle auf den Bildern bestehen nicht aus Eis, sondern aus Salz.

Auf der Isla Carmen gegenüber von Loreto gibt es eine aufgelassene Saline. Die Salzgewinnung hat sich irgendwann in den 1980ern nicht mehr rentiert, die Siedlung ist verlassen und der ganze Maschinenpark rostet vor sich hin. Aber die Salzseen sind geblieben, und das langsam verdunstende Seewasser hat diese wunderschönen schneeweißen Kristalle gebildet.

Ein paar faustgroße Brocken nehmen wir als Andenken mit. Die einzelnen würfelförmigen Salzkristalle sind bis zu 2 cm groß, mit spiegelglatten Flächen und in genau festgelegten Winkeln zueinander versetzt. Edelsteine, die salzig schmecken.

Ach ja – ein paar Raumschiffe haben wir hier auch gesehen…

Geflügel

Während die Tiere an Land wegen der Trockenheit ums Überleben kämpfen, scheinen die Seevögel hier üppig mit allem Nötigen ausgestattet zu sein. Jedenfalls sind Artenvielfalt und die Anzahl der Tiere enorm.




Am auffallendsten sind die Pelikane. Was der Nordseeküste ihre Möwen, sind hierzulande die Pelikane – allgegenwärtig und schön anzusehen. Außer man hat den Fotoapparat gezückt, dann kommen natürlich stundenlang keine. Im Gegensatz zu Möwen sind sie überdies leise und nicht ständig am Schimpfen und Zetern.

Sie haben zwei typische Formen der Fortbewegung. Im Streckenflug bilden sie oft Formationen von bis zu einem Dutzend Vögeln, die so dicht über die Wasseroberfläche gleiten, dass ihr Bauchfell bestimmt kitzeln muss (Bauchfell? Na ja, die Federn unten eben). Schön, das machen Sturmvögel auch, und sogar bei mehr Wind und Welle, aber wenn diese großen, doch eher klobigen Pelikane so präzise manövrieren, sieht das schon haarsträubend aus. Etwa so, als hätte James Bond bei der Verfolgungsjagd durch die verwinkelte Altstadt von Nizza seinen Aston Martin gegen einem Linienbus der Stadtwerke Fulda eingetauscht.


Das andere Flugverhalten der Pelikane ist der Sturzflug, wenn sie bei der Jagd auf Sardinen oder andere kleine Fische scharenweise senkrecht ins Wasser schießen und erst im letzten Augenblick ihre Flügel anlegen. Da ihre Beute sich meist in recht flachem Wasser aufhält, wundern wir uns, ob die Pelikane immer die Wassertiefe richtig einschätzen. Ein Fehler, und der Vogel würde mit dem Schnabel im Sand steckenbleiben. Aber sie scheinen doch eine Menge Übung zu haben, in der Literatur findet man wenig über Pelikanriffe.



Möwen gibt es natürlich auch (von ähnlich zänkischem Charakter wie ihre Artgenossen an der Nordsee), dazu Kormorane, Reiher und Blaufußtölpel. Am Ufer spazieren Strandläufer und Austernfischer, hoch am Himmel ziehen die Fregattvögel ihre Kreise. Weil sie selber nicht vom Wasser starten können, jagen sie anderen Vögeln ihre Beute ab – immer ein spannendes Spektakel.

Unsere Lieblinge sind allerdings recht kleine, schwarz-weiß gefärbte Vögelchen, deren Namen wir leider (noch) nicht kennen. Vom Aussehen und Verhalten ähneln sie den Tauchsturmvögeln oder Krabbentauchern, die aber hier nicht vorkommen (die einen gibt’s nur auf der Südhalbkugel, die anderen nur im Atlantik). Jedenfalls sitzen die kleinen Kerlchen zu mehreren Dutzenden eng zusammen wie ein Teppich auf der Wasseroberfläche. Wenn man eine Weile hinschaut, macht es schwupp! Und der erste ist weg. Und gleich schwupp! der zweite. Schwupp! schwupp! schwupp! und ehe man sich’s versieht, ist der ganze Teppich komplett verschwunden. Die Wasseroberfläche ist leer! Erst trauen wir unseren Augen nicht – war es eine Sinnestäuschung? Da waren doch gerade noch massenweise Vögel? Eine halbe Minute passiert erst einmal nichts. Oder eine ganze. Da taucht plötzlich, an einer ganz anderen Stelle auf dem Wasser, vielleicht hundert Meter weiter, schwupp! ein Vögelchen auf. Schwupp! ein zweites, und schwupp! schwupp! schwupp! ist der ganze Teppich wieder da, als wäre nichts geschehen.

Von fliegenden Teppichen hört man ja öfter. Aber tauchende Teppiche sind doch etwas ganz Besonderes.

Karg

So richtig vorstellen konnten wir uns das nicht, als wir von Deutschland kommend mit dem Flieger den Golf von Kalifornien auf dem Anflug auf Tijuana überflogen und hinabsahen. Also damals, vor über fünf Monaten, als Alpha noch die „britische Variante“ und Delta der neueste Schrei war.

Jedenfalls schauten wir aus dem Flugzeugfenster und sahen neben dem blauen Meer nur braune und graue Farbtöne, nichts Grünes. Schrecklich eintönig sah das aus, schroffe Gebirge ohne Bewuchs im Wechsel mit ebenen sandigen Flächen, die eher staubig als einladend aussahen. Welch ein Unterschied zu den Wäldern Nordamerikas, der üppigen tropischen Vegetation der Südsee, den Bergwiesen Südtirols. Und da wollen wir die nächsten Monate, vielleicht sogar das nächste Jahr verbringen? Da gibt es doch außer See, Sand und Steinen nichts.


Ganz falsch gedacht. Zugegeben, die Landschaft ist karg. Und hat doch so viel zu bieten. Das fängt mit dem Gestein an den Küsten an, das sich teils vielfarbig geschichtet, in aufgebrochenen Sedimenten zu steilen Abbruchkanten aufschiebt. An manchen Orten sind unzählige versteinerte Muscheln in die Sedimente eingearbeitet, an anderen Stellen ragen schroffe Felsen aus vulkanischem Material empor. An einem Ort finden wir sogar meterbreite Adern aus Obsidian im Felsen eingebettet. Aus weicherem Gestein hat die See Höhlen ausgewaschen oder skurril geschwungene Skulpturen übriggelassen. Am Strand entdeckt man Achate unter den Kieseln, wenn man genau hinschaut.






Die Gebirgszüge der Sierra de la Giganta bieten uns fast täglich eine imposante Kulisse. Je nach Wetterlage entweder als gestochen scharfe Silhouette gegen den stahlblauen Himmel oder in abgestuft im Dunst verschwindenden mehrlagigen Zügen. Im Licht der niedrigstehenden Sonne bei ihrem Auf- oder Untergang erstrahlen die näher liegenden Hänge in leuchtendem Dunkelrot, an dem wir uns nicht sattsehen können. Die Fotos geben dieses Farbenspiel leider nur unvollkommen wieder.






Aber es gibt nicht nur Stein und Staub. So wenig Wasser auch zur Verfügung steht, etliche Pflanzen ringen der Natur doch genügend Feuchtigkeit zum Überleben ab. Unzählige Kakteenarten, aber auch andere Sukkulenten und Blattpflanzen trotzen der Trockenheit. Auf fast jedem Landspaziergang entdecken wir Pflanzen, die wir zuvor noch nicht gesehen hatten. Und wenn wir hin und wieder etwas frisches Grün oder eine kleine bunte Blüte inmitten der grauen Stachelwüste finden, kommen sie uns gerade durch den Kontrast besonders kostbar vor.

Stacheln

An Stacheligem hat dieses Land einiges zu bieten – über und unter Wasser.

Seeigel sind ja nichts ungewöhnliches, aber Kugelfische trifft man doch eher selten an. Hier im Golf von Kalifornien kann man dagegen kaum einen Strandspaziergang machen, ohne auf eines ihrer typischen Skelette zu treffen. Eines davon musste sogar als Weihnachtsdekoration herhalten. Die Idee war, die Stacheln als Kerzenhalter zu nutzen, was dem Tier dann aber doch mangels geeigneter Kerzen erspart blieb.

In unserem Fangkorb für Krebstiere aller Art konnten wir ab und zu auch lebende Exemplare an die Oberfläche holen. Bei Gefahr (oder wenn sie einfach ungehalten sind?) blasen sie sich igelkugelrund auf, sehen dabei aber eher lustig als gefährlich aus. Aus Japan kennt man sie als „Fugu“, dort sind sie für ihre sagenhafte Giftigkeit berühmt. Der Kick besteht darin, dass man locker an einem einzigen Bissen einer Fugu-Mahlzeit sterben kann, wenn der Koch sein Handwerk bei der Zubereitung nicht hundertprozentig versteht. Wir haben genug anderes zu essen und lassen die kleinen Tierchen nach einer Foto-Session wieder frei.

Mit anderen Fischen im Fangkorb mache ich eine unangenehmere Erfahrung. Die kaum handtellergroßen Rochen sind nicht, wie ich dachte, schon wieder (harmlose) Dornrücken-Gitarrenrochen, sondern fiese kleine Stachelrochen, die sich in den Netzmaschen verfangen haben und die ich befreie. Ein heftiges Zappeln des Fischs und ich schreie auf. Erst dachte ich, ich hätte mir das Ende des Metalldrahts in den Finger gebohrt, mit dem ich den Köder im Fangkorb befestigt habe, und ich wundere mich schon, warum der Stich so weh tut. Aber dann war es eben doch der Stachel des Stachelrochens, und deren Gift verursacht wirklich heftige Schmerzen, und bricht dann auch noch dank seines Widerhakens in der Wunde ab. Wieder was gelernt.

An Land ist die Stachelvielfalt Mexikos natürlich bekannt. So viele Arten von Kakteen und anderen stacheligen Gewächsen kommt anderswo wohl kaum vor. Für große Blätter ist es hier einfach zu trocken, fast alles Grünzeug hat stattdessen Dornen oder Stacheln. Diese dienen nicht nur zur Verteidigung gegen Fressfeinde, sondern auch als Kletten zur Fortpflanzung. Lose Stachelkugeln liegen auf dem Boden, bereit, die Sohle einer dahergelaufenen Sandale zu durch(!)bohren oder gerne auch direkt im Zeh steckenzubleiben. Also Augen auf beim Herumlaufen oder dicke Wanderschuhe anziehen! Größere Stachelbälle haben hakenförmige Stachelausläufer und warten wohl auf ein Fell, in dem sie sich verfangen können. Unsere Beinkleidung tut es aber auch.

Die Größe der Kakteen geht von winzigen Stachelkügelchen, die fast wie Bienen aussehen und vom Wind verweht werden können bis hin zu den Cardón Kakteen, die mit bis zu 20 Metern Höhe und einem Stammdurchmesser von anderthalb Metern punkten und an manchen Orten ganze Kaktuswälder bilden. Wir sind gebührend beeindruckt.