Küstenwache und Zoll in Imari

9. Juni 2023

Die Stadt Imari liegt am Ende einer tief eingeschnittenen Bucht. Die ganze Gegend ist stark industriell geprägt: Werften, Raffinerien, überall qualmt es aus den Schornsteinen – landschaftliche Schönheit können wir hier nicht erwarten. Die nächstgelegene „offizielle“ Marina liegt sehr weit außerhalb, und weil wir ja die Stadt und die Keramikörtchen im Hinterland erkunden wollen, suchen wir uns per Seekarte und google Maps ein Hafenbecken in Stadtnähe aus, das nahe an einem Bahnhof liegt, so dass wir vom Liegeplatz schnell und günstig in den Ort kommen können.

Wir entdecken am Ende des Hafenbeckens einen Schwimmsteg, eine Seite ist frei und wir machen dort fest. Aber – oops – auf der anderen Seite liegt ein Boot der Küstenwache! Bevor unsere Leinen noch richtig fest sind, bekommen wir auch schon Besuch. Ob wir hier bleiben können? Japaner sind ja so höflich, dass sie sehr ungern nein sagen. Wenn sie es aber doch müssen, kündigt ihr leicht schmerzverzerrter Gesichtsausdruck schon im Vorfeld an, dass dieses Mal die Antwort wohl negativ ausfallen wird: zwar ist nur eine Seite von der Küstenwache belegt, aber die andere Seite muss für Notfälle freigehalten werden. Außerdem ist der Zugang zum Steg abgesperrt, wir kämen hier also gar nicht von Bord. Wo wir denn dann hinkönnten? Die Beamten kontaktieren den Hafenkapitän per Telefon und bitten uns abzuwarten.

Nach etlichen Verhandlungen, einigen Formularen, ausführlicher Bordbesichtigung und knapp zwei Stunden ist alles geregelt: wir dürfen an der anderen Seite des Hafenbeckens längsseits festmachen. Zwar kein Schwimmsteg, aber der Tidenhub ist zur Zeit nicht so groß, dass dies ein Problem wäre. Ich frage noch kurz den Navigator des Küstenwacht-Bootes nach der Wassertiefe an der für uns vorgesehenen Stelle, weil ich denke, er hat vielleicht genaueres Kartenmaterial. Statt in die Karte zu sehen, schickt er aber zwei seiner Beamten mit dem Auto los, die nicht nur mit dem Lot die Wassertiefe messen, sondern gleich noch ein paar Mooringleinen aus dem Weg räumen, die uns behindern könnten. Per Telefon kommt dann die Information: vier Meter tief, alles perfekt!

Während wir die paar hundert Meter rübertuckern, springt auch der Rest der Mannschaft ins Auto und hilft uns, an unserem neuen Liegeplatz die Leinen anzunehmen.

Ein paar Tage später bekommen wir Besuch von zwei Zollbeamten, die das Boot besichtigen wollen und auch ein paar Formulare zum Ausfüllen dabeihaben. Sie kommen allerdings gerade, als wir mit Handtüchern und Wechselwäsche ausgerüstet zum Zug laufen wollen, um in Imari ins öffentliche Bad zu gehen. Als wir ihnen erklären, dass wir an Bord keine Duschgelegenheit haben und sowieso große Fans der japanischen Onsen sind, freuen sie sich nicht nur über unsere Wertschätzung dieses Teils ihrer Kultur, sondern haben es auch mit der Dienstpflicht nicht mehr so eilig. Sie können auch später wiederkommen. Als der jüngere Kollege dennoch ein Formular zückt, weist ihn der ältere Kollege zurecht: lass mal, die müssen doch zum Zug, um baden zu gehen.

Ist es nicht ein wunderbares Land?

Takushima

7. Juni 2023

Den Tipp bekamen wir von Fuminori-san aus Hirado: wenn wir Zeit hätten, sollten wir unbedingt die kleine Insel Takushima besuchen, denn da gäbe es ein kleines Ryokan (traditionelles japanisches Gasthaus), in dem man nicht nur ein Abendessen bekommen, sondern auch vorher ein Bad nehmen kann.

Das Inselchen hat keinen eigentlichen Ort, aber das Gasthaus ist dank google Maps schnell gefunden und wir versuchen, im nahegelegenen Hafen festzumachen. Der ist allerdings sehr klein, der einzige mögliche Liegeplatz hat ablandigen Wind und der drückt beim Anlegen immer wieder den Bug der Muktuk weg, bevor wir festmachen können. Nach etlichen Versuchen und einer ordentlichen Schramme am Bug brechen wir den Versuch ab.

Zum Glück gibt es aber am anderen Ende der Insel einen weiteren Hafen (wir fragen uns manchmal, ob japanische Inseln mehr Häfen als Einwohner haben), und der ist groß genug. Zu Fuß machen wir uns am späten Nachmittag auf den Weg, das Gasthaus ist etwa drei Kilometer entfernt. An Häusern und Zäunen hängen überall Kinderzeichnungen, die vor den Wildschweinen warnen, die offensichtlich auf dieser Insel zu Hause sind. Ein abwechslungsreicher Spaziergang führt uns vorbei an Cosmea-Feldern, liebevoll gepflegten Gemüsegärten und Selbstbedienungs-Ständen mit Gemüse.

Am Gasthaus angekommen, das gar nicht wie ein Gasthaus, sondern wie ein normales privates Wohnhaus aussieht, versuchen wir uns auf Japanisch zu verständigen: können wir hier ein Essen und ein Bad bekommen? Die Besitzerin schüttelt bedauernd den Kopf und redet auf uns ein. Viel verstehen wir nicht, aber es scheint, das Gasthaus würde nur auf vorherige Reservierung öffnen, und sie seien nicht auf Gäste eingestellt, hätten nichts eingekauft, vorbereitet etc.

Aber unser trauriger Gesichtsausdruck bringt sie dann doch zum Überlegen. Nachdem sie sich kurz mit ihrem Mann beraten hat, bedeutet sie uns zu warten. Nach einer Weile führt sie Birgit in ein kleines Badezimmer und lässt ihr in eine Art Sitzbadewanne ein heißes Bad ein. Ich darf währenddessen auf der Terrasse Platz nehmen, auf der ein Schreiner, ein Freund des Wirtspaares, gerade dabei ist, ein neues kleines Holzhaus zu bauen. Auf einem Betonfundament hat dieser das Gerüst für das Haus errichtet: Ständer, Riegel, Streben, Dachbalken und der ganze Dachstuhl stehen schon, nur Wände und Dach fehlen noch.

In dieses Gerüst stellen die Wirte einen Tisch und ein paar Stühle; ich sitze mit dem Schreiner bei einem Bier und übe mein Japanisch. Er erzählt stolz, dass er den gesamten Holzaufbau am heutigen Tag errichtet hat. Ich erzähle von unseren Reisen, und habe tatsächlich den Eindruck, dass wir uns – ausnahmsweise ganz ohne Übersetzungsprogramm – verständigen können. Nach einer halben Stunde kommt Birgit aus dem Bad, und ich darf ihren Wannenplatz übernehmen.

Während ich bade, verwandeln die Wirtsleute den Rohbau auf liebevolle Weise in ein gemütliches Restaurant: Blumen werden in Vasen auf die Holzriegel gestellt, der Tisch wird gedeckt, für später werden Lichter an die Dachsparren gehängt. Wir sitzen im Schein der untergehenden Sonne, schauen auf Meer und Hafen (den Schauplatz meines unrühmlichen Anlegeversuchs). Und dann werden die Köstlichkeiten aufgefahren: Platten mit Sashimi, Misosuppe, einlegtes Gemüse, Seeigel, Gebratenes, Gedämpftes… ein Gang nach dem anderen erscheinen auf dem Tisch, wir essen alle gemeinsam (die Wirtsleute, der Schreiner, Birgit und ich), Bier wird aus großen Flaschen reihum in unsere Gläser gefüllt. Wieder einmal fühlt es sich an, als hätten wir Familienanschluss gefunden, und wir unterhalten uns mit Händen, Füßen, Mimik und unsern paar Brocken Japanisch.

Als wir am späten Abend unsere Rechnung bezahlen und aufbrechen, bestehen sie darauf, uns mit dem Auto zum Schiff zurückzubringen – in der Nacht sei das mit den Wildschweinen nicht ganz ungefährlich…

Hölle und Fußbäder

Unzen und Obama Onsen 21. – 22. Mai 2023

Unzen, ein kleines Dorf in den Bergen voller Thermalquellen, war schon seit 1868 ein beliebter Badeort. Seit 1910 wurde es auch bei ausländischen Besuchern immer bekannter und so entstand hier eine touristische Infrastruktur mit Hotels und regelmäßigen Busverbindungen.

Weil Unzen Onsen im Landesinneren der Shimabara Halbinsel liegt, und wir unsere Muktuk nur schwer im Bus mitnehmen können, wollen wir sie für eine Nacht alleine lassen und uns in einem traditionellen japanischen Gasthaus, einem „Ryokan“ einquartieren. Wir haben schon viel darüber gehört und gelernt, wie es dort zugehen soll: wie in den Zimmern am Abend das Futonbett auf den Tatami-Matten ausgerollt wird, wie man nach dem abendlichen Bad im Bademantel zum gemeinsamen Abendessen erscheint etc.


Nur leider: weil es so viele Regeln zu beachten gibt, sind diese Gasthäuser sehr zögerlich, Nichtjapaner als Gäste willkommen zu heißen. Sie werden wohl in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht haben. Wir wurden jedenfalls aufgrund unserer mangelnden Japanisch-Kenntnisse als Gäste abgelehnt. Schade – in genau so einem Gasthaus hätten wir uns gerne einquartiert. Das ist ein wenig wie bei Groucho Marx, der auch keinem Club angehören wollte, der ihn als Mitglied aufnehmen würde.

Wir landen aber bei einem gar nicht so schlechten Kompromiss, indem wir ein Zimmer im japanischen Stil mit Tatami-Matten, ausgerollten Futons und sogar Seeblick finden, aber ohne Verpflegung im Hotel.

An heißen Quellen mangelt es diesem Ort wahrhaftig nicht. Über ein Dutzend öffentlicher Bäder stehen zur Auswahl, dazu kommen noch etliche Hotels, die über eine eigene Thermalquelle verfügen. Mitten im Ort gibt es ein aktives Fumarolenfeld, das auf Japanisch „Hölle“ (jigoku) genannt wird, denn überall dampft und blubbert es aus dem kargen Geröll und die Luft ist von Schwefelgeruch erfüllt. Die Hölle war es auch während der Christenverfolgung zwischen 1627 und 1631, als hier christliche Märtyrer mit dem 98°C heißen Wasser zu Tode gefoltert wurden. Heute spazieren aber die Touristen unbehelligt auf Bohlenwegen durch das Gelände, und in den Bädern wird das heiße Wasser auf angenehme 42°C heruntergekühlt.

Auf dem Rückweg machen wir noch Station in Obama Onsen, einem Thermalbad an der Küste, das aus derselben Magmakammer wie Unzen Onsen gespeist wird. Weil der Dampf aber auf dem Weg zur Oberfläche andere Gesteinsschichten durchquert, enthält das Wasser weniger Schwefel, dafür mehr Chlorsalze. In Obama Onsen (der Name hat nichts mit dem ehemaligen amerikanischen Präsidenten zu tun) gibt es die Tradition, sein Essen im Dampf der heißen Quellen zu garen. Es gibt sogar eigene öffentliche Küchen zu diesem Zweck, wo man seine Zutaten selbst mitbringt, um sie dann dort zu dämpfen und zu essen.

Wir haben Zeit, uns ein wunderbares Museum über die Geschichte des Badeortes anzusehen, das uns allein schon durch seine Architektur und seinen herrlichen Blumengarten begeistert.

Zum Ausklang des Tages gönnen wir uns noch eine Besonderheit von Obama Onsen, die bei Touristen und Einheimischen gleichermaßen beliebt ist: den Besuch des 105 Meter langen öffentlichen Fußbads an der Strandpromenade. Man muss ja nicht immer gleich die Seele baumeln lassen, manchmal tun’s auch die Füße.

Suizenji-Park

Kumamoto, 12. Mai 2023

Kumamoto ist die drittgrößte Stadt Kyushus und hat touristisch allerhand zu bieten. Hauptanziehungspunkt für uns ist allerdings die Einwanderungsbehörde, denn wir müssen unser Dreimonatsvisum verlängern, damit wir wie geplant bis Mitte Juli in Japan bleiben dürfen. Die Mitarbeiterin dort hatte wohl zuvor noch nie einen solchen Fall, allemal keine deutschen Segler, und muss erst einmal die Chefin konsultieren. Dann aber bekommen wir problemlos den neuen Stempel in den Pass und haben den Rest des Tages frei.


Den nutzen wir für einen Besuch im Suizenji-Park, der in den 1630er Jahren als Wandelgarten um einen See herum angelegt wurde. Spektakulär müssen hier wohl die Kirsch- und Pflaumenbäume zur Blütezeit sein, aber auch Mitte Mai hat der Garten mit seinen Steinbrücken, Kiefern und Reihern im Sonnenschein seinen Charme.

Eine breite Allee am Rand des Gartens ist zweimal im Jahr Schauplatz für das Bogenschießen zu Pferde, worin der Erbauer des Parks ein Meister und Lehrer war. In der Nähe stehen fünf Bonseki, bedeutungsvoll arrangierte Felsen umgeben von weißen und dunklen Kieselsteinen, abstrakte Gartenkunst auf japanische Art.


Dank eines Kimono-Verleihs im Eingangsbereich gibt es auch von den Touristen des 21. Jahrhunderts hübsche Fotomotive, und auch ein Hochzeitspaar nutzt den historischen Ort. Und weil es 1630 noch keine Farbfilme gab, sind die Bilder heute schwarz-weiß (ok, diese Erklärung hinkt gewaltig, aber was soll’s, ich wollte es einfach einmal ausprobieren).



Im Teehaus Kokindenju no Ma, das ebenfalls fast 400 Jahre alt ist, nehmen wir auf den Tatami-Matten Platz, trinken einen Grüntee und haben durch die offenen Schiebetüren einen wundervollen Blick auf den See.


Wir sind jedes Mal aufs Neue begeistert, wie die japanischen Gartenarchitekten mit ihrer gestalteten Natur ein solches Maß an Ruhe und Harmonie einfangen können.

Fisch in der Falle

Shimabara, 7. Mai 2023

Segeln mit Familienanschluss. So kommen wir uns mittlerweile in Japan vor. Vor rund zwei Wochen hatten wir in Makurazaki einen sehr netten Segler namens Kosei kennengelernt, der auf dem Weg nach Okinawa dort Station machte. Er empfahl uns eindringlich, den Hafen von Kuchinotsu zu besuchen, denn dort erwarte uns nicht nur ein großer Schwimmsteg, sondern auch sein Bruder Eiji.

Und so war es denn auch. In strömendem Regen wartete Eiji zusammen mit zwei Freunden auf uns, und wegen des stärker als erwartet ausfallenden Gezeitenstroms kamen wir auch noch eine Dreiviertelstunde verspätet an. Am nächsten Tag wurden wir mit dem Auto abgeholt und konnten alle zusammen an einem ganz besonderen, einmal jährlich stattfindenden Spektakel in Shimabara teilnehmen: dem Frühlings-Fischfallen-Festival.

Und das geht so: schon seit Ewigkeiten nutzten die Einwohner Shimabaras die starken Gezeiten (der Tidenhub erreicht fast sechs Meter) zum Fischfang, indem sie einen Steinwall am Strand errichteten und so eine halbrunde Fläche von fast zweihundert Metern Durchmesser umschlossen. Bei Hochwasser wird der Steinwall überspült, und wenn das Wasser mit der Ebbe abfließt, bleiben Fische, Krebse und Kraken zurück und können bei Niedrigwasser einfach eingesammelt werden.

Jedenfalls war das bis vor rund fünfzig Jahren so, dann geriet diese Fangmethode in Vergessenheit. Vor zwölf Jahren aber beschloss die Stadtverwaltung, den Damm wieder herzurichten und einmal jährlich im Frühling ein Fischfallen-Fest zu veranstalten, um den Kindern der Halbinsel beizubringen, was es an lokalen Fischsorten und anderen Meerestieren gibt. Schließlich ist der Fischfang tief in der japanischen Kultur verwurzelt. Nur leider sind Japans Küstengewässer mittlerweile so stark überfischt, dass sich kaum mehr Fische freiwillig in die Falle begeben. So müssen also für das Fest eigens gefangene Fische und Meerestiere in der Fischfalle ausgesetzt werden, damit die Kinder sie später fangen können.

Das Aussetzen der Fische ist also der erste Akt des Spektakels, bei dem sich auch die Lokalpolitiker in Gummistiefeln im Fischweitwurf üben müssen. Als nächstes dürfen Kleinkinder, die noch an der Hand der Eltern gehen, an den Rand der verbliebenen Wasserfläche. Erst wenn alle da sind, darf der Fang beginnen. Ganz diszipliniert halten sich auch alle daran und warten auf die Lautsprecherdurchsage. Dann stürzen sich aber alle Kinder, ihre Eltern hinter sich herziehend, in die Fluten. Als zweites dürfen dann auch die größeren Kinder losziehen, und am Ende kommen die Erwachsenen.

Alles in allem sollen in diesem Jahr knapp tausend Personen teilgenommen haben. Birgit und ich scheinen die einzigen Ausländer zu sein. Wir sind ein wenig zwiegespalten: einerseits stimmt es traurig, wenn der einstige Fischreichtum Japans schon so dezimiert ist, dass man den Kindern extra gefangene Fische vorsetzen muss, um ihnen das Wissen um die Natur vermitteln zu können. Andererseits aber haben alle ganz offensichtlich einen Heidenspaß dabei, kommen erschöpft und teils klatschnass, aber begeistert an den Strand zurück. Und sind mächtig stolz, wenn sie in ihrem Netz einen Fisch oder gar einen Oktopus vorzeigen können. Und wir sind froh, dabei sein zu dürfen.

Schüler aus Stein

Nagasaki, 2. Mai 2023

Auf der Suche nach einem Laden für gebrauchte Fahrräder in Nagasaki sind wir zufällig über das angeblich einzige authentische Konfuzius-Mausoleum Japans gestolpert. Das wuchtig-chinesische Gebäude hat uns angelockt. Drinnen macht China ein wenig Werbung für sich und seine neue Seidenstraße; etliche Kunstwerke aus den Beständen Pekinger Museen werden ausgestellt.



Das (uns) Beeindruckende sind aber die lebensgroßen Statuen der 72 besten Konfuzius-Schüler, den sogenannten „Weisen“. Jede einzelne der aus weißem Stein gehauenen Figuren hat ihren eigenen, ganz spezifischen Charakter. Man kann dicht an sie heran oder um sie herumgehen, ihre Haltung und ihren Gesichtsausdruck genau inspizieren und sich vorstellen, welche Persönlichkeit dieser alte weis(s)e Mann wohl gewesen sein muss.






Manche schauen gütig und wohlwollend drein, manche geben sich unnahbar, andere grimmig, wieder andere fromm. Manche sind gebeugt, andere sehen nach oben, aber jeder Einzelne ist ungeheuer ausdrucksvoll dargestellt. Es ist ein großes Vergnügen, zwischen den Reihen dieser Weisen durchzulaufen und sich vorzustellen, wie wohl das Vorbild der Figur gewesen sein muss. Schade, dass man nicht die Biografien zur Hand hat, um seinen Eindruck überprüfen zu können. Oder sich überraschen zu lassen.



Kleines Juwel

25. bis 28. April 2023

Ushibuka, ein Fischerort im Süden der Halbinsel Amakusa. Da unser Mast zum Glück nicht so hoch ist, passen wir unter der Brücke durch und können am Schwimmsteg anlegen. Der gilt als „Umi no Eki“, See-Station, und kostet Liegegebühren. Die werden leider nach Tonnen bemessen, und das Gewicht unserer Muktuk, 26 Tonnen, ist schon gar nicht mehr auf der Preisliste und muss extrapoliert werden. So müssen wir für die drei Tage und Nächte den enormen Betrag von 405 Yen, umgerechnet 2,74 Euro bezahlen. Und bekommen natürlich eine Quittung dafür. Am nächsten Tag kommt ein Mitarbeiter des Büros ans Schiff, entschuldigt sich vielmals und erklärt, die Mitarbeiterin von gestern hätte sich vertan und uns 2 Yen zu viel berechnet, die uns natürlich zurückerstattet werden, immerhin fast 2 Cent! Und natürlich gibt es dafür eine neue Quittung. Japan eben.

Aber das nur am Rande. Zeigen wollen wir Euch eigentlich einen kleinen Park, den wir zufällig auf einer Wanderung zum Aussichtspunkt auf dem Berg entdeckt haben:

Im Hafen von Io-Jima

15. – 18. April 2023

Zwei Tage und zwei Nächte sind wir unterwegs, nachdem wir Okinoerabu-Jima verlassen haben. Wir wissen anfangs noch nicht, wie lange uns der Wind für unsere Reise nach Norden erhalten bleiben wird, deshalb haben wir kein festes Ziel, sondern legen uns nur eine ganze Reihe von Optionen zurecht. Für alle Inseln, die in Frage kommen, haben wir Detailkarten, Satellitenfotos der Häfen und ein paar touristische Informationen aus dem Internet heruntergeladen.

Die Überfahrt verläuft zunächst phantastisch: wir sausen mit 6-7 Knoten bei nicht allzu viel Welle dahin und kommen hervorragend voran. Die zweite Nacht ist allerdings anstrengend. Um uns herum toben Gewitter, es regnet in Strömen, die Sicht ist fast Null. Alle Frachter, die zwischen Tokio und Taiwan oder Südkorea unterwegs sind, kreuzen unseren Kurs. Außerdem sind auf dem Dampferstrich auch noch Flotten chinesischer Fischereifahrzeuge unterwegs, die sich um Vorfahrtsregeln wenig scheren. Wer hier ohne AIS unterwegs ist, ist verloren.

In dieser Nacht ist also nicht wirklich an Schlaf zu denken. Ständig stehen Ausweichmanöver oder zumindest gespanntes Beobachten des Schiffsverkehrs an. Wir legen unsere Wunschinsel für die Ankunft fest, und am frühen Morgen ist klar, dass wir diese auch erreichen können, bevor der Wind dreht.

Io-Jima heißt sie und liegt gerade mal 30 sm vom Festland entfernt. Sie hat einen hübschen Vulkankegel und soll mehrere heiße Quellen mit den dazugehörigen Bädern (Onsen) haben. Neben Vulkanologen kommen im Wesentlichen Onsen-Freunde hierher, es gibt kaum touristische Infrastruktur, keine Restaurants, einen kleinen Krämerladen. Genau das Richtige für unseren Geschmack.

Wir erfahren, dass vor etlichen Jahren ein berühmter Trommler aus Guinea hierherzog, um eine Schule für die afrikanische Djembe-Trommel zu eröffnen. Die hat hier auf der Insel gründlich eingeschlagen, so dass die Hälfte der Inselbewohner entweder trommelt oder zur Trommelei tanzt. Viermal pro Woche kommt die Fähre aus Kagoshima, und am Wochenende, wenn die Kinder schulfrei haben, wird die Fähre mit einer Djembe-Trommel Vorführung nebst Tanz begrüßt.

Um der drohenden Entvölkerung der Insel zu begegnen, werden Neu-Ansiedler hier drei Jahre lang subventioniert, um Fuß fassen und eine Anstellung finden zu können. Im Gegensatz zu anderen Inseln mit ähnlichen Programmen muss man hier das Bürgergeld auch dann nicht zurückzahlen, wenn man die Insel wieder verlässt.

Nach unserer harten letzten Nacht auf See freuen wir uns jedenfalls sehr bei der Vorstellung, im heißen Wasser der vulkanischen Quellen entspannen zu können. Aber zu früh gefreut: als wir im Hafen angelegt haben, werden wir von einem Behördenvertreter informiert, dass wir ohne aktuellen PCR-Test nicht an Land dürfen. Wir dürfen gerne im Hafen bleiben, bis das Wetter besser wird, aber das Schiff nur verlassen, um die Hafentoilette zu benutzen. Alles Vorzeigen unserer Impfpässe oder Schnelltests hilft nichts. Und hier auf der Insel kann man natürlich keinen PCR-Test machen, den hätte man schon mitbringen müssen. Sho ga nai, wie der Japaner sagt: da kann man wohl nichts machen.

Langweilig wird es uns trotzdem nicht. Zwar dürfen wir nicht von Bord, aber das hält die Inselbewohner nicht ab, uns zu besuchen. Als erstes kommt Aia, Mutter des fünfjährigen Sohns Aito und ihrer einjährigen Tochter Asami. Aito will unbedingt das Schiff besichtigen, und der Mutter ist der fehlende PCR-Test schnuppe, also kommen sie alle an Bord, wir unterhalten uns, trinken Tee und essen Plätzchen. Sie fährt dann schnell noch heim, um für uns frisch geerntete Bambussprossen zu holen, lässt Aito solange bei uns. Er meint am Ende, wenn er groß ist, will er auch so ein Boot haben und um die Welt segeln.

Als nächstes kommen Yumi und Rei, ein elfjähriges Mädchen, wieder ist es die Neugier des Kindes, die den Kontakt herstellt. Schnell werden Yumis Mann Yoshiro und Oleg, der Vater des Mädchens angerufen, und so sitzen wir bald zu sechst um den Messetisch und unterhalten uns, denn Oleg ist ein Russe aus Estland, der vor dreizehn Jahren nach Japan kam, gut Englisch spricht und für die anderen übersetzen kann. Außerdem baut er gerade sein eigenes Boot und ist natürlich an unserer Muktuk interessiert. Wir verabreden uns für den nächsten Tag zum Abendessen an Bord und können so viel über die Insel, über die japanische Gesellschaft und über Olegs spannende Biographie erfahren.

Die Crew eines gerade eingelaufenen Forschungs- und Bergungsschiffes kommt uns auch begrüßen. Ein weiteres fünfjähriges Mädchen mit ihrem Vater besucht uns, und damit haben wir den Inselkindergarten schon komplett an Bord gehabt. Wenn es mit den Besuchern so weitergeht, haben wir bald die paar Dutzend Insulaner, die hier leben, kennengelernt, und dann hat sich das mit dem PCR-Test ja auch irgendwie erledigt.

Vor ein paar Tagen meinte Birgit, sie wünsche sich einmal einen Tag Pause, an dem nichts Neues passiert, damit sie dazu kommt, in Ruhe ein paar Blogeinträge zu schreiben. Als wir erfuhren, dass wir hier nicht an Land können, dachten wir eigentlich, ihr Wunsch würde sich erfüllen. Aber wir haben hier nun doch so viele nette Menschen kennengelernt und so viel Neues gelernt, dass es wohl wieder nichts war mit der Pause. Tja – sho ga nai, da kann man nichts machen….

Makurazaki – Hauptstadt des schimmeligen Fischs

18. bis 24. April 2023

Für unseren nächsten Hafen muss ich kulinarisch etwas ausholen. Denkt man an typische Zutaten der japanischen Küche, fällt einem als erstes die Sojasauce ein. Schon an zweiter Stelle steht aber eine Zutat, die im Westen nicht ganz so bekannt ist, aber eine absolut zentrale Rolle beim Japanisch Kochen spielt: das Dashi. Ob Miso-Suppe, die Brühe für Ramen, sautiertes Gemüse, zahlreiche Sauce: die Dashi Brühe gibt all diesen Gerichten die entscheidende Note. Die Hauptzutaten für Dashi sind Kombu (eine Algenart) und Katsuobushi, fermentierter Thunfisch. Und die Hafenstadt Makurazaki, in der wir nun liegen, ist der wichtigste Ort Japans für die Herstellung von Katsuobushi. Sie haben angeblich auch schon 1707 damit angefangen.


Das beginnt mit dem Fischfang. In dem riesigen Hafenbecken landen täglich mehrere Dutzend Fischerboote ihren Fang an. Rund 50.000 Tonnen Bonito im Jahr werden hier ausgeladen. Auf den größeren Fangschiffen wird der Fisch unterwegs bereits gefroren, hier im Hafen findet die Auktion des Fangs statt. Ab 6:30 Uhr morgens rumpeln dann die Förderbänder, auf die der Bonito kistenweise mit Gabelstaplern geschüttet wird, dort wird er nach Größe und Unversehrtheit sortiert und in Lastwagen verladen.


Dutzende Fabriken in der Stadt verarbeiten den Fisch weiter: der Bonito wird zunächst ausgenommen, grob filetiert und dann ein bis zwei Stunden gekocht. Die noch warmen Fische werden dann entgrätet, enthäutet und in Viertelfilets aufgebrochen, alles in Handarbeit. Für zwei bis drei Wochen wandert der Fisch nun in Räucheröfen, wo er einen Großteil seiner Feuchtigkeit verliert und dadurch haltbar wird. Läuft man durch die Stadt, sieht man überall die Rauchschwaden aufsteigen, und der Duft von Räucherfisch weht einem um die Nase. Angenehm, solange man da nicht wohnen muss. Auch das in vielen Höfen gestapelte Kirsch- und Eichenholz, das zum Räuchern verwendet wird, riecht herrlich.




Für die besseren Qualitätsstufen geht der Verarbeitungsprozess aber jetzt erst richtig los. Der Fisch wird glattgeschliffen und mit einem Edelschimmel geimpft. Über einen Zeitraum von einem halben Jahr wird immer abwechselnd der Schimmel kultiviert und der Fisch wieder in der Sonne getrocknet. Am Ende steht ein sehr harter und spröder Knüppel, außen gleichmäßig hellbraun, innen glasartig rot wie ein Edelstein, dem man seine fischige Herkunft kaum mehr ansieht oder anriecht, und der viele Monate haltbar ist. Die jeweils benötigte Menge an Bonitoflocken wird von diesem Block in papierdünnen Spänen abgehobelt.




Natürlich kann man in jedem Supermarkt auch schon fertig gehobelte Bonitoflocken kaufen (die aber nicht so lange haltbar sind). Oder gleich Instant-Dashi als Pulver zum auflösen in Wasser. Aber selbst gehobelt ist natürlich schöner, und solange man es nicht im Doppelblindversuch beweisen muss, schmeckt es auch viel besser. Ehrlich.

Neun Wochen auf See

9. März 2023 um 22:30 Uhr UTC, POS 24°31’N 137°31’E

Sagte ich schon, dass wir langsam ankommen wollen? Wir haben in der vergangenen Woche gut Strecke gemacht, Japan rückt näher. Seit wir unsere „Reiseflughöhe“ von 18° Nord verlassen haben und Kurs direkt auf Okinawa abgesetzt haben, wird es jeden Tag ein wenig kälter. Die Wassertemperatur unserer Kübeldusche ist von 26° auf nur noch 20° C gesunken und kostet bereits Überwindung. Die Barfuß-Zeiten sind vorbei, lange Hosen und Socken werden aus dem Schrank geholt. Die Felsbrocken und Inselchen, an denen wir vorbeifahren, heißen bereits irgendwas mit -Jima (japanisch: Insel), der Schiffsverkehr nimmt zu. Am Mittwoch hatten wir die letzte Umstellung unserer Bordzeit und sind jetzt in der Zeitzone Japans. Aktuell trennen uns noch 540 Seemeilen vom Ziel.

Allerdings sind wir ja nicht länger im Passatgürtel und können nicht auf beständige Winde aus unserer Wunschrichtung rechnen. Für die letzten Meter hat Rasmus daher noch ein paar Flauten und einen Frontdurchgang für uns vorgesehen. Aber das schaffen wir auch noch.

Wir spüren die vielen Wochen und Meilen, die hinter uns liegen. Die Stimmung an Bord schwankt zwischen Übermut und Überdruss. Der Vorschlag, noch ein paar Ehrenrunden um Okinawa zu drehen, bis auch die letzten Kartoffeln, Zwiebeln und Kohlköpfe aufgegessen sind, stieß auf einhellige Ablehnung. Dabei können wir uns ja gar nicht beklagen. Die Passatstrecke ist seglerisch nicht besonders herausfordernd, wir hatten bisher kein wirklich schweres Wetter, fast immer gute Windrichtungen und keine Schäden an Bord, mit denen wir nicht umgehen konnten. Toi toi toi, dass es auf den letzten Meilen so bleibt!

 

Wir haben es ja vergleichsweise leicht, weil uns jede Menge Technik unterstützt, die frühere Seglergenerationen nicht hatten. Die Windsteuerung geht Ruder, der Arduino übernimmt das Trimmen, das AIS geht (mit) Ausguck, das GPS navigiert. Und wir? Na gut, hin und wieder zupfen wir an den Segeln und treffen folgenschwere navigatorische Entscheidungen: „Kurs West für die nächsten sechs Wochen!“. Als Hausmeister halten wir alles in Schuss, flicken Löcher in Segel und Bordwand, reparieren, was kaputt geht. Davon abgesehen fahren wir eigentlich nur als Köche und Vogelscheuchen mit.

Und trotzdem spüren wir die Erschöpfung, körperlich wie mental. Immer mal wieder kommt uns Bruce Willis aus der siebzehnten Fortsetzung von „Stirb Langsam“ in den Sinn. Da steht er, schon längst pensioniert, mal wieder im rußverschmierten und blutbefleckten Feinripp-Unterhemd und sagt „ich glaube ich bin zu alt für diesen Scheiß“. Und macht natürlich doch alle Bösewichter fertig.

Wenn also die nächste Fortsetzung von „Zehn Wochen auf See“ gedreht wird, werden wir uns nicht gleich wieder um die Hauptrollen bemühen. In nächster Zeit sowieso nicht, denn da stehen wir bereits für „Kirschblüte in Japan“ unter Vertrag.