- Mai – 01. Juni 2023
Wir tuckern vorsichtig in Schlangenlinien zwischen kleinen Inselchen hindurch, vor uns liegt die engste Stelle der Einfahrt in die Omura Bucht. Darüber spannen sich gleich zwei Brücken, darunter ist das Wasser immer noch voller Wirbel, die jetzt bei Stillwasser zwischen Ebbe und Flut allerdings nicht ganz so stark ausfallen.
Dann hören wir aus der Ferne ein lautes Tuten. Ein Transportschiff kündigt sich an, das auch diese Passage nimmt. Wenig später sehen wir es auch, es ist groß und schnell, gleich wird es uns überholen – so wie es aussieht genau an der engsten Stelle vor den Brücken. Ich werde auf einmal ziemlich nervös, ob das mal alles gut geht. Mein Skipper bleibt ganz ruhig, da passen wir schon beide durch, meint er, keine Sorge. Was auch tatsächlich stimmt. Denn wenn das große Schiff das Kunststück gemeistert hat, den gewundenen Weg durch die Inseln zu finden, dann kann es sich auch mit uns durch die Brücke hindurch fädeln. Im Nu fährt es an uns vorbei und verschwindet in der Ferne!
Geschafft! Wir sind in der Omura Bucht! Eine Ruhe breitet sich aus, die Sonne scheint, das Wasser ist spiegelglatt, wir tuckern an kleinen Motorbooten vorbei, die Wochenendanglern darin winken uns fröhlich zu. In der Ferne erheben sich bewaldete Berge. Fast könnte man meinen, das hier wäre der Bodensee.
Als wir vor genau einem Monat während der „golden week“ mit dem Zug von Nagasaki zum Töpfermarkt nach Arita fuhren, ging die Strecke eine ganze Weile lang an einem Ufer entlang. War es ein Binnensee, eine Bucht? Ein Blick auf die Karte zeigte uns, dass es sich um die Omura Bucht handelte, die man wegen ihres schmalen Zugangs leicht für ein Binnenmeer halten könnte. Die Gegend sah so malerisch und hübsch aus, dass wir überlegten, später mit der Muktuk hierher zu kommen.
Wir fahren ein ganzes Stück in die Bucht hinein, bis zu einer kleinen Halbinsel, wo wir den Anker werfen. Hier wollen wir ein paar Tage lang bleiben. Gleich gegenüber an Land befindet sich ein großes Hotel und daneben ein etwas kleineres Gebäude mit einem Onsen, zu dem die Leute aus allen Himmelsrichtungen anreisen und den auch wir ein paar Mal aufsuchen wollen. Perfekt!
Blick vom Onsen auf die Muktuk.
Arita
Hier im nördlichen Teil der Omura Bucht sind wir ganz in der Nähe von Arita. Eine gute halbe Stunde Zugfahrt trennt uns nur von der berühmten Porzellanstadt.
Arita wirkt ganz ruhig und verschlafen ohne den Trubel des Töpfermarktes. Zuerst gehen wir zu einem kleinen Einkaufszentrum am Rande der Stadt „Arita Sera“ genannt.
In einem großen Hufeisen sind die Geschäfte angeordnet, alle bieten sie Porzellan und Keramik zum Verkauf an: Antikes und Neues, Traditionelles und Modernes. Viele schöne Stücke sind dabei, und viele davon leider auch unerschwinglich für uns.
In Zusammenarbeit mit einer örtlichen Porzellanmanufaktur haben Künstler und Designer aus aller Welt Geschirr entworfen. Der deutsche Designer Stefan Diez ist darunter, die schlichten weißen Formen der Schalen gefallen uns sehr, seine Ehefrau Stefanie Diez, eine Schmuckkünstlerin, hat Armbänder aus Porzellan gestaltet. Der japanische Künstler Shigeki Fujishiro hat sich farbenfrohe und leicht windschiefe Kaffeekannen und Tassen ausgedacht.
Auf dem Weg zurück in die Stadt schauen wir bei einer Verkaufsstelle der besonderen Art vorbei: hier gibt es Ausschussware in rauen Mengen. In zwei großen Lagerhallen sind Holzkisten gestapelt, in denen sich tausende von Schalen, Tellern und Tassen befinden. Man kann einen der bereit stehenden Plastikkörbe füllen und zahlt dafür einen fixen Preis. Wir schauen uns um, heben ein paar Kisten hoch, suchen und finden aber nichts, was uns wirklich gefällt.
Viel spannender ist die Begegnung mit einer jungen österreichischen Künstlerin, die als „artist in residence“ drei Monate lang in dieser Manufaktur gearbeitet hat. Sie hat in dieser Zeit eine Teekanne entworfen und gelernt, was man alles beachten muss, um die richtige Form zu finden, wie man den Henkel und den Ausguss gestaltet, so dass sie stabil sind und nicht gleich abfallen. Das Schwierigste scheint mir, zu berechnen, wie sehr das Material beim Brennen schrumpft und wie sich die Form dann verändert. In Arita hat sich inzwischen eine fast schon industriell anmutende Arbeitsteilung etabliert, erfahren wir. Einzelne Betriebe haben sich auf die Produktion von Formen spezialisiert, anderen aufs Brennen und Glasieren und andere wieder beschäftigen Leute, die die kunstvollen Motive aufbringen.
Nach einer kurzen Mittagspause steht das Kyushu Keramikmuseum auf dem Programm. Alle Informationen und Beschriftungen sind zweisprachig in Japanisch und Englisch und unter anderem in übersichtlichen Schautafeln präsentiert. Gleich im ersten Saal laufen in einer Dauerschleife Animationen, die den Entstehungsprozess der Glasur und der traditionellen Muster zeigen – als Projektionen auf der Wand und auf einer überdimensionierten Schale.
Diese Animationen haben eine verblüffende Wirkung, sie lenken unseren Blick auf viele Details und schärfen ihn. Nun sehen wir die in den nächsten Sälen ausgestellten Porzellanwaren viel genauer an, erkennen Unterschiede und Feinheiten viel besser.
Das Kyushu Keramikmuseum, 1980 gegründet, beherbergt eine beeindruckende Sammlung an Alltagsgegenständen aus Keramik und Porzellan, beginnend mit der Produktion der koreanischen Porzellanmeister, die als Kriegsbeute gegen Ende des 16. Jahrhundert nach Japan gebracht wurden. Einige dieser koreanischen Kunsthandwerker wurden in Arita angesiedelt. Nur wenige Jahre später, 1616, entdeckten diese Meister in den Bergen im Osten der Stadt Steine, die reich an Kaolin und anderen Mineralien waren, die für die Herstellung von hochwertigem Porzellan benötigt werden. Nun war die Produktion von Porzellan für die nächsten Jahrhunderte gesichert, die Herstellungsprozesse wurden verbessert und verfeinert und Arita entwickelte sich zum bedeutendsten Ort für Porzellan in ganz Japan.
Miniaturmodell eines Hang-Ofens mit aneinander gereihten Brennkammern
Mitte des 17. Jahrhunderts konnte und durfte wegen politischer Unruhen kein Porzellan aus China exportiert werden. Um den europäischen Markt weiter mit dem begehrten Porzellan zu versorgen, wurde in Arita die Produktion hochgefahren. Jetzt mussten sich die Porzellanmeister auch mit ihnen bisher unbekannten Formen beschäftigen, wie Kaffeekannen und Weinkaraffen, Salzstreuern und Senftöpfchen. Auch wurden andere Muster verwendet, nicht nur die auf Kobalt basierenden blauen Töne waren gefragt, auch die an die chinesischen Muster angelehnten vielfarbigen Motive wurden nun auf die Porzellanwaren gemalt – und in Europa dann oft noch mit Goldverzierungen ergänzt.
Vom nächstgelegenen Hafen in Imari wurden die Porzellanwaren nach Nagasaki gebracht und dort auf die hochseetauglichen Schiffe der Niederländischen Ostindien-Kompanie umgeladen. So wurde Porzellan aus Arita nach und nach weltberühmt und blieb es auch, als China wieder Porzellan exportierte.
Den Grundstock für das Museum bilden zwei Schenkung von Privatsammlungen: Kanbara Hakaru (1896-1987) sammelte Arita Porzellan aus allen Teilen Europas, also Stücke, die überwiegend für den Export hergestellt wurden; während sich die Sammlung des Ehepaars Akihiko und Yuko Shibata auf Arita Porzellan aus der Edo Periode (1603-1868) konzentrierte, das in Japan genutzt wurde.
Es gibt immer noch Manufakturen in der Stadt, die die traditionellen Formen und Muster fortführen, andere wiederum produzieren Essgeschirr für ein jüngeres Publikum, der Markt hat sich verändert. Nun wird zum Beispiel für Sternelokale in Tokio oder Kyoto sogenanntes „fine dining“ Geschirr in modernem Design hergestellt, wie in dieser Fernsehdokumentation zu sehen ist.
Ein anderer Saal zeigt großformatige Vasen von zeitgenössischen Künstlern und Designern, alles Unikate.
Unser absolutes Lieblingsstück entdecken wir in der Vitrine, wo einige Neuerwerbungen des Museums ausgestellt sind. Es ist ein nicht näher datierter Teller aus dem 18. Jahrhundert aus der Gegend von Hizen.
Auch die Gebrauchskeramik in den Toiletten ist in den typischen Arita-Mustern gestaltet, ebenso wie die Lichtschalter.
Und im Hof des Keramikmuseums steht ein großer Porzellanvogel auf einem Springbrunnen. Es ist ein Geschenk der Partnerstadt Meißen von 1987 und die Nachbildung einer Figur, die von einem der berühmtesten Meißner Künstler, Johann Joachim Kändler (1706-1775), entworfen wurde.
Zuletzt finden wir noch das berühmte „Arita Café“. Als Blickfang steht vor dem Gebäude ein Mini, der mit den unverwechselbaren Mustern des Arita Porzellans bemalt ist.
Im Café sind auf durchsichtigen Regalen hunderte von Kaffeetassen ausgestellt. Keine davon soll doppelt vorhanden sein. Die Besucherinnen und Besucher dürfen sich davon eine aussuchen und daraus ihren Kaffee trinken!
Auch hier gibt es einen Ausstellungsraum, darin eine dieser riesigen Vasen, die mich deutlich an Größe übertrifft.
Takeo Onsen
Die darauffolgenden Tage sind grau und regnerisch. Wir bleiben daheim im gemütlichen Boot und gehen höchsten mal raus zu einem Besuch im wärmenden Onsen.
Aber mit der Sonne kommt auch unsere Unternehmungslust wieder zurück: Unser Ankerplatz in der Omura Bucht liegt so günstig, dass von hier aus auch Takeo Onsen in einem Tagesausflug leicht erreichbar ist. Wie der Beiname „Onsen“ schon sagt, gibt es in diesem Ort etliche heiße Quellen und dazu schöne Parks, in denen die Touristen vor und nach dem Besuch in einem der heißen Bäder spazieren gehen können. Das alles interessiert uns dieses Mal nicht so sehr, wir wollen statt Porzellan zur Abwechslung mal wieder Keramik sehen.
Wir hatten ein Prospekt mit einer umfangreichen Liste von Keramikern aus dieser Gegend gefunden. Einige von ihnen würden wir sehr gerne in ihren Ateliers besuchen. Diese Töpfereien befinden sich allerdings alle auf dem Land außerhalb der Stadt. Am Bahnhof leihen wir uns Fahrräder aus und fahren los in die Pampa. Wir sind froh, dass wir E-Bikes bekommen haben, damit kommen wir viel schneller und bequemer durch die hügelige Landschaft.
Um zur ersten Adresse zu gelangen, biegen wir von der dicht befahrenen Hauptstraße ab und befinden uns auf einmal mitten in grünen Reisterrassen.
Google Maps leitet uns durch ein kleines verschlafenes Dorf und weiter in den Wald. Dort steht ein kleines verwunschenes Häuschen, mit ein paar Hortensien davor, im intensivsten Blau. Nur leider ist niemand da, der auf unser Klingeln und Klopfen reagiert. Wir sind ja auch nicht angemeldet! Unser Japanisch ist noch viel zu schlecht, um damit telefonieren zu können und Email-Adressen hatten wir keine gefunden.
Weiter geht’s, zurück zur Hauptstraße, in den nächsten Ort. Auch bei dieser Adresse stehen wir vor verschlossenen Türen und können nur durchs Schaufenster eine wunderschöne Sammlung von Vasen in allen Größen und Formen bewundern. Als wir die kleine Straße den Hügel wieder hinauf fahren, entdecken wir zur Linken ein Hinweisschild auf eine andere Töpferei. Wir stellen die Räder ab und gehen in den Hof, wo uns eine Frau freudig überrascht begrüßt. Unerwartete Besucher! Sie führt uns in den Schauraum der Töpferei, die sie gemeinsam mit ihrem Mann betreibt, und zeigt uns auch den angrenzenden Lagerraum, bevor sie kurz verschwindet, um für uns einen Grüntee zuzubereiten. Im Lagerraum sind ringsum tiefe Regale aufgestellt, ein weiteres in der Mitte. Hier verlieren wir uns im Schauen, so viele verschiedene Schalen und Vasen stehen hier und nicht wenige, die uns sehr gut gefallen und dazu noch erschwinglich sind!
Auch wenn wir inzwischen wissen, dass wir die doppelte der üblichen Gepäckmenge für den nächsten Heimflug zur Verfügung haben, nämlich insgesamt rund 100 kg, so können wir doch nicht unbegrenzt einkaufen. Wir beraten lange hin und her, welche der vielen schönen Vasen wir mitnehmen wollen. Die größte lassen wir dann doch da, wer weiß, ob sie den Flug unbeschadet überstehen würde.
Die nächste Töpferei befindet sich noch weiter weg von Takeo Onsen, der Weg dorthin führt uns wieder an Reisfeldern vorbei, durch kleine Wäldchen hindurch, das letzte Stück fahren wir auf einem unbefestigten Schotterweg. Zwar ist der Keramiker selbst nicht da, er bereitet gerade eine Ausstellung in Kyoto vor. Aber das ältere Ehepaar, das in der Nähe Unkraut jätet, unterbricht seine Arbeit. Es sind seine Eltern. Sie schließen die Galerie auf und zeigen uns mit sichtlichem Stolz die beiden Räume, in denen wunderschöne edle Einzelstücke ausgestellt sind!
In einer anderen Töpferei dürfen wir zuschauen, und mit der Zustimmung des Meisters filmen, wie er an der Drehscheibe einen Becher nach dem anderen formt. Überall in der Werkstatt sind die fertigen Stücke zum Trocknen aufgestellt.
Kurz vor 17.00 Uhr bringen wir die Fahrräder rechtzeitig zurück. Die junge Frau, die sie wieder in Empfang nimmt, ist sichtlich beeindruckt über den niedrigen Stand der Akkus. So weite Strecken fahren wohl die wenigsten. Wir jedenfalls sind nach diesem Tag begeistert davon, wie viel angenehmer man mit einem E-Bike unterwegs ist. Eine so lange Strecke mit so vielen Steigungen hätten wir niemals an einem Tag geschafft.
Wie in so vielen Bahnhöfen, die wir bisher in Japan gesehen haben, ist praktischer Weise alles an einem Ort versammelt: das Büro der Touristeninformation, wo man auch die Fahrräder ausleihen kann, ein Imbiss für ein schnelles Mittagessen, ein Obst- und Gemüsestand und sehr häufig auch ein Verkaufs- und Ausstellungsraum mit einer Auswahl an örtlichem Kunsthandwerk: in Takeo Onsen eben Keramiken von den Töpfereien aus der Umgebung. Wir können der Versuchung nicht widerstehen, auch hier noch einmal zwei, drei Stücke zu kaufen. Sie sind einfach zu schön!
Nebenan befindet sich ein heller Aufenthaltsraum, in dem Schulkinder auf den Zug warten. Sogar hier ist Keramik ausgestellt!