Angesagt sind 3-4 Windstärken, doch der Passat weht selten unter 6, oft mit 7 Bft. Das Übliche. Die Richtung ist gut (raumschots, d.h. der Wind kommt von schräg hinten), die Welle nicht unbedingt angenehm, aber erträglich. 1300 Seemeilen liegen vor uns bis Papua Neuguinea, wir rechnen mit zwei Wochen. Unser Plan ist, die Inselwelt der Louisiaden für einige Zeit zu erkunden, bevor wir Port Moresby, Hauptstadt, sicherer Liegeplatz und Endstation dieses Reiseabschnitts anlaufen.
Aber wie das mit den Plänen so ist. Nach etwa einer Woche auf See, mitten drin also, knallt es zweimal kurz hintereinander und das Boot steht. Natürlich nachts. Natürlich während Birgits Wache. Ich werde mit den Worten geweckt: „Andreas, die Genua liegt im Wasser“. Es gibt angenehmere Arten, die Wache anzutreten.
Im Licht der Decksbeleuchtung und Stirnlampen stellt sich heraus, dass das Vorstag gebrochen ist. Das ist ein 13mm dicker Stahldraht, der vom vorderen Masttopp zum Bug verläuft. Zum einen ist daran die Genua, das größere unserer beiden Vorsegel, befestigt, zum anderen werden damit die Masten nach vorne abgespannt. Der zweite Knall war das Genuafall, das in Folge ebenfalls gerissen ist, und damit fielen Vorstag und Segel gemeinsam ins Wasser.
Das Vorstag ist aber nicht nur ein Drahtseil, sondern umgeben vom Profilstag, einem Alurohr, das zur Rollreffanlage gehört. Um dieses wird die Genua gewickelt, wenn man das Segel einrollt. Gebogen werden gehört nicht zu den Stärken dieses Rohrs. Unten war das ganze noch befestigt, oben im Mast nicht mehr, so dass vorne noch etwa 20 qm Segel flatterten, dann das Profilstag gebrochen war, und sich ab dort das Segel Richtung Wasser neigte. Und es wehten ja auch noch knapp 6 Windstärken.
Etwa eine Stunde brauchten wir, um das Segel aus dem gebrochenen Abschnitt herauszuziehen, damit den Druck aus dem Segel zu nehmen, den Riesenlappen aus dem Wasser zu fischen und provisorisch an der Reling festzubinden. Das Ganze im Dunkeln, angeleint im Lifebelt und bei gut zwei Meter Welle. Genug Programm für diese Nacht.
Bestandsaufnahme des Schadens am nächsten Morgen: der Bruch erfolgte am Übergang vom Stahldraht zu dem aufgepressten Terminal im Masttopp. Wahrscheinliche Ursache Materialermüdung, und innerhalb der Presshülse auch durch regelmäßige Inspektion nicht zu erkennen. Um das Segel richtig bergen zu können, müssen wir die Rollreffanlage und das Vorstag am Bug demontieren, nochmal ein ordentliches Arbeitsprogramm von zwei Stunden, denn die Befestigung ist so stark verbogen, dass wir Teile mit der Flex durchschneiden müssen.
Bestandsaufnahme unserer Situation: Wenn man schon einen Teil des Riggs verlieren will, ist das Vorstag gar keine so schlechte Wahl. Zum einen gibt es noch das kleinere Vorstag für die Fock, das ebenfalls die Masten nach vorne stützt. Zum anderen haben wir noch das Spi-Fall, das zwar nur Tauwerk und kein Draht ist, aber auch vom Masttopp nach vorne läuft. Außerdem wirken beim normalen Segeln die meisten Kräfte auf die Masten zur Seite und nach vorne ein, nur selten nach achtern. Wenn wir also vorsichtig sind, wenig Segel setzen und auf den Fischerman verzichten, sollten die Masten wohl stehen bleiben. Und dank des kräftigen Windes kommen wir auch mit der verbliebenen Fock ganz gut voran. Nur den Abstecher zu den Louisiaden geben wir auf und setzen direkt Kurs nach Port Moresby ab, um mehr Zeit für die Reparaturen zu haben.
Die stellen sich auch nicht gerade einfach dar. Der einzige Mechaniker vor Ort zuckt die Achseln und meint, das Material könne man in Papua Neuguinea nicht bekommen. Ein Schiffsausrüster in der Marina meint nur, wir sollten alles demontieren, nach Australien verschiffen, dort reparieren und wieder herschicken lassen. Dass das komplette Vorstag samt Rollreffeinrichtung 16 Meter lang ist und nicht gebogen oder gefaltet werden kann, hat er dabei nicht bedacht. Keiner der beiden hat Lust, auch nur einen Kostenvoranschlag abzugeben.
Da müssen wir also selber ran. Ich recherchiere zwei Wochen lang im Internet über Bezugsquellen, bestelle Teile aus Australien und Großbritannien, wir bringen einige Teile aus Deutschland mit, und wenn wir kurz vor Weihnachten wieder zurückfliegen, steht die Montage auf dem Programm. Am Ende muss ich ca. 30 kg Vorstag und Rollanlage irgendwie in den Mast hochziehen und dort befestigen. Wird bestimmt noch lustig. Aber vielleicht haben wir als Weihnachtsgeschenk dann wieder ein Vorstag samt Genua.