Seit wir im Gebiet der Inseln um Hiroshima unterwegs sind, gehören die ausgedehnten Flöße der Austernfarmen zum alltäglichen Anblick. Es ist oft gar nicht so einfach, zwischen ihnen den Weg in Häfen und Buchten zu finden. Zum Glück haben wir mittlerweile Seekarten, in denen die maximalen Ausmaße der Austernflöße eingezeichnet sind.
Aus der Gegend um Hiroshima kommen über 60% aller in Japan produzierten Austern, fast 30.000 Tonnen jedes Jahr. In einem kleinen Museum für Lokalgeschichte in Hiroshima erfahren wir, warum. Das beginnt mit dem Ota-Fluss, dessen eingeschwemmte Sedimente großflächige Wattgebiete hervorbringen, was die Austern im Larvenstadium benötigen. Außerdem trägt der Fluss Süßwasser und Stickstoff aus der Landwirtschaft ein, was das Plankton wachsen lässt. Von Plankton ernähren sich die Austern, und weil die Bucht vor Hiroshima ein recht geschütztes Gewässer ist, wird das Plankton auch nicht so schnell weggeschwemmt, so dass die Austern wachsen und schön fett werden können.
Aber es gibt weitere Standortvorteile: die wechselnde Wassertemperatur ist genau, was die Austern mögen: über 20°C im Sommer (gut für die Eiablage), unter 20°C im Winter (gut fürs Wachstum). Und nach dem Laichen sinkt durch die ausgeprägte Regenzeit die Salinität des Wassers, was vor allem den Larven gut gefällt.
Kein Wunder also, dass hier schon seit 1673 Austern gezüchtet und bis nach Osaka verkauft wurden. Anfangs hat man es sich noch recht einfach gemacht. Man stellte Bambusgestelle ins Watt, und automatisch setzten sich darauf Austernlarven fest, die nach ein paar Jahren zu ansehnlichen leckeren Tieren heranwuchsen.
Seit dem zweiten Weltkrieg hat sich aber ein komplizierteres Verfahren durchgesetzt, was zu deutlich besseren Erträgen führt und nun überall eingesetzt wird. Dabei durchlaufen die Austern fünf Phasen:
- Einnisten: nach der Eiablage im Sommer schwimmen die Larven frei im Meer herum, bis sie sich irgendwo festsetzen. Im Wasser aufgehängte (leere) Schalen von Jakobsmuscheln werden von den Larven gerne als Heimat gewählt, etwa drei Wochen nach der Eiablage haben sich die meisten von ihnen einen Standort auf einer Muschelschale ausgesucht.
- Abhärten: Die besiedelten Schalen werden dicht übereinander gepackt ins Watt verbracht. In den Gestellen dort werden sie abwechselnd überspült und fallen trocken. Dadurch werden die Austern robuster und unempfindlicher gegen wechselnde Umwelteinflüsse.
- Aufhängen: wie Setzlinge werden die kleinen Austern nun samt ihren Jakobsmuschelschalen vereinzelt und an etwa neun Meter langen Schnüren unter Bambusflößen ins tiefe Wasser gehängt.
- Wachstum: unter den Bambusflößen bleiben die Austern nun für 2-3 Jahre, bis sie zu ausreichender Größe herangewachsen sind.
- Ernte: mit zehn Meter hohen Kränen werden die schweren Austernschnüre schließlich aus dem Wasser geholt. Die beste Erntezeit ist von November bis April.
Und so ist es auch kein Wunder, dass im Winter hier fast jedes Restaurant frische Austern auf der Speisekarte hat. Wer auf glibberige, glitschige Nahrung steht, kann hier natürlich auch rohe Austern essen. Das ist in Japan aber eher ungewöhnlich. Wie immer sind die Japaner hier kulinarisch ganz vorne: Zwar wird der Fisch am liebsten roh gegessen, Austern aber genießt man eher gekocht, gebacken oder frittiert. Und so zubereitet schmecken Austern wirklich ganz herrlich. Frisch vom Floß!