In der Bucht von Murozumi

12. – 18. Dezember 2023

Die Bucht von Murozumi gefällt uns sehr, sie ist durch eine lange schmale Landspitze gut geschützt und bietet viel Platz zum Ankern. In den nächsten Tagen soll es regnen und stürmen, hier können wir beruhigt liegen bleiben.

Am ersten Tag drehen wir eine Runde durch den Ort. In der Hauptstraße befinden sich ein paar kleine Läden, zwei Restaurants, ein Café und die Post. Im Haus einer ehemaligen Sake Brauerei ist das Ortsmuseum eingerichtet worden.

Murozumi profitierte davon, lange Zeit eine Art Handelsknotenpunkt zu sein. In der geschützten Bucht konnten Handelsschiffe ankern, ihre Waren hier ausladen, die dann auf dem Landweg nach Hiroshima transportiert wurden. Von dem alten Glanz und Wohlstand ist im Stadtbild noch ein bisschen was erhalten geblieben.

Mit dieser Mühle werden die grünen Teeblätter zu Matcha-Pulver zerrieben.

Als Touristenattraktion gilt die großzügige Tempelanlage gleich in der Nähe des Hafens. Durch dieses Tor kommt man auf das Gelände, auf dem sich ein Hauptgebäude und viele kleine Nebengebäude befinden und ein Wassergraben, mit Schildkröten, die sich in der Wintersonne aufwärmen.

Am dritten Tag unseres Aufenthaltes kommen zwei Männer in einem Motorboot vom Angeln zurück, halten bei unserem Boot an und fragen, woher wir kommen, wie lange wir bleiben und wohin es weiter geht. Einer von ihnen zeigt auf ein großes Haus am Ufer. Er würde uns gerne zu sich einladen und fragt, ob wir eine warme Dusche bräuchten. Wir nehmen die Einladung sehr gerne an und verabreden uns für den späten Nachmittag. Das große Haus ist eine Art Pension, die er gemeinsam mit seiner Frau betreibt. Er zeigt uns das Kapitänszimmer, wo er ein altes Steuerrad aus Holz am Fenster eingebaut hat. Dort steht auch ein Teleskop, mit dem er alle Schiffsbewegungen in der Bucht beobachten kann.

Im Speisesaal stehen bereits Platten mit Essen auf dem Tisch, paniertes Hühnchen, gedünstetes Gemüse, frischer Fisch als Sashimi und kleine Törtchen von der örtlichen Konditorei. Von allem ist so viel da, es könnten locker zehn Leute verköstigt werden. Wir sitzen zu fünft am Tisch, eine junge Frau ist noch dabei, die als Krankenschwester in der benachbarten Grundschule arbeitet und in der Pension wohnt. Wir sprechen immer noch kein Japanisch und unsere Gastgeber kaum Englisch, aber mit der Übersetzungs-App auf dem Handy klappt es schon einigermaßen. Sogar Witze und lustige Geschichten lassen sich mit Gesten und ein paar Brocken Japanisch und Englisch erzählen. Inzwischen können wir das recht gut. Reich beschenkt und mit den Resten des Abendessens versorgt, verabschieden wir uns von ihnen.

Oben auf dem Berg gibt es ein Hotel mit einem Onsen, den auch Gäste von außerhalb nutzen können. An diesem Vormittag unter der Woche ist nicht viel los, ich bin alleine in der Frauen-Abteilung des Onsens und nutze die Gelegenheit, ein paar Fotos zu machen. Aus dem 5. Stock hat man eine schöne Aussicht auf die ganze Bucht!

Auf dem Rückweg vom Onsen spricht uns ein älterer Herr an und fragt, woher wir kommen. Als er Deutschland hört, leuchten seine Augen: Er habe vor 50 Jahren Deutsch gelernt, sagt er. Angestrengt runzelt er die Stirn und sucht nach den Anfangszeilen eines Gedichtes. Nach kurzem Nachdenken beginnt er zu rezitieren: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut…“ und kann das komplette Gedicht von Goethe auswendig aufsagen! Wir sind beeindruckt!

Dann erzählt er, dass er ein paar Mal in Deutschland war. Im Auftrag einer japanischen Firma habe er in deren Niederlassungen in München und Düsseldorf die Bücher geprüft. Und dann möchte er uns noch ein Lied vorsingen und stimmt „Am Brunnen vor dem Tore“ an. Wir singen mit und sind erneut hin und weg, dass er alle drei Strophen kennt – wir können gerade mal den Text der ersten Strophe. Wir gehen ein Stück des Weges zusammen, während er uns erzählt, dass er gerade das Grab seines besten Freundes besucht habe, der auf den Tag genau vor 9 Monaten gestorben sei und den er schmerzlich vermisse. Er hat ihm auf dem Friedhof auf der Mundharmonika ein paar Lieder vorgespielt. Was für eine unerwartete und wunderbare Begegnung!

Direkt am Ufer stehen große Fässer, in denen jeweils eine Sauna eingebaut ist, darin Platz für vier Personen und einen kleinen Ofen. Neben jeder Sauna steht ein großer Bottich, in den kaltes Meerwasser fließt. Ein großes Holzdeck mit Liegen und Sesseln lädt zum Ausruhen ein, alles mit Blick auf die Bucht und unsere Muktuk.

Der Besitzer der Anlage spricht uns an, als wir vorbei gehen und lädt uns auf einen Kaffee ein. Er erzählt, dass er eine eigene Kaffeeplantage in Laos hat, den Kaffee nach Japan importiert und hier mit Meersalz aus der Inlandsee röstet. Der Espresso ist gut und stark, wir sitzen mit ihm zusammen und er erzählt weiter, dass er mit seiner Tochter vor einigen Jahren in Deutschland und Italien unterwegs war und zwar auf einer Motorradtour. Eine Weile hat er wohl auch Motorräder aus Europa nach Japan importiert. Zum Abschied bekommen wir eine Packung Kaffee und Meersalz von der Seto Inlandsee geschenkt!

Auf dem Stadtplan sehen wir, dass es im Ort einen Fischladen gibt. Wir kaufen eine fangfrische Scholle und geräucherten Fisch. Der Inhaber fragt uns, ob wir die Deutschen von dem Boot wären, das in der Bucht ankert. Fremde, Ausländer, sind hier im Winter außerhalb der Saison und etwas abseits der Touristenzentren kaum anzutreffen, also sind wir leicht auszumachen. Nachdem wir bezahlt haben, packt uns seine Frau noch ein Päckchen mit fertigem Sushi mit in die Tüte, einfach so!

Die Menschen, denen wir hier begegnen, sind wieder so unglaublich herzlich und großzügig! Wir fühlen uns durch ihre freundliche Aufmerksamkeit und ihre Gaben reich beschenkt und auf die schönste Weise willkommen!

Am letzten Tag machen wir einen ausgedehnten Spaziergang um die Landzunge, die im Volksmund „Elefantenrüssel“ genannt wird. Hier der Blick raus auf die Inlandsee, wo es morgen weiter geht!

Kreuzweg zur Suppe

Tokuyama 08. – 10. Dezember 2023

Weiter auf dem Weg nach Osten in die Inlandsee machen wir für zwei Nächte Halt in Tokuyama.

Nachdem wir uns in einem öffentlichen Bad schön aufgewärmt haben, suchen wir ein Lokal, wo wir zu Abend essen können. Es ist Winter und in vielen Izakayas köchelt in einem großen Topf an der Theke Oden, die allseits beliebte Wintersuppe. So auch in diesem Lokal. Wir dürfen an der Theke sitzen, wo wir dem Wirt zusehen können, wie er allerlei Teller mit leckeren Sachen vorbereitet, kleine Fleischspieße brät und Bier zapft, alles mit einer jahrelang antrainierten Ruhe und Gelassenheit.

Wir bekommen die Speisekarte: alles ist auf Japanisch, es sind einfach kopierte Blätter ohne Bilder drauf. Mit der Übersetzungs-App ist es kein Problem, ich finde das Blatt für den Oden und kreuze einige der Zutaten auf der Liste an, die ich in der Suppe haben möchte, z.B. gebackenen Tofu, Spinat, eine Tomate, ein hart gekochtes Ei, Fischklößchen.

Wenig später bringt die Bedienung eine große Schale mit der Suppe, in der Pilze, Rettich und Nudeln schwimmen. Nach und nach werden mir weitere Zutaten in kleinen Schälchen gereicht. Aber es sind ganz andere und nicht die, die ich angekreuzt habe. Ich bekomme gegrillten Tofu, zweierlei Pilze, gekochtes Fleisch, Maisbällchen, und bin  zunehmend verwirrt. Irgendwann meint Andreas: „Kann es sein, dass du all das bekommst, was du NICHT angekreuzt hast?“ Ja, so sieht es aus!

Wir fangen beide an zu lachen… und beschließen sofort, dem netten Wirt, der an der Theke herum wirbelt und jedes Mal fragt, ob es uns schmeckt, nichts zu sagen. Erstens weil es viel zu kompliziert wäre, mein Missgeschick zu erklären. Zweitens, weil wir befürchten, dass er darauf bestehen würde, mir die angekreuzten Zutaten doch noch zu bringen. Ich schaffe es kaum, all das aufzuessen, was vor mir auf dem Tisch steht. Und drittens und letztens: auch diese Zutaten haben alle gut geschmeckt! Ich konnte also jedes Mal seinen fragenden Blick beantworten mit „hai, oishii desu!“

Wieder eine Lektion gelernt: ich hätte ein Häkchen setzen sollen, gleichbedeutend mit „Ja“. Ein Kreuz dagegen heißt in Japan ganz eindeutig „Nein“, möchte ich nicht.

Sento in Tokuyama

Dieses öffentliche Stadtteilbad, Sento genannt, weil hier das Wasser nicht aus einer natürlichen heißen Quelle kommt, ist noch im alten Stil gehalten, ganz ohne Duschköpfe, die normalerweise an der Wand angebracht sind. Bevor man in das einladende Becken mit heißem Wasser steigt, muss man sich gründlich waschen. Dazu holt man sich aus der Ecke (nicht auf dem Foto) einen Hocker und eine Schüssel. So wie früher füllt man die Schüssel immer wieder mit Wasser aus den beiden Wasserhähnen (heiß und kalt) und schüttet sich das Wasser über den Kopf und Körper. In allen Bädern gibt es diese Schüsseln, auch wenn Duschen vorhanden sind. Ich habe viele ältere Damen beobachtet, wie sie sich mit Genuss einen Schwall Wasser aus der Schüssel über den Kopf schütten. Auch werden die Waschlappen ausgiebig darin gewaschen und gespült.

Verständlich, dass man in den japanischen Bädern nicht fotografieren soll, selbst wenn man von dem heißen Wasserbecken aus den schönsten Ausblick hat. Denn in den nach Geschlechtern getrennten Bereichen läuft man gänzlich unbekleidet herum. Ab und zu aber bin ich ganz alleine im Bad, so dass ich dann doch das Handy nehme und schnell ein Foto mache.

Kitakyushu und die Kanmon Strait

04. – 06. Dezember 2023

Kitakyushu

Wir sind unterwegs zur Nordspitze von Kyushu, das Landschaftsbild ändert sich zunehmend. Die Dichte an Industrieanlangen, Werften und Containerhäfen nimmt deutlich zu. In Kitakyushu schließlich reiht sich in den zu Kanälen ausgebauten Buchten eine Anlage an die andere, nur unterbrochen von hoch aufgeschütteten Kohlebergen, Futter für die Hochöfen. Hier ist es nicht zu übersehen, dass Japan ein hochindustrialisiertes Land ist.

Der Kanal, in den wir hinein fahren ist sehr lang, wir brauchen über eine Stunde, bis wir unseren Ankerplatz erreichen. Zwar gibt es in Kitakyushu auch einen Yachthafen, der ist aber zu klein und zu eng für die Muktuk. Daher beschließen wir, dieses Mal wild zu ankern und suchen uns eine Stelle in der hintersten Ecke des Kanals, wo wir keinem Frachter im Weg liegen dürften. Das Beste an diesem Ankerplatz: gleich gegenüber befindet sich ein Onsen.

Ziemlich skeptisch blicke ich auf die hohen Kaimauern, die auf die Höhe von Containerschiffen angepasst sind, mit dem Dinghi an Land zu kommen, ist es eine echte Herausforderung. Irgendwie schaffen wir es doch und können uns im Onsen entspannen.

Am nächsten Tag fahren wir mit der S-Bahn ins historische Zentrum von Kitakyushu, nach Mojiko. Nach der Öffnung des Landes im 19. Jahrhundert schickte Japan viele junge Männer zum Studium nach Europa und in die Vereinigten Staaten. Sie kamen als ausgebildete Ärzte, Ingenieure und Architekten zurück und brachten viele neue Ideen zur Modernisierung des Landes mit. In Mojiko sind noch einige schön renovierte Gebäude im historisierenden Baustil  aus dieser Zeit erhalten geblieben.

Nicht nur Tokio hat diese diagonalen Zebrastreifen.

In einer altmodischen Einkaufsgasse sind nur noch eine Handvoll Geschäfte geöffnet. Alle anderen haben die Rollläden herunter gelassen.

Im Idemitsu Kunstmuseum ist eine Ausstellung mit schönen alten Graphiken auf Rollbildern und traditionellen Stellwänden aus Papier zu sehen. Hier leider nur ein Foto des Ausstellungsplakates, Fotografieren in der Ausstellung ist verboten.

Nach dem Mittagessen fahren wir mit dem Aufzug in den 31. Stock zur Aussichtsplattform dieses Hochhauses. Von hier aus haben wir einen tollen Rundumblick auf die Stadt, vor allem aber auf die große Brücke, die über die Kanmon-Strait gebaut wurde.

Da wollen wir am nächsten Tag durchfahren!

Eine historische Karte der Meerenge

Am Nachmittag besuchen wir noch die alte Schlossanlage von Kitakyushu, die von einem Wassergraben umgeben ist. Über eine Art Zugbrücke gelangen wir auf das Gelände, das viel größer ist, als es von außen den Anschein hat. Neben dem Schloss gibt es hier noch einen altehrwürdigen Tempel und einen schönen japanischen Garten mit Teehaus. Alles ist komplett von Hochhäusern umbaut. Alt und Neu wie selbstverständlich nebeneinander.

Später lesen wir, dass im August 1945 die zweite Atombombe auf Kitakyushu mit seinen Industrieanlangen abgeworfen werden sollte. Da aber eine der Anlagen in Brand geraten war und an jenem Tag Rauchwolken über der Stadt hingen, flog der Pilot weiter nach Nagasaki, wo er freie Sicht auf sein Ziel hatte. Auch heute noch ist es eine bedrückende Vorstellung, von welchen Zufällen es abhängt, wo Bomben abgeworfen werden und dabei so viele Zivilisten getötet werden.

Kanmon Strait

Am nächsten Tag ist es soweit, wir wollen in die Seto Inlandsee fahren und dort die nächsten Monate in den eher ruhigen Fahrwassern verbringen. Die drei Hauptinseln Japans, Kyushu, Honshu und Shikoku, liegen so eng beieinander, dass sie in ihrer Mitte eine Art Binnenmeer bilden. Ein bisschen kann man diese Region mit dem Mittelmeer vergleichen. Sie ist bei Weitem nicht so groß, hat aber ein ähnlich angenehm mildes Klima. Vor viereinhalb Jahren waren wir bereits in der Seto Inlandsee und freuen uns, dass wir dieses Mal viel mehr Zeit für die schönen Buchten und Inseln haben.

Auch das zweite Mal ist es aufregend, durch die Kanmon Strait, die Meerenge zwischen Kyushu und Honshu, zu fahren und auch dieses Mal müssen wir unseren Weg genau berechnen, um möglichst bei Stillwasser durch die engste Passage zu fahren. Nachdem wir vom Kanal auf den Schifffahrtsweg eingebogen sind, heißt es gut aufpassen, um den großen Containerschiffen nicht im Weg zu sein, die uns eines nach dem anderen sehr schnell überholen.

Es ist ein sonniger Tag mit guter Sicht und zwischendurch habe ich auch Zeit, das Ufer nach einem bestimmten Gebäude abzusuchen: der getreuen Nachbildung des Markusplatzes von Venedig. Hier kann man Räumlichkeiten mieten für Feste aller Art, vor allem für Hochzeiten.

Endlich kommt die Brücke in Sicht:

Geschafft, wir sind in der Seto Inlandsee, es ist alles gut gegangen.

Erleichtert tuckern wir zu unserm Ankerplatz ein paar Meilen weiter, wo wir über Nacht bleiben werden.

 

Besuch bei Freunden

1./2. Dezember 2023

Im Frühjahr letzten Jahres hatten wir Kosei im Süden von Kyushu kennengelernt, als er mit seinem Segelboot auf dem Weg Richtung Okinawa war. Nachdem wir im Sommer in seiner Heimatstadt Fukuoka angekommen waren, trafen wir ihn wieder und verbrachten mit ihm und seiner Frau Naoko einen schönen Abend auf der Muktuk.

Kosei, Naoko und Linda auf der Muktuk

Naoko und Kosei luden uns ein, sie bei nächster Gelegenheit in ihrem Wochenendhaus in der Nähe von Fukuoka zu besuchen. Mit der Muktuk in der Bucht vor ihrem Strandhaus zu ankern, gleich neben Koseis Segelboot, das dort an einer festen Mooring liegt und mit dem Dinghi zu ihnen rüber zu rudern. Das hatten wir uns so schön vorgestellt. Leider passten Wind und Wetter nicht. Muktuk blieb also in der sicheren kommunalen Marina in Karatsu und wir fuhren über Land zu ihnen.

Anfang Dezember war es inzwischen zu kalt, um draußen auf der Terrasse zu grillen. So saßen wir im großen hellen Wohnzimmer beisammen, während der kleine Schwedenofen vor sich hin bullerte und eine gemütliche Wärme verbreitete. Bei Kosei und Naoko war gerade ein Freund aus Tokio zu Besuch und wir freuten uns, ihn näher kennenzulernen, wir verbrachten den Nachmittag und Abend mit anregenden Gesprächen in fröhlicher Runde.

Kosei hatte Oden vorbereitet, den typischen japanischen Wintereintopf mit vielen verschiedenen Zutaten, wärmend und überaus köstlich!

Am nächsten Morgen schien die Sonne und tauchte den Strand vor dem Wochenendhaus in ein klares Licht. Zur großen Freude von Andreas gab es ein japanisches Frühstück mit aufgewärmter Oden-Suppe, Reis und Salat. Danach verabschiedeten wir uns von unseren Freunden und versprachen uns gegenseitig ein Wiedersehen in Japan und vielleicht sogar in Deutschland!