Kaum ein Nahrungsmittel ist so sehr mit der japanischen Kultur verbunden wie der Fisch. Im Durchschnitt isst jeder Japaner rund 70 kg Fisch pro Jahr (der weltweite Durchschnitt liegt bei 16 kg). Doch die Liebe zum Fisch hat ihre Schattenseiten, denn viele der hier beliebten Sorten (z.B. der Blauflossen-Thunfisch) sind bereits seit Jahren gefährdet.
Während im Nordwest-Pazifik insgesamt noch große Mengen an Fisch gefangen werden können, sind die japanischen Küstengewässer bereits stark überfischt. Wir an Bord der Muktuk haben es mittlerweile aufgegeben, in Japan selbst zu angeln. Weder an der Schleppleine, noch vor Anker oder vom Beiboot aus hatten wir Erfolg. Nun bin ich bestimmt kein besonders professioneller Angler, aber in anderen Seegebieten wie Neuseeland, Alaska oder Mexiko konnten wir immer relativ mühelos unser Abendessen fangen. Aber hier in Japan: Fehlanzeige!
Der Fisch jedenfalls, den es in großer Auswahl und relativ günstig in den Supermärkten zu kaufen gibt, ist in den meisten Fällen importiert. Lachs aus Chile, Garnelen aus Ecuador, Gelbflossen-Thunfisch aus Argentinien oder China. Seit wir beim Einkauf genauer hinschauen und nur Fisch aus hiesigen Fanggebieten (oder aus lokaler Fischzucht) kaufen, ist unsere Sortenvielfalt deutlich geringer geworden.
Auch die Fangflotte Japans ist in den letzten Jahrzehnten geschrumpft, aber umfasst immer noch über 120.000 Boote, die meisten davon kleine, mit ein bis zwei Mann besetzte Küstenfischer. Wenn wir unterwegs sind, muss immer einer von uns sorgfältig Ausguck gehen, um nicht nur den Booten, sondern auch den gesetzten Reusen und Netzen auszuweichen.
Was uns aber am meisten erstaunt, ist die Leidenschaft der Japaner fürs Freizeit-Angeln. Keine Hafenmauer ist unbesetzt, auch nicht bei Sturm oder Regen. Kein Felsen im Wasser ist zu klein, als dass nicht ein paar Angler darauf säßen. Sie werden morgens mit kleinen Booten hingebracht und am Abend – mit oder ohne Fang – wieder abgeholt.
Wir sehen ständig Angler. Was wir selten sehen, sind Fische, die an den Angeln hängen. Ab und an mal eine Sardine, aber größere Fänge sind sehr selten. Das tut freilich der Leidenschaft fürs Angeln keinen Abbruch.
Wie bei allen Freizeitaktivitäten sind Japaner auch beim Angeln absolut professionell ausgerüstet: ein halbes Dutzend Angelruten, einige davon vier bis fünf Meter lang. Kescher und Netze, um die Sardine auch sicher zu bergen. Falt-Hocker und Falt-Tischchen. Eine kleine Kühltruhe zur Aufbewahrung (der Fische oder Getränke?). Eine große Schale mit Köder-Paste, die in regelmäßigen Abständen mit einer speziellen Wurfschaufel portionsweise ins Wasser geworfen wird. Und natürlich eine große Auswahl an Haken, Ködern und Schwimmern. Von unserer Beobachtung ausgehend wird es kaum ein Angler schaffen, im Laufe seines Lebens so viel Fisch zu fangen, dass der Gegenwert der Ausrüstung wieder hereinkommt. Aber darum geht es ja wohl auch nicht.
Der Fangerfolg scheint jedenfalls weniger von der Ausrüstung und Anstrengung des Anglers abzuhängen als man denkt. Als wir die drei Wochen coronabedingt am Schwimmsteg von Takakushi lagen, hörten wir eines Abends ein typisches Klappern an Deck. Ich ging hoch und brachte einen Hering mit herein, der – wohl auf der Flucht vor Raubfischen – aus dem Wasser gesprungen und dummerweise auf der Muktuk gelandet war. Zwei Tage später kamen auf dieselbe Weise noch einmal fünf weitere dazu, die ich vom Deck und vom Steg aufsammeln und zu Rollmops verarbeiten konnte. War das nun „selbstgefangen“? Aus der Sicht der Fische vielleicht.