01. – 20. November 2023
Drei volle Wochen liegen wir in Takakushi, sicher fest gemacht auf einer Seite des Schwimmstegs im Fischereihafen. Dieser Steg ist eigentlich für die Fischer gedacht, die schnell mal was ausladen wollen. Umso dankbarer sind wir, dass uns die Fischereigenossenschaft so lange hier bleiben lässt.
Wie überall auf der Welt ist ein Dorf ein Dorf und das bekommen wir in dieser Zeit auf sehr angenehme Weise zu spüren.
Gleich nachdem die beiden jungen Beamten vom Zoll weg sind, kommen zwei Männer vorbei: der stellvertretende Bürgermeister und der Vorsitzende des Nachbarschaftsvereins, wenn wir das richtig verstanden haben. Sie bringen uns eine prall gefüllte Tüte mit Obst und Gemüse und dazu zwei Portionen fertig gekochter Reis mit roten Bohnen und Kastanien.
Eine Woche später – wir sind immer noch in Quarantäne – schauen sie noch einmal bei uns vorbei und fragen, wie es uns geht und ob wir noch genügend zu Essen an Bord haben. Ich versichere ihnen, dass ich im Boot auch Brot backen könne und der Kühlschrank immer noch recht voll sei. Trotzdem kommt einer von ihnen am Nachmittag wieder und bringt uns Milch, Weißbrot, Mandarinen und Lutschbonbons.
Eine junge Frau kommt mit ihrer kleinen Tochter vorbei, sie ist gerade für eine Weile zu Besuch bei ihren Eltern und spricht fließend Englisch. Auch sie kommt später noch einmal und bringt uns ganz viele feine Bonbons, damit uns der Husten nicht mehr so plagen möge.
Als ich endlich nicht mehr positiv bin, kann ich einen ersten Spaziergang am Hafen entlang probieren. Ein Schild am Straßenrand bittet um Rücksicht auf die Älteren, die „silberne Generation“.
Ein anderes Schild am Hafen möchte die Kinder dazu anregen, keinen Müll zu hinterlassen aus Rücksicht auf die Fischer und das Meer.
Auf dem Rückweg winkt mir jemand zu – ich erkenne den stellvertretenden Bürgermeister, der uns so gut versorgt hatte. Er sitzt zusammen mit einem alten Ehepaar vor dessen Haus. Ich werde herzlich eingeladen, mit ihnen einen Grüntee zu trinken. So sitze ich eine Weile mit ihnen gemütlich in der Sonne und wir versuchen, mit meinem bisschen Japanisch und der Übersetzungs-App vom Mobiltelefon unsere jeweiligen Fragen zu beantworten. Und ich darf auch nicht heim gehen, ohne eine Tüte voll Mandarinen mitzunehmen, die es hier gerade in Hülle und Fülle gibt und die unglaublich gut schmecken, abgesehen davon, dass sie uns mit ganz viel Vitamin C versorgen.
Nach ein paar Tagen kann sich auch Andreas frei testen und wir nutzen das gute Wetter, um spazieren zu gehen, jeden Tag ein bisschen länger.
Das Dorf wirkt auf den ersten Blick sehr ruhig und verschlafen. Tagsüber sieht man fast nur ältere Leute, die in ihren Gärten arbeiten oder für kleinere Besorgungen mit einem Wägelchen unterwegs sind. Viele Häuser sind liebevoll gepflegt, daneben die Gemüsegärten mit Blumen, Rettichen und Kohl. Aber es gibt auch immer wieder Häuser, an denen sich das Grün bis zum Dach hochrankt und die zusehends verfallen. Überalterung und Stadtflucht machen sich auch hier bemerkbar.
Aber es passiert doch einiges: Eines Tages sehen wir ein Floß, das in der Nähe des Steges angebunden ist. Wenig später kommt ein LKW an, auf der offenen Tragefläche hat er eigenartige Bündel gestapelt. Es sind Schalen von Jakobsmuscheln, die aufgefädelt eine Art Zylinder bilden. Jeweils zwei solcher Zylinder sind zusammen gebunden. Der LKW wird entladen, teilweise werden die Muscheln auf andere, kleinere Fahrzeuge verladen, einige werden direkt an der Mole abgelegt. Nun sehen wir, wofür sie gebraucht werden: die Bündel werden am Floß mit Leinen angebunden, so dass sie in regelmäßigen Abständen im Wasser hängen. An ihnen sollen Austern wachsen, erklärt mir einer der Männer.
Gleich gegenüber an der Uferstraße befindet sich ein Laden mit Gebrauchtwaren, der sich über zwei Häuser erstreckt. Wenn man hinein geht, kann man sich leicht in dem Labyrinth aus Gängen und Räumen verirren, wäre da nicht der Inhaber, der mitkommt und den Weg weist. Zwischen den Kleidern, Büchern, Schirmen, Spielzeug, Geschirr und alten Elektrogeräten finden wir ein paar Sachen, die uns gefallen. Einen schönen alten Wasserkessel und kleine Keramikschalen.
Im oberen Stockwerk hat er ein paar Räume mit Antiquitäten eingerichtet, die Fotos über den schönen alten Möbeln sind Szenen aus japanischen Filmen der 1950er und 1960er Jahre.
Die Muktuk vom ersten Stock aus gesehen.
Auf einem unserer Spaziergänge entdecken wir ein Hinweisschild auf einen Wasserfall. Über eine Ader aus Basalt ergießt er sich in zwei Sturzbächen in ein Becken. Vor und neben dem Wasserfall sind viele unterschiedliche buddhistische Statuen aufgestellt. Die Legende erzählt davon, dass sich hier eine Prinzessin aus Kummer in die Tiefe gestürzt habe, weil ihr Mann in den Krieg gezogen war.
An einem anderen Tag begegnen wir einem Mann auf dem Fahrrad, der unterwegs zu seinen Feldern ist. Er steigt ab und fragt, ob wir die Leute von dem Boot im Hafen sind. Bevor er weiter fährt, greift er in seine Tasche und schenkt uns seine Mandarine, die er wohl zu seiner Jause mit dabei hatte. Später begegnen wir einer Frau, die uns fragt, ob wir nun wieder gesund sind. Ein paar Schritte weiter, am Hafen, sehen wir einen Fischer an den Salzwassertanks stehen, in denen Fische herum schwimmen. Wir unterhalten uns mit dem Mann, der sich sichtlich freut, sein Englisch an uns auszuprobieren. Und dann schenkt er uns einen Fisch, einfach so!
Wir gehen nun jeden zweiten Tag in den Onsen und genießen es, sauber geschrubbt in dem heißen Wasser zu liegen. Der Onsen ist sehr gut besucht und am Nachmittag treffe ich viele ältere Damen dort an, einige von ihnen jedes Mal wieder, sie scheinen den gleichen Rhythmus wie wir zu haben. Beim letzten Besuch verabschiede ich mich von einer der Damen – mit Händen und Füßen erkläre ich, dass wir am nächsten Tag weg fahren werden. Sie wünscht uns viel Glück und als wir gemeinsam raus gehen, läuft sie schnell zum Obststand im Onsen, kauft einen Beutel Mandarinen und drückt ihn uns in die Hand!
An unserem letzten Vormittag in Takakushi gehe ich noch einmal am Haus des Ehepaares vorbei, wo ich beim Grüntee saß. Da niemand da ist, lege ich eine Tüte mit den Nürnberger Lebkuchen als Dankeschön für ihre Einladung in den Korb vor ihrer Tür. Zwei Stunden später kommt die alte Dame zum Steg und bringt uns eine große Tasche mit Mandarinen und Kaki Früchten vorbei. Da möchte ich mich noch einmal revanchieren und packe ein Tütchen mit selbst gebackenen Keksen ein, das sie nur mit viel Überredungskunst meinerseits annehmen will.
Wir sind jedes Mal überwältigt von der Freundlichkeit und Fürsorge der Menschen hier, die sie auf diese ganz besondere Art und Weise zeigen!