Holperiger Start

23. Oktober 2023

Am Montagmorgen geht es endlich los. Die Sonne scheint auf das spiegelglatte Hafenbecken, es ist windstill. Da Muktuks Bug zu Land hin zeigt, will ich mit dem Bugstrahlruder das Boot um knapp 180° drehen, um aus dem Becken heraus und zum Tanksteg fahren zu können. Sie beginnt sich auch brav zu drehen, aber als ich die Maschine einkupple, um Vorwärtsfahrt zu machen, passiert nichts. Mehr Gas – immer noch nichts! Was ist denn jetzt los?

Wir driften zurück an den Steg und machen erst einmal wieder fest. Getriebeschaden? Gebrochener Schaltzug? Es scheint aber alles in Ordnung zu sein: wenn ich einkupple, dreht sich die Welle, bei mehr Gas sehen wir Schraubenwasser am Heck – alles wie es sein soll. Hmm…

Zweiter Versuch. Unter Maschine bewegt sich Muktuk doch, allerdings nur ganz gemächlich. Auf dem Weg zum Tanksteg gebe ich Vollgas, dennoch erreichen wir mit Müh und Not eine Geschwindigkeit von einem Knoten. So wird das nichts mit der kurzen Strecke von 20 sm, die wir für heute vorhaben.

Die Erklärung: nachdem Muktuk fast vier Monate lang bewegungslos in warmem Wasser lag, haben sich so viele Muscheln am Propeller festgesetzt, dass wir damit zwar das Wasser hinterm Boot durchquirlen, aber praktisch keinen Vortrieb erzeugen. Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als mit Kratzwerkzeug bewaffnet im Hafenbecken tauchen zu gehen, um den Propeller wenigstens grob vom Bewuchs zu befreien. Die Biester sind verdammt hart, und ich brauche etwa eine Stunde, bis die Propellerblätter auf ihrer Vorder- und Rückseite freiliegen. Danach bin ich sehr froh über die heiße Dusche in der Marina, um sowohl den Hafendreck als auch das Zittern loszuwerden.

(Kleiner Vorgriff: ein paar Wochen später machen wir auf der Werft dieses Bild, als die Muktuk aus dem Wasser gehoben wird. Kein Wunder also!)

Das Tauchen und Kratzen hat sich jedenfalls gelohnt. Zwar sind wir immer noch langsam, aber knapp vier Knoten schaffen wir jetzt unter Maschine, und damit können wir unseren Ankerplatz erreichen, wo wir uns ein paar Tage lang von der Hektik der Großstadt erholen wollen.

Laternenfest in Fukuoka

21. Oktober 2023

Nach dreineinhalb Monaten Deutschland sind wir zurück an Bord. Die Segel sind angeschlagen, Proviant ist eingekauft, die letzten Segnungen der Großstadt Fukuoka mit Museums- und Konzertbesuchen genossen. Bald geht es wieder auf See. Aber heute Abend müssen wir noch einmal in die Stadt zum jährlichen Laternenfest…








Hakata Gion Festival Fukuoka

01. – 15. Juli 2023

Die Sommermonate in Japan sind dicht gepackt mit Festen und Umzügen. Auch Fukuoka hat ein solches Festival, das „Hakata Gion Yamasaka“.
Bei diesem Fest wird an den buddhistischen Mönch Seiichi Kokushi gedacht, der vor über 770 Jahren die Straßen der Stadt mit geweihtem Wasser reinigte, um damit die Ausbreitung einer Epidemie einzudämmen. Ironie der Geschichte – in den vergangenen drei Jahren konnte das Festival wegen der Pandemie nicht oder nur mit hohen Auflagen stattfinden. In diesem Jahr, 2023, darf es nun wieder ganz ohne Einschränkungen gefeiert werden, den Reinigungsritualen dieses Festes kommt nun eine neue Bedeutung zu.

Die einzelnen Stadtviertel von Fukuokas Innenstadt Hakata bauen jedes Jahr einen Festwagen (Kakiyama), der mit Figuren und allerlei Schmuck ausgestattet ist, so dass man die dicken Holzbalken fast gar nicht mehr sehen kann.
Solch ein Wagen hat allerdings keine Räder. Er muss, um bewegt zu werden, von mehreren Männern getragen werden. Und der Wagen ist schwer, rund zwei Tonnen wiegt er. Die Männer wechseln sich ständig ab, denn selbst die stärksten von ihnen schaffen es nur ungefähr 3-4 Minuten am Stück zu tragen. Allein dieses Wechseln während der Wagen in Bewegung bleibt, ist eine so komplizierte Angelegenheit, dass man dafür jahrelang trainieren muss.

Auf dem Wagen vorne und hinten sitzen jeweils 3 Männer, die mit roten Stäben eine Art Takt vorgeben und den Wechsel der Träger dirigieren. Andere Männer, die vor oder neben dem Wagen laufen, sind für die Richtung zuständig.
Es ist ein ständiges Gewusel um den Wagen herum, wenn dieser in Bewegung ist, kaum ist einer ein paar Schritte als Träger gelaufen, wird er schon abgelöst. Alles geht so schnell, dass es für mein ungeübtes Auge gar nicht erkennbar ist, was und wie da alles innerhalb von wenigen Sekunden stattfindet.

Jeder einzelne Festwagen wird von einer großen Schar von Kindern, Jugendlichen und Männern allen Alters begleitet. (Vereinzelt sieht man auch ein Mädchen mitlaufen, Frauen dagegen keine.) Manche von ihnen tragen Banner oder Holztafeln mit Inschriften. Und alle rufen, während sie laufen: „Oissa, oissa!“

Auch ganz kleine Kinder sind schon mit dabei, an der Hand des Vaters oder Opas rennen sie tapfer mit.

Die traditionelle Kleidung der Männer besteht aus einem Oberteil ganz in Weiß oder mit dunkelblauem Webmuster. Ansonsten sehen sie ziemlich nackt aus, sie tragen eine Bauchbinde und dazu einen kunstvoll gebundenen Lendenschurz, der aber den Po größtenteils frei lässt. An den Füßen tragen sie schwarze Zehensocken. Die unterschiedlich bunten gedrehten Kopfbänder zeigen, welche Funktion der jeweilige Träger hat und auf welcher Stufe er in der strengen Hierarchie steht. Viele Männer haben zudem eine Schlinge aus Hanf im Gürtel stecken. Diese Schlinge wird beim Tragen des Festwagens um den Holzbalken gewunden.

Anfang Juli werden diese Festwägen in den jeweiligen Stadtteilen in einem großen Zelt aufgestellt, wo Tag und Nacht Männer in der traditionellen Tracht Wache halten. Zwei Wochen lang finden nun fast täglich Umzüge statt, bei denen die einzelnen Gruppen weiterhin an der Technik des Tragens feilen. Auch werden verschiedene Zeremonien abgehalten, Reinigungsrituale sind in dieser Zeit sehr wichtig. Unter anderem versammeln sich die jeweiligen Gruppen am Strand, wo die Männer Sand einsammeln, den sie dann an verschiedenen Orten der Stadt verstreuen.

Höhepunkt des Festes ist der große Umzug am 15. Juli, der am Kushido Schrein beginnt. Um 3.00 Uhr nachts sind alle Gruppen mit ihrem Wagen dort versammelt. Pünktlich um 4.59 Uhr zieht der erste Wagen los, die anderen folgen im Abstand von 10 Minuten. Alle 8 Gruppen , so viele sind es in diesem Jahr, müssen eine Strecke von 5 km durchhalten!
Diesen letzten Umzug kann ich nicht anschauen, an dem Tag müssen wir für unsere Abreise packen. Aber drei Tage vorher, am Donnerstag nachmittags, findet ein Übungslauf statt. Rechtzeitig zum Beginn stehe ich an der Straße im Zentrum von Hakata und höre schon von Weitem die „oissa, oissa!“ Rufe.

Polizei und ehrenamtliche Ordner sorgen dafür, dass die Straße frei bleibt.

Hier haben sich die professionellen Fotografen an einem strategisch günstigen Platz aufgestellt, an einer Kreuzung, wo der Umzug um die Ecke weiter zieht. So können sie das Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln aufnehmen.

Die Regenzeit ist fast vorbei, der Himmel ist trotzdem meistens grau verhangen. Es ist heiß und unglaublich schwül, dadurch ist die Hitze noch schwerer zu ertragen. Am Straßenrand stehen ältere Männer, auch sie in der traditionellen Tracht. Sie schöpfen mit Eimern Wasser aus bereit stehenden Tanks und schütten in regelmäßigen Abständen Wasser auf die Läufer. Eigentlich ist es ein Reinigungsritual in Erinnerung an den buddhistischen Mönch, aber die Läufer sind dankbar für jede Abkühlung.

Das ganze Festival ist geprägt von Teamwork, ohne die Zusammenarbeit der Bewohner der einzelnen Stadtteile ist es nicht möglich, zwei Wochen lang eine solch aufwendige Organisation zu stemmen.

Bei diesem Festival gibt es keinen Wettbewerb, welches Team den schönsten Wagenschmuck hat, oder wer die Strecken am schnellsten bewältigt. Es kommt viel mehr darauf an, dass so viele Menschen wie möglich mitmachen können und alle als gut eingespieltes Team miteinander arbeiten. Wichtig ist ihnen allen, diese kollektive Anstrengung den Göttern im Kushida Schrein darzubringen.

Am Ende des Umzugs wird der Wagen zurück ins Zelt gebracht. Hier folgt eine kurze Abschlusszeremonie mit einer Ansprache, dann klatschen alle gleichzeitig zwei Mal in die Hände und verbeugen sich.

Im Video kann man sehen, in welchem Tempo so ein Festwagen durch die Straßen getragen wird.

Fukuoka

01. – 16. Juli 2023

Wir haben unser vorläufiges Ziel erreicht und die Muktuk in der Marinoa Marina in Fukuoka festgemacht. Hier bleibt sie den Sommer über, während wir für eine Weile nach Deutschland zurück fliegen.
Nachdem wir so viel Zeit in Kleinstädten, Dörfern und auf Inseln verbracht haben, ist Fukuoka ein ziemlicher Kulturschock. Eine lebhafte Großstadt erwartet uns, mit riesigen Einkaufsmeilen, Museen, Konzerthallen, Hochhäusern und mit vielen jungen Menschen und erstaunlich vielen Kindern. Fukuoka ist eine der wenigen Großstädte Japans, die trotz der Überalterung des Landes immer noch wächst.

Abends ist in der Innenstadt viel los, selbst unter der Woche. Eine Besonderheit Fukuokas sind die vielen Straßenstände, an denen man eng beieinander sitzt und in fröhlicher Runde isst und trinkt.

Taiko – Trommeln

Es zieht uns aber noch einmal raus aus der Stadt. Zufällig hatten wir zwei Wochen zuvor ein Plakat gesehen, das eine Aufführung mit den Taiko-Trommeln ankündigte. Das wollten wir uns nicht entgehen lassen.

Das Konzert findet am Samstagnachmittag in einem Kulturzentrum irgendwo auf dem Land zwischen Karatsu und Fukuoka statt, glücklicherweise auch mit dem Zug gut erreichbar. Es ist die jährliche Aufführung zweier lokaler Trommel-Schulen, wie wir aus dem Programmheft erfahren. Das Publikum besteht, so scheint uns, überwiegend aus Eltern, Großeltern und Freunden.

Zuerst treten die jüngsten Trommler auf, Mädchen und Jungen gemischt, alle im Grundschulalter zwischen sechs und zehn Jahren. Das jüngste Kindchen steht in der Mitte, mit einer blauen Latzhose bekleidet und trommelt genauso konzentriert wie alle anderen auf der Bühne. Ich schätze die Kleine auf nicht älter als fünf Jahre! Einmal fällt ihr ein Stock aus der Hand. Sie hebt ihn auf, schaut auf die anderen Kinder und reiht sich wieder in den Rhythmus ein. Ich bin begeistert und beeindruckt, mit welcher Präzision die Kinder ihre Stücke aufführen.

Auch die anderen Gruppen mit älteren Kindern bzw. Jugendlichen zeigen ihr Können. In gemischten Kombinationen, ältere und jüngere gemeinsam, führen sie die Stücke auf. Konzentrierte Gesichter und vielfach Erleichterung am Ende, dass alles gut geklappt hat.

Nach der Pause dürfen die Jüngeren ausruhen und sitzen mit uns im Saal. Die Kleinste schläft vor Erschöpfung ein.

Nun werden die Gruppen der jungen Erwachsenen von einem Flötenspieler begleitet, der zwischendurch auch eine der großen Trommeln bearbeitet. Er ist ganz offensichtlich ein Publikumsliebling, denn zwischen den Stücken, wenn auf der Bühne umgebaut wird, spricht er lange und die Zuhörer hängen begeistert an seinen Lippen. Nur verstehen wir leider gar nichts.

Als die Besucher aus dem Saal strömen, stehen alle Trommlerinnen und Trommler Spalier und freuen sich über die Glückwünsche des Publikums! Eine schöne Stimmung!

Hier sind Ausschnitte des Konzertes zu sehen. Am besten einen Kopfhörer an den Rechner, das Tablet oder Handy anstecken, so kommen die tiefen Töne der Trommeln richtig gut zur Geltung.

Yobuko

24. Juni 2023

Yobuko, gerade mal ein paar Seemeilen von Karatsu entfernt, ist für seinen „morning market“ berühmt. Angeblich Japans drittgrößter Markt dieser Art, hat er jeden Tag außer am 1. Januar immer von 7:30 bis gegen Mittag geöffnet.

Das Spektakel ist auf eine ca. 200 Meter lange Einkaufsstraße begrenzt, an der sich ein Stand mit Leckereien an den anderen reiht. Überall gibt es Getier aus dem Meer, frisch von der Fischereiflotte angeliefert und in verschiedenen Stadien der Zubereitung: von roh über getrocknet, mariniert bis zu essfertig gegrillt, gebraten oder frittiert.

Aber auch abgesehen vom morning market ist Yobuko für seinen Tintenfisch von besonderer Frische und Geschmack bekannt. Die wohl berühmteste Zubereitung ist „ikizukuri“, eine Art Sashimi, bei der der noch lebende Tintenfisch so schnell ausgenommen und aufgeschnitten wird, dass er noch lebend serviert werden kann. Ganz so weit ging unsere Liebe zur japanischen Küche dann aber doch nicht, das haben wir nicht ausprobiert.

Den Trocknungsprozess des „normalen“ Tintenfischs kann man im ganzen Ort bewundern. Überall flattern die hellweißen Tintenfische an der frischen Luft. Oft mit Wedeln bewacht, um die Fliegen abzuwehren, oft auch in Karussells im Kreis geschleudert, denn auch dann haben die Fliegen keine Chance. Größere Raubtiere können sich dennoch mal ein Stückchen Tentakel ergattern.

Doch in Yobuko wurden nicht immer nur kleine Fische gefangen. Einige Gebäude sind aus der Zeit erhalten geblieben, als Yobuko ein prosperierender Walfang-Ort war. Das lokale Walfang-Museum zeigt Gerätschaften und Bilder aus dieser Zeit.

Ein geheimes Töpferdorf

Arita – Takeo Onsen – Imari. Diese drei Ortschaften bilden ein gefährliches Bermudadreieck für Fans von japanischem Porzellan und Keramik. Diese Gegend besitzt für sie eine ungeheure Anziehungskraft, der sich schwer entziehen können.
Natürlich besteht die berechtigte Befürchtung, sie könnten auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Das Gute daran aber ist: sie tauchen irgendwann doch wieder auf. Mit Rucksäcken und Koffern voll mit Keramik, erzählen sie beglückt und mit leuchtenden Augen von ihren Abenteuern.

Okawachiyama – 12. Juni 2023

Eine viertel Stunde nur mit dem Bus vom Bahnhof Imari entfernt befindet sich Okawachiyama – ein ehemals geheimes Töpferdorf.
Die Fürstenfamilie Nabeshima, Herrscherin über die damalige Provinz Saga, erhielt die Erlaubnis, hochwertiges Porzellan aus Arita in ganz Japan zu vertreiben, besonders aber für die Höfe des Kaisers und des Shoguns. Aus Angst vor Konkurrenten, die sich das wertvolle Wissen und Können der Porzellanherstellung aneignen könnten, kamen sie auf die Idee, die besten Porzellanmeister mitsamt ihren Familien an einen besonders unzugänglichen Ort umzusiedeln. So entstand das geheime Töpferdorf Okawachyama. Es ist auf drei Seiten von hohen Bergen umgeben, der Zugang ließ sich sehr einfach durch eine einzige Straße kontrollieren.
Was hier in den darauffolgenden Jahrhunderten produziert wurde, firmiert unter Sammlern als Nabeshima-Porzellan. Es musste den höchsten Ansprüchen genügen und war ausschließlich für die adeligen Haushalte gedacht.

Heute gibt es rund 30 Betriebe in Okawachiyama, die immer noch Porzellan herstellen, einige von ihnen halten die Tradition mit den alten Formen, Farben und Mustern aufrecht, andere wiederum wandeln diese vorsichtig ab oder gehen ganz in modernem Design auf.

Wir beginnen unseren Rundgang durchs Dorf auf einer Seitenstraße, wandern das Tal hoch, immer am Fluss entlang, das üppige Grün leuchtet an diesem sonnigen Vormittag ganz besonders schön. Sogar das Bachbett ist mit bunten Porzellanscheiben ausgelegt.

Wir kommen an einem historischen Brennofen vorbei…

… und bewundern die vielen kleinen Brücken mit den bemalten Kacheln.

Von einer Aussichtsplattform kann man auf die schroffen unüberwindlich hohen Felsen schauen, die das Dorf umgeben.

Und dann tauchen wir ein, gehen die Hauptstraße von einem bis zum anderen Ende ab.

Hier sind die meisten Ladengeschäfte zu finden. Manche bieten von allem etwas an …

… andere wieder nur die Produktion einer einzelnen Manufaktur.

Weiter geht es zu einer Werkstatt, die sich auf die Produktion von Seladon spezialisiert hat.

Hier in Okawachiyama bietet so ziemlich jeder Laden kleine Glocken aus Porzellan an. Sie klingen ganz zart, sobald ein Windstoß sie erfasst und es ist sogar ein eigenes Festival diesen Glöckchen gewidmet.

Eine andere Werkstatt beliefert auch heute noch jährlich den japanischen Kaiser mit Geschirr. Ihre Familie geht auf einen der ersten Porzellanmeister zurück, die hier angesiedelt wurden. Die alte Dame weist jeden Besucher und jede Besucherin sichtlich stolz auf die Fotos an den Wänden hin, eines davon zeigt die kaiserliche Familie bei einem Besuch in eben diesem Laden.

Dieses runde Regal gefällt uns ganz besonders gut. Vielleicht können wir es irgendwann mal nachbauen?

Wir sind schon die ganze Zeit auf der Suche nach einem Hochzeitsgeschenk für Freunde – und werden in diesem Laden fündig, in der Hoffnung, dass unsere Auswahl auch den Geschmack der beiden trifft.

Zuletzt wühlen wir noch in den Grabbelkisten eines Ladens und können uns auch hier kaum entscheiden, so Vieles davon gefällt uns.

Doch nun müssen wir langsam los, die Zeit drängt, der letzte Bus zurück nach Imari geht bereits um 16.15h. Wir bezahlen und der Verkäufer beeilt sich, unsere Auswahl transportsicher einzuwickeln. Schwer bepackt erreichen wir den Bus…

Imari Stadt  (08. – 16. Juni 2023)

Wie bereits in einem früheren Blogbeitrag erwähnt, wurde in Imari selbst kein Porzellan produziert. Imari war der Hafen, von wo aus das Porzellan aus der Gegend von Arita innerhalb Japans oder nach Europa verschifft wurde. (Arita-Porzellan oder Imari-Porzellan, damit ist das Gleiche gemeint.)
In Imari saßen die Händler bzw. Zwischenhändler, die vom 17.-19. Jahrhundert regen Handel mit Porzellan betrieben. Einige Zeugnisse, dieser Geschichte sind erhalten geblieben und für Einheimische wie Touristen aufgearbeitet worden.

Die Jahrhunderte überdauert hat das alte Warenhaus der Familie Inuzuka. Eigentlich sind es im ganzen drei Häuser, die nebeneinander stehen und im Inneren miteinander verbunden sind. Die Familie Inuzuka betrieb das wohl erfolgreichste Handelshaus. Ende der 1980er Jahre schenkte die letzte Inhaberin der Firma die Gebäude der Stadt Imari. Die Häuser wurden renoviert und in einen möglichst originalgetreuen Zustand zurück versetzt. Nun befindet sich in diesen Räumen ein Museum und ein Verkaufsladen für Porzellan und Keramik.

Solcherart verpackt wurden die wertvollen Porzellanstücke über Land und auf dem Seeweg transportiert.

Nein, diese großen Porzellanteller haben wir nicht gekauft! Wir haben bloß der Bitte des Ladeninhabers entsprochen, der alle Besucher vor dieser Wand fotografieren möchte.

Die Hauptstraße von Imari, hat ihren Glanz als Einkaufsmeile etwas eingebüßt. Viele Geschäfte sind geschlossen, sie haben schwere Metallrollos herunter gelassen, so dass gar nicht mehr erkennbar ist, was dahinter einmal angeboten wurde. Ob es an der generellen Überalterung Japans liegt oder an den Folgen der Pandemie?

Jene Läden aber, die geöffnet sind, entpuppen sich als wahre Schatzgruben. Nicht nur Keramik, auch schöne Tücher, Stoffe und kunstvolle Kalligraphien werden da angeboten.

Auf dem Überblicksplan, den wir im Touristenbüro mitgenommen haben, sind in der Altstadt drei Brücken über den Fluss Imari eingezeichnet.
Die Aioi Brücke soll die Beziehung der Ehepaare festigen, wenn sie diese Brücke überqueren. Aber nicht nur, auch Liebespaare können vom Segen dieser Brücke profitieren.

Während man die Emmei Brücke überquert, soll man um gute Gesundheit und langes Leben beten.

Und die Dritte wiederum, die Saiwai Brücke, kombiniert die Segnungen der beiden anderen: Paare, die über diese Brücke gehen, werden ein langes und glückliches Leben miteinander verbringen können.

Alter Volksglaube spielt hier sicher eine Rolle, gleichzeitig ist es auch ein recht erfolgreiches Marketing der Stadt. Wie dem auch sei, wir gehen gemessenen Schrittes über jede dieser Brücken und stellen uns vor, dass sich damit all unsere Wünsche erfüllen werden!

Institute of Ocean Energy

16. Juni 2023

Immer wenn wir von unserem Liegeplatz nach Imari hineinfahren, fährt unser Zug an einem großen Gebäude mit der Aufschrift „IOES – Institute of Ocean Energy, Saga University“ vorbei. Neugierig geworden, recherchiere ich im Internet, was es damit auf sich hat und gehe eines Tages dort vorbei und frage, ob man das Institut besichtigen kann. Ja, kann man – ich vereinbare einen Termin für den übernächsten Tag, an dem wir zu dritt (Anne, die Tochter einer Freundin, ist für eine Woche zu Besuch bei uns) durchs Institut geführt werden und alles anschauen dürfen. Der Forscher, der uns das Institut zeigt, spricht hervorragendes Englisch und beantwortet geduldig unsere vielen Fragen.

Unter anderem dürfen wir besichtigen:

Ocean Thermal Energy Conversion (OTEC): hier wird die Temperaturdifferenz zwischen dem kalten Tiefenwasser (3-5°C in 1000 Meter Tiefe) und dem warmen Oberflächenwasser zur Stromerzeugung nach dem Prinzip eines umgekehrten Kühlschranks ausgenutzt: man nimmt eine Flüssigkeit wie z.B. Ammoniak, deren Siedepunkt zwischen den beiden Wassertemperaturen liegt. Wird diese Flüssigkeit nun in einem Wärmetauscher durch das warme Oberflächenwasser erwärmt, verdampft sie, ihr Dampfdruck treibt eine Turbine zur Stromerzeugung an. Hinter der Turbine wird in einem weiteren Wärmetauscher das kalte Tiefenwasser verwendet, um das gasförmige Ammoniak wieder herabzukühlen und zu verflüssigen, womit sich der Kreislauf schließt. Vom erzeugten Strom werden die Pumpen betrieben, der Überschuss ist die gewonnene Energie.

Wir können zunächst eine Demonstrations-Anlage betrachten, in der alle Bauteile aus durchsichtigem Kunststoff bestehen, danach werden wir in die Halle mit der 30 kW Anlage geführt, in der das Prinzip im größeren Maßstab umgesetzt wird.

Wave Energy Conversion: Nutzung der Meereswellen zur Energieerzeugung. Die Herausforderung hier liegt vor allem darin, dass solche Anlagen aus den moderaten Wellenhöhen Energie gewinnen müssen, die überwiegend vorherrschen. Sie müssen aber derart stabil gebaut sein, dass sie den extremen Seegang (zehn Meter oder mehr) überstehen, der zwar selten, aber dennoch vorkommen kann. Hierfür werden verschiedene Schwimmkörper vertestet, in denen die Auf- und Abbewegung des Wassers oder die Kippbewegungen des Schwimmkörpers eine Luftsäule verdichtet, die dann eine Turbine antreibt. Durch eine spezielle Geometrie der Turbinenblätter rotiert die Turbine immer in derselben Richtung, auch wenn die Luft abwechselnd ein- und ausströmt.



Tidal Current Power Generation: Gezeitenkraftwerke zur Stromgewinnung sind ein weiteres Forschungsfeld des Instituts. Hier werden spezielle Turbinen mit gegenläufigen Rotoren entwickelt, die lediglich mit einem Kabel am Meeresgrund verankert werden müssen und deren Wirkungsgrad zusätzlich durch eine Art Doppeltrichter verbessert wird, der die Anströmgeschwindigkeit der Turbine erhöht.

Offshore Wind Energy: hier werden verbesserte Windkraftwerke entwickelt, Schwerpunkte liegen auf Verankerungstechnik bzw. schwimmenden Windrädern, optimierten Flügelprofilen und Muli-Rotor-Geometrien. Als Windkraftwerke der nächsten Generation werden Flugdrachen erprobt, die nicht nur den stärkeren Wind in großer Höhe nutzen, sondern auch durch dynamische Flugbahnsteuerung die Gesamteffizienz erhöhen.

Lithium Recovery: Für die Batterietechnik werden große Mengen an Lithium benötigt, per Bergbau ist es jedoch begrenzt verfügbar (und zu großen Teilen von China kontrolliert). Lithium ist aber auch – wenn auch in der extrem geringen Konzentration von 0,1 – 0,2 ppm – in Seewasser enthalten. Im Institut wird ein vielversprechendes neues Verfahren entwickelt, Lithium-Ionen dennoch effizient aus dem Seewasser herauszufiltern und von den anderen Ionen zu trennen.

Ich hoffe, das war jetzt nicht zu viel der Technik. Wir waren jedenfalls sehr begeistert, was alles in diesem unscheinbaren Gebäude entwickelt und erforscht wird. Und dankbar, dass uns alles gezeigt und erklärt wurde. Wer mehr wissen will, wird auf der Internetseite des Instituts fündig: https://www.ioes.saga-u.ac.jp/en/

Küstenwache und Zoll in Imari

9. Juni 2023

Die Stadt Imari liegt am Ende einer tief eingeschnittenen Bucht. Die ganze Gegend ist stark industriell geprägt: Werften, Raffinerien, überall qualmt es aus den Schornsteinen – landschaftliche Schönheit können wir hier nicht erwarten. Die nächstgelegene „offizielle“ Marina liegt sehr weit außerhalb, und weil wir ja die Stadt und die Keramikörtchen im Hinterland erkunden wollen, suchen wir uns per Seekarte und google Maps ein Hafenbecken in Stadtnähe aus, das nahe an einem Bahnhof liegt, so dass wir vom Liegeplatz schnell und günstig in den Ort kommen können.

Wir entdecken am Ende des Hafenbeckens einen Schwimmsteg, eine Seite ist frei und wir machen dort fest. Aber – oops – auf der anderen Seite liegt ein Boot der Küstenwache! Bevor unsere Leinen noch richtig fest sind, bekommen wir auch schon Besuch. Ob wir hier bleiben können? Japaner sind ja so höflich, dass sie sehr ungern nein sagen. Wenn sie es aber doch müssen, kündigt ihr leicht schmerzverzerrter Gesichtsausdruck schon im Vorfeld an, dass dieses Mal die Antwort wohl negativ ausfallen wird: zwar ist nur eine Seite von der Küstenwache belegt, aber die andere Seite muss für Notfälle freigehalten werden. Außerdem ist der Zugang zum Steg abgesperrt, wir kämen hier also gar nicht von Bord. Wo wir denn dann hinkönnten? Die Beamten kontaktieren den Hafenkapitän per Telefon und bitten uns abzuwarten.

Nach etlichen Verhandlungen, einigen Formularen, ausführlicher Bordbesichtigung und knapp zwei Stunden ist alles geregelt: wir dürfen an der anderen Seite des Hafenbeckens längsseits festmachen. Zwar kein Schwimmsteg, aber der Tidenhub ist zur Zeit nicht so groß, dass dies ein Problem wäre. Ich frage noch kurz den Navigator des Küstenwacht-Bootes nach der Wassertiefe an der für uns vorgesehenen Stelle, weil ich denke, er hat vielleicht genaueres Kartenmaterial. Statt in die Karte zu sehen, schickt er aber zwei seiner Beamten mit dem Auto los, die nicht nur mit dem Lot die Wassertiefe messen, sondern gleich noch ein paar Mooringleinen aus dem Weg räumen, die uns behindern könnten. Per Telefon kommt dann die Information: vier Meter tief, alles perfekt!

Während wir die paar hundert Meter rübertuckern, springt auch der Rest der Mannschaft ins Auto und hilft uns, an unserem neuen Liegeplatz die Leinen anzunehmen.

Ein paar Tage später bekommen wir Besuch von zwei Zollbeamten, die das Boot besichtigen wollen und auch ein paar Formulare zum Ausfüllen dabeihaben. Sie kommen allerdings gerade, als wir mit Handtüchern und Wechselwäsche ausgerüstet zum Zug laufen wollen, um in Imari ins öffentliche Bad zu gehen. Als wir ihnen erklären, dass wir an Bord keine Duschgelegenheit haben und sowieso große Fans der japanischen Onsen sind, freuen sie sich nicht nur über unsere Wertschätzung dieses Teils ihrer Kultur, sondern haben es auch mit der Dienstpflicht nicht mehr so eilig. Sie können auch später wiederkommen. Als der jüngere Kollege dennoch ein Formular zückt, weist ihn der ältere Kollege zurecht: lass mal, die müssen doch zum Zug, um baden zu gehen.

Ist es nicht ein wunderbares Land?

Takushima

7. Juni 2023

Den Tipp bekamen wir von Fuminori-san aus Hirado: wenn wir Zeit hätten, sollten wir unbedingt die kleine Insel Takushima besuchen, denn da gäbe es ein kleines Ryokan (traditionelles japanisches Gasthaus), in dem man nicht nur ein Abendessen bekommen, sondern auch vorher ein Bad nehmen kann.

Das Inselchen hat keinen eigentlichen Ort, aber das Gasthaus ist dank google Maps schnell gefunden und wir versuchen, im nahegelegenen Hafen festzumachen. Der ist allerdings sehr klein, der einzige mögliche Liegeplatz hat ablandigen Wind und der drückt beim Anlegen immer wieder den Bug der Muktuk weg, bevor wir festmachen können. Nach etlichen Versuchen und einer ordentlichen Schramme am Bug brechen wir den Versuch ab.

Zum Glück gibt es aber am anderen Ende der Insel einen weiteren Hafen (wir fragen uns manchmal, ob japanische Inseln mehr Häfen als Einwohner haben), und der ist groß genug. Zu Fuß machen wir uns am späten Nachmittag auf den Weg, das Gasthaus ist etwa drei Kilometer entfernt. An Häusern und Zäunen hängen überall Kinderzeichnungen, die vor den Wildschweinen warnen, die offensichtlich auf dieser Insel zu Hause sind. Ein abwechslungsreicher Spaziergang führt uns vorbei an Cosmea-Feldern, liebevoll gepflegten Gemüsegärten und Selbstbedienungs-Ständen mit Gemüse.

Am Gasthaus angekommen, das gar nicht wie ein Gasthaus, sondern wie ein normales privates Wohnhaus aussieht, versuchen wir uns auf Japanisch zu verständigen: können wir hier ein Essen und ein Bad bekommen? Die Besitzerin schüttelt bedauernd den Kopf und redet auf uns ein. Viel verstehen wir nicht, aber es scheint, das Gasthaus würde nur auf vorherige Reservierung öffnen, und sie seien nicht auf Gäste eingestellt, hätten nichts eingekauft, vorbereitet etc.

Aber unser trauriger Gesichtsausdruck bringt sie dann doch zum Überlegen. Nachdem sie sich kurz mit ihrem Mann beraten hat, bedeutet sie uns zu warten. Nach einer Weile führt sie Birgit in ein kleines Badezimmer und lässt ihr in eine Art Sitzbadewanne ein heißes Bad ein. Ich darf währenddessen auf der Terrasse Platz nehmen, auf der ein Schreiner, ein Freund des Wirtspaares, gerade dabei ist, ein neues kleines Holzhaus zu bauen. Auf einem Betonfundament hat dieser das Gerüst für das Haus errichtet: Ständer, Riegel, Streben, Dachbalken und der ganze Dachstuhl stehen schon, nur Wände und Dach fehlen noch.

In dieses Gerüst stellen die Wirte einen Tisch und ein paar Stühle; ich sitze mit dem Schreiner bei einem Bier und übe mein Japanisch. Er erzählt stolz, dass er den gesamten Holzaufbau am heutigen Tag errichtet hat. Ich erzähle von unseren Reisen, und habe tatsächlich den Eindruck, dass wir uns – ausnahmsweise ganz ohne Übersetzungsprogramm – verständigen können. Nach einer halben Stunde kommt Birgit aus dem Bad, und ich darf ihren Wannenplatz übernehmen.

Während ich bade, verwandeln die Wirtsleute den Rohbau auf liebevolle Weise in ein gemütliches Restaurant: Blumen werden in Vasen auf die Holzriegel gestellt, der Tisch wird gedeckt, für später werden Lichter an die Dachsparren gehängt. Wir sitzen im Schein der untergehenden Sonne, schauen auf Meer und Hafen (den Schauplatz meines unrühmlichen Anlegeversuchs). Und dann werden die Köstlichkeiten aufgefahren: Platten mit Sashimi, Misosuppe, einlegtes Gemüse, Seeigel, Gebratenes, Gedämpftes… ein Gang nach dem anderen erscheinen auf dem Tisch, wir essen alle gemeinsam (die Wirtsleute, der Schreiner, Birgit und ich), Bier wird aus großen Flaschen reihum in unsere Gläser gefüllt. Wieder einmal fühlt es sich an, als hätten wir Familienanschluss gefunden, und wir unterhalten uns mit Händen, Füßen, Mimik und unsern paar Brocken Japanisch.

Als wir am späten Abend unsere Rechnung bezahlen und aufbrechen, bestehen sie darauf, uns mit dem Auto zum Schiff zurückzubringen – in der Nacht sei das mit den Wildschweinen nicht ganz ungefährlich…

Hirado – Geschichte und Geschichten

01. – 07. Juni 2023

Hirado, die große Insel im Nordwesten von Kyushu, war durch ihre exponierte Lage über die Jahrhunderte hinweg die erste Anlaufstelle für Seefahrer aus fremden Ländern.
Der berühmte chinesische Mönch Kobo Daichi soll im 8. Jahrhundert über Hirado eingereist sein; Ende des 12. Jahrhunderts brachte ein chinesischer Zen Meister den Grüntee nach Japan, der auf dieser Insel erstmals (auf japanischem Boden) angebaut wurde. 1550 schließlich erreichte das erste portugiesische Schiff Japan und legte in Hirado an. Der lokale Fürst Matsura Takanobu hieß die Portugiesen willkommen und auch die ihnen folgenden Engländer und Niederländer und erlaubte ihnen, hier Handelsniederlassungen einzurichten. Dadurch erlebte die Insel einen rund 90 Jahre dauernden wirtschaftlichen Aufschwung, bis das Tokugawa Shogunat 1641 den Handel mit fremden Nationen auf Nagasaki beschränkte.
Was Hirado heute so spannend macht für Touristen, sind die vielen erhalten gebliebenen und wieder aufgebauten historischen Stätten, die kulinarische Vielfalt sowie die abwechslungsreiche Landschaft, mit gut ausgebauten Wanderwegen und schönen Stränden.

Oben, im Norden befindet sich die größte Ortschaft der Insel, Hirado Stadt. Hier, über der engsten Stelle, der „Straße von Hirado“, spannt sich eine große rote Brücke, die die Insel mit dem Festland verbindet.
Vor vier Jahren sind wir unter dieser Brücke durch und mit großem Bedauern an Hirado vorbei getuckert, unser Zeitplan war damals sehr eng gestrickt. Dieses Mal aber möchten wir ein paar Tage lang bleiben und so viel wie möglich von dieser Insel sehen.

Wir waren vorgewarnt, dass es mit dem Anlegen etwas schwierig werden könnte, denn der große Schwimmsteg im Hafen hat an der geschützten Innenseite dicke Fender. Die sollen für ausreichend Abstand sorgen und verhindern, dass bei Seegang und Schwell die Segelboote mit ihren Masten an das Dach des Steges donnern und beschädigt werden. Diese Fender sind so dick, dass es für mich unmöglich ist, in einem beherzten Anlauf an Land zu springen. Drauf treten geht auch nicht, weil sich diese Fender wie eine Rolle um ihre Längsachse drehen. Glücklicherweise ist jemand am Steg, um die Leinen anzunehmen. Und dann legen wir ein Brett von der Reling bis zum Steg, auf dem wir vorsichtig balancierend an Land kommen.

Die Haupt- und Einkaufsstraße von Hirado ist parallel zum Hafen angelegt. Hier sind in renovierten alten Häusern viele verschiedene Läden zu finden und immer mal wieder auch ein Café oder ein Restaurant. Ein Geschäft in einem alten Lagerhaus beispielsweise bietet Süßigkeiten zum Verkauf an, nach portugiesischen und japanischen Rezepten perfekt gearbeitet, und auch die Verpackungen sind kleine Kunstwerke.

Eine Schulklasse ist vormittags unterwegs, um Müll in den Straßen und am Hafen einzusammeln. Fröhlich winken sie uns zu!

Auch in Hirado gibt es ein öffentliches Fußbad.

Wir schlendern die Straße einmal rauf und runter und gehen dann auf Entdeckungstour durch die angrenzenden Seitenstraßen, die teilweise steil den Berg hoch führen.

Andreas neben der Statue von Richard Cocks, dem Leiter der englischen Handelsstation im 17. Jahrhundert.

Wir entdecken einen alten Tempel, dessen Zugang und Tore vom Grün überwuchert werden.

Das Schloss von Hirado bei Vollmond

Die ehemalige Residenz der Fürstenfamilie Matsura

Der 39. Fürst des Hauses Matsura vermachte 1955 das Anwesen der Familie sowie ihre Sammlung an Kulturschätzen der Stadt Hirado.

Das Hauptgebäude ist heute ein Museum, in dem einige der wertvollsten Objekte der rund 30.000 Stücke umfassenden Sammlung der Fürstenfamilie präsentiert werden: Schriftstücke, Zeichnungen von historischen Schlachten, Puppen und Spiele, wunderschöne Kimonos und andere Alltagsgegenstände, wie Möbel und Geschirr.

Am beeindruckendsten ist eine meterlange Papierrolle, die wie eine Art Landkarte einen Weg durch halb Japan zeichnerisch darstellt. In der Edo-Periode mussten die lokalen Fürsten, die Daimyo, mindestens einmal im Jahr die lange und beschwerliche Reise nach Edo (dem heutigen Tokio) auf sich nehmen, um dem Shogun ihre Aufwartungen zu machen. Auch musste ein Teil ihrer Familie dauerhaft in Edo leben, als eine Art Unterpfand ihrer Loyalität.

Das Teehaus der ehemaligen Matsura-Residenz wurde 1893, im selben Jahr wie das Haupthaus erbaut und strahlt, ebenso wie der Garten, eine wunderbare Ruhe aus.

Im Gegensatz zum Haupthaus besteht das Teehaus aus grob gehauenen Holzstämmen und ist mit einem Reetdach versehen.

In der Früh sehen wir eine junge Frau, wie sie um das Haus herum geht, die Steine fegt, Zweige und Blätter einsammelt. Sie ist es auch, die uns am Nachmittag einen Grüntee zubereitet und diesen mit der dazu gehörenden Süßigkeit serviert. Ihr Englisch ist hervorragend und da wir die einzigen Gäste sind, unterhalten wir uns länger mit ihr. Sie erzählt uns, dass sie erst seit einigen Monaten auf Hirado lebt. Vorher hatte sie eine gut bezahlte Stelle in Tokio, arbeitete im Marketing einer großen Firma. Aber die langen Arbeitszeiten und der Stress der Großstadt sind ihr nicht gut bekommen, so dass sie ihr Leben komplett umgekrempelt hat. In dieser wunderbaren beschaulichen Umgebung geht es ihr inzwischen sehr viel besser.

Die Niederländische Handelsgesellschaft

Im Jahr 1600 erreichte erstmals ein niederländisches Schiff Japan. Der Navigator, William Adams, ein Engländer, errang ziemlich schnell das Vertrauen des Shoguns Tokugawa Ieyasu. Er erhielt den japanischen Namen Miura Anjin, und war bis zu seinem Tod einer der persönlichen Berater des Shoguns und der erste Ausländer, der in den Stand eines Samurai erhoben wurde. (Die Geschichte von Adam Williams diente auch als Vorlage für den Roman Shogun von James Clavell.)
Williams war es auch, der gemeinsam mit dem Fürsten Matsura beim Shogun Tokugawa für die Niederländer um eine Erlaubnis bat, auf Hirado eine Handelsstation einzurichten.

1609 kamen die ersten Händler der Niederländischen Ostindien-Kompanie nach Hirado. Sie bauten im Laufe der Jahrzehnte etliche Lager- und Wohnhäuser und zogen eine Mauer auf, um die Handelsstation auf der einen Seite gegen die See und auf der anderen Seite gegen Diebe und allzu neugierige Blicke zu schützen. Als sich Japan vom Rest der Welt abschottete, musste die Handelsstation im Jahr 1641 nach Nagasaki umziehen, auf die dort künstlich aufgeschüttete Insel Dejima. Alle Ausländer durften sich fortan in Japan nicht mehr frei bewegen und blieben die meiste Zeit in Dejima.
Alle Lager und auch das erst 1639 fertig gestellte Handelshaus sind auf Befehl des Shoguns zerstört worden. Erst rund 350 Jahre später wurde das Haupthaus nach alten Plänen und Zeichnungen auf den alten Grundmauern neu aufgebaut und 2011 als Museum eröffnet.

Das Schloss von Hirado

Zwei Tage später legt am späten Vormittag auf der anderen Seite des großen Schwimmsteges ein japanisches Segelboot an. Wir begrüßen die beiden Segler und kommen miteinander ins Gespräch, sie sprechen beide sehr gut Englisch. Fuminori, der Skipper und Eigner des Segelbootes, ist mit seinem Freund Ito bereits seit drei Wochen an der Westküste von Kyushu unterwegs. Die beiden leben in Nagoya, aber Fuminori stammt aus Sasebo, wo auch der Heimathafen seines Segelbootes namens Seeadler ist. Er kennt diese Gegend in- und auswendig und lädt uns sofort zu einer gemeinsamen Stadtführung ein. Nachdem die beiden sich etwas ausgeruht haben, ziehen wir los, zum Schloss von Hirado.

Im Jahre 1587 schenkte der regierende Shogun Hideyoshi dem Fürsten Matsura in Hirado viel Grund und Boden, als Dank für dessen Verdienste bei einem der vielen Feldzüge in Korea. Nach seiner Rückkehr baute der Fürst Matsura auf diesem Hügel ein Schloss, das aber 1613 von einem Feuer komplett zerstört wurde. Erst gut 100 Jahre später konnte das Schloss wieder aufgebaut werden. Die starken Grundmauern, die an die Topographie des Hügels angepasst wurden, sollten das Schloss vor Angriffen schützen und durch seine strategisch günstige Lage konnte die Meeresenge zwischen Hirado und dem Festland gut im Blick behalten werden.

Zurzeit beherbergt es, wie die meisten Schlösser Japans, ein kleines Museum. Vom oberen Stockwerk aus müssen wir nicht nach eventuell unwillkommenen Eindringlingen Ausschau halten, wir können einfach nur den atemberaubenden Rundblick genießen: auf den gut gesicherten Hafen und die eng bebaute Stadt Hirado sowie auf die vorgelagerten Inseln und die schöne rote Brücke, die heute die Insel mit dem Festland verbindet.

Fuminori ist seit einigen Jahren in Rente und hat nun Zeit, sich neben der Musik, seinem zweiten Hobby, der Geschichte, zu widmen. Die Stadtbibliothek verfügt über einen umfangreichen Bestand an Büchern und Archivalien zur Lokalgeschichte, hier hat er mehrere Wochen verbracht, um die Geschichte von Hirado zu studieren.

Auf dem Rückweg in die Stadt führt er uns in die Bibliothek und erzählt uns einiges über die besonderen Beziehungen des örtlichen Fürsten zu den Portugiesen und Niederländern. Ich frage ihn, warum sich so viele Japaner einer solch strengen Religion wie dem Christentum anschließen wollten, wo doch der Buddhismus und Shintoismus ihnen eigentlich mehr Freiheiten gewähren. Das habe vielerlei Gründe, sagt Fuminori und setzt zu einer längeren Erklärung an. Der erste Jesuitenpater, Francisco de Xavier war eine äußerst beeindruckende und charismatische Persönlichkeit, aber auch die anderen Priester, die ihm in den Jahrzehnten darauf folgten, waren interessante Gesprächspartner für die Fürsten, denn sie brachten Kenntnisse in den Bereichen der Medizin, Naturwissenschaften, Musik und Kunst mit. Ein blinder Mann namens Lorence Ryohsai, aufgewachsen in einem kleinen Fischerdorf von Hirado übersetzte zwischen den Fürsten und den Missionaren und half so, deren Gedankengut zu verbreiten, meint Fuminori.

Die Jesuiten hatten neben der Missionierung auch einen handelspolitischen Auftrag, Portugal und Spanien wollten neue Märkte erschließen. Die japanischen Regionalfürsten wiederum wollten unbedingt Feuerwaffen, die ihnen im Kampf um die Vorherrschaft im Lande einen bedeutenden Vorteil verschafften. In der Folgezeit wandten sich einige Fürsten dem christlichen Glauben zu, und befahlen sogar die Zerstörung von buddhistischen und schintoistischen Tempeln auf ihrem Gebiet.

Wer mehr über die Anfänge der Missionierung in Japan wissen möchte, kann einen ausführlichen Beitrag im englischen Wikipedia lesen.

Die Stadtbibliothek ist ein moderner heller Bau, mit einer hohen Kuppel, die getragen wird von vielen kunstvollen Holzverstrebungen, die sich auf Betonpfeiler stützen. Die hohe Decke und das Licht geben dem großen Raum eine luftige freie Atmosphäre.

Die Leseplätze haben den schönsten Ausblick, den ich bisher in einer Bibliothek gesehen habe!

Wir drehen noch eine Runde durch den Ort, schauen uns einen alten Friedhof an, einen Tempel und die katholische Kirche, die dem Pater Francisco de Xavier geweiht ist. Sie wurde allerdings erst nach der Öffnung Japans gebaut, als der Bann des Christentums längst wieder aufgehoben war.

Eigentlich wollte uns Fuminori in sein Lieblingslokal einladen, aber es ist an diesem Samstagabend ausgebucht. So beschließen wir diesen Tag bei einer selbst gebackenen Lasagne und viel Sake bei uns an Bord der Muktuk.
Am nächsten Tag müssen die beiden leider schon weiter. Wir verabreden mit Fuminori, ihn später einmal in Sasebo zu besuchen, wo er uns den berühmten Nationalpark der 99 Inseln zeigen möchte.

Reisterrassen und Untergrundchristen

Wir wollen auch ein bisschen was von der Umgebung sehen und fahren mit dem Bus in den weniger besiedelten Nordwesten der Insel. Wir wandern durch zwei Täler mit Reisterrassen, dazwischen vereinzelte Häuser. Alle zusammen bilden sie das Dorf Kasuga.
In diesen beiden Tälern erstrecken sich die Reisfelder von dem schmalen Uferstreifen bis in die Berge hoch. Um diese Jahreszeit, im Frühsommer, sind sie grün und größtenteils noch mit Wasser geflutet. Unser Wanderweg führt uns an den Feldern entlang, an einer alten Pferdetränke und einem Stall mit Rindern vorbei – das Wagyu-Rind von Hirado soll besonders gut sein – und zu einem kleinen Hügel hoch.

Dieser Hügel und der kleine Stein mit Dach darauf haben eine ganz besondere Bedeutung für die Christen, die zweieinhalb Jahrhunderte hindurch ihren Glauben im Verborgenen ausüben mussten.

Nach dem großen Shimabara-Aufstand von 1637 erreichte die bereits Jahre zuvor begonnene Christenverfolgung ihren Höhepunkt. Die Rebellion war eigentlich ein Bauernaufstand gegen die erdrückenden Steuern der Fürsten, wurde nach dessen Niederschlagung aber zum Vorwand genommen, viele der überwiegend zum Christentum übergetretenen Bauern aus der Region zu töten und von nun an jegliche Ausübung des Glaubens zu verbieten. Damit einher ging auch die bereits mehrfach erwähnte Abschottung des Landes. Erst nachdem Japan im 19. Jahrhundert die Grenzen für Ausländer öffnete und auch Vertreter der Katholischen Kirche wieder ins Land ließ, stellte man fest, dass in vielen entlegenen Dörfern und Inseln von Kyushu das Christentum im Untergrund ausgeübt und von Generation zu Generation weitergegeben worden war. Die kleinen Gemeinden hatten keine eigenen Priester und bei der Ausübung ihres Glaubens verwendeten sie vordergründig Statuen, Symbole und Riten des Buddhismus und Shintoismus. Viele dieser Gemeinden der „Kakure Kirsihitan“, der Untergrundchristen, hatten sich in den vergangenen Jahrhunderten bereits so weit von der Katholischen Kirche entfremdet, dass sie nach der Aufhebung des Bannes weiterhin unabhängig blieben.

2018 wurde bei der UNESCO dem Antrag Japans stattgegeben, die vielen Stätten der Untergrundchristen in der weiteren Umgebung von Nagasaki zum kulturellen Weltkulturerbe zu erklären. Dazu gehört auch das Dorf Kasuga mit den für die Untergrundchristen heiligen Plätzen. Auch eine unbewohnte kleine Felseninsel vor der Küste Hirados gehört dazu. Hier holten sich die Untergrundchristen das geweihte Wasser, das sie für ihre Reinigungsrituale verwendeten.

Am Ende unserer Wanderung erreichen wir das Gemeindezentrum von Kasuga. In einem Teil des Gebäudes befindet sich ein Café, im anderen ist eine kleine Ausstellung zur Geschichte der Untergrundchristen eingerichtet. Einige wenige Begriffe aus dem Lateinischen wie „penitentia“ und „oratio“ haben die Zeit überdauert und einzelne Gerätschaften sind immer noch im Gebrauch: diese Peitsche, die den Jesuiten ursprünglich zur Geißelung diente, wurde von den Untergrundchristen für Reinigungsrituale verwendet, mit der Peitsche wurde das heilige Wasser in den Räumen verteilt.

Diese 16 Gebetstäfelchen, gehörten einer der beiden christlichen Gruppen von Kasuga und wurden, in einem Leinensack verborgen, regelmäßig in der kleinen Gemeinde herum gereicht.

Das Gemeindezentrum wird von einer Gruppe älterer Frauen und Männer betrieben, die den Besuchern bereitwillig von ihrer Geschichte und der ihrer Vorfahren erzählen. Leider steht die Sprachbarriere zwischen uns, sonst würden wir das Angebot sehr gerne annehmen und mit ihnen sprechen. So beschränken wir uns darauf, die Informationstafeln zu den Ausstellungsstücken durchzulesen und anschließend einen Grüntee in dem Raum zu trinken, der mit Tatami-Matten ausgelegt ist.

Nach einer Woche auf Hirado ziehen wir weiter und werfen bei der Ausfahrt einen letzten Blick auf das Schloss und die ehemaligen Niederländischen Handelsstation. Hirado wurde als „Westliche Hauptstadt Japans“ bezeichnet, wehrhaft und weltoffen zugleich. Diese beiden Gebäude stehen sinnbildlich dafür.