Im Hafen von Io-Jima

15. – 18. April 2023

Zwei Tage und zwei Nächte sind wir unterwegs, nachdem wir Okinoerabu-Jima verlassen haben. Wir wissen anfangs noch nicht, wie lange uns der Wind für unsere Reise nach Norden erhalten bleiben wird, deshalb haben wir kein festes Ziel, sondern legen uns nur eine ganze Reihe von Optionen zurecht. Für alle Inseln, die in Frage kommen, haben wir Detailkarten, Satellitenfotos der Häfen und ein paar touristische Informationen aus dem Internet heruntergeladen.

Die Überfahrt verläuft zunächst phantastisch: wir sausen mit 6-7 Knoten bei nicht allzu viel Welle dahin und kommen hervorragend voran. Die zweite Nacht ist allerdings anstrengend. Um uns herum toben Gewitter, es regnet in Strömen, die Sicht ist fast Null. Alle Frachter, die zwischen Tokio und Taiwan oder Südkorea unterwegs sind, kreuzen unseren Kurs. Außerdem sind auf dem Dampferstrich auch noch Flotten chinesischer Fischereifahrzeuge unterwegs, die sich um Vorfahrtsregeln wenig scheren. Wer hier ohne AIS unterwegs ist, ist verloren.

In dieser Nacht ist also nicht wirklich an Schlaf zu denken. Ständig stehen Ausweichmanöver oder zumindest gespanntes Beobachten des Schiffsverkehrs an. Wir legen unsere Wunschinsel für die Ankunft fest, und am frühen Morgen ist klar, dass wir diese auch erreichen können, bevor der Wind dreht.

Io-Jima heißt sie und liegt gerade mal 30 sm vom Festland entfernt. Sie hat einen hübschen Vulkankegel und soll mehrere heiße Quellen mit den dazugehörigen Bädern (Onsen) haben. Neben Vulkanologen kommen im Wesentlichen Onsen-Freunde hierher, es gibt kaum touristische Infrastruktur, keine Restaurants, einen kleinen Krämerladen. Genau das Richtige für unseren Geschmack.

Wir erfahren, dass vor etlichen Jahren ein berühmter Trommler aus Guinea hierherzog, um eine Schule für die afrikanische Djembe-Trommel zu eröffnen. Die hat hier auf der Insel gründlich eingeschlagen, so dass die Hälfte der Inselbewohner entweder trommelt oder zur Trommelei tanzt. Viermal pro Woche kommt die Fähre aus Kagoshima, und am Wochenende, wenn die Kinder schulfrei haben, wird die Fähre mit einer Djembe-Trommel Vorführung nebst Tanz begrüßt.

Um der drohenden Entvölkerung der Insel zu begegnen, werden Neu-Ansiedler hier drei Jahre lang subventioniert, um Fuß fassen und eine Anstellung finden zu können. Im Gegensatz zu anderen Inseln mit ähnlichen Programmen muss man hier das Bürgergeld auch dann nicht zurückzahlen, wenn man die Insel wieder verlässt.

Nach unserer harten letzten Nacht auf See freuen wir uns jedenfalls sehr bei der Vorstellung, im heißen Wasser der vulkanischen Quellen entspannen zu können. Aber zu früh gefreut: als wir im Hafen angelegt haben, werden wir von einem Behördenvertreter informiert, dass wir ohne aktuellen PCR-Test nicht an Land dürfen. Wir dürfen gerne im Hafen bleiben, bis das Wetter besser wird, aber das Schiff nur verlassen, um die Hafentoilette zu benutzen. Alles Vorzeigen unserer Impfpässe oder Schnelltests hilft nichts. Und hier auf der Insel kann man natürlich keinen PCR-Test machen, den hätte man schon mitbringen müssen. Sho ga nai, wie der Japaner sagt: da kann man wohl nichts machen.

Langweilig wird es uns trotzdem nicht. Zwar dürfen wir nicht von Bord, aber das hält die Inselbewohner nicht ab, uns zu besuchen. Als erstes kommt Aia, Mutter des fünfjährigen Sohns Aito und ihrer einjährigen Tochter Asami. Aito will unbedingt das Schiff besichtigen, und der Mutter ist der fehlende PCR-Test schnuppe, also kommen sie alle an Bord, wir unterhalten uns, trinken Tee und essen Plätzchen. Sie fährt dann schnell noch heim, um für uns frisch geerntete Bambussprossen zu holen, lässt Aito solange bei uns. Er meint am Ende, wenn er groß ist, will er auch so ein Boot haben und um die Welt segeln.

Als nächstes kommen Yumi und Rei, ein elfjähriges Mädchen, wieder ist es die Neugier des Kindes, die den Kontakt herstellt. Schnell werden Yumis Mann Yoshiro und Oleg, der Vater des Mädchens angerufen, und so sitzen wir bald zu sechst um den Messetisch und unterhalten uns, denn Oleg ist ein Russe aus Estland, der vor dreizehn Jahren nach Japan kam, gut Englisch spricht und für die anderen übersetzen kann. Außerdem baut er gerade sein eigenes Boot und ist natürlich an unserer Muktuk interessiert. Wir verabreden uns für den nächsten Tag zum Abendessen an Bord und können so viel über die Insel, über die japanische Gesellschaft und über Olegs spannende Biographie erfahren.

Die Crew eines gerade eingelaufenen Forschungs- und Bergungsschiffes kommt uns auch begrüßen. Ein weiteres fünfjähriges Mädchen mit ihrem Vater besucht uns, und damit haben wir den Inselkindergarten schon komplett an Bord gehabt. Wenn es mit den Besuchern so weitergeht, haben wir bald die paar Dutzend Insulaner, die hier leben, kennengelernt, und dann hat sich das mit dem PCR-Test ja auch irgendwie erledigt.

Vor ein paar Tagen meinte Birgit, sie wünsche sich einmal einen Tag Pause, an dem nichts Neues passiert, damit sie dazu kommt, in Ruhe ein paar Blogeinträge zu schreiben. Als wir erfuhren, dass wir hier nicht an Land können, dachten wir eigentlich, ihr Wunsch würde sich erfüllen. Aber wir haben hier nun doch so viele nette Menschen kennengelernt und so viel Neues gelernt, dass es wohl wieder nichts war mit der Pause. Tja – sho ga nai, da kann man nichts machen….

Makurazaki – Hauptstadt des schimmeligen Fischs

18. bis 24. April 2023

Für unseren nächsten Hafen muss ich kulinarisch etwas ausholen. Denkt man an typische Zutaten der japanischen Küche, fällt einem als erstes die Sojasauce ein. Schon an zweiter Stelle steht aber eine Zutat, die im Westen nicht ganz so bekannt ist, aber eine absolut zentrale Rolle beim Japanisch Kochen spielt: das Dashi. Ob Miso-Suppe, die Brühe für Ramen, sautiertes Gemüse, zahlreiche Sauce: die Dashi Brühe gibt all diesen Gerichten die entscheidende Note. Die Hauptzutaten für Dashi sind Kombu (eine Algenart) und Katsuobushi, fermentierter Thunfisch. Und die Hafenstadt Makurazaki, in der wir nun liegen, ist der wichtigste Ort Japans für die Herstellung von Katsuobushi. Sie haben angeblich auch schon 1707 damit angefangen.


Das beginnt mit dem Fischfang. In dem riesigen Hafenbecken landen täglich mehrere Dutzend Fischerboote ihren Fang an. Rund 50.000 Tonnen Bonito im Jahr werden hier ausgeladen. Auf den größeren Fangschiffen wird der Fisch unterwegs bereits gefroren, hier im Hafen findet die Auktion des Fangs statt. Ab 6:30 Uhr morgens rumpeln dann die Förderbänder, auf die der Bonito kistenweise mit Gabelstaplern geschüttet wird, dort wird er nach Größe und Unversehrtheit sortiert und in Lastwagen verladen.


Dutzende Fabriken in der Stadt verarbeiten den Fisch weiter: der Bonito wird zunächst ausgenommen, grob filetiert und dann ein bis zwei Stunden gekocht. Die noch warmen Fische werden dann entgrätet, enthäutet und in Viertelfilets aufgebrochen, alles in Handarbeit. Für zwei bis drei Wochen wandert der Fisch nun in Räucheröfen, wo er einen Großteil seiner Feuchtigkeit verliert und dadurch haltbar wird. Läuft man durch die Stadt, sieht man überall die Rauchschwaden aufsteigen, und der Duft von Räucherfisch weht einem um die Nase. Angenehm, solange man da nicht wohnen muss. Auch das in vielen Höfen gestapelte Kirsch- und Eichenholz, das zum Räuchern verwendet wird, riecht herrlich.




Für die besseren Qualitätsstufen geht der Verarbeitungsprozess aber jetzt erst richtig los. Der Fisch wird glattgeschliffen und mit einem Edelschimmel geimpft. Über einen Zeitraum von einem halben Jahr wird immer abwechselnd der Schimmel kultiviert und der Fisch wieder in der Sonne getrocknet. Am Ende steht ein sehr harter und spröder Knüppel, außen gleichmäßig hellbraun, innen glasartig rot wie ein Edelstein, dem man seine fischige Herkunft kaum mehr ansieht oder anriecht, und der viele Monate haltbar ist. Die jeweils benötigte Menge an Bonitoflocken wird von diesem Block in papierdünnen Spänen abgehobelt.




Natürlich kann man in jedem Supermarkt auch schon fertig gehobelte Bonitoflocken kaufen (die aber nicht so lange haltbar sind). Oder gleich Instant-Dashi als Pulver zum auflösen in Wasser. Aber selbst gehobelt ist natürlich schöner, und solange man es nicht im Doppelblindversuch beweisen muss, schmeckt es auch viel besser. Ehrlich.

Die Insel Okinoerabu

11. – 13. April 2023

Von Okinawa los zu kommen, ist nicht einfach. Nicht nur der vielen Bande wegen, die wir hier in so kurzer Zeit geknüpft haben, auch weil der Wind meist aus Nord weht und genau nach Norden zum Japanischen Hauptland wollen wir. Wind zum Hochsegeln gibt es immer nur für höchstens 2-3 Tage. Zwischen Okinawa und Kyushu liegen wie auf einer Schnur aufgereiht viele schöne Inseln, da können wir zwischendurch Pause machen, denn in einem Rutsch werden wir diese Strecke nicht schaffen können.
Endlich ist ein Wetterfenster da, das einigermaßen moderaten Wind aus der richtigen Richtung und wenig Welle verspricht. Aber kaum sind wir aus der großen Bucht draußen, müssen wir feststellen, dass der Wind eine viel stärkere Nordkomponente hat als vorhergesagt, wir kommen die ersten zwanzig Meilen sehr langsam voran und können nur mit Unterstützung des Motors hoch am Wind segeln.
Am nächsten Tag lässt der Wind schon wieder nach, so dass wir beschließen, nicht weiter zu fahren, sondern bereits auf der Insel Okinoerabu einen Stopp einzulegen und dort auf das nächste Wetterfenster zu warten.
Im Süden der Insel befindet sich das Dörfchen namens China, wo wir im Fischereihafen anlegen. Es ist erst mittags, also viel Zeit, um heute schon einmal den Ort zu erkunden. Gleich gegenüber am Hafen liegt ein großes Hotel, wo wir uns mit Informationsmaterial über die Insel eindecken und erfahren, dass gleich nebenan ein öffentliche Bad sei. Wunderbar, das erste „Sento“, seitdem wir in Japan angekommen sind.

Frisch geschrubbt und gebadet gehen wir am Abend noch einmal los und entscheiden uns für ein kleines Fischlokal, das von außen ganz unscheinbar daher kommt. Innen sieht es sehr gemütlich aus, ein kleiner Raum mit drei, vier Tischen und einer kleinen Theke, dahinter die Küche. Es gibt keine Speisekarte (schon einmal gut für uns, denn lesen könnten wir sie sowieso nicht). Man isst, was sich der Koch für den Abend ausgedacht hat, nämlich eine Folge von Gerichten, die nacheinander für alle Gäste zubereitet werden: eingelegter Tofu, Sashimi, Schnecken, eine Suppe mit gekochtem Fisch in einer köstlichen Brühe mit Daikon-Rettich und Lauch, frittierte Kartoffelbällchen mit Pilzen, eine zweite Suppe mit Tofu, Gemüse und Hühnchen… wir zählen mit, es sind insgesamt 10 Gänge! Jedes einzelne Gericht ist eine Überraschung und schmeckt hervorragend. Wir dürfen an der Theke sitzen und können dem Koch zusehen, wie er die Gerichte vorbereitet, was sehr spannend ist. Er beobachtet unsere Reaktionen und freut sich sichtlich, dass wir sein Essen so genießen. Mir scheint, dass er uns immer etwas mehr als den anderen Gästen in die Schalen füllt.

Zwischen den Gängen unterhalten wir uns mit seiner Frau, die ein bisschen Englisch spricht und nachdem er mit dem Kochen fertig ist, setzt auch er sich noch ein bisschen zu uns. Wir erfahren, dass er viele Jahre lang in Tokio auf dem berühmten Fischmarkt gearbeitet hat und sie früher Krankenschwester war. Seit ungefähr 13 Jahren lebt er auf der Insel, zunächst als Farmer und seit sieben Jahren betreiben sie nun gemeinsam das Restaurant. Sie packen uns jeweils ein großes Stück von dem geräucherten Thunfisch und Tintenfisch ein, die uns so gut geschmeckt haben und geben uns noch eine Tüte mit frischen Kartoffeln mit, für die die Insel so berühmt ist. (Und die wirklich gut sind, schmackhaft und mehlig, genau wie wir sie gerne essen!)

Als Dankeschön und auch weil wir gerne in Ruhe etwas mehr Zeit mit ihnen verbringen möchten, laden wir sie für den nächsten Tag zum Frühstück auf die Muktuk ein. Yuhiko und Kumihiko fühlen sich sehr wohl auf Okinoerabu, erzählen sie uns, während Andreas Waffeln backt. Sie bereuen es nicht, aus der Großstadt Tokio hierher gezogen zu sein. Beide sind gute Sportler, Läufer, und haben letztes Jahr das erste Marathon auf der Insel organisiert, genauer gesagt: ein Ultramarathon. Dieses Jahr im November soll es das zweite Mal stattfinden.
Kunihiko fragt, was wir heute noch vorhaben, er möchte, dass wir unbedingt Freunde von ihm besuchen. Wir wollen eine Wanderung machen, vielleicht bis zum Observatorium. Das Haus der Freunde liegt auf dem Weg, und Kunihiko ruft sofort bei ihnen an, um uns anzukündigen.
Noch ein gemeinsames Foto vor der Muktuk mit den beiden und eine herzliche Verabschiedung, dann ziehen wir los.


Die Hand soll den Umriss von Okinoerabu symbolisieren

Hinter dem Dorf wird es richtig grün. Die wilden Mandarinen am Straßenrand leuchten so schön in der Sonne. Sie sind innen etwas klein und haben viele Kerne, schmecken aber sehr gut.

Die Kartoffelernte ist in vollem Gange, viele Felder sind bereits abgeerntet und dürfen bis zum Herbst ruhen bzw. werden mit Pflanzen bestückt, die ein bisschen Dünger in die Erde bringen. Auf den ersten Blick wirkte die Erde sehr fruchtbar, was sie aber gar nicht ist, wie wir später erfahren. Zuckerrohr und Kartoffeln kommen allerdings mit dieser Erde gut zurecht.

Wir finden auf Anhieb das Haus von Prof. Emile Ishida und seiner Frau Ako. Sie bitten uns auf einen Tee herein. Emile war Mineraloge, seit seiner Emeritierung betreut er weiterhin viele spannende Projekte an der Schnittstelle zwischen Umweltschutz und Technologie, u.a. auch auf dieser Insel. Seine Frau spricht fließend mehrere Fremdsprachen und hat früher als Übersetzerin im Bereich Keramik gearbeitet. Wir erzählen ihnen, dass wir fasziniert sind von japanischer Keramik, worauf sie uns den Ausstellungskatalog eines bekannten Keramikers zeigen und ein paar besonders schöne Keramiken aus ihrer Sammlung. Zudem nennen sie uns einige berühmte Keramik-Ortschaften, die wir unbedingt besichtigen sollten.

Von den vielen Inseln zwischen Okinawa und Kyushu hat ihnen Okinoerabu auf Anhieb gefallen, so dass sie beschlossen, sich hier niederzulassen. Hier haben sie ein großes Grundstück gekauft, mitten im Grünen, und mit Hilfe eines Architekten ein wunderbares Haus entworfen. Wir würden gerne noch länger mit ihnen reden und sie auch auf die Muktuk einladen, aber sie müssen für einige Tage verreisen und noch einiges vorbereiten, und so verabschieden wir uns von ihnen, reich beschenkt mit spannenden Gesprächen und mit einem Buch von Prof. Emile sowie einer Flasche italienischem Rotwein aus seinem selbst gebauten Weinkeller (trotz unserer Proteste und Versicherungen, dass wir im Sommer ein paar Tage in Italien verbringen wollen.)

Wir wandern weiter und finden nach einigem Suchen unser Ziel: den Aussichtssturm, von wo aus wir einen beeindruckenden Rundblick auf die Weiten der Insel haben.

Gegen Abend kommt eine Freundin von Yukiko mit ihren beiden Töchtern, sieben und drei Jahre alt, vorbei und bringt uns eine Tüte voll mit Kartoffeln von ihren Feldern. Sie und ihr Mann sind Farmer und bauen Biokartoffeln an, ganz ohne Pestizide. In den nächsten Tagen beginnen auch sie mit der Ernte, die Mädchen freuen sich schon darauf. Leider können wir ihnen das Schiff nicht zeigen, sehr zum Bedauern der ernsthaften Siebenjährigen: es ist gerade Niedrigwasser, der Abstand von der Kaimauer zum Deck der Muktuk beträgt ungefähr zwei Meter. Ohne Leiter ist es unmöglich, an Bord zu kommen.
Am Tag darauf wollen wir gleich nach dem Frühstück los, das nächste Wetterfenster ist da. Wie gerne würden wir noch länger auf dieser zauberhaften Insel bei diesen liebenswürdigen Menschen bleiben. Wer weiß, vielleicht würden wir dann auch ein Grundstück kaufen, ein Haus bauen und Kartoffeln züchten.

Okinawa

16. März – 10. April 2023

Arbeiten am Schiff

Nach der langen Überfahrt benötigte die Muktuk viele große und kleine Reparaturen, Geräte mussten gewartet und Ersatzteile nachbestellt werden, und wir waren jeden Tag mindestens einmal im Baumarkt. Außerdem mussten wir die Muktuk vor allem im Inneren gründlich putzen und entsalzen.
Gleich am zweiten Tag nutzen wir das gute Wetter und schlugen alle drei Vorsegel ab (Genua, Fock und Schoner), um sie zu einem Segelmacher zu bringen. Nach zwei Wochen erhielten wir sie zurück, der Saum war sehr sorgfältig genäht und Teile des UV-Schutzes ersetzt. Wie neu!

Zu den durchgerosteten Stellen, die wir unterwegs provisorisch geklebt hatten, kamen noch zwei weitere dazu, die wir entdeckten, als Andreas die Holzverkleidung und die beiden Schichten Isoliermaterial in unserer Kabine abgebaut hatte. Wir brauchten also dringend einen Schweißer.

Die Marina gab uns die Telefon-Nummer von Patrick, einem Schweizer, der seit 30 Jahren in Japan lebt. Metallplatten besorgen, kaputte Stellen ausschneiden, neue Metallplatten einschweißen bzw. mit Platten verstärken, einen ganzen Tag lang hatte Patrick zu tun – alles nicht so einfach im engen Cockpit und an teilweise sehr schwer zugänglichen Stellen am Fuße des Mastes.

Ein paar Tage später, mit drei Lagen Epoxy-Farbe und zwei Lagen weißem Lack sahen die Stellen schon wieder ganz passabel aus.

In den zehn Wochen hatte sich einiges an Wäsche angesammelt. Zwei Mal schob ich unser Wägelchen mit Taschen vollbeladen zum Waschsalon. Dort gab es glücklicherweise mehrere dieser riesigen Waschmaschinen mit eingebautem Trockner. Sehr praktisch! Und während die Maschinen arbeiteten, ging ich zu meiner Lieblingsbäckerei gegenüber, mit den köstlichen Windbeuteln und Bisquitrollen.

Tourismusprogramm

Wir schafften es dieses Mal, eine gute Balance zwischen Arbeit und Erholung zu finden. Wir haben fast jeden Tag vom Farmers Markt frisches Gemüse geholt, ein paar Restaurants ausprobiert, haben Leute getroffen und sind auch ein bisschen herum gefahren.

Vor vier Jahren hatten wir schon sehr viel von Okinawa gesehen: Die königliche Burg Schuri, die leider im Herbst 2019 fast völlig abgebrannt ist und nun wieder aufgebaut wird, den schönen großen Königsgarten und Vieles mehr. (kann man hier nachlesen)
Auch dieses Mal fuhren wir wieder mit dem Bus nach Naha, in die Hauptstadt der Insel. Dort schauten wir uns u.a. das Keramikmuseum an, das einen guten Überblick über die Geschichte der Keramik von Okinawa bietet, alte und neue Keramikmeister und ihre Tonwaren vorstellt.

Gleich beim Museum befindet sich eine Straße, in der sich ein Keramikgeschäft ans andere reiht und wo man sich mit Keramik im traditionellen Stil oder neueren Formen eindecken kann.

Nach so viel Kunst und Kunsthandwerk brauchten wir eine Pause, nur ein paar Schritte weiter ist der große überdachte Markt von Naha. Gleich am Rand dieses fast unübersichtlich großen Areals fanden wir ein kleines Ramen-Lokal. Danach waren wir wieder gestärkt für den Rummel in den vielen Geschäften, wo man so ziemlich alles finden kann, was man braucht, angefangen von Kleidung, über Stoffe, Haushaltswaren, Mitbringsel von Okinawa bis hin zu Gemüse und Fisch.
Die Bittergurke ist eines der „Wahrzeichen“ von Okinawa. Ihr werden viele gesundheitsfördernde Eigenschaften zugeschrieben und ihr sei es zu verdanken, dass die Lebenserwartung in Okinawa die höchste von ganz Japan ist. „Goya Champuru“ heißt ein beliebtes Gericht mit fein geschnittener Bittergurke, Tofu und Ei, das wir inzwischen ein paar Mal nachgekocht haben.

Diese Algen bekommt man nur in Okinawa – sie haben eine Textur ähnlich wie Kaviar, zerplatzen beim Draufbeißen, der Geschmack erinnert an eine frische Meeresbrise.

Der US-Amerikanische Film „Sound of Music“  über die singende Trapp-Familie mit Julie Andrews und Christopher Plummer aus den 1960er Jahren war in Japan ein riesiger Erfolg und ist immer noch im kollektiven Gedächtnis vorhanden, vor allem das Lied „Edelweiß“. Das wurde uns sogar schon mal vorgesungen. So wunderte es mich nicht, als ich eine Bäckerei auf dem Markt sah, die Apfelstrudel anbietet und die zu ihrem englisch klingenden Namen noch „Edelweiß“ hinzugefügt hat.

Okinawa World

Nicht weit von Yonabaru und mit dem Bus leicht zu erreichen befindet sich der Themenpark „Okinawa World“. Hier werden traditionelle Handwerke der Insel gezeigt (u.a. Glasbläserei, Stoffmalerei, Weberei) und bei den meisten kann man sogar mitmachen. Untergebracht sind die jeweiligen Werkstätten in Holzhäusern, die von einer adligen Familie zur Verfügung gestellt wurden.

Unter dem Themenpark befindet sich eine riesige, neun Kilometer lange Tropfsteinhöhle, die erst in den 1970er Jahren entdeckt wurde. Für die Besucher ist ein etwa 900 Meter langer unterirdischer Bohlenweg angelegt worden, entlang dessen die Kalksteinformationen beleuchtet werden, ein tolles Lichtdesign. Wir waren beeindruckt von der Schönheit dieser Unterwelt!

Fahrradtour zum Nanjo Art Museum

Im Hof der Marina von Yonabaru stehen immer noch die beiden Fahrräder, mit denen wir vor vier Jahren herumfahren konnten. Der Zahn der Zeit hat an ihnen genagt, aber nachdem Andreas einen Reifen geflickt hatte, konnten wir uns zu einer kleinen Fahrradtour aufmachen.

Zuerst fuhren wir auf einem Damm am Ufer entlang bis zu einem kleinen Fischereihafen.

Die Küste sieht auf den erste Blick ziemlich zugebaut aus. Umso überraschter waren wir, dass sich zwischen den Wohnvierteln viele kleine Felder befanden, auf denen hauptsächlich Zuckerrohr angebaut wird. Auch viele Gewächshäuser waren zu sehen, in denen Gemüse oder Blumen gezogen werden.

Mittendrin tauchte ein großes Gebäude auf: das Kulturzentrum von Nanjo, im Volksmund „sugar cane hall“ (Zuckerrohrhalle) genannt. Wir hielten kurz an und entdeckten ein Plakat mit der Ankündigung eines Konzertes, das an diesem Nachmittag stattfinden sollte.

Das Kunstmuseum von Nanjo liegt etwas abgeschieden mitten im Grünen hoch oben auf einem Berg.

Es besteht aus dem ehemaligen Wohnhaus des Ehepaars, das das Museum gestiftet hat und einem Anbau für Wechselausstellungen. Ein großer Garten mit Schatten spendenden Bäumen gehört ebenfalls dazu. Das ganze Ensemble strahlt eine unglaubliche Ruhe und Abgeschiedenheit aus. Wir fühlten uns wie in eine andere Welt versetzt.
An den Wänden hängt viel moderne Kunst von japanischen, koreanischen und chinesischen Künstlern, aber auch von Olafur Eliasson, dem bekannten isländisch-dänischen Künstler. Die Räume des Wohnhauses sind so eingerichtet, als ob immer noch jemand darin wohnen würde. Mit dem Unterschied, dass auch wirklich alle verfügbaren Wände mit Kunstwerken behängt sind: Picasso und Miró auf dem Klo und Dali im Bad!

Im Anbau sind Metallskulpturen des in Okinawa geborenen Künstlers Yasuo Arakaki ausgestellt, er selbst saß auf einer Bank vor dem Gebäude und nickte uns freundlich zu, während er sein Mittagessen aus einer Bento-Box verzehrte.

Auf dem Rückweg schafften wir es tatsächlich, pünktlich zum Konzertbeginn in der Zuckerrohrhalle zu sein und der Percussionistin Kuniko Kato zuzuhören, die Stücke von Bach auf ihrer Marimba vorführte.

Tomodachi – Freunde

Wir waren sehr gespannt, wie die Menschen in Japan nach der Pandemie und der langen Zeit der Abschottung auf Fremde reagieren würden, die nun wieder mit dem Boot in ihren Häfen auftauchen. Doch unsere Bedenken verflogen sehr schnell, denn bereits in den ersten Tagen wurden wir mit so viel Herzlichkeit willkommen geheißen – fast noch mehr als vor vier Jahren, so schien es uns.
Wir trafen Sarah und Kabo, die uns zu einem wunderbaren Abendessen in ihr Haus einluden. Beide sind begeisterte Segler und besitzen jeweils ein eigenen Boot in der Ginowan Marina, auf der anderen Seite Okinawas. Wir hoffen, die beiden irgendwann in den nächsten Monaten wieder zu sehen, sie haben uns versprochen, dass sie uns auf der Muktuk besuchen werden, um ein paar Tage mit uns zu segeln.

Wie schon erzählt, gingen wir regelmäßig zum Mittagstisch der alten Dame. Jedes Mal hatte sie ein anderes Menü zubereitet, und jedes Mal gab sie uns noch ein extra Schälchen Suppe oder eingelegtes Gemüse zum Probieren oder packte uns gleich noch ein weiteres Stück Kuchen oder Gemüse für den Heimweg mit ein.

Da sie nur noch zwei Mal pro Woche kocht, und sich vermutlich sorgte, wir würden sonst hungrig bleiben, empfahl sie uns ein anderes Lokal. Dort, in „Marina’s Café“, kamen wir mit der Inhaberin gleich ins Gespräch, die fließend Englisch sprach. Mariko, so heißt sie, und ihr Mann lebten und arbeiteten lange Zeit in Thailand und Singapur. Sie erzählte, dass immer freitags in ihrem Café ein Englisch-Konversationskurs stattfinden würde und lud uns spontan dazu ein – und wir sagten erfreut zu.
Freitagabend begrüßte uns dann auch Mayumi, Marikos Schwester, mit der sie gemeinsam den Kurs leitet. Mayumi hat in Kyoto englische Literatur studiert und spricht ein ganz wunderbares und perfektes Englisch.
Alle, die Lehrerinnen wie die Kursteilnehmer, waren sehr neugierig und stellten uns viele Fragen zu unserem Leben an Bord, den Ländern, die wir bereist haben und auch zu Deutschland. Und auch wir wollten so viel wie möglich von ihnen erfahren: die Menschen in Okinawa, so sagten sie uns, sollen viel offener Fremden gegenüber sein. Okinawa war viele Jahrhunderte hindurch nicht so abgeschottet wie das Hauptland Japans, man unterhielt Handelsbeziehungen zu den umliegenden Ländern und ließ schon immer Einflüsse auf seine Kultur zu. Familie und Traditionen werden hoch gehalten, in jedem Haus steht ein Schrein, der wichtigste aber befindet sich im Haus des jeweils ältesten Sohnes. Es ist der Hauptschrein der Familie, wo die Ahnen geehrt werden. In Japan leben auch viele Geister – so viele, dass es gar nicht möglich sei, sie alle zu kennen. Sie können sich in der Luft, im Wasser, in bestimmten Steinen aber auch in Gegenständen aufhalten. Auch diese Geister müssen durch Gebete, Gaben oder Taten wohl gestimmt werden, damit sie, wie die Ahnen auch, aufpassen, dass es allen gut geht. (Von einem Segler erfuhren wir später, dass er vor einer größeren Segelreise nicht nur dem Boot, sondern auch dem Motor, dem Autopilot, der Windsteuerung und anderen wichtigen Sachen eine kleine Gabe darbringt.)
Eine der Kursteilnehmerinnen, die als Fremdenführerin arbeitet, konnte uns auch etwas von der Geschichte der Insel erzählen. Als Überraschung brachte sie ihr Shamisen mit, ein traditionelles Saiteninstrument mit drei Saiten, und spielte uns ein Lied vor. Danach packte auch Mayumi ihr Instrument aus, eine Art Zither, und gemeinsam versuchten sie sich an einem bekannten Volkslied.

Als wir uns verabschiedeten und alle fragten, ob wir nächste Woche noch da wären, ergab es sich ganz natürlich, dass wir beschlossen, uns noch einmal zu treffen, um die Gespräche fortzusetzen – dieses Mal aber auf der Muktuk. Zwei der Kursteilnehmer brachten jeweils ihre Töchter mit und eine ihre Mutter, so hatten wir eine große Runde um unseren Tisch sitzen und verbrachten einen fröhlichen Abend miteinander.

Mayumi besuchte uns ein paar Tage später und brachte uns einige Köstlichkeiten mit, u.a. in braunem Zucker eingekochte kleine Zitrusfrüchte, die hervorragend gegen Halsschmerzen helfen sollen. Am Abend vor unserer Abreise kam sie gemeinsam mit Mariko noch einmal vorbei, sie brachten uns als Abschiedsgeschenk diese T-Shirts mit Okinawa-Motiven.
Mit etwas Schwermut verabschiedeten wir uns von ihnen – aber wer weiß, vielleicht sehen wir die beiden mal in Deutschland oder hier in Japan wieder!

Es braucht wirklich nicht viel, um sich in der Fremde weniger fremd zu fühlen. Manchmal ist ein freundlichen Lächeln und die Frage, ob man Hilfe benötigt, schon ausreichend. Doch hier in Japan haben wir so viele Menschen getroffen, die noch viele Schritte weiter gegangen sind. Sie haben uns eingeladen und beschenkt, Gaben und Gesten, die wir kaum in dem gleichen Maße zurückgeben konnten, wie wir sie erhalten haben. Sie haben mit ihren Fragen so viel echtes Interesse an uns gezeigt, und so viel offensichtliche Freude darüber, dass wir mit dem Boot den weiten Weg auf uns genommen haben, um ihr Land zu erreichen.
Wir sind sehr dankbar für diese Erfahrungen – und wir freuen uns auf viele weitere Begegnungen!