22. – 27. April 2022
Wenn wir längere Zeit in abgeschiedenen Ankerbuchten verbracht haben, dann brauchen wir eine Weile, um uns wieder an den Trubel einer Stadt zu gewöhnen. Nicht so in Santa Rosalia. Hier ist es ruhig, wie in einem Western-Film, wenn in der Mittagshitze vereinzelt jemand ganz ohne Eile unterwegs ist. Bis Mitte der 1980er Jahre wurde hier allerdings in einem großen Hüttenwerk Kupfererz aus den umliegenden Minen verarbeitet, es muss staubig und schwarz gewesen sein, vom Rauch und Ruß, der aus den Schornsteinen ununterbrochen ausgestoßen wurde. Davon ist heute in Santa Rosalia überhaupt nichts mehr zu merken.
Wir ankern am späten Nachmittag im geschützten Hafenbecken und fahren mit dem Dinghi zur Marina. Es ist ein winzig kleiner Yachthafen, er besteht aus einem einzigen langen Steg mit Liegeplätzen, gegenüber an der Kaimauer befindet sich der Schwimmsteg der Tankstelle, überall ist viel Platz zum Manövrieren. Das Büro der Marina Fonatur hat schon geschlossen, also unterhalten wir uns mit den beiden Marineros, die den kleinen Hafen bewachen. Die Liegegebühren in der Marina sind so günstig, dass wir beschließen, die nächsten Tage am Steg festzumachen. Es ist ja doch um einiges bequemer und die Aussicht auf eine tägliche Süßwasserdusche verlockend.
Santa Rosalia ist „dreidimensional“, wie Andreas feststellt, als wir anschließend in den Ort laufen. Der Stadtkern befindet sich in einem schmalen Tal, die Straßen sind fast alle rechtwinklig angelegt, die alten kleinen Holzhäuser dicht an dicht gebaut. Dazwischen liegen ein paar schöne Plätze und kleine Parks. Alle weiteren Straßen ziehen sich in Windungen die Berge hoch. Was uns sofort auffällt: überall schöne Bänke, Straßenlaternen und Zäune aus Schmiedeeisen, die Häuser sind liebevoll renoviert und bunt gestrichen, viele Blumen in den Vorgärten, auf der Veranda und in den Fenstern. Schatten spendende Bäume und Blumenbeete säumen den Gehweg. Wir haben noch nie eine Stadt gesehen, in der es so viele Blumenläden gibt wie hier: in jeder zweiten Ecke entdecken wir eine „Floreria“. An diesem Abend sind auf dem großen Platz vor dem Rathaus Tische aufgebaut, Lehrerinnen und Kinder zeigen, was sie alles im Kunstunterricht gezeichnet und gebastelt haben.
Wir kommen auch an der Kirche Santa Barbara vorbei, in der gerade eine Hochzeit stattfindet. Diese Kirche ist eine der vielen Sehenswürdigkeiten der Stadt. Gustave Eiffel (ja, der mit dem Eiffel-Turm in Paris) hat sie entworfen, sie besteht aus Fertigteilen aus Metall und wurde 1910 auf der Weltausstellung in Brüssel gezeigt. Eigentlich war sie einer Gemeinde im Kongo versprochen, aber auch Santa Rosalia brauchte unbedingt eine Kirche und hat sich offensichtlich gegen die afrikanische Gemeinde erfolgreich durchgesetzt.
In den nächsten Tagen schauen wir uns Santa Rosalia genauer an und entdecken, wie viel Geschichte in dieser Stadt steckt und wie ausführlich und mit Liebe zum Detail sie aufgearbeitet und präsentiert wird.
Auf einer Anhöhe mit einem großartigen Blick aufs Meer befindet sich das Gebäude der ehemaligen Firmenzentrale von „El Boleo“, der französischen Firma, die die Minen und das Hüttenwerk betrieben hatte. Heute ist hier das städtische Museum untergebracht. Im alten Tresorraum befinden sich noch die großformatigen Firmenbücher, in denen in akkurater Handschrift Soll und Haben eingetragen wurden. In diesem Museum lernen wir so einiges über die Geschichte der Firma, die Kupferverarbeitung, den Transport weg aus dieser Wüstengegend. Und wir lesen auf den Schautafeln ganz überrascht von deutschen Segelschiffen, die hier auf Reede lagen. Unsere Neugier ist geweckt, Andreas recherchiert weiter und findet im Internet viele spannende Informationen darüber.
Die Häuser, die sich unmittelbar an die ehemalige Firmenzentrale anschließen, bilden das alte „Franzosenviertel“, die Straßen sind nach berühmten Franzosen benannt. Hier wohnten früher vor allem die Ingenieure und Angestellten von „El Boleo“. Auch diese Häuser sind schön gepflegt und verfügen über ein Stück Garten und eine große Veranda, wo man den kühlenden Wind zwischen Blumen und Kakteen genießen kann. Alle Holzhäuser von Santa Rosalia haben mehr oder weniger einen einheitlichen Grundriss und sind im gleichen Stil gebaut. Es sieht auch beim Hausbau alles nach Fertigbauteilen aus; Holz, Blech und Stahl wurden von weither gebracht, hier in der Wüste wachsen ja nur Kakteen, sonst nichts.
Gleich am Ufer, nur ein paar Schritte von der Marina entfernt, sind drei Stollen in den Berg gehauen worden, die mit großen Schautafeln in Spanisch und Englisch an den Eingängen zur Besichtigung einladen. Tag und Nacht brennt Licht darin und beleuchtet die Fotos an den Wänden mit alten Ansichten der Stadt, der Eisenbahn und der ehemaligen Kupferminen. Dazwischen hängen alte, inzwischen recht rostige Schaufeln, Spitzhacken und andere Geräte an der Wand, auf einem Tisch sind Gesteinsproben ausgelegt. Sogar eine alte Lore voller Steine hat man hierher gebracht. Bis 19.00h abends ist immer jemand vom Tourismusamt da, der den Besuchern auf Wunsch eine Führung anbietet. Einmal laufe ich vorbei und sehe einen älteren Herren, der den beiden Führern etwas erzählt. Ich geselle mich dazu und erfahre, dass er früher in einer der Kupferminen gearbeitet hat. Er beschreibt mit lebhaften, ausladenden Gesten sehr anschaulich, wie schwer diese Arbeit war. Ein anderer Mann kommt hinzu und bringt ein paar kleinere Gesteinsbrocken mit Kupfererz darin, die sofort zu den anderen Mineralien auf den Tisch ausgelegt werden. Auch er ist ein ehemaliger Minenarbeiter, der seinen Beitrag zu dieser Ausstellung leisten möchte.
Einer der jungen Führer meint, wenn wir mehr über die Kupferverarbeitung wissen wollen, so sollten wir unbedingt am nächsten Vormittage zur alten Kupferhütte gehen. Ab neun Uhr morgens sei regelmäßig ein ehemaliger Angestellter dort, der viel zu erzählen habe. (Siehe die Beiträge von Andreas!)
Wir sind ganz begeistert von dieser Stadt und nehmen uns vor, im Herbst auf dem Rückweg unbedingt ein paar Tage hier zu verbringen, es gibt sicher noch einiges zu entdecken. Von der Esskultur der Franzosen ist – soweit wir das in dieser kurzen Zeit auf den ersten Blick feststellen konnten – nur die Traditionsbäckerei übrig geblieben. Hier soll es das beste Baguette von ganz Baja California geben. Nur: es war immer ausverkauft. Vielleicht haben wir ja das nächste Mal Glück und stehen rechtzeitig frühmorgens vor der Bäckerei, um ein echtes französisches Baguette zu erstehen.
Auf alle Fälle werden wir uns aber mit den köstlichen Weizen-Tortillas eindecken, die hier in der „Tortilleria“ frisch gebacken werden.