30. Dezember 2021 – 07. Januar 2022
Auf dem Weg zur Bahia Agua Verde
Bevor der Nordwind wieder ordentlich zu blasen anfängt und es draußen auf dem freien Wasser des Golfes ungemütlich wird, verziehen wir uns rechtzeitig in die Bahia Agua Verde.
Es ist eine große Bucht mit zwei Ankerplätzen, einen im Süden und einen im Norden. Dazwischen liegt das gleichnamige Dorf in einem von hohen Bergen umgebenen Tal. Wir steuern den nördlichen Ankerplatz an und suchen uns hier ein Plätzchen für die nächsten Tage. An der Stirnseite der Bucht befindet sich ein schmaler Sandstrand mit einem kleinen Campingplatz, der von einem alten Mann mit Hund behütet und gepflegt wird. Als wir ankommen stehen da ein paar der typisch kastenförmigen Wohnmobile aus den USA oder Kanada, die aussehen, als ob ein Pickup oder ein LKW zu einem fahrenden Heim umgebaut wurde. So verwunschen und zauberhaft diese Ecke der Bucht auch ist, bei Nordwind wird es ungemütlich und die Camper ziehen weiter.
„That night we rigged a lamp over the side, shaded it with a paper cone, and hung it down to the water so that the light was reflected downward. Pelagic isopods and mysids immediately swarmed to the illuminated circle until the water seemed to heave and whirl with them. The small fish came to this horde of food, and on the outer edges of the light ring large fishes flashed in and out after the small fishes. Occasionally we interrupted this mad dance with dip-nets, dropping the catch into porcelain pans for closer study, and out of the nets came animals small or transparent that we had not noticed in the sea at all.” (John Steinbeck: The Log from the Sea of Cortez. Penguin books, 1986. Seite 180f)
„In der Nacht brachten wir an der Bordwand eine Lampe aus, schatteten sie mit einem Kegel aus Papier ab und hängten sie so über die Wasseroberfläche, dass ihr Lichtschein nach unten fiel. Meerasseln und Schwebegarnelen schwärmten sofort zum Lichtkegel hin, bis das Wasser von ihnen zu wogen und zu brodeln schien. Die kleinen Fische kamen zu dieser Masse an Nahrung, und am Rande des Lichtkreises schnellten große Fische den kleinen Fischen nach. Gelegentlich unterbrachen wir diesen irren Tanz mit Keschern, gossen den Fang in Porzellanschalen zur genaueren Untersuchung, und aus den Netzen kamen so kleine oder durchsichtige Tiere, dass wir sie im Wasser überhaupt nicht gesehen hatten.“ (Übersetzung ins Deutsche von Andreas)
Schon am ersten Abend in der Bucht hören wir das Platschen der Fische, die teilweise aus dem Wasser hüpfen, im Inneren des Bootes klingt es, als ob manche von ihnen dabei an die Bordwand stoßen würden. Andreas kramt unseren starken Handscheinwerfer heraus und leuchtet damit ins Wasser. Und es passiert genau das, was wir später bei Steinbeck nachlesen. Zuerst versammeln sich viele kleine undefinierbare Pünktchen im Lichtkegel bis auch kleine Dornhechte vom Licht angelockt werden. Sobald wir das Licht etwas schwenken, sehen wir, wie einige größere Fische vor dem Licht fliehen. Wir wollen wissen, was es mit den winzigen kleinen schwebenden Teilchen auf sich hat und holen mit der Pütz ein paar Liter Wasser hoch, gießen es durch ein Küchentuch und versuchen erst mit der Lupe dann mit dem Mikroskop zu erkennen, was da alles im Wasser geschwommen ist. Es wimmelt und wuselt nur so von kleinen Krebsen, Krabben und Fischlarven.
Am nächsten Morgen ist der Himmel bedeckt. Auf einmal beginnt es zu regnen und will gar nicht mehr aufhören. So einen Wolkenbruch haben wir hier in Mexiko bisher noch nicht erlebt! Wenn überhaupt, dann gab der Himmel ein paar Tropfen ab oder ließ einen feinen Sprühregen für gerade mal 10 Minuten los. Wir hätten richtig viel Regenwasser sammeln können, so wie wir das in Neuseeland und Alaska regelmäßig taten, aber da wir hier mit einem so heftigen und ausgiebigen Regenguss nicht gerechnet haben, glauben wir, dass es jeden Moment aufhören könnte und schauen nur staunend zu. Irgendwann ist es dann doch vorbei mit der nassen Herrlichkeit und wir können unseren geplanten Ausflug ins Dorf machen. Vom kleinen Sandstrand aus kann man nur bei Niedrigwasser direkt am Ufer entlang laufen, ansonsten muss man auf der Schotterstraße den Berg hoch, runter ins Tal und um einen weiteren Berg herum wandern. Von oben sieht das Dörfchen eigentlich ganz grün aus. Die Häuser verteilen sich im Tal zwischen erstaunlich vielem Grün. Auch ein grüner Gürtel aus dichtem Strauchwerk schützt das Dorf vor der Brandung des langen Sandstrandes. Auf einem handgemalten Schild werden die Sehenswürdigkeiten aufgezählt: 2 Kirchen, 4 Schulen, 2 Restaurants, 3 Läden, Wifi. Und, was nicht auf dem Schild steht, uns aber ein Junge stolz berichtet: für die 300 Einwohner des Dorfes gibt es eine Tortilleria, das mexikanische Pendant zur Bäckerei.
„Was für ein Regen!“, alle mit denen wir an diesem Tag sprechen, erwähnen den Regen. Die ausgedörrte Erde konnte so viel Wasser gar nicht aufnehmen, die staubigen Wege im Dorf haben sich in rutschigen Schlamm verwandelt und wir versuchen, die großen Pfützen vorsichtig zu umgehen.
Heute hat nur einer der drei Läden geöffnet, ein kleines Regal mit Obst und Gemüse, zwei Gänge mit haltbaren Gütern in Säcken und Konserven und großen Kühltruhen fürs Fleisch. Von dem frischen Ziegenkäse, der hier im Dorf hergestellt wird, nehmen wir ein großes Stück mit.
Auf dem Rückweg treffen wir oben am Berg einen Mann, der gerade von einem gemauerten Gebäude oberhalb der Straße herunter kommt. Wir sprechen ihn an und er erzählt uns, dass es sich um die Wassertanks des Dorfes handelt, die er betreut. Er wollte mal nachsehen, ob nach dem Regen alles in Ordnung sei. Zu diesem Wassertanks laufen Leitungen aus schwarzem Kunststoff in verschiedene Richtungen. Das Wasser kommt aus einem 9 Kilometer weit entfernten Teich oben im Gebirge und wird dann wiederum durch Leitungen hinunter ins Dorf geführt. Wir erzählen ihm von der Entsalzungsanlange in San Evaristo, und fragen ihn, ob das nicht auch eine Alternative für dieses um so viel größere Dorf sei? Vor allem, wenn es immer weniger regnet? Ja, über eine solche Anlage habe man vor einem Jahr auch hier diskutiert, sich aber dagegen entschieden. Ob es daran scheiterte, dass das Wahlversprechen der Lokalpolitiker, eine solche Anlage finanziell zu fördern, nicht eingehalten wurden? So genau haben wir das nicht verstanden, es fehlt uns dafür leider der nötige Wortschatz. Wie so oft überschätzt auch dieser nette Wasserwart unsere Sprachkenntnisse. Viele unserer Gesprächspartner glauben, dass wir sehr gut Spanisch sprechen würden, nur weil wir ein paar wenige und viel geübte Gesprächsthemen über Herkunft, Reisen, Fragen nach ihren Familien und ihrem Leben relativ flüssig beherrschen. So entgehen uns leider immer wieder Feinheiten bei komplexeren Themen. Der Wasserwart will seinerseits auch viel über Deutschland wissen, ob es wirklich so grün sei und so viel regnen würde, und erkundigt sich nach unterirdisch fahrenden Zügen, die würde er gerne einmal sehen, er sei so fasziniert von Tunnels. Wir hoffen, unsere Antworten waren für ihn einigermaßen verständlich und verabschieden uns nach einer Weile ganz herzlich von ihm.
Warum aber nun heißt diese Bucht „Agua Verde“, grünes Wasser? An manchen Stellen schimmert das Wasser in der Sonne türkis und grün, wie in so manchen anderen Buchten auch. Ist es vielleicht grüner als anderswo? An Sylvester finden wir eine mögliche Erklärung. Es ist eine buchstäblich sternenklare Nacht, kein Mond, der die Finsternis durchbricht, auch kein Streulicht vom Land her. Wir lassen nur noch das Rotlicht im Boot an und gewöhnen unsere Augen an die Dunkelheit. Im Wasser dagegen blitzt und blinkt und sprüht es grüne neonfarbene Funken! Der Golf von Kalifornien (Sea of Cortez) ist bekannt für seine Biolumineszenz, dafür, dass es an vielen Stellen fluoreszierende Algen und Tierchen im Wasser gibt. Hier in unserer Bucht sind sie in dieser Nacht in einer besonders hohen Konzentration vorhanden, was bedeutet, dass die kleinen Tierchen, aber auch die vielen Fische, die nachts an die Oberfläche kommen, durch ihre Bewegung die Algen zum Leuchten bringen. So sehen wir kurze oder lange grün leuchtende Streifen wie ein Feuerwerk durchs Wasser ziehen. Und dann erscheint auf einmal eine kompakte hellgrün schimmernde Wolke im Wasser, die sich zu einer Kugel formt, wieder verformt und schließlich einen großen Ring bildet. Der Ring öffnet sich, wird zu einer Schlange, dann wieder eine diffuse Wolke, um anschließend erneut einen Ring im Wasser zu zeichnen. Es ist „spooky“, wir erinnern uns an das Umschlagbild von Frank Schätzings Roman „Der Schwarm“. Und nein, es lag nicht daran, dass wir schon leicht angeheitert mit Sekt auf das Neue Jahr angestoßen hatten. Um dieser geisterhaften Erscheinung auf den Grund zu gehen, leuchten wir versuchsweise mit der Taschenlampe auf den Ring: da tanzt gerade ein ganzer Schwarm Sardinen durchs Wasser! Schade, dass wir keine Fotos davon machen konnten, so müssen wir unsere geneigten Leserinnen und Leser bitten, sich dieses Schauspiel mit viel Fantasie anhand unserer Beschreibung vorzustellen.
Pelikane im südlichen Ankerplatz
Blick von oben auf den südlichen Ankerplatz