Es war ja schon fast kitschig. Aber nur fast. Die Kirschblüte (japanisch sakura) ist nämlich eine ernste Angelegenheit in Japan. Ab Anfang Januar gibt das staatliche meteorologische Institut erste Hochrechnungen heraus, wann in welchen Regionen mit dem Aufblühen der Kirschbäume zu rechnen ist. Neben der Vorhersage von Tsunamis, Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Taifunen ist die Kirschblütenprognose eine wesentliche Aufgabe des Instituts.
Die Methodik wird ausführlich erläutert. Drei Kennzahlen (Erwachensindex, Wachstumsindex und Erblühungsindex) bilden die Basis für die quantitativen Vorhersagen für „Somei Yoshino“, eine speziell für die Blütenpracht gezüchtete Kirschsorte, die in Japan weit verbreitet ist.
Mit dem Näherrücken der Blütezeit gibt es dann tagesaktuelle Prognosen in Tageszeitungen, im Internet und als App („finde aufgeblühte Kirschbäume in Deiner Nähe“), zugrunde liegen dann offizielle Beobachtungsbäume an 58 Standorten in Japan. Das Voranschreiten der sakura zenzen, der Kirschblütenfront quer durch Japan von Südwest nach Nordost, wird aufmerksam verfolgt.
Und warum das Ganze? Weil hanami, das Feiern und Picknicken unter blühenden Bäumen, eine weit über tausendjährige Tradition in Japan hat. Man packt eine Decke, eine ausreichende Menge an Sake und ggf. etwas zu essen ein, sucht sich einen Park mit blühenden Kirschbäumen aus und feiert.
Und so haben wir das natürlich auch gemacht. Wetter und Timing haben gut zusammengespielt, so dass unsere hanami-Premiere auf Birgits Geburtstag fiel. Wir sind zum Tateyama Park gewandert, der auf einem Hügel mit Blick auf Nagasaki liegt und 700 Kirschbäume in fast schon voller Blütenpracht zu bieten hat. Schon als wir am Nachmittag ankamen, gab es überall kleine Gruppen, meist Familien mit Kindern auf Decken auf dem Rasen. Als es dunkel wurde, beleuchteten Hunderte von rosafarbenen Laternen die blühenden Bäume, die Kindergruppen gingen heim und die Freundes- und Firmenpartys übernahmen das Geschehen. Sake- und Geräuschpegel stiegen an, eine herrlich ausgelassene Atmosphäre.
Neben uns lagerte eine ganz professionelle Gruppe junger Leute, die auf ihrer Decke (die natürlich ganz japanisch nur mit Socken betreten wird, die Schuhe stehen am Rand davor) mehrere Kochstellen errichteten und darauf Reis und Eintopf kochten, mit verführerischen Gerüchen. Auch wir bekamen ein Schälchen Eintopf angeboten und alle lachten, als wir uns bedankten und unser japanisches Wort für „lecker“ anbrachten: oishi desu.
Das Kirschblüten hanami kommt jedenfalls definitiv auf die Liste der Dinge, die wir gerne aus Japan in unser Alltagsleben mitnehmen würden.
Doch irgendwann sind die Kirschen verblüht. Der Somei Yoshino trägt keine nennenswerten Früchte. Die Mischung aus Schönheit und Vergänglichkeit ist typisch für die japanische Ästhetik. Oder wie es Henry, der Hafenmeister aus Yonabaru, beschrieb: „Wenn die Blütenblätter herabrieseln, dann sitzen wir unter dem Kirschbaum, trinken Sake und weinen“.