Wir sitzen gemütlich mit der ersten Tasse Tee in der Hand, lesen, werden langsam wach. Ein typischer ruhiger Morgen im Boot, die Hitze des Tages hat sich noch nicht ganz entfaltet. Doch da hören wir schon die ersten Stimmen, Kichern, Ruderblätter plätschern im Wasser, ein Poltern an der Bordwand, und irgendwann ein leises „Hello?“, wenn wir nicht gleich den Kopf rausstecken.
Eigentlich bin ich erst nach der zweiten Tasse Tee ansprechbar, aber hier habe ich einfach keine Wahl. Ich will nicht als unfreundliche Weiße gelten und so gehe ich an Deck und schaue nach, wer da ist. Ein Ausleger-Kanu mit zwei, drei, manchmal sogar fünf Kindern darin, die sofort wieder kichern, sobald ich ihnen auch Hello! und Good Morning! zurufe. Manchmal paddeln sie noch mühsam gegen den Wind an, wenn er mal wieder etwas heftiger weht, oder sie haben es schon geschafft, halten sich an der Bordwand fest und schauen neugierig rein.
Die Kinder hier verhalten sich so ganz anders, als wir es in Deutschland gewohnt sind. Schaut man sie an, oder spricht mit ihnen, fragt nach ihrem Namen, wenden sie sich ganz schnell schüchtern ab, verstecken das Gesicht in den Händen und kichern verlegen oder legen ihren Kopf ins Boot, wie ein Vogel Strauß. Manchmal muss ich meine Fragen wiederholen, bis sich eines von ihnen ein Herz fasst und antwortet. Aber dann fällt die Antwort so leise aus, dass ich wiederum nachfragen muss. Als nächstes gilt es, ihr Anliegen vorzubringen. Wenn sie sich nicht gleich trauen, dann frage ich einfach, was sie mitgebracht haben. Wieder allgemeines Kichern und den Kopf verstecken, sobald eines der Kinder „eggplants“ (Auberginen) ruft, oder Bohnen, Ananas, was auch immer sie in einer Tüte oder einem Körbchen dabei haben.
Nun beginnt der schwierigste Teil der Kommunikation, was kann ich ihnen dafür geben? Reis, Mehl, Stifte, Hefte, Kekse?Ja! Heftiges Nicken. Und bitte ein „Pinga Police“! Erneutes Kichern…
Was ist das? Frage ich ratlos zurück? Was für eine Polizei?
Pinga Police!
Hmm? Was ist das? Könnt ihr das beschreiben?
Endlich zeigt eines der Kinder auf seine lila angemalten Fingernägel und wiederholt noch einmal eindrücklich „Pinga Police!“. Oh, alles klar! Finger polish, Nagellack!
Erleichtertes Kopfnicken auf beiden Seiten der Reling, Nagellack ist es, Nagellack soll es sein! Denn am ersten Tag beim Tauschmarkt, den Chief Patrick organisiert hatte, hatte ich ein Fläschchen lila Nagellack dabei und mitsamt Heften und Stiften einer jungen Frau gegeben. Das hatte sich herum gesprochen und nun war Nagellack der Renner geworden. In den nächsten Tagen wird es dann sehr bunt im Dorf, Erwachsene wie Kinder, Männer und Frauen, Jungs und Mädchen laufen herum mit rot, blau, grün, rosa und lila angemalten Nägeln an Händen wie Füßen.
Manchmal schaffe ich es gerade noch, für unser Müsli die Papaya, Ananas und Bananen zu schnippeln – Früchte haben wir ja inzwischen reichlich! – bevor es wieder „Hello?“ von draußen ertönt. So geht das unter Umständen den ganzen Tag lang, die Treppe rauf und wieder runter, in den Schubladen nach Haargummis, Fischhaken, Wäscheklammern und Stiften kramen, Reis (braun oder weiß?) und Mehl aus den 5 kg Großpackungen abfüllen, Obst und Gemüse an Deck nach Ameisen absuchen, verstauen und vor allem versuchen, den Überblick zu behalten. Jetzt haben wir wirklich genug Süßkartoffeln und Bananen. Bei der sechsten Ananas muss ich leider den Kopf schütteln und auf einen anderen Tag vertrösten. Und Trink-Kokosnüssen haben wir auch erst einmal reichlich, so viele können wir gar nicht trinken, wie sich inzwischen an Deck stapeln.
Aber gerne ein paar Kokosnüsse zum Reiben und Kochen und vielleicht Eier, das wäre fein! Kaum hat sich das herum gesprochen, kommen die nächsten Kinder mit Eiern. Halten eines, zwei, selten auch drei Stück in die Höhe! Die Eier sind klein, eher wie von Zwerghühnern und sicher sehr wertvoll, denn die Hühner laufen alle frei herum, können sogar fliegen und wo sie ihre Eier hin legen, das muss erst noch herausgefunden werden. Auch über Frühlingszwiebeln freue ich mich, und frisch ausgegrabenen Ingwer.
Womit wir zum nächsten schwierigen Punkt kommen: woran bemisst sich der Wert der Tauschsache? Wie erkenne ich, ob ich für zwei Eier genauso viel her geben soll wie für eine Papaya? Was ist der Gegenwert für die Tüte Mischgemüse: zwei Süßkartoffeln, drei grüne lange Bohnen, zwei kleine Auberginen und ein frisch abgebrochener Zweig mit scharfen Chilli-Schoten?
Mir fehlt komplett der Kompass dafür, ich kann nur aufzählen, was ich habe, fragen und raten, in die Gärten schauen, mit den Leuten reden und beobachten, ob die Gesichter zufrieden sind, oder ob sie nach einigem Zögern doch noch etwas drauf haben wollen.
Die Kinder paddeln meistens noch länger ums Boot herum, zeigen sich gegenseitig die Sachen, lutschen die Bonbons oder knabbern schon mal an den Keksen. Sie kichern, lachen und gerne wüsste ich, was sie sich so zurufen.
Nach ein bis zwei Tagen kann ich langsam ihre Gesichter auseinander halten und zu manchen die Namen zuordnen, Samelu, der so fröhlich lacht und vorwitzig ist mit seinen sieben Jahren, Pamela, die inzwischen ihre Schüchternheit abgelegt hat, aber immer noch meistens ganz ernst schaut, dann Anna, Benedicta, Laureen, John, Christopher oder Sammy, der Tänzer und das sind noch nicht alle…
Wenn Erwachsene kommen, haben auch sie oft ein paar Kinder unterschiedlichen Alters dabei, die ganz kleinen können oft gerade mal den Kopf aus dem Kanu stecken und halten sich ordentlich fest, die älteren turnen schon viel mutiger herum. Manche bringen auch was zum Tauschen aus ihren Gärten mit, andere kommen einfach nur zum Plaudern oder fragen nach Medikamenten. Dann unterhalten wir uns über ihre Familien, über den Garten, das Leben auf der Insel, über unsere Reisen, woher wir kommen, wohin wir weiter fahren. Und immer wieder hören wir, „Germans are good people“, Deutsche sind gute Leute.