Wellington – ein Rückblick

16. – 23. Januar 2018

Frühmorgens passieren wir Cape Palliser und erreichen damit offiziell die berühmt-berüchtigte Cook Strait. Aufgeregt sind wir schon ein bisschen, aber das Wetter spielt mit, die See ist ruhig und nach zwei Mal rechts abbiegen sehen wir schon die Skyline von Wellington.

Wellington liegt gut geschützt in einer Bucht, ein Teil des Ufers wird Oriental Bay genannt und ist ein Strand: eine Hauptstadt mit Sandstrand! An einem sonnigen Tag wie diesem mitten in den Sommerferien geht es lebhaft und laut zu. Familien sitzen im Sand, Kinder hüpfen ins Wasser oder holen sich ein Eis in einem der vielen Cafés an der Uferstraße. Kein Wunder, dass es hier so entspannt zugeht. Im Prinzip könnte man einfach mal in der Mittagspause baden gehen… Auch soll sich von Wellington aus die wunderbare Kaffee-Kultur in Neuseeland ausgebreitet haben. Wir fühlen uns sofortwohl in dieser Stadt.

Das Stadtzentrum ist nicht groß, alles ist fußläufig zu erreichen, wenn man die Uferpromenade entlang geht, die sich vom Sandstrand aus bis zum anderen Ende der Bucht mit dem Industriehafen erstreckt, kommt man erst an einem kleinen Hafen für Segelboote vorbei, dann stehen da ein paar Museen, Restaurants und Cafés mit Meeresblick. Parallel dazu verläuft die Einkaufsmeile, die sich durch das Zentrum schlängelt und dazwischen befindet sich das großzügig angelegte Civic Center, mit der Stadtbibliothek und der städtischer Galerie und über allem, oben am Berg liegt der Botanische Garten.

Die Architektur der Stadt ist die reinste Stilmischung: hübsche kleine Holzhäuser im viktorianischen Stil, die fast wie Puppenhäuser wirken, mit kleinen Vorgärten voller Blumen, in der Innenstadt dagegen stehen viele große Bauten im Art Decó Stil der Zwischenkriegszeit, als es Wellington wirtschaftlich gut ging, Banken, Versicherungen, Behörden wurden darin untergebracht, und viel später erst kamen die Hochhäuser hinzu, die seit den 1990er Jahren gebaut wurden.

Jetzt im Sommer ist viel los in der Stadt: zwei Wochen lang findet jeden Abend ein Konzert im Botanischen Garten statt, eine Lichtshow gibt es dazu, Bäume und Sträucher werden bunt und abwechslungsreich angestrahlt. Mit dem Cable-Car kann man von der Hauptstraße hoch zum Botanischen Garten fahren, zum Space Place, Museum und Planetarium in einem. Am Wochenende feiern sich die Einwanderer und Gastarbeiter der pazifischen Südseeinseln Tonga, Samoa, Fidschi uvm. mit einem eigenen Festival, dem Pasifiska. Eine große Musikbühne ist aufgebaut, dazu Essenstände, Sportwettbewerbe finden statt, überall beste Stimmung.

Das Te Papa Museum wirbt damit, Neuseelands größtes und bedeutendstes Museum zu sein: in einem Neubau mit sechs Stockwerken zeigt es die Geschichte und Natur Neuseelands und viel Kunst und Kunsthandwerk. Der größte Riesentintenfisch, der jemals aus dem Meer gefischt wurde, ist zu bewundern (10m lang und 495kg schwer war er), ebenso wie eine schöne Ausstellung über die Geschichte und Kunst der Maori aus der Gegend.

Ein paar hundert Meter weiter ist das viel kleinere Stadtmuseum, das die Geschichte Wellingtons chronologisch einprägsam präsentiert: Te Upoko o te Ika a Maui – Der Kopf von Mauis Fisch, so bezeichneten die Maori diese Bucht, als sie um 925 n. Chr. das erste Mal hier landeten. Später wurde eine Siedlung gegründet, Te Whanganui-a-Tara – der große Hafen von Tara, und das ist auch heute noch der Name Wellingtons in der Maori Sprache. Verschiedene Stämme lebten in diesem Gebiet in den folgenden Jahrhunderten, mal schlossen sie sich zusammen, dann wieder bekämpften sie sich, bis sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihr Land verloren und den europäischen Siedlern weichen mussten.

Die New Zealand Company brachte 1840 das erste Schiff mit Einwanderern hierher und gründete den Ort Wellington, nach dem ersten Duke of Wellington benannt. Schon 25 Jahre später, 1865 wurde die Hauptstadt von Auckland nach Wellington verlegt. Sie sollte geographisch in der Mitte liegen und die beiden Inseln miteinander verbinden, war das Argument damals wie heute.

Neuseeland gehört noch zum Commonwealth und nennt Queen Elisabeth II. ihr Oberhaupt, ist ansonsten aber ein eigenständiger Staat. Der Parlamentsbetrieb selber ist noch in vielen seiner Regeln an das Britische Unterhaus angelehnt, auch der Plenarsaal sieht dem britischen Vorbild sehr ähnlich, mit einem Unterschied, dass der „Speaker“ hier in Neuseeland seinen Sitz und Rückenlehne mit einem hellen Schaf-Fell ausgepolstert hat; und dass schon vor geraumer Zeit das Oberhaus abgeschafft wurde. Dafür wird in Neuseeland inzwischen genauso wie in Deutschland gewählt, mit Erst- und Zweitstimme, Verhältniswahlrecht, Überhangmandaten und 5%-Hürde.

Letzten Oktober gab es Wahlen, am gleichen Wochenende wie in Deutschland, die Regierung wurde sehr schnell gebildet, eine Koalition aus Labour, New Zealand First und Grünen. Just in der Woche, als wir in Wellington waren, erklärte die junge dynamische Premierministerin, dass sie schwanger sei und im Juli ihr Baby zur Welt kommen soll!
Alle freuten sich mit ihr!

Das Parlamentsgebäude mit Plenarsaal und Sitzungsräumen ist durch und durch viktorianisch und auch nach zwei Bränden genauso wieder aufgebaut worden, allerdings inzwischen auf ein erdbebensicheres Fundament gestellt worden. Im Eingangsfoyer steht die Büste von Kate Sheppard, die sich für das Frauenwahlrecht eingesetzt hatte, das 1893 eingeführt wurde. Neuseeland ist heute sehr stolz darauf, dass es das erste Land der Welt war, in dem Frauen ungehindert zur Wahl gehen konnten. Links neben dem Parlamentsgebäude wurde in den 80er Jahren ein runder Betonklotz gebaut, „Beehive“, Bienenkorb genannt: das Abgeordnetenhaus. Auf der anderen Seite befindet sich in einem eigenen Gebäude die Parlamentsbibliothek, auch sie schön, alt und ehrwürdig.


Parlamentsgebäude, alt und neu


Parlamentsbibliothek

Woher ich das alles weiß? Es werden täglich Touren durch das Parlament angeboten, die sehr informativ und unterhaltsam sind. Unsere Führerin liebte definitiv ihren Job und hätte uns sicher noch eine weitere Stunde mit interessanten Geschichten fesseln können.

Auckland, die Millionenstadt, ist unbestritten das wirtschaftliche Zentrum des Landes, Wellington punktet dagegen mit seinem gemütlichen Flair, mit Kunst, Kultur und Lebensfreude. Und mit vielen sehr freundlichen Menschen! Sieben Tage hatten wir Zeit, und haben die Stadt sehr ins Herz geschlossen!

Care-Paket

Nach drei Wochen zivilisationsfreiem Segeln in den Sounds wurde der Kühlschrank langsam leer. Kein Fleisch mehr, kein Salat, die letzte Möhre gegessen, die letzte Tomate verschimmelt über Bord. Nein, wir waren nicht am Verhungern, Konserven gabs noch jede Menge, aber ein bisschen was Frisches wär‘ schon schön…

Im Revierführer, dessen neueste Ausgabe allerdings auch schon fünf Jahre her ist, heißt es über die kleine Siedlung Bulwer: das Guest House kann Fleisch und Eier besorgen, und in der nächsten Bucht gibt es einen kleinen Laden. Prima, denken wir uns.
Ein älterer Fischer, den wir am Anleger treffen, weiß nichts von derlei Einkaufsmöglichkeiten, aber wir sollen mal beim Haus oberhalb fragen. Zwischen den Häusern weiden Schafe, vor besagtem Haus liegen gemütlich zwei große Schweine herum. Wir rufen, werden durchs Gartentor gebeten.

Nach den üblichen Fragen woher und wohin dann die Info: nein, das Guest House hat zu, und der Laden hat schon vor Jahren dicht gemacht. Einkaufen – nur in der Stadt (gemeint ist Havelock, sechzig Kilometer weit weg).

Aber wie das so geht in Neuseeland: was bräuchten wir denn? Na ja, ein paar Eier, ein bisschen was Grünes, aber wir wollen natürlich nicht ihren Kühlschrank leerräumen… Nein nein, kein Problem, sie würde uns nur anbieten, was sie entbehren kann. Dankbar bekommen wir ein paar Eier, Gemüse, etwas Obst – ob wir sonst noch etwas brauchen? Na ja, drucksen wir, nach drei Wochen Fisch und Muscheln… wenn sie irgendwas mit Fleisch übrig hätten? Klar, wir bekommen eine Tüte voll eingefrorener Lammkoteletts, selbst geschossen und gesägt. Wir einigen uns auf den Preis und machen uns froh auf den Weg zurück zum Boot. Am Abend gibt es köstliches gebratenes Lamm, superlecker.

Am nächsten Tag gehen wir nochmal an Land, bedanken uns bei der netten Familie mit ein paar Lebkuchen. Am Anleger kommt uns eine andere Frau entgegen: sie waren diese Woche hier im Urlaub und fahren morgen zurück nach Christchurch, ob wir nicht ihre Restbestände an Lebensmitteln brauchen können? Ein großer Karton wartet auf uns vor ihrem Haus.

Das Leben in diesen abgelegenen Siedlungen scheint nicht viel anders als das Leben am Boot zu sein. Man ist Selbstversorger, autark was Wasser und Strom angeht, und man hilft einander ganz selbstverständlich. Großartig, dieses Neuseeland.

Gita

Eigentlich hatten wir das erst nächstes Jahr erwartet. Japan ist berüchtigt dafür, dass es keine Jahreszeit ganz ohne Taifune gibt, nur mehr oder weniger wahrscheinliche Monate. Doch Neuseeland ist ja nicht unbedingt für tropischen Wirbelstürme bekannt.
Aber Pustekuchen. Im letzten Herbst kam bereits ein Überbleibsel eines solchen Zyklons die Ostküste der Südinsel herunter, so dass wir an der Westküste noch den Wind gespürt hatten. Erst vor ein paar Wochen hat uns „Fehi“ hier die Böen um die Ohren gepfiffen (und in Auckland die Marina zerlegt).

Und jetzt „Gita“. Dieser Zyklon ist angeblich der erste, der es geschafft hat, den vierzigsten Breitengrad zu erreichen, ohne seinen Status als tropischer Wirbelsturm der Kategorie 2 zu verlieren. Seit Tagen ist er auf den Wetterkarten zu sehen, seit Tagen verfolgen wir seine vorhergesagte Zugbahn. Mal soll sein Zentrum den Norden der Südinsel treffen, mal den Süden der Nordinsel. Wir hier in den Marlborough Sounds sind genau in der Mitte. Leider sind die Zugbahnen von Wirbelstürmen nicht so genau vorherzusagen. Wenn Gita südlich von uns aufschlägt, bekommen wir Sturm aus Nordwest, wenn er nördlich trifft, bläst es erst einmal aus Südost. Und solange man das nicht weiß, ist es schwer, eine geeignete Ankerbucht auszusuchen.

Zum Glück haben wir in den meisten Ecken hier Mobilfunkempfang und können somit aus dem Internet die neuesten Wetterkarten und Hochrechnungen herunterladen. Die beiden wesentlichen Wettermodelle, das amerikanische GFS und das europäische ECMWF sind sich im Detail nicht einig, aber es zeichnet sich ab, dass das Zentrum des Zyklons wohl genau auf uns zukommt. Das heißt erst Südost, dann Nordwest. Laut dem höher auflösenden ECMWF Modell sollen die Marlborough Sounds allerdings in einer Art Windtasche liegen, zumindest was die erste Hälfte, also den Südost angeht.

Wollen wir’s mal hoffen. Wir suchen uns einen Tag vorher eine Bucht, die sehr gut gegen Nordwest geschützt ist und wenigstens ein wenig Südost-Schutz bietet. Optimalen Schutz aus allen Richtungen gibt es nicht. Wir vertäuen uns mit drei dicken Leinen an einer starken Mooringboje, zurren an Deck alles fest. Nach „Fehi“ haben wir dazugelernt und nehmen auch alle unsere Flaggen herunter. Die neuseeländische Gastlandflagge mit ihren vier Sternen (die das Kreuz des Südens darstellen sollen) war ohnehin schon geflickt (drei Sterne) und hat nach Fehi nochmals Federn, nein: Sterne gelassen (anderthalb Sterne) und muss nun wirklich nicht mehr weiter zerblasen werden. Außerdem haben wir gehört, dass es in Neuseeland ein Gesetz geben soll, das die Benutzung einer beschädigten Nationalflagge unter Strafe stellt. Na ja, von unten gesehen fallen die fehlenden zweieinhalb Sterne eigentlich kaum auf…

Von Dienstag 16 Uhr bis Mittwoch 04 Uhr ist für unser Seegebiet Sturmwarnung ausgesprochen. Über UKW wird seit Montag eine Nachricht der Zivilschutzbehörde verbreitet. Alle Zelt- und Bootsurlauber sollen die Marlborough Sounds verlassen. Wir legen die Ohren an und warten.
Die angekündigten Starkregenfälle beginnen pünktlich in der Nacht davor. Am Dienstagmorgen sind alle unsere Kanister und vier große Eimer randvoll mit schönstem Regenwasser. Und es gießt weiter. Die Wartezeit ist zermürbend. Dienstag 16 Uhr kommt, aber kein Wind. Erst gegen 21 Uhr beginnen die ersten stärkeren Böen, und tatsächlich bleiben wir vom Südost völlig verschont. In der Cook-Strait, keine zwanzig Seemeilen von uns entfernt, bläst es in voller Sturmstärke mit sieben Meter See, und wir liegen in der vorhergesagten Windtasche, und Welle bekommen wir auch keine ab.


In der Nacht weht es dann kräftig aus Nordwest, und viel Schlaf bekommen wir nicht, aber Mooring und Leinen halten, alles bleibt an Deck und am nächsten Morgen ist der Spuk vorbei. Wir sind mal wieder glimpflich davongekommen.

D’Urville Island

Sieht man sich das Buchtengewirr der Marlborough Sounds genauer an, entdeckt man an der oberen westlichen Seite eine große Insel, die nur durch einen schmalen Pass vom Festland getrennt ist. Wir wollen, sofern das Wetter mitmacht, diese Insel einmal umrunden. Dafür suchen wir uns einen ruhigen Tag und Stillwasser aus, um diese Meerenge, French Pass genannt, durchfahren zu können. Es klappt ganz gut, allerdings sehen die Wirbel im Wasser schon etwas wild aus!

Auf D’Urville leben ungefähr noch 80 Leute, Schafweiden gibt es auch noch, nur lohnt es sich wohl kaum noch, die Tiere zu halten, denn ihr Transport aufs Festland ist ziemlich teuer geworden. Dafür scheint die Muschelzucht lukrativ zu sein, die erste große Bucht, die wir anlaufen, ist voller schwarzer und roter Schwimmbojen, an denen die großen Grünlipp-Muscheln wachsen.

Die anderen Buchten aber sind recht einsam, ab und zu sehen wir ein Segelboot oder ein Motorboot mit Freizeitanglern.

Die Manuka-Sträucher blühen schon lange nicht mehr, dafür entdecken wir auf einem Spaziergang einen anderen Strauch, der unglaublich würzig duftet. Beim Manuka sind es die Blätter, die bei Sonnenschein ihren süßen harzigen Geruch verströmen, bei diesem Strauch sind es die Blüten. Wie er heißt, wissen wir allerdings nicht…

Und auch hier in den Buchten von D’Urville Island gibt es viel Fisch im Wasser, an den felsigen Vorsprüngen ist der Blue Cod zu finden und nicht nur einmal fangen wir direkt vom Schiff aus einen Knurrhahn mit seinen schönen orange-blauen Flossen, die wie Schmetterlingsflügel aussehen. Als wir eines morgens den Hummerkorb aus dem Wasser ziehen, haben es sich zwei Teppich-Haie darin gemütlich gemacht. Der kleinere schlängelt sich noch beim Hochziehen durch das Fluchtloch ins Wasser, der größere Hai ist einfach zu dick dafür, dem müssen wir zur Freiheit verhelfen. Und nein, Langusten haben wir immer noch keine darin gefangen!