Die Bucht erreichen wir bereits an unserem ersten Tag in den Marlborough Sounds. Onapua Bay heißt sie, dreimal müssen wir um die Ecke fahren, bis wir diesen sehr geschützten Ankerplatz erreichen. Schon in der ersten Nacht bemerken wir Meeresleuchten ums Boot herum, in der zweiten, fast windstillen und fast mondlosen Nacht ist es noch stärker geworden.
Zunächst stehen wir spät abends an der Bordwand, wühlen mit Paddel und Besenstiel im Wasser herum und freuen uns an den leuchtend grünen Schleifspuren im Wasser. Doch dann bemerken wir den Lichterschein an dem kleinen Kiesstrand knapp zweihundert Meter hinter uns. Die leichten Wellen, die auf die Bucht laufen, leuchten in hellem Grün. Das muss ich mir ansehen und fahre mit dem Kanu zum Strand. Je näher ich dem Ufer komme, desto intensiver wird das Meeresleuchten. Begeistert kehre ich zum Boot zurück, und wir rudern alle gemeinsam mit dem Dinghi hin, um das Spektakel zu bewundern.
Die Paddel produzieren bei jedem Eintauche einen hellen leuchtenden Fleck, die Bugwelle des Dinghis läuft als leuchtender Streifen davon. Weil wir ohne Außenborder unterwegs sind, bemerken Fische erst spät unsere Annäherung. Als schnurgerade leuchtende Linien schießen sie vor dem Boot davon, wie Elementarteilchen in einer Nebelkammer.
Lange treiben wir ein paar Meter vor dem Strand, wo das Leuchten am stärksten ist. Wir fahren mit den Händen durchs Wasser und können uns an den Spuren nicht sattsehen. Mit der hohlen Hand schöpfen wir Wasser, und lassen leuchtend grünes Gold ins Meer zurückfließen. Pure Magie. Die beiden Arten von Meeresleuchten sind gut zu unterscheiden: ein diffuses, milchiges Leuchten des bewegten Wassers insgesamt, durchsetzt von einzeln aufblitzenden helleren Lichtpunkten wie Funken einer Wunderkerze.
Nur schwer können wir uns losreißen und rudern zum Boot zurück. Die Spur unserer Ruderschläge führt als langsam verblassende Reihe grüner Tupfen bis zum Strand zurück.
Wir haben uns schon oft gewundert, welchen biologischen Sinn das Meeresleuchten haben mag. Unsere heimischen Glühwürmchen locken Artgenossen des anderen Geschlechts, die neuseeländischen Glowworms Beutetiere an. Manche Meeresbewohner leuchten gerade so stark, dass sie sich von unten betrachtet nicht gegen die hellere Meeresoberfläche abheben. Aber all dies sind keine sinnvollen Gründe für die Dinoflagellaten, einzellige Algen, die überwiegend für das Meeresleuchten verantwortlich sind. Warum also leuchten die Dinger?
Das deutsche Wikipedia liefert keine Erklärung. Aber das englische hat gleich zwei spannende Theorien zu bieten. Die erste: die Fressfeinde der Leuchtalgen verursachen bei ihrer Jagd eine Leuchtspur im Wasser, die sie wiederum für ihre Fressfeinde sichtbar macht und damit im Bestand reduziert. Ziemlich raffiniert.
Die zweite Theorie ist aber noch pfiffiger: die Fressfeinde der Leuchtalgen, in erster Linie Quallen und kleine Tintenfische, sind relativ durchsichtig. Die Drohung der Algen: wenn ihr uns fresst, bekommt ihr einen derartig leuchtenden Magen, dass ihr hervorragend markiertes Futter für eure Fressfeinde abgebt. Diese Theorie wird dadurch unterstützt, dass in Gebieten starken Meeresleuchtens Tintenfische ihre Mägen mit einer schwarzen Membran auskleiden.
Die Erklärungen für dieses Phänomen sind also fast so faszinierend wie das Meeresleuchten selbst. Aber nur fast.