O’Tahiti

Wolken

„Ein Morgen war’s, schöner hat ihn schwerlich je ein Dichter beschrieben, an welchem wir die Insel O-Tahiti, 2 Meilen vor uns sahen. Der Ostwind, unser bisheriger Begleiter hatte sich gelegt; ein vom Lande wehendes Lüftchen führte uns die erfrischendsten und herrlichsten Wohlgerüche entgegen und kräuselte die Fläche der See. Waldgekrönte Berge erhoben ihre stolzen Gipfel in mancherley majestätischen Gestalten und glühten bereits im ersten Morgenstrahl der Sonne. Unterhalb derselben erblickte das Auge Reihen von niedrigern, sanft abhängenden Hügeln, die den Bergen gleich, mit Waldung bedeckt, und mit verschiednem anmuthigen Grün und herbstlichen Braun schattirt waren. Vor diesen her lag die Ebene, von tragbaren Brodfrucht-Bäumen und unzählbaren Palmen beschattet, deren königliche Wipfel weit über jene empor ragten…

Eine halbe Meile vom Ufer lief eine Reihe niedriger Klippen parallel mit dem Lande hin, und über diese brach sich die See in schäumender Brandung; hinter ihnen aber war das Wasser spiegelglatt und versprach den sichersten Ankerplatz…

Die Einwohner erwachten und die Aussicht begonn zu leben.

Kaum bemerkte man die großen Schiffe an der Küste, so eilten einige ohnverzüglich nach dem Strande herab, stießen ihre Canots ins Wasser und ruderten auf uns zu. Es dauerte nicht lange, so waren sie durch die Öffnung des Riefs, und eines kam uns so nahe, daß wir es abrufen konnten. Zwey fast nackte Leute, mit einer Art von Turban auf dem Kopfe und mit einer Scherfe um die Hüften, saßen darinn. Sie schwenkten ein großes grünes Blatt in der Luft und kamen mit einem oft wiederholten lauten Tayo! heran, ein Ausruf, den wir ohne Mühe und ohne Wörterbücher als einen Freundschafts-Gruß auslegen konnten. Das Canot ruderte dicht unter das Hintertheil des Schiffs, und wir ließen ihnen sogleich ein Geschenk von Glas-Corallen, Nägeln und Medaillen herab. Sie hinwiederum reichten uns einen grünen Pisang-Schoß zu, der bey ihnen ein Sinnbild des Friedens ist, und baten solchen dergestalt ans Schiff zu befestigen, daß er einem jeden in die Augen fiele…

In weniger als einer Stunde umgaben uns Hunderte von dergleichen Fahrzeugen in deren jedem sich ein, zwey, drey zuweilen auch vier Mann befanden. Ihr Vertrauen zu uns gieng so weit, das sie sämmtlich unbewaffnet kamen…

Sie brachten uns Coco-Nüsse und Pisangs in Überfluß, nebst Brodfrucht und anderen Gewächsen, welche sie sehr eifrig gegen Glas-Corallen und kleine Nägel vertauschten. Stücken Zeug, Fisch-Angeln, steinerne Äxte, und allerhand Arten von Werkzeugen wurden gleichfalls zum Verkauf ausgebothen und leicht angebracht…

Die Leute, welche uns umgaben, hatten so viel Sanftes in ihren Zügen, als Gefälliges in ihrem Betragen. Sie waren ohngefähr von unserer Größe, blaß mahagony-braun, hatten schöne schwarze Augen und Haare, und trugen ein Stück Zeug von ihrer eignen Arbeit mitten um den Leib, ein andres aber in mancherley malerischen Formen, als einen Turban um den Kopf gewickelt. Die Frauenspersonen, welche sich unter ihnen befanden, waren hübsch genug, um Europäern in die Augen zu fallen, die Jahr und Tag nichts von ihren Landsmänninnen gesehen hatten…

In dem vor uns liegenden Rief befand sich eine Öfnung, und dies war der Eingang zu dem auf der kleinern Halb-Insel von O-Tahiti gelegenen Haven Whai-Urua. Wir sandten deshalb ein Boot aus, um beydes, die Einfahrt und den Haven selbst sondieren zu lassen… Wir lagen der Küste so nahe, daß wir schon das Quiken junger Ferkel hören konnten, und dieser Ton klang uns damals lieblicher als die herrlichste Music des größten Virtuosen.“

Riffpassage

Zitiert nach:

Georg Forster: Reise um die Welt. Hrsg. und mit einem Nachwort von Gerhard Steiner. Frankfurt am Main: Insel tb, 1983. S. 241ff (Der Text beruht auf der von Forster betreuten 2. Auflage, Verlag Haude und Spener, Berlin 1784)

Georg Forster und sein Vater Johann Reinhold Forster, waren als Naturforscher mit an Bord der „Resolution“ auf der zweiten Expedition von James Cook von 1772-1775. Georg, zu Beginn der dreijährigen Reise erst 17 Jahre alt, als genauer Zeichner und als Übersetzer und Sprachtalent in seiner Wahlheimat England bereits bekannt, verfasste nach seiner Rückkehr ein umfangreiches Stück Reiseliteratur, das sich auch heute noch spannend liest. Er beschränkte sich nicht nur auf Naturbeschreibungen sondern beobachtete sehr genau die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse der Völker. Humanistische Aufklärung prägte seinen Blick auf die Menschen, denen er begegnete.

Wenn man will, kann man viel Südseeromantik herauslesen: angenehme Temperaturen, malerische Natur, Obst und Gemüse im Überfluss, freundliche liebenswürdige Menschen. Dafür muss man aber die Passagen über die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Herrschern der einzelnen Täler und benachbarten Inseln gründlich überlesen, ebenso die Beschreibungen der drei (eigentlich vier) verschiedenen gesellschaftlichen Klassen, vergleichbar mit einem feudalen System. Auch die viel gepriesene lockere und offenherzige sexuelle Moral der „Südsee“ beschränkte sich bei genauerer Betrachtung auf einige wenige Frauen, die zu den Matrosen auf die Schiffe kamen. Die Ehefrauen und Töchter der Adeligen waren unantastbar.

Und trotzdem setzte sich ein anderes Bild von Tahiti als „Garten Eden“ durch, in dem die „edlen Wilden“ naiv und glücklich, unverdorben von den Einflüssen der Zivilisation leben. Vor allem Louis Antoine de Bougainville prägte dieses, der als erster Franzose die Welt umsegelte und auf Tahiti eine Woche lang blieb – nur wenige Jahre vor Forster.

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Rund 240 Jahre später…
Nach einer Überfahrt von 300 sm von unserem Atoll empfängt uns Tahiti am 8. August mit einem riesigen Regenbogen. Mit dem letzten Abendlicht und mit Hilfe von GPS, Leuchtfeuer und roten bzw. grünen Tonnen finden wir den Pass Tapueraha durch das Riff. Draußen toben die Wellen und innen ist es ruhig wie ein Ententeich. Ein Pisang- oder Bananenblatt brauchen wir heutzutage nicht mehr, es reicht die Gastlandflagge von Frankreich bzw. Französisch-Polynesien.
Ein Ausleger-Kanu fährt vorbei, ein sportlicher Zeitvertreib nach Feierabend, später sausen gut motorisierte Fischerboote zur nächtlichen Tour ans Außenriff. Vom Ufer her sehen wir viele Autolichter, und frühmorgens hören wir die Hähne krähen.
Tags darauf tuckern wir gemütlich zwischen Festland und Riff bis Port Phaeton, die elektronisch Seekarte und die Riffkanten fest im Blick.

Am Riff liegen auch tagsüber Boote, fahren Touristen zum Tauchen und Schnorcheln dorthin. Am Ende kämpfen noch mit ein paar Fallwinden und fädeln endlich unsere Leinen an einer Mooring-Boje ein. Hier bleiben wir ein Weilchen…
Neben uns liegt die Werft, weiter vorne das Örtchen Taravao, genau an der Landenge zwischen Tahiti Nui (Gross) und Tahiti Iti (Klein). Wir heben das Dinghi ins Wasser und fahren an Land. Keine 500m vom Ufer entfernt befindet sich ein Einkaufszentrum mit einem Carrefour (freiem Internet inclusive). Ein französischer Supermarkt mit eingeflogenem Käse, Pasteten und Salami, fünferlei Baguette-Sorten und allerlei Gemüse aus Europa.
Taravao hat zwei langgezogene Hauptstraßen mit allen nötigen Läden, die man brauchen kann, angefangen von der Apotheke und der Post, über Tankstellen, Elektroartikel, Bekleidung und dazwischen die große katholische Kirche, die Gendarmerie und der kommunale Markt, hier mit Kunsthandwerksständen bestückt, die Pareos, Schmuck mit schwarzen Perlen, geflochtene Taschen und Monoi-Öl anbieten.
Kleine Straßenstände an denen tagsüber Fisch oder Früchte angeboten werden und sogenannte Roulottes, fahrbare Imbissbuden für den abendlichen Hunger, und ein paar Restaurants. Wir entscheiden uns für ein uriges Lokal mit französischer Küche, und feiern unser Ankunft mit Entenbrust und foie gras!

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