Paradiesisch sind sie ja, die San-Blas Inseln. Weiße Strände, Palmen, Korallen, Sandbänke, geschützte Ankerplätze – ein Traumrevier. Nur einen kleinen Schönheitsfehler haben sie: man kann nirgends etwas einkaufen. Die meisten Inseln sind unbewohnt, und die Kokosnüsse soll man auch auf den unbewohnten Inseln nicht einfach nehmen, denn die gehören einem Kuna-Indianer, auch wenn er/sie nicht auf der Insel lebt. Die bewohnten Inseln haben manchmal einen Verkaufsraum in einer kleinen strohgedeckten Holzhütte, der sich stolz „Supermarkt“ nennt. Dort gibt es dann ein paar Regale voll Trockensortiment, aber davon haben wir genug an Bord. Was fehlt, sind nach mittlerweile knapp drei Wochen seit Roatan Obst und Gemüse. Das gibt es leider auf den Inseln nicht zu kaufen.
Doch Segler sind abergläubische Menschen, und deswegen gibt es den Mythos vom „Veggie-Boot“, das angeblich auf dem Festland Obst und Gemüse einkauft und dann zu den Seglern an den Ankerplätzen fährt, um sie dort zu beliefern. Ganz Leichtgläubige sprechen davon, dass sich dieses Wunder zweimal pro Woche ereignet. In den allmorgendlichen Funkrunden wird viel über diesen Mythos spekuliert. Es melden sich Segler, die das Veggie-Boot mit eigenen Augen gesehen haben wollen. Aber in der Anonymität des Sprechfunks kann man natürlich viel behaupten. Da werden dann schon einmal ganz unverfroren Dinge behauptet wie, dass das Veggie-Boot auch Hühner oder Bier mitgebracht hätte.
Aber wir haben schon persönlich Segler getroffen, die einen kennen, der von einem gehört hat, der das Veggie-Boot gesehen hat. Fast alle Segler hier glauben fest an das Veggie-Boot. Das ist wie mit Bielefeld – wenn genügend Leute seine Existenz behaupten, schwinden die Zweifel, die der gesunde Menschenverstand aufwerfen müsste.
Wir sind jetzt seit zwei Wochen auf den Inseln und haben uns auch schon von diesem Aberglauben anstecken lassen. Der Mythos erfüllt ja auch alle Phantasien des Langfahrt-Seglers: frisches Zeug, frei Haus an die Bordwand geliefert! Erst vorgestern, vor Anker vor einer kleinen bewohnten Insel, versprachen uns die Einwohner, das Veggie-Boot käme am nächsten Morgen um sechs Uhr früh. Wir haben sogar den Wecker gestellt, könnt ihr euch das vorstellen? Den ganzen Tag abwechselnd Veggie-Wache gegangen, dass wir nur ja das Boot nicht verpassen. Im Dorf hiess es dann am Nachmittag, es käme „mas tarde“ – also später. Pustekuchen – das neue Jahr fing natürlich ohne Veggie-Boot an.
Am Neujahrsmorgen dann über Funk die Durchsage: das Veggie-Boot sei auf dem Weg nach Green Island, einem Ankerplatz eine gute Stunde entfernt. Eine Aufregung, als wäre der Weihnachtsmann persönlich gesichtet worden. Keine zehn Minuten nach Empfang des Funkspruchs war unser Anker gelichtet und wir auf dem Weg nach Green Island (wo wir eigentlich gar nicht hinwollten), was tut man nicht alles in seiner Leichtgläubigkeit.
Und was glaubt ihr, was wir dort gesehen haben?