Im Norden Guatemalas, in Richtung Mexiko, findet man im Tropischen Regenwald sehr viele alte Maya-Siedlungen. Die bei weitem größte und bedeutendste ist die Anlage Tikal. Um dorthin zu gelangen, fahren die meisten Touristen erst nach Flores: Eine kleine Insel im Petén-Itzál-See, wenige hundert Meter im Durchmesser, bis in die 50er Jahre nur mit dem Boot zu erreichen, heute führt ein Damm dorthin. Die um den See lebenden Mayas konnten den spanischen Eroberern fast ein ganzes Jahrhundert lang Widerstand leisten. Heute ist Flores sehr touristisch geprägt, aber mit einem gemütlichem Flair. Die Uferstraße ist gesäumt von Hotels und Restaurants, und wenn man zum Hauptplatz hochgeht, hat man einen wunderschönen Blick auf den See und die umliegenden Ortschaften.
Morgens wurden wir mit einem Bus abgeholt und fuhren zu dem gut 60 km weiter im Norden gelegenen Tikal. Mit einem englischsprechenden Führer, der spannend und kenntnisreich erzählen konnte, zog unsere Gruppe (zwei deutsche Lehrerinnen, ein junger amerikanischer Anwalt und wir) los. Auf 16 qkm gibt es etwa 3000 Gebäude und 121 Stelen! Davon sind allerdings ca 80% nicht ausgegraben sondern vom Regenwald überwachsen. Archäologen sprechen von der Entdeckung Tikals im 19. Jh., unser Führer aber meint, das Wissen um diese im Regenwald verschwundene Stadt sei unter den Mayas immer weiter gegeben worden. Ende der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde mit den Ausgrabungen begonnen, die Universität von Pennsylvania war finanziell federführend dabei, und ohne die Eintrittsgelder und die Förderung als Unesco-Weltkulturerbe wäre es heute gar nicht möglich, die Anlage zu konservieren und die Infrastruktur für die Besucher bereit zu stellen.
Schon 200 v.Chr. wurden die ersten Gebäude errichtet und bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts wuchs Tikal zu einem bedeutenden politischen und kulturellen Zentrum heran, zeitweilig lebten im ganzen Königreich bis zu einer halben Million Menschen und in Tikal selbst, so die Schätzungen, lebten 50.000 Menschen. Danach büßte Tikal seine Vormachtstellung in einem Eroberungskrieg ein, das benachbarte Königreich im heutigen Belize übernahm die Führungsrolle. Es ist erstaunlich, dass die Stadt an einem so wasserarmen Ort errichtet wurde und eine solche Blüte erleben konnte, es befindet sich nämlich kein Fluss in der Nähe und Wasser wurde lediglich in Lehmsenken gesammelt.
Marktplatz mit Akropolis an der Seite
Fünf riesige Tempel wurden ausgegraben, eine Akropolis, ein Marktplatz in der Mitte der Anlage, mit einem Fußballplatz daneben und einige Wohnhäuser können besichtigt werden. Auf zwei der Tempel kann man hinaufsteigen, teilweise über ein Gerüst, um die Steine zu schonen und dann hat man einen atemberaubenden Blick auf den Regenwald. Etwas gespenstisch mutet es an, wenn man von da oben die anderen Tempel aus dem Regenwald herausragen sieht.
Steht man auf dem Marktplatz in der Mitte zwischen zwei Tempeln, kann man die besondere Akustik ausprobieren, ein Klatschen beispielsweise wird verstärkt und verdoppelt. Wie die Mayas diese Akustik wohl für ihre Versammlungen genutzt haben? Es ist einfach nur beeindruckend und für uns heute fast unerklärlich, wie diese riesigen Gebäude ohne Eisenwerkzeug und vor allem, ohne das Rad zu kennen, errichtet wurden.
Ein Tag reicht gerade so, um die Stadt zu erwandern. Man müsste eigentlich noch einmal kommen, um sich einzelne Tempel und Gebäude genauer anzusehen, um die großartige Leistung der Mathematiker und Astronomen der Mayas besser zu verstehen. Einmal im Monat finden rituelle Veranstaltungen in Tikal statt und unser Führer schwärmte von dem riesigen Fest mit Tausenden von Besuchern im Jahr 2012, als der Jahrhunderte währende Maya-Kalender zu Ende ging und ein neuer begann. (Esoteriker nutzten diesen Kalender gerne für Weltuntergangsszenarien, aber darüber wird hierzulande nur milde gelächelt).
Leider sind außer den ausgegrabenen Ruinen und der Sprache wenige kulturelle Zeugnisse aus der vorkolonialen Zeit übrig geblieben. Ein übereifriger Kardinal wütete Mitte des 16. Jahrhunderts derart erfolgreich, dass nur noch drei Schriftstücke der Mayas erhalten geblieben sind, die man als authentisch bezeichnen kann. Und diese drei Codices befinden sich gar nicht im Lande, einer in Madrid, der andere in Paris und der dritte, wohl bedeutendste und am besten erhaltendste in Dresden in der Sächsischen Landesbibliothek. Er ist neben der Gutenberg-Bibel das Schmuckstück der Sammlung im begehbaren Tresor. Wer mehr darüber lesen möchte, findet hier viele Infos darüber und man kann den Dresdener Maya-Codex auch in hoch aufgelöster digitalen Form im Internet anschauen.
http://www.slub-dresden.de/sammlungen/handschriften/maya-handschrift-codex-dresdensis/
Die eigentlichen Bewohner der Anlage sind heute die vielen Lebewesen des Regenwaldes: kleine und große Tukane, Brüllaffen, die sich beim Avocado-Schälen von uns nicht ablenken lassen, und etliche Familien von Nasenbären, die teilweise so zutraulich sind, dass sie die Touristen wegen Futter anbetteln.