Ein Plakat im Örtchen Playa Santiago, wo wir in der Bucht ankern, gibt Auskunft über ein vier Tage dauerndes Fest im Bergdorf Alajeró zu Ehren der Jungfrau Maria von El Paso von Freitag bis einschließlich Montag: Sportwettkämpfe, eine Prozession, Musikbühne und vieles mehr.
Am späten Samstagnachmittag nehmen wir den Bus nach Alajeró, um die angekündigten Folkloregruppen anzuschauen. Gleich neben der kleinen Kirche des Ortes steht das Kulturhaus, auf dem Platz dazwischen ist eine Musikbühne aufgebaut, um die Kirche herum und dahinter reihen sich Stände aneinander, die typisch kanarische Küche anbieten, andere wiederum verkaufen Hot dogs, Getränke oder Zuckerwatte und ein bisschen Krimskrams für Kinder. Noch ist nicht viel los, wir essen eine Kleinigkeit und setzen uns dann in den Saal des Kulturhauses: hier ist schon die erste Gruppe dran, die Frauen in schönen gestreiften Röcken, weißen Blusen, bunte Tücher um den Hals oder ums Haar gebunden, ein kleiner brauner Hut darauf. Oben auf der Bühne stehen die Musiker und Sänger, davor geben die Tänzer/innen ihr Bestes.
Eine Gruppe gefällt uns besonders gut: Handtrommeln mit Ziegenfell bespannt und schöne dunkle Holzkastagnetten sind die einzigen Instrumente, dazu ein rhythmischer und doch getragener Gesang, mit Pfeif-Einlagen, viele Strophen haben die Lieder und besingen Liebe und viel Kriegsleid. Davor tanzen junge Mädchen eine sehr kompliziert aussehende Schrittfolge, die Füße über Kreuz, Drehungen, Sprünge, den Rhythmuswechsel der Trommeln machen sie gekonnt mit, lächeln sich fröhlich zu, zwei kleine Mädchen von vielleicht 10 und 12 Jahren machen auch mit, beide mit ganz konzentrierten Gesichtern, immer mit dem Blick auf die Großen.
Die letzte Gruppe tritt auf, die Männer in dunklen Hosen, weißem Hemd und einer bunten Schärpe um den Bauch, die Frauen in langen hochgeschlossenen Kleidern, vielleicht eine bürgerliche Mode des 19. Jahrhunderts nachahmend, auch sie mit Tüchern um die Haare und einem braunen Hütchen drauf. Sie singen romantische Lieder, begleitet von Mandolinen, Gitarren, einer Querflöte. Das Publikum kennt diese mitreißenden Lieder und der halbe Saal singt mit. Beim letzten Lied, auf das man schön Walzer tanzen kann steigen einige der Sänger und Musiker von der Bühne herunter und holen sich Tanzpartner aus dem Publikum, andere Paare folgen, zuletzt gibt es eine Art Polonaise mit allen…
Danach fragt Andreas einen der Männer der traditionellen Gruppe mit den Handtrommeln, was es mit dem Pfeifen auf sich habe: es handelt sich tatsächlich, wie wir vermuteten, um den hiesigen Dialekt der Pfeifsprache, den nur die eingeweihten Gomerer verstehen. Wortreich erklärt uns der alte Herr das alles. Seine Frau wiederum empfiehlt uns, die Prozession am Sonntagmorgen unbedingt mitzumachen.
Also fahren wir am nächsten Tag wieder den Berg hoch. Ab Alajeró ist die Straße gesperrt, drei Kilometer weiter oben in El Paso startet die Prozession. Nach dem Gottesdienst wird die Jungfrauenstatue aus der dortigen Kapelle in die Kirche von Alajeró getragen. Wir laufen die restlichen Kilometer mit hunderten anderen Menschen hoch, der Prozession entgegen. Von Weitem schon sieht man eine Menschenansammlung, eine bunte Schlange, die sich ganz langsam bewegt, ab und zu wehen Trommelklänge herüber.
Die Jungfrauenstatue wird auf einem kleinen blumengeschmückten Wagen gefahren, davor geht eine Gruppe, wieder mit den Handtrommeln oder den großen schönen Kastagnetten schlagen sie den Takt, einige von ihnen singen, auch die junge ernsthafte Sängerin vom Vortag ist wieder mit dabei. Vor ihnen wiederum sehen wir eine größere Gruppe von hauptsächlich jüngeren Frauen und Mädchen, sie tanzen in der gleichen komplizierten Schrittfolge mit den dynamischen Sprüngen, die Hände seitlich hochgehalten. Ich erkenne einige der Mädchen aus der Tanzgruppe wieder, es sind aber auch einige jüngere und ältere Männer dabei. Dieses Mal nicht in Tracht sondern in bequemer luftiger Kleidung, immerhin ist der Weg drei Kilometer lang und die Prozession dauert volle drei Stunden. Ab und zu geht eine von ihnen am Rand mit, um sich auszuruhen, einen Schluck Wasser zu trinken, bevor sie wieder in den Tanz einsteigt.
Es herrscht eine fröhliche Festtagsstimmung, alte und junge Menschen wandern mit, warten am Wegrand, erzählen, scherzen mit den kleinen Kindern, wedeln sich mit den Strohhüten etwas Luft zu, einige haben Picknicktaschen dabei, schieben Wägelchen mit Bier, andere tragen traditionelle Lederbeutel mit Wein bei sich.
Unten im Ort wartet der Pfarrer für eine kurze Ansprache, bevor die Jungfrauenstatue in der Kirche vor dem Altar aufgestellt wird. Nun herrscht Hochbetrieb auf dem Platz und bei den Ständen, alle wollen etwas essen, trinken, andere verteilen sich auf den umliegenden Straßen, packen auf dem Spielplatz auf den Bänken ihre Picknickkörbe aus, Großfamilien versammeln sich drum herum.
Irgendwann am frühen Nachmittag beginnt auf der Musikbühne das Programm, spanische Schlager, erst ein Alleinunterhalter, dann ein Duo, die Leute davor tanzen paarweise, auch hier ältere und junge, mit Kindern im Schlepptau. Das Kirchenportal steht weit offen, die Musik schallt laut von der Bühne hinein, es sind kaum 200 Meter dazwischen, Menschen gehen ein uns aus, um kurz die Jungfrau anzusehen, andere wiederum sitzen in Andacht versunken auf den Bänken oder stehen betend vor dem Altar.
Bis Mitternacht wird getanzt, dann gibt es noch ein Feuerwerk, und am Montag wird die Jungfrau wieder in die Kapelle nach El Paso hochgetragen, das soll, so erzählt uns eine Lehrerin, ganz schnell gehen, in weniger als einer Stunde, schließlich sei es ja ein normaler Arbeitstag.
Sie erzählt uns auch, dass vor langer Zeit ein Mann auf seinem Pferd durchs Gebirge ritt und dabei eingeschlafen sei, das Pferd ihn aber sicher nach Hause gebracht habe. Dieses für ihn große Wunder verdanke er der Jungfrau Maria zu deren Ehre und als Dank für den sicheren Heimweg habe er die Kapelle gestiftet.