Angeln mit Haken

Kaum ein Nahrungsmittel ist so sehr mit der japanischen Kultur verbunden wie der Fisch. Im Durchschnitt isst jeder Japaner rund 70 kg Fisch pro Jahr (der weltweite Durchschnitt liegt bei 16 kg). Doch die Liebe zum Fisch hat ihre Schattenseiten, denn viele der hier beliebten Sorten (z.B. der Blauflossen-Thunfisch) sind bereits seit Jahren gefährdet.

Während im Nordwest-Pazifik insgesamt noch große Mengen an Fisch gefangen werden können, sind die japanischen Küstengewässer bereits stark überfischt. Wir an Bord der Muktuk haben es mittlerweile aufgegeben, in Japan selbst zu angeln. Weder an der Schleppleine, noch vor Anker oder vom Beiboot aus hatten wir Erfolg. Nun bin ich bestimmt kein besonders professioneller Angler, aber in anderen Seegebieten wie Neuseeland, Alaska oder Mexiko konnten wir immer relativ mühelos unser Abendessen fangen. Aber hier in Japan: Fehlanzeige!

Der Fisch jedenfalls, den es in großer Auswahl und relativ günstig in den Supermärkten zu kaufen gibt, ist in den meisten Fällen importiert. Lachs aus Chile, Garnelen aus Ecuador, Gelbflossen-Thunfisch aus Argentinien oder China. Seit wir beim Einkauf genauer hinschauen und nur Fisch aus hiesigen Fanggebieten (oder aus lokaler Fischzucht) kaufen, ist unsere Sortenvielfalt deutlich geringer geworden.

Auch die Fangflotte Japans ist in den letzten Jahrzehnten geschrumpft, aber umfasst immer noch über 120.000 Boote, die meisten davon kleine, mit ein bis zwei Mann besetzte Küstenfischer. Wenn wir unterwegs sind, muss immer einer von uns sorgfältig Ausguck gehen, um nicht nur den Booten, sondern auch den gesetzten Reusen und Netzen auszuweichen.

Was uns aber am meisten erstaunt, ist die Leidenschaft der Japaner fürs Freizeit-Angeln. Keine Hafenmauer ist unbesetzt, auch nicht bei Sturm oder Regen. Kein Felsen im Wasser ist zu klein, als dass nicht ein paar Angler darauf säßen. Sie werden morgens mit kleinen Booten hingebracht und am Abend – mit oder ohne Fang – wieder abgeholt.

Wir sehen ständig Angler. Was wir selten sehen, sind Fische, die an den Angeln hängen. Ab und an mal eine Sardine, aber größere Fänge sind sehr selten. Das tut freilich der Leidenschaft fürs Angeln keinen Abbruch.

Wie bei allen Freizeitaktivitäten sind Japaner auch beim Angeln absolut professionell ausgerüstet: ein halbes Dutzend Angelruten, einige davon vier bis fünf Meter lang. Kescher und Netze, um die Sardine auch sicher zu bergen. Falt-Hocker und Falt-Tischchen. Eine kleine Kühltruhe zur Aufbewahrung (der Fische oder Getränke?). Eine große Schale mit Köder-Paste, die in regelmäßigen Abständen mit einer speziellen Wurfschaufel portionsweise ins Wasser geworfen wird. Und natürlich eine große Auswahl an Haken, Ködern und Schwimmern. Von unserer Beobachtung ausgehend wird es kaum ein Angler schaffen, im Laufe seines Lebens so viel Fisch zu fangen, dass der Gegenwert der Ausrüstung wieder hereinkommt. Aber darum geht es ja wohl auch nicht.

Der Fangerfolg scheint jedenfalls weniger von der Ausrüstung und Anstrengung des Anglers abzuhängen als man denkt. Als wir die drei Wochen coronabedingt am Schwimmsteg von Takakushi lagen, hörten wir eines Abends ein typisches Klappern an Deck. Ich ging hoch und brachte einen Hering mit herein, der – wohl auf der Flucht vor Raubfischen – aus dem Wasser gesprungen und dummerweise auf der Muktuk gelandet war. Zwei Tage später kamen auf dieselbe Weise noch einmal fünf weitere dazu, die ich vom Deck und vom Steg aufsammeln und zu Rollmops verarbeiten konnte. War das nun „selbstgefangen“? Aus der Sicht der Fische vielleicht.

Zwangspause

29. Oktober – 10. November

Weil unser Unterwasserschiff so stark bewachsen ist, dass wir uns nur mit Mühe fortbewegen können, wird es höchste Zeit, Muktuk aus dem Wasser zu nehmen, zu putzen und zu streichen. Wir haben mit der Werft den 1. November als Termin vereinbart und machen uns zwei Tage vorher auf den Weg, um gemütlich in die Gegend der Werft zu tuckern. Doch so gut unsere Pläne auch sein mögen, Corona macht uns wortwörtlich einen Strich durch die Rechnung.

Bereits am Vorabend der Abfahrt aus Karatsu fühlt sich Birgit angeschlagen, ihr Hals kratzt, sie hat Glieder- und Kopfschmerzen. Noch wissen wir aber nicht, was es ist. Während der Fahrt verschlechtert sich ihr Zustand, sie bleibt die meiste Zeit in der Koje und bekommt Fieber und Schüttelfrost. Wir erreichen ein kleines Fischerdorf mit einem großen Hafen und machen am Schwimmsteg fest. Wir haben Corona-Schnelltests an Bord, Birgit testet sich und ist positiv.

Wir geben in der Werft Bescheid, dass sich unser Termin wohl etwas verschieben wird. Mir geht es am nächsten Morgen noch immer gut, ich habe keine Symptome und gehe am Vormittag (natürlich mit Maske) bei schönstem Wetter durch den Ort spazieren. Es gibt hier sogar einen Onsen, aber natürlich können wir den jetzt nicht besuchen. Während ich fort bin, kommen Zollmitarbeiter an unseren Liegeplatz. Birgit erklärt ihnen die Situation und wir dürfen vorerst hier liegenbleiben.

Am Abend geht es dann auch bei mir los, ich habe die gleichen Symptome wie Birgit, nur jeweils zwei Tage zeitversetzt. Weil wir für die Werft zuvor groß eingekauft haben, haben wir für mindestens eine Woche Proviant und können uns an Bord isolieren.

Es ist eine lausige Krankheit! Obwohl wir beide je viermal geimpft sind, erwischt es uns ordentlich. Zwar gilt es natürlich immer noch als „leichter Verlauf“, schließlich müssen wir weder beatmet noch hospitalisiert werden, aber Fieber, Glieder- und Hautschmerzen, Halsweh (bei Birgit), Übelkeit und Durchfall (bei mir), beide husten um die Wette – wir sind völlig kaputt.

Die erste Woche haben wir wunderbares sonniges und warmes Herbstwetter, das wir allerdings nur durch die Fenster bewundern können. Dann schlägt das Wetter um, es stürmt und schüttet zwei Tage lang. Zum Glück liegen wir gut und sicher, und bisher hat noch keiner versucht, uns von hier zu verscheuchen. Doch trotz des relativ geschützten Liegeplatzes brechen in einer Nacht gleich drei Festmacherleinen, so sehr wirft es das Boot umeinander.

Der Wind lässt schneller nach als unsere Symptome, es geht nur in ganz keinen Schritten voran. Bei mir bleibt ein hartnäckiger Husten und nahezu völliger Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn. An Werftarbeit ist auch nach über einer Woche nicht zu denken. Es dauert volle 14 Tage, bis der Test nicht mehr positiv anschlägt.

Holperiger Start

23. Oktober 2023

Am Montagmorgen geht es endlich los. Die Sonne scheint auf das spiegelglatte Hafenbecken, es ist windstill. Da Muktuks Bug zu Land hin zeigt, will ich mit dem Bugstrahlruder das Boot um knapp 180° drehen, um aus dem Becken heraus und zum Tanksteg fahren zu können. Sie beginnt sich auch brav zu drehen, aber als ich die Maschine einkupple, um Vorwärtsfahrt zu machen, passiert nichts. Mehr Gas – immer noch nichts! Was ist denn jetzt los?

Wir driften zurück an den Steg und machen erst einmal wieder fest. Getriebeschaden? Gebrochener Schaltzug? Es scheint aber alles in Ordnung zu sein: wenn ich einkupple, dreht sich die Welle, bei mehr Gas sehen wir Schraubenwasser am Heck – alles wie es sein soll. Hmm…

Zweiter Versuch. Unter Maschine bewegt sich Muktuk doch, allerdings nur ganz gemächlich. Auf dem Weg zum Tanksteg gebe ich Vollgas, dennoch erreichen wir mit Müh und Not eine Geschwindigkeit von einem Knoten. So wird das nichts mit der kurzen Strecke von 20 sm, die wir für heute vorhaben.

Die Erklärung: nachdem Muktuk fast vier Monate lang bewegungslos in warmem Wasser lag, haben sich so viele Muscheln am Propeller festgesetzt, dass wir damit zwar das Wasser hinterm Boot durchquirlen, aber praktisch keinen Vortrieb erzeugen. Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als mit Kratzwerkzeug bewaffnet im Hafenbecken tauchen zu gehen, um den Propeller wenigstens grob vom Bewuchs zu befreien. Die Biester sind verdammt hart, und ich brauche etwa eine Stunde, bis die Propellerblätter auf ihrer Vorder- und Rückseite freiliegen. Danach bin ich sehr froh über die heiße Dusche in der Marina, um sowohl den Hafendreck als auch das Zittern loszuwerden.

(Kleiner Vorgriff: ein paar Wochen später machen wir auf der Werft dieses Bild, als die Muktuk aus dem Wasser gehoben wird. Kein Wunder also!)

Das Tauchen und Kratzen hat sich jedenfalls gelohnt. Zwar sind wir immer noch langsam, aber knapp vier Knoten schaffen wir jetzt unter Maschine, und damit können wir unseren Ankerplatz erreichen, wo wir uns ein paar Tage lang von der Hektik der Großstadt erholen wollen.

Laternenfest in Fukuoka

21. Oktober 2023

Nach dreineinhalb Monaten Deutschland sind wir zurück an Bord. Die Segel sind angeschlagen, Proviant ist eingekauft, die letzten Segnungen der Großstadt Fukuoka mit Museums- und Konzertbesuchen genossen. Bald geht es wieder auf See. Aber heute Abend müssen wir noch einmal in die Stadt zum jährlichen Laternenfest…








Yobuko

24. Juni 2023

Yobuko, gerade mal ein paar Seemeilen von Karatsu entfernt, ist für seinen „morning market“ berühmt. Angeblich Japans drittgrößter Markt dieser Art, hat er jeden Tag außer am 1. Januar immer von 7:30 bis gegen Mittag geöffnet.

Das Spektakel ist auf eine ca. 200 Meter lange Einkaufsstraße begrenzt, an der sich ein Stand mit Leckereien an den anderen reiht. Überall gibt es Getier aus dem Meer, frisch von der Fischereiflotte angeliefert und in verschiedenen Stadien der Zubereitung: von roh über getrocknet, mariniert bis zu essfertig gegrillt, gebraten oder frittiert.

Aber auch abgesehen vom morning market ist Yobuko für seinen Tintenfisch von besonderer Frische und Geschmack bekannt. Die wohl berühmteste Zubereitung ist „ikizukuri“, eine Art Sashimi, bei der der noch lebende Tintenfisch so schnell ausgenommen und aufgeschnitten wird, dass er noch lebend serviert werden kann. Ganz so weit ging unsere Liebe zur japanischen Küche dann aber doch nicht, das haben wir nicht ausprobiert.

Den Trocknungsprozess des „normalen“ Tintenfischs kann man im ganzen Ort bewundern. Überall flattern die hellweißen Tintenfische an der frischen Luft. Oft mit Wedeln bewacht, um die Fliegen abzuwehren, oft auch in Karussells im Kreis geschleudert, denn auch dann haben die Fliegen keine Chance. Größere Raubtiere können sich dennoch mal ein Stückchen Tentakel ergattern.

Doch in Yobuko wurden nicht immer nur kleine Fische gefangen. Einige Gebäude sind aus der Zeit erhalten geblieben, als Yobuko ein prosperierender Walfang-Ort war. Das lokale Walfang-Museum zeigt Gerätschaften und Bilder aus dieser Zeit.

Institute of Ocean Energy

16. Juni 2023

Immer wenn wir von unserem Liegeplatz nach Imari hineinfahren, fährt unser Zug an einem großen Gebäude mit der Aufschrift „IOES – Institute of Ocean Energy, Saga University“ vorbei. Neugierig geworden, recherchiere ich im Internet, was es damit auf sich hat und gehe eines Tages dort vorbei und frage, ob man das Institut besichtigen kann. Ja, kann man – ich vereinbare einen Termin für den übernächsten Tag, an dem wir zu dritt (Anne, die Tochter einer Freundin, ist für eine Woche zu Besuch bei uns) durchs Institut geführt werden und alles anschauen dürfen. Der Forscher, der uns das Institut zeigt, spricht hervorragendes Englisch und beantwortet geduldig unsere vielen Fragen.

Unter anderem dürfen wir besichtigen:

Ocean Thermal Energy Conversion (OTEC): hier wird die Temperaturdifferenz zwischen dem kalten Tiefenwasser (3-5°C in 1000 Meter Tiefe) und dem warmen Oberflächenwasser zur Stromerzeugung nach dem Prinzip eines umgekehrten Kühlschranks ausgenutzt: man nimmt eine Flüssigkeit wie z.B. Ammoniak, deren Siedepunkt zwischen den beiden Wassertemperaturen liegt. Wird diese Flüssigkeit nun in einem Wärmetauscher durch das warme Oberflächenwasser erwärmt, verdampft sie, ihr Dampfdruck treibt eine Turbine zur Stromerzeugung an. Hinter der Turbine wird in einem weiteren Wärmetauscher das kalte Tiefenwasser verwendet, um das gasförmige Ammoniak wieder herabzukühlen und zu verflüssigen, womit sich der Kreislauf schließt. Vom erzeugten Strom werden die Pumpen betrieben, der Überschuss ist die gewonnene Energie.

Wir können zunächst eine Demonstrations-Anlage betrachten, in der alle Bauteile aus durchsichtigem Kunststoff bestehen, danach werden wir in die Halle mit der 30 kW Anlage geführt, in der das Prinzip im größeren Maßstab umgesetzt wird.

Wave Energy Conversion: Nutzung der Meereswellen zur Energieerzeugung. Die Herausforderung hier liegt vor allem darin, dass solche Anlagen aus den moderaten Wellenhöhen Energie gewinnen müssen, die überwiegend vorherrschen. Sie müssen aber derart stabil gebaut sein, dass sie den extremen Seegang (zehn Meter oder mehr) überstehen, der zwar selten, aber dennoch vorkommen kann. Hierfür werden verschiedene Schwimmkörper vertestet, in denen die Auf- und Abbewegung des Wassers oder die Kippbewegungen des Schwimmkörpers eine Luftsäule verdichtet, die dann eine Turbine antreibt. Durch eine spezielle Geometrie der Turbinenblätter rotiert die Turbine immer in derselben Richtung, auch wenn die Luft abwechselnd ein- und ausströmt.



Tidal Current Power Generation: Gezeitenkraftwerke zur Stromgewinnung sind ein weiteres Forschungsfeld des Instituts. Hier werden spezielle Turbinen mit gegenläufigen Rotoren entwickelt, die lediglich mit einem Kabel am Meeresgrund verankert werden müssen und deren Wirkungsgrad zusätzlich durch eine Art Doppeltrichter verbessert wird, der die Anströmgeschwindigkeit der Turbine erhöht.

Offshore Wind Energy: hier werden verbesserte Windkraftwerke entwickelt, Schwerpunkte liegen auf Verankerungstechnik bzw. schwimmenden Windrädern, optimierten Flügelprofilen und Muli-Rotor-Geometrien. Als Windkraftwerke der nächsten Generation werden Flugdrachen erprobt, die nicht nur den stärkeren Wind in großer Höhe nutzen, sondern auch durch dynamische Flugbahnsteuerung die Gesamteffizienz erhöhen.

Lithium Recovery: Für die Batterietechnik werden große Mengen an Lithium benötigt, per Bergbau ist es jedoch begrenzt verfügbar (und zu großen Teilen von China kontrolliert). Lithium ist aber auch – wenn auch in der extrem geringen Konzentration von 0,1 – 0,2 ppm – in Seewasser enthalten. Im Institut wird ein vielversprechendes neues Verfahren entwickelt, Lithium-Ionen dennoch effizient aus dem Seewasser herauszufiltern und von den anderen Ionen zu trennen.

Ich hoffe, das war jetzt nicht zu viel der Technik. Wir waren jedenfalls sehr begeistert, was alles in diesem unscheinbaren Gebäude entwickelt und erforscht wird. Und dankbar, dass uns alles gezeigt und erklärt wurde. Wer mehr wissen will, wird auf der Internetseite des Instituts fündig: https://www.ioes.saga-u.ac.jp/en/

Küstenwache und Zoll in Imari

9. Juni 2023

Die Stadt Imari liegt am Ende einer tief eingeschnittenen Bucht. Die ganze Gegend ist stark industriell geprägt: Werften, Raffinerien, überall qualmt es aus den Schornsteinen – landschaftliche Schönheit können wir hier nicht erwarten. Die nächstgelegene „offizielle“ Marina liegt sehr weit außerhalb, und weil wir ja die Stadt und die Keramikörtchen im Hinterland erkunden wollen, suchen wir uns per Seekarte und google Maps ein Hafenbecken in Stadtnähe aus, das nahe an einem Bahnhof liegt, so dass wir vom Liegeplatz schnell und günstig in den Ort kommen können.

Wir entdecken am Ende des Hafenbeckens einen Schwimmsteg, eine Seite ist frei und wir machen dort fest. Aber – oops – auf der anderen Seite liegt ein Boot der Küstenwache! Bevor unsere Leinen noch richtig fest sind, bekommen wir auch schon Besuch. Ob wir hier bleiben können? Japaner sind ja so höflich, dass sie sehr ungern nein sagen. Wenn sie es aber doch müssen, kündigt ihr leicht schmerzverzerrter Gesichtsausdruck schon im Vorfeld an, dass dieses Mal die Antwort wohl negativ ausfallen wird: zwar ist nur eine Seite von der Küstenwache belegt, aber die andere Seite muss für Notfälle freigehalten werden. Außerdem ist der Zugang zum Steg abgesperrt, wir kämen hier also gar nicht von Bord. Wo wir denn dann hinkönnten? Die Beamten kontaktieren den Hafenkapitän per Telefon und bitten uns abzuwarten.

Nach etlichen Verhandlungen, einigen Formularen, ausführlicher Bordbesichtigung und knapp zwei Stunden ist alles geregelt: wir dürfen an der anderen Seite des Hafenbeckens längsseits festmachen. Zwar kein Schwimmsteg, aber der Tidenhub ist zur Zeit nicht so groß, dass dies ein Problem wäre. Ich frage noch kurz den Navigator des Küstenwacht-Bootes nach der Wassertiefe an der für uns vorgesehenen Stelle, weil ich denke, er hat vielleicht genaueres Kartenmaterial. Statt in die Karte zu sehen, schickt er aber zwei seiner Beamten mit dem Auto los, die nicht nur mit dem Lot die Wassertiefe messen, sondern gleich noch ein paar Mooringleinen aus dem Weg räumen, die uns behindern könnten. Per Telefon kommt dann die Information: vier Meter tief, alles perfekt!

Während wir die paar hundert Meter rübertuckern, springt auch der Rest der Mannschaft ins Auto und hilft uns, an unserem neuen Liegeplatz die Leinen anzunehmen.

Ein paar Tage später bekommen wir Besuch von zwei Zollbeamten, die das Boot besichtigen wollen und auch ein paar Formulare zum Ausfüllen dabeihaben. Sie kommen allerdings gerade, als wir mit Handtüchern und Wechselwäsche ausgerüstet zum Zug laufen wollen, um in Imari ins öffentliche Bad zu gehen. Als wir ihnen erklären, dass wir an Bord keine Duschgelegenheit haben und sowieso große Fans der japanischen Onsen sind, freuen sie sich nicht nur über unsere Wertschätzung dieses Teils ihrer Kultur, sondern haben es auch mit der Dienstpflicht nicht mehr so eilig. Sie können auch später wiederkommen. Als der jüngere Kollege dennoch ein Formular zückt, weist ihn der ältere Kollege zurecht: lass mal, die müssen doch zum Zug, um baden zu gehen.

Ist es nicht ein wunderbares Land?

Takushima

7. Juni 2023

Den Tipp bekamen wir von Fuminori-san aus Hirado: wenn wir Zeit hätten, sollten wir unbedingt die kleine Insel Takushima besuchen, denn da gäbe es ein kleines Ryokan (traditionelles japanisches Gasthaus), in dem man nicht nur ein Abendessen bekommen, sondern auch vorher ein Bad nehmen kann.

Das Inselchen hat keinen eigentlichen Ort, aber das Gasthaus ist dank google Maps schnell gefunden und wir versuchen, im nahegelegenen Hafen festzumachen. Der ist allerdings sehr klein, der einzige mögliche Liegeplatz hat ablandigen Wind und der drückt beim Anlegen immer wieder den Bug der Muktuk weg, bevor wir festmachen können. Nach etlichen Versuchen und einer ordentlichen Schramme am Bug brechen wir den Versuch ab.

Zum Glück gibt es aber am anderen Ende der Insel einen weiteren Hafen (wir fragen uns manchmal, ob japanische Inseln mehr Häfen als Einwohner haben), und der ist groß genug. Zu Fuß machen wir uns am späten Nachmittag auf den Weg, das Gasthaus ist etwa drei Kilometer entfernt. An Häusern und Zäunen hängen überall Kinderzeichnungen, die vor den Wildschweinen warnen, die offensichtlich auf dieser Insel zu Hause sind. Ein abwechslungsreicher Spaziergang führt uns vorbei an Cosmea-Feldern, liebevoll gepflegten Gemüsegärten und Selbstbedienungs-Ständen mit Gemüse.

Am Gasthaus angekommen, das gar nicht wie ein Gasthaus, sondern wie ein normales privates Wohnhaus aussieht, versuchen wir uns auf Japanisch zu verständigen: können wir hier ein Essen und ein Bad bekommen? Die Besitzerin schüttelt bedauernd den Kopf und redet auf uns ein. Viel verstehen wir nicht, aber es scheint, das Gasthaus würde nur auf vorherige Reservierung öffnen, und sie seien nicht auf Gäste eingestellt, hätten nichts eingekauft, vorbereitet etc.

Aber unser trauriger Gesichtsausdruck bringt sie dann doch zum Überlegen. Nachdem sie sich kurz mit ihrem Mann beraten hat, bedeutet sie uns zu warten. Nach einer Weile führt sie Birgit in ein kleines Badezimmer und lässt ihr in eine Art Sitzbadewanne ein heißes Bad ein. Ich darf währenddessen auf der Terrasse Platz nehmen, auf der ein Schreiner, ein Freund des Wirtspaares, gerade dabei ist, ein neues kleines Holzhaus zu bauen. Auf einem Betonfundament hat dieser das Gerüst für das Haus errichtet: Ständer, Riegel, Streben, Dachbalken und der ganze Dachstuhl stehen schon, nur Wände und Dach fehlen noch.

In dieses Gerüst stellen die Wirte einen Tisch und ein paar Stühle; ich sitze mit dem Schreiner bei einem Bier und übe mein Japanisch. Er erzählt stolz, dass er den gesamten Holzaufbau am heutigen Tag errichtet hat. Ich erzähle von unseren Reisen, und habe tatsächlich den Eindruck, dass wir uns – ausnahmsweise ganz ohne Übersetzungsprogramm – verständigen können. Nach einer halben Stunde kommt Birgit aus dem Bad, und ich darf ihren Wannenplatz übernehmen.

Während ich bade, verwandeln die Wirtsleute den Rohbau auf liebevolle Weise in ein gemütliches Restaurant: Blumen werden in Vasen auf die Holzriegel gestellt, der Tisch wird gedeckt, für später werden Lichter an die Dachsparren gehängt. Wir sitzen im Schein der untergehenden Sonne, schauen auf Meer und Hafen (den Schauplatz meines unrühmlichen Anlegeversuchs). Und dann werden die Köstlichkeiten aufgefahren: Platten mit Sashimi, Misosuppe, einlegtes Gemüse, Seeigel, Gebratenes, Gedämpftes… ein Gang nach dem anderen erscheinen auf dem Tisch, wir essen alle gemeinsam (die Wirtsleute, der Schreiner, Birgit und ich), Bier wird aus großen Flaschen reihum in unsere Gläser gefüllt. Wieder einmal fühlt es sich an, als hätten wir Familienanschluss gefunden, und wir unterhalten uns mit Händen, Füßen, Mimik und unsern paar Brocken Japanisch.

Als wir am späten Abend unsere Rechnung bezahlen und aufbrechen, bestehen sie darauf, uns mit dem Auto zum Schiff zurückzubringen – in der Nacht sei das mit den Wildschweinen nicht ganz ungefährlich…

Hölle und Fußbäder

Unzen und Obama Onsen 21. – 22. Mai 2023

Unzen, ein kleines Dorf in den Bergen voller Thermalquellen, war schon seit 1868 ein beliebter Badeort. Seit 1910 wurde es auch bei ausländischen Besuchern immer bekannter und so entstand hier eine touristische Infrastruktur mit Hotels und regelmäßigen Busverbindungen.

Weil Unzen Onsen im Landesinneren der Shimabara Halbinsel liegt, und wir unsere Muktuk nur schwer im Bus mitnehmen können, wollen wir sie für eine Nacht alleine lassen und uns in einem traditionellen japanischen Gasthaus, einem „Ryokan“ einquartieren. Wir haben schon viel darüber gehört und gelernt, wie es dort zugehen soll: wie in den Zimmern am Abend das Futonbett auf den Tatami-Matten ausgerollt wird, wie man nach dem abendlichen Bad im Bademantel zum gemeinsamen Abendessen erscheint etc.


Nur leider: weil es so viele Regeln zu beachten gibt, sind diese Gasthäuser sehr zögerlich, Nichtjapaner als Gäste willkommen zu heißen. Sie werden wohl in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht haben. Wir wurden jedenfalls aufgrund unserer mangelnden Japanisch-Kenntnisse als Gäste abgelehnt. Schade – in genau so einem Gasthaus hätten wir uns gerne einquartiert. Das ist ein wenig wie bei Groucho Marx, der auch keinem Club angehören wollte, der ihn als Mitglied aufnehmen würde.

Wir landen aber bei einem gar nicht so schlechten Kompromiss, indem wir ein Zimmer im japanischen Stil mit Tatami-Matten, ausgerollten Futons und sogar Seeblick finden, aber ohne Verpflegung im Hotel.

An heißen Quellen mangelt es diesem Ort wahrhaftig nicht. Über ein Dutzend öffentlicher Bäder stehen zur Auswahl, dazu kommen noch etliche Hotels, die über eine eigene Thermalquelle verfügen. Mitten im Ort gibt es ein aktives Fumarolenfeld, das auf Japanisch „Hölle“ (jigoku) genannt wird, denn überall dampft und blubbert es aus dem kargen Geröll und die Luft ist von Schwefelgeruch erfüllt. Die Hölle war es auch während der Christenverfolgung zwischen 1627 und 1631, als hier christliche Märtyrer mit dem 98°C heißen Wasser zu Tode gefoltert wurden. Heute spazieren aber die Touristen unbehelligt auf Bohlenwegen durch das Gelände, und in den Bädern wird das heiße Wasser auf angenehme 42°C heruntergekühlt.

Auf dem Rückweg machen wir noch Station in Obama Onsen, einem Thermalbad an der Küste, das aus derselben Magmakammer wie Unzen Onsen gespeist wird. Weil der Dampf aber auf dem Weg zur Oberfläche andere Gesteinsschichten durchquert, enthält das Wasser weniger Schwefel, dafür mehr Chlorsalze. In Obama Onsen (der Name hat nichts mit dem ehemaligen amerikanischen Präsidenten zu tun) gibt es die Tradition, sein Essen im Dampf der heißen Quellen zu garen. Es gibt sogar eigene öffentliche Küchen zu diesem Zweck, wo man seine Zutaten selbst mitbringt, um sie dann dort zu dämpfen und zu essen.

Wir haben Zeit, uns ein wunderbares Museum über die Geschichte des Badeortes anzusehen, das uns allein schon durch seine Architektur und seinen herrlichen Blumengarten begeistert.

Zum Ausklang des Tages gönnen wir uns noch eine Besonderheit von Obama Onsen, die bei Touristen und Einheimischen gleichermaßen beliebt ist: den Besuch des 105 Meter langen öffentlichen Fußbads an der Strandpromenade. Man muss ja nicht immer gleich die Seele baumeln lassen, manchmal tun’s auch die Füße.

Suizenji-Park

Kumamoto, 12. Mai 2023

Kumamoto ist die drittgrößte Stadt Kyushus und hat touristisch allerhand zu bieten. Hauptanziehungspunkt für uns ist allerdings die Einwanderungsbehörde, denn wir müssen unser Dreimonatsvisum verlängern, damit wir wie geplant bis Mitte Juli in Japan bleiben dürfen. Die Mitarbeiterin dort hatte wohl zuvor noch nie einen solchen Fall, allemal keine deutschen Segler, und muss erst einmal die Chefin konsultieren. Dann aber bekommen wir problemlos den neuen Stempel in den Pass und haben den Rest des Tages frei.


Den nutzen wir für einen Besuch im Suizenji-Park, der in den 1630er Jahren als Wandelgarten um einen See herum angelegt wurde. Spektakulär müssen hier wohl die Kirsch- und Pflaumenbäume zur Blütezeit sein, aber auch Mitte Mai hat der Garten mit seinen Steinbrücken, Kiefern und Reihern im Sonnenschein seinen Charme.

Eine breite Allee am Rand des Gartens ist zweimal im Jahr Schauplatz für das Bogenschießen zu Pferde, worin der Erbauer des Parks ein Meister und Lehrer war. In der Nähe stehen fünf Bonseki, bedeutungsvoll arrangierte Felsen umgeben von weißen und dunklen Kieselsteinen, abstrakte Gartenkunst auf japanische Art.


Dank eines Kimono-Verleihs im Eingangsbereich gibt es auch von den Touristen des 21. Jahrhunderts hübsche Fotomotive, und auch ein Hochzeitspaar nutzt den historischen Ort. Und weil es 1630 noch keine Farbfilme gab, sind die Bilder heute schwarz-weiß (ok, diese Erklärung hinkt gewaltig, aber was soll’s, ich wollte es einfach einmal ausprobieren).



Im Teehaus Kokindenju no Ma, das ebenfalls fast 400 Jahre alt ist, nehmen wir auf den Tatami-Matten Platz, trinken einen Grüntee und haben durch die offenen Schiebetüren einen wundervollen Blick auf den See.


Wir sind jedes Mal aufs Neue begeistert, wie die japanischen Gartenarchitekten mit ihrer gestalteten Natur ein solches Maß an Ruhe und Harmonie einfangen können.